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Fünfundvierzigstes Kapitel

Am andern Morgen war ich blaß und fieberisch, was meine Wirthe mit großer Besorgniß erfüllte. Minnie blieb an meinem Bette sitzen, und als Mr. Vanderwelt das Zimmer verlassen hatte, sagte sie zu mir:

»Sie sehen so blaß und Ihre Hand ist heiß. Ich wollte, der Doktor käme bald.«

»Ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können, Minnie – es war Ihre Schuld.«

»Meine Schuld?«

»Ja, Ihre Schuld, denn ich mußte an einem fort an Sie denken. Ihre Augen schwebten mir die ganze Nacht so vor, wie sie mich jetzt ansehen.«

Minnie erröthete, und ich küßte ihre Hand.

Sobald meine Wunde verbunden war, ließ ich mir Schreibmaterialien geben und faßte einen Bericht an die Admiralität ab, in welchem ich Alles meldete, was sich zugetragen, seit ich Helgoland verlassen hatte. (Meinen Rapport über den Verlust der Fregatte hatte ich nämlich schon von jener Insel aus abgeschickt.) Ich gab an, daß mich meine Wunde wahrscheinlich noch einige Wochen zur Unthätigkeit verurtheilen würde; sobald ich aber im Stande sei, eine Reise anzutreten, wolle ich nach England zurückkehren und mich zu weiteren Befehlen stellen. Ich schrieb auch an meine Mutter und Mr. Warden. Letzterem theilte ich mit, was mir zugestoßen, und daß ich durch meine Wunde verhindert werde, nach England zurückzukehren; zugleich ersuchte ich ihn, mir über Lord de Versely's Tod und Alles, was mich interessiren könnte, ausführlich Bericht zu erstatten.

Nachdem die Briefschaften gesiegelt und Mr. Vanderwelts Besorgung übertragen waren, fühlte ich mich ruhiger, und ich hatte jetzt weiter nichts zu thun, als an Minnie zu denken und mit ihr zu sprechen. Daß ich schnelle Fortschritte in ihrem Herzen machte, darf Niemand Wunder nehmen, da ihre Zuneigung schon so frühe begonnen hatte. Auch war ihr Vater augenscheinlich sehr erfreut über unsere zunehmende Vertraulichkeit, und vierzehn Tage nach meiner Ankunft in Hamburg hatte Minnie eingewilligt, die Meinige zu werden. Der Vater legte unsere Hände zusammen und gab uns seinen Segen.

Da ich vor meinen künftigen Verwandten keine Geheimnisse mehr zu haben brauchte, so theilte ich ihnen meine ganze Geschichte, den Grund von Lord de Versely's Gönnerschaft und das Mysterium meiner Geburt mit. Ich öffnete den Seehundsbeutel, um ihnen Lord de Versely's Brief an meine Mutter zu zeigen, und gestand, wie durch Seiner Herrlichkeit Tod mir das Ziel meines Ehrgeizes entrückt und mein sehnlichstes Hoffen zu Wasser geworden sei.

»Mein lieber Percival,« sagte der alte Mr. Vanderwelt, nachdem ich meine Erzählung geschlossen hatte. »Du hast einem Schatten nachgejagt, obschon dadurch alle deine Thatkraft geweckt und deine Beförderung herbeigeführt wurde. Indeß bist du jetzt im Besitz des Wesentlichen. Geld hast du mehr, als du brauchst, denn du weißt, daß ich reich bin. Die Achtung der Welt, welche besser ist, als Reichthum, verdankst du deiner Persönlichkeit, und ein schönes häusliches Glück blüht dir hoffentlich in Minnie's Besitz, die dir eine eben so gute Gattin sein wird, als sie mir eine Tochter war. Was kannst du weiter wünschen? Ein Name ist Nichts, und wenn dir dein dermaliger nicht mehr gefällt, weil er dich an die niedrige Stellung deines angeblichen Vaters erinnert, so kannst du ihn gegen den meinigen vertauschen. Das Vermögen, welches dir deine Frau zubringt, rechtfertigt einen solchen Schritt vollkommen. Keinesfalls laß aber deinen Stolz ein Hinderniß deines Glückes werden. Wir können in diesem Leben nicht Alles erwarten; statt daher das Unerreichbare zu beklagen, wird es besser sein, wenn du dem Himmel dankest für das Viele, das er dir bescheert hat.«

»Es war der glühende Wunsch meines ganzen Lebens, der ausschließliche Gegenstand meines Ehrgeizes,« versetzte ich. »Eine solche Täuschung muß daher nothwendig schwer auf meiner Seele lasten.«

»Wenn auch – du mußt sie ertragen, oder lieber sie ganz und gar vergessen. Jammern um das, was nicht erlangt werden kann, ist nicht nur fruchtlos, sondern auch sündhaft. Du hast Gott für Viel dankbar zu sein.«

»Allerdings, Sir,« entgegnete ich, indem ich seine Tochter küßte, »und ich will nicht mehr klagen. Wenn Minnie die Meinige wird, nehme ich Ihren Namen an; dieß wird mir den Delmar aus dem Gedächtniß scheuchen.«

Nach diesem Gespräche wurde der Gegenstand nicht wieder aufgenommen. Ich fühlte mich in Minnie's Liebe viel zu glücklich, um mich sonderlich um etwas Anderes zu kümmern; vor ihr schmolz mein Ehrgeiz dahin, und mit Sehnsucht sah ich der Zeit entgegen, die das holde Mädchen für immer in meine Arme führen füllte.

Meine Wunde heilte rasch. Ich hatte etwa einen Monat in Hamburg verweilt, und war bereits im Stande, ein wenig umherzuhinken, als eines Tages Croß mit einem Paket Briefe aus England in mein Zimmer trat.

Die Admiralität meldete mir den Empfang meiner beiden Briefe, in welchen ich den Verlust der Circe, wie auch meine späteren Abentheuer berichtet hatte, und forderte mich aus, sobald es meine Wunde gestattete, nach Hause zukommen, um mich wegen des Verlustes meiner Fregatte vor einem Kriegsgericht zu rechtfertigen; dieß gehörte zum normalen Gange. Der zweite Briefe war von meiner Mutter; sie dankte dem Himmel, daß ich so vielen Gefahren entgangen war, ohne weiter als durch eine Kugel in's Bein zu Schaden gekommen zu sein, und theilte mir mit, daß sie nach London zu gehen beabsichtige, um mich gleich bei meiner Ankunft begrüßen zu können. Das dritte Schreiben war eine voluminöse Epistel von Mr. Warden, welche ich dem Leser buchstäblich vorlegen will.

»Mein lieber Kapitän Keene!

»Ich erhielt Ihre zwei Briefe – den ersten, der mir Ihre wunderbare Erhaltung nach dem Verlust Ihrer Fregatte mittheilte, und den andern, in welchem von Ihren späteren Abenteuern auf dem Festlande die Rede ist. Fast scheint es mir, daß Sie ein gefeietes Leben haben, und da jetzt alle Aussicht zu schleuniger Beendigung dieses langen, verheerenden Krieges vorhanden ist, so hoffe ich, Sie werden noch viele Tage in Glück und in Freuden verbringen. Ich konnte Ihnen von Lord de Versely's Tode nicht sonderlich viel schreiben, da er gar zu plötzlich eintrat. Das Vermögen, das er Ihnen hinterließ, ist an sich zwar von keinem hohen Werthe, gewinnt aber doch, als ein Beweis seiner Achtung und Liebe, Bedeutung. Wenn Sie sich indeß einmal ruhig niederlassen, und eine Frau heimführen, so werden Sie doch finden, daß Ihnen einige Tausend an Möblirung und sonstiger Ausstattung erspart bleiben; das Silbergeschirr, die Gemälde und die objets de vertu, wie man sie nennt, sind in der That sehr werthvoll, und ich weiß, daß Sie sich nicht von denselben trennen werden, da sie Ihnen von Ihrem Freund und Gönner vermacht wurden.

»Ich komme nun auf Einzelnheiten von größerer Wichtigkeit zu sprechen. Sie wissen, daß die Lippen eines beeidigten Sachwalters eigentlich versiegelt sein sollten, und dieß würde auch der Fall sein, wenn nicht Umstände eingetreten wären, welche eine Enthüllung rechtfertigen. In der That darf ich sagen, daß ich die Verpflichtung habe, offen zu sprechen, denn Sie haben Beschuldigungen zurückzuweisen, die, wenn sie nicht entkräftet werden, Ihre künftigen Interessen sehr ernstlich beeinträchtigen dürften. Sie mögen also erfahren, daß ich, als Sie zu Madeline-Hall waren, in das Landhaus beschieden wurde, um das Testament der ehrenwerthen Miß Delmar aufzusetzen; ich erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß ein früher zu Gunsten des Lord de Versely niedergeschriebener letzter Wille, in welchem Miß Delmar Seiner Herrlichkeit ihre ganze Habe vermacht hatte, auf ausdrückliches Verlangen des präsumtiven Erben in Ihrem Interesse abgeändert werden sollte. Zu gleicher Zeit wurde mir auch das Geheimniß Ihrer Geburt anvertraut. Sie ersehen hieraus, daß Lord de Versely nichts verabsäumte, wo es Ihr Bestes galt. Das an dem Namen de Versely haftende Eigenthum konnte er nicht auf Sie übergehen lassen, und deßhalb wirkte er zu Ihren Gunsten, so weit er es vermochte. Das neue Testament wurde unterzeichnet, besiegelt, beglaubigt, und befindet sich jetzt in meinen Händen. Die alte Dame ist nachgerade sehr hinfällig und gebrechlich geworden, und so hoffte ich, in kurzer Zeit das Vergnügen zu haben, Ihnen zur Erbfolge in dem schönen Besitzthum Madeline-Hall, das jährlich reine achttausend Pfund abwirft, Glück wünschen zu können.

»Nun müssen Sie aber auch erfahren, daß Obrist Delmar, den Sie hier getroffen und der Sie nach Portsmouth begleitete, stets der Hoffnung lebte, die alte Dame zu beerben; und ohne Zweifel würde dieß auch der Fall sein, wenn Sie nicht dazwischen gekommen wären. Er muß nun durch was immer für Mittel zu der Kunde gelangt sein, daß Sie ihn ausgestochen haben, denn er ist, seit Sie zur See gegangen, nach Madeline-Hall zurückgekehrt und hat die alte Dame durch Ohrenbläsereien, wie Sie nämlich ein Betrüger und durchaus kein Blutsverwandter von ihr wären, dermaßen beunruhigt, daß Sie mir Auftrag ertheilte, ein neues Testament zu seinen Gunsten aufzusetzen. Durch welche Mittel er sie beschwatzt hat, kann ich nicht sagen. Die Hauptbekräftigung seiner Anklage beruht auf einigen Briefen, die er ohne Zweifel gefälscht und unterschoben bat: sie sollen von Ihrer Mutter an Sie geschrieben sein. Ich weiß aus Lord de Versely's Munde, daß man Ihre Mutter seit vielen Jahren für todt hält, und die alte Dame, welche mir die allerdings authentisch aussehenden Briefe gezeigt hat, sagt, wer sie und Lord de Versely über den Tod der eigenen Mutter hat täuschen können, sei zuverlässig in allen andern Stücken gleichfalls ein Betrüger; sie glaube daher nicht, daß Sie der Sohn ihres Neffen seien. Wie ich schon andeutete, ist die alte Dame fast kindisch, so daß man ihr nicht gut mit Vernunftgründen beikommen kann, da sie entschieden auf dem beharrt, was sie einmal gesagt hat. Alle meine Vorstellungen waren vergebens. Endlich ließ sie sich's jedoch gefallen, alle weiteren Schritte einzustellen, bis ich von Ihnen selbst Nachricht eingezogen hätte; dabei erklärte sie: ›wenn ich von meines Neffen eigener Hand schriftlich zugestanden sehe, daß Percival sein Sohn ist, so will ich mich zufrieden geben; andernfalls bleibt's aber bei dem neuen Testamente.‹

»Dieß wäre also der Stand der Dinge. Wenn ein solches Dokument nicht vorgelegt werden kann, so fühle ich wohl, daß geringe Aussichten für Sie vorhanden sind; indeß habe ich immerhin Aufschub gewonnen, was ja ohnehin stets das Ziel von uns Rechtsgelehrten ist. Ich wünschte nur, daß die alte Dame plötzlich Abschied nähme, und die Frage als unerledigt in statu quo ließe. Wäre Lord de Versely nicht plötzlich hingeschieden, so würde sich nie Etwas der Art zugetragen haben, so aber müssen wir eben zu kämpfen suchen, wie es geht. Für den Augenblick hat der Obrist ganz freien Spielraum. Schreiben Sie mir sogleich und erklären Sie mir möglichst diese sonderbare Konstellation; zugleich aber lassen Sie mich wissen, welche weiteren Schritte Ihnen räthlich denken.

Ihr
aufrichtiger
F. Warden

*

 


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