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Vierzigstes Kapitel

Die Fregatte stand mit dem Schnabel gegen den Wind, und hob und senkte sich mit der schweren See, aber noch immer fühlten wir kein Anziehen der Ankertaue, die Massen schwammen rollend und schlagend neben der Fregatte.

Die Schiffsmannschaft war großentheils auf das Deck zurückgekehrt, um dem ihr bevorstehenden Schicksal entgegenzusehen, und die Zimmerleute, welche bereits ihre Befehle erhalten hatten, schlugen die Lucken auf dem Halbdecke zu. In einer Minute ritt die Fregatte vor ihren Ankern, und sobald sie die Abspannung der Kabeln fühlte, senkte sie sich: eine ungeheure Welle brach über ihre Buge herein, überschwemmte das Ganze, füllte beinahe das Hauptdeck, und schwemmte die Zimmerleute von ihrem halbvollendeten Werke weg. Eine zweite und dritte folgte, nach hintenhin rollend, so daß das Schiff beinahe begraben wurde. Die Matrosen, welche sich an das Tauwerk und die Kanonen anklammerten, wurden weggefegt und viele davon über Bord geführt.

Ich hatte die Laufplanke verlassen, da man sich dort nicht halten konnte, und mich nach den Bätingshölzern hinter dem Stumpfe des großen Mastes begeben. Aber selbst hier hätte ich mich nicht halten können, wenn nicht Bob Croß, der sich in meiner Nähe befand, in dem Augenblicke, als mich eine Woge faßte, ein Seil um meinen Leib geschlungen hätte. Die Spieren und Boote, welche für den Fall abgehauen worden waren, daß das Schiff seitwärts gegen die Küste triftete, waren von der letzten furchtbaren Woge auf das Hintertheil geworfen worden, und hatten Viele, die sich auf dem Halbdecke befanden, zerquetscht und verstümmelt.

Nachdem die dritte Welle über uns hingefegt war, trat eine Pause ein, und Bob sagte zu mir:

»Wir thun wohl besser, wenn wir nach dem Hauptdeck hinuntergehen, Kapitän Keene, und wo möglich die Stückpforten öffnen.«

Ich ließ mir's gefallen, und mit großer Schwierigkeit fanden wir auch Leute, die uns Hülfe leisteten,« denn man kann sich denken, daß jetzt die größte Verwirrung herrschte. Jetzt hatten sich aber die Zimmerleute wieder gesammelt, das Schließen der Lucken beendigt, und die Geschützpforten waren geöffnet, denn obgleich wir vorn und hinten von Wogen bedrängt wurden, so waren sie doch nicht mehr so schwer, wie die drei ersten, die uns beinahe versenkt hätten.

Ich begab mich wieder auf's Deck, und Croß, der mich nicht verlassen wollte, folgte mir. Die meisten der Matrosen hatten sich an die Kanonen und an die Belegnägel angeschnürt; vergeblich aber sah ich mich nach dem ersten Lieutenant und dem Schiffsmeister um, denn sie hatten zur Zeit, als die erste Welle über uns hereinbrach, an der Laufplanke gestanden, weßhalb sie muthmaßlich über Bord gewaschen worden waren. Ich sah sie nachher nie wieder.

Wir hatten uns kaum auf dem Decke gezeigt und unsere alte Stellung an den Bätingen eingenommen, als sich abermals die schweren Wogen über uns ergoßen; da jedoch die Spieren weggeschwemmt und die Pforten aus dem Hauptdecke geöffnet waren, so übten sie nicht mehr dieselbe Gewalt wie früher.

»So hält die Fregatte nicht mehr lange Stand, Bob,« sagte ich, während wir uns an die Bätingen anklammerten.

»Nein, Sir; unter so schwerem Druck müssen die Kabeln reißen oder unsere Anker triften, bis wir auf einen Strand laufen.«

»Und dann wird das Schiff zerschellen?«

»Ja, Sir; aber vergessen Sie nicht, sich wo möglich an die Mastentrümmer zu halten. Dort wird sich uns noch die beste Aussicht bieten.«

»Das Schlimme muß uns dann noch zu gute kommen, Croß; dieß war übrigens auch meine Absicht.«

Der Leser wird sich wundern, daß ich stets nur mit Croß verkehrte; der Grund lang indeß darin, daß wir, obgleich nur hin und wieder eine schwere Woge über uns hinschoß, von der Sprühe, welche die Fregatte einhüllte, geblendet und dadurch verhindert waren, nicht nur unsere Lage zu erkennen, sondern überhaupt weiter, als ein paar Fuß, um uns zu sehen. Auch durfte Jeder, der keinen sichern Haltpunkt hatte, darauf zählen, daß er von der nächsten besten Welle über Bord geschwemmt wurde, weßhalb sich Jeder anklammerte, wo er war. In der That hatten wir kaum fünfzig Mann aus dem Decke; denn Diejenigen, welche nicht von den ersten Wellen über Bord gewaschen worden, waren unter das Halbdeck hinuntergeeilt, und Viele hatte ihr Schicksal sogar während dieses Versuches erreicht.

Den kläglichsten Theil der Scene bildete das Aechzen und der Hülferuf der armen Bursche, welche unter den nach hinten geschwemmten schweren Spieren und Booten eingeklemmt lagen; aber ihnen Beistand zu leisten, wäre nur durch das Zusammenwirken eines größeren Menschenhaufens möglich gewesen. – Die Ereignisse seit dem Auswerfen der Anker hatten sich im Verlauf von wenigen Minuten zugetragen.

Da neigte sich plötzlich die Fregatte zum Steuerbord, und zu gleicher Zeit brach eine Welle über den Halsklamp, welche uns beinahe an unserem Bergungsplätzchen ersäufte. Sobald bis Wasser wieder abgelaufen war, und wir wieder zu sprechen vermochten, sagte ich zu Croß:

»Die Fregatte hat sich von den Ankern losgerissen; 's ist Alles vorbei mit uns.«

»Ja, Sir; sobald wir aus den Strand stoßen, ist sie in zehn Minuten zertrümmert. Wir dürfen nicht hier bleiben, da der Bruch in der Mitte statt haben wird.«

Ich fühlte die Wahrheit dieser Bemerkung und wartete, bis die nächste schwere Woge über uns hingeschossen war; dann versuchten wir's, die Hintertreppe zu gewinnen und hinabzusteigen. Sobald wir uns auf dem Hauptdeck befanden, krochen wir der Kajüte zu und setzten uns bei dem hintern Geschütz nieder, wo Croß mit einer Schleife aus seinem seidenen Halstuch uns an einen Ringbolzen befestigte. Es befanden sich viele Leute in der Kajüte, die stumm ihrem Schicksale entgegensahen. Sie wußten, daß nichts mehr zu thun und Alles vorüber war, und doch versuchten sie's, achtungsvoll ihre Hüte zu berühren, als ich an ihnen vorüberkam.

»Meine Jungen,« sagte ich, sobald ich mich befestigt wußte, »die Ankertaue sind zerrissen; das Schiff wird daher ehestens stranden und zerschellen. Vergeßt nicht, daß die Masten im Lee die einzige Möglichkeit der Rettung bieten.«

Die in meiner Nähe antworteten: »Dank Ihnen, Kapitän Keene.« Die Worte waren jedoch kaum ihren Lippen entglitten, als ein Stoß das ganze Schiff erschütterte: es war auch ein Stoß für unsere Herzen. Das Schiff war auf einer Sandbank aufgesessen und das Gebälk hatte noch nicht aufgehört zu zittern und zu ächzen, als eine Welle über die ganze Breite des Backbords schlug und die Fregatte dermaßen überstürzte, daß die ganze Steuerbordseite des Hauptdecks nebst ihren Kanonen unter Wasser lag.

Es wäre unmöglich, jetzt noch die Einzelnheiten klar und richtig anzugeben, da der Lärm und das Getümmel zu schrecklich war. Mit jeder neuen Welle, die gegen die Seiten des Schiffes schlug, wurde der Widerstand geringer. Das Krachen und Zerbrechen des Gebälks – die Kanonen der Luvseite, deren Befestigungstaue rissen, während das Geschütz selbst mit furchtbarer Gewalt leewärts stürzte und die Schiffsseiten zerschlug – der Weh- und Hülferuf nebst dem übrigen Lärm – das Brausen und Schlagen der Wasser – kurz, es war eine Scene des höchsten Entsetzens. Endlich verkündete ein lauteres Krachen, als wir früher je vernommen, daß das Schiff der schrecklichen Gewalt der Wellen gewichen und in der Mitte geborsten war. Jetzt hatten wir wenig Schutz mehr, selbst an dem Orte, wo wir uns angeklammert hatten, denn die Wasser stürzten, wie toll über ihren Sieg, durch den Bruch des getrennten Schiffes herein und leckten gegen uns hin, als veränderten sie, ausdrücklich in der Absicht, uns zu verderben, ihre Richtung. Da jetzt die beiden Theile des Schiffes mehr in die Höhe standen, so waren die Erschütterungen noch heftiger, und auch die Wellen schienen in Folge des beigemischten Sandes, der ihr Gewicht vermehrte, schwerer anzuschlagen. Abermals ein Krachen? Die Seiten des hintern Theiles hatte nachgegeben, das schwere Geschütz, das dadurch los wurde, stürzte leewärts, und wir fanden uns jetzt ohne Schutz gegen die tobenden Wasser.

Der Theil des Wracks, aus welchem Croß und ich saßen, stand so ganz auf der Seite, daß der Boden des Deckes eine fast senkrechte Lage hatte. Zu gehen war unmöglich; wir hätten daher nicht weiter thun, als uns leewärts in's Wasser hinunterlassen können, obschon hiedurch wenig gewonnen gewesen wäre, da sich uns hier kein Ausweg bot. Wir verblieben daher mehr als eine Stunde in der gleichen Lage, vom Anklammern erschöpft und jeden Augenblick von den uns überflutheten Wellen mit Erstickung bedroht. Wir bemerkten, daß sich das Wrack allmählig tiefer und tiefer in den Sand einsenkte, wodurch es mehr Stetigkeit gewann. Bald fanden wir jedoch, daß in dem gleichen Maaße die Wellen mehr Gewalt über den oberen Theil gewannen, denn eine ungeheure Woge schlug uns den Boden der Schanze über unsern Häuptern weg und schleuderte ihn leewärts. Jedenfalls setzte uns dieß in Freiheit, obgleich es uns mehr als je bloßstellte. Wir konnten jetzt umhersehen – de« heißt, wir hatten eine Aussicht leewärts, und Croß machte mich auf den großen Mast aufmerksam, der mit seinem Mars in dem kochenden Wasser umhertrieb, bald tief eintauchend, bald wieder sich über den Wogen erhebend. Ich nickte zustimmend mit dem Kopfe. Er gab mir durch ein Zeichen zu verstehen, daß er, wenn die nächste Welle über uns hingegangen sei, den ersten Versuch machen wolle.

Sobald ich das Salzwasser aus meinen Augen gerieben hatte, bemerkte ich Croß auf einer Welle leewärts, wie er auf den schwimmenden Mast abhielt. Er erreichte ihn und winkte mit seiner Hand. Ich folgte ihm alsbald, und nachdem ich ein wenig umhergestoßen worden, gelang es mir, neben ihm gerade hinter dem großen Mars einen Platz zu erlangen; letzteres trug sehr viel dazu bei, uns gegen die Wellen Schutz zu verleihen. Da außerdem der Hauptmast gewissermaßen durch das Leetakelwerk an dem Wracke des Schiffes vor Anker lag, so diente uns letzteres als Wogenbrecher, durch den die See in unserer unmittelbaren Nähe vergleichungsweise glatt und meine Lage bei weitem angenehmer wurde, als zur Zeit meines Anklammerns an die Schiffswand. Ich konnte nun wieder frei athmen, da ich selten ganz unter Wasser war und nicht mehr nöthig hatte, mich wie früher aus Leibeskräften anzuhalten. Als ich umherblickte, entdeckte ich noch ungefähr zwanzig Männer, die gleichfalls an dem Mäste hingen, zum Theil aber ganz erschöpft waren und nicht mehr Kraft genug besaßen, es auf einen günstigeren Haltpunkt abzuheben. Da ich mich mit Croß zwischen dem großen Mars und den Schwingtingen der Wand befand, so war unsere Lage sicher zu nennen, dabei auch das Wasser so warm, daß es uns nicht viel ausmachte, wenn wir gelegentlich untergetaucht wurden. Fünf Matrosen hingen ganz in unserer Nähe; es wurde jedoch kein Wort gesprochen und überhaupt kaum ein Zeichen des Erkennens gewechselt. Jeder dachte nur an seine eigene Rettung, ohne sich sehr um Jemand anders bekümmern zu können.

*

 


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