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Zwanzigstes Kapitel

Der Pfeil hatte in dem Kampfe sehr schwer gelitten, da der kommandirende Offizier gefallen, dreizehn Mann aber getödtet und verwundet waren. Wäre die Kalliope nicht zur Hand gewesen, so hätte, der allgemeinen Meinung zu Folge, die Stella den Sieg davon getragen, obgleich die letztere ihren Hauptmast verloren hatte, denn der Pfeil war vollständig abgetakelt und würde nicht im Stande gewesen sein, von der Stelle zu segeln.

Die Kalliope schickte ihre Zimmerleute und besten Matrosen an Bord des Schooners, um seine Beschädigungen wieder auszubessern, und des andern Tages steuerten wir nach Port-Royal an Jamaika, um daselbst die Zerstörung des Piratenschiffes zu melden.

Am Morgen schickte Kapitän Delmar nach mir.

»Mr. Keene,« begann er, »da Sie vor der Hand keinen Dienst thun können, und ich Sie nicht gerne müssig sehe, so werden Sie wohl gut thun, der Seemannskunst einige Aufmerksamkeit zu schenken. Ich bemerke zwar, daß Sie Ihre Tagesarbeiten einschicken, glaube aber nicht, daß Sie je einen regelmäßigen Studiencursus durchgemacht haben.«

»Nein, Sir,« versetzte ich. »Meine Tagesarbeiten wollen nicht viel heißen, und es würde mich sehr freuen, wenn ich die Seefahrerkunst in ordentlicher Weise lernen könnte.«

»So dachte ich auch. Wohlan denn, ich habe mit Mr. Smith, dem Schiffsmeister, geredet, der mir versprochen hat, Ihnen den nöthigen Unterricht zu ertheilen. Sie werden morgen anfangen; ich weise Ihnen zu Ihren Studien den Tisch in der Vorderkajüte an, wo nichts Ihre Aufmerksamkeit zerstreuen wird. Sie können jetzt gehen.«

Ich verbeugte mich und verließ die Kajüte. Auf dem Hauptdeck begegnete ich Bob Croß, dem ich mittheilte, was der Kapitän gesagt hatte.

»Das freut mich, Mr. Keene; 's ist ein Beweis, daß der Kapitän jetzt lebhaftes Interesse an Ihnen nimmt. Er hat sich früher nie gegen irgend was für immer einen Midshipman so viel Mühe gegeben, 's wird Ihnen gute Dienste leisten, wenn Sie recht aufpassen, denn der Kapitän wird sich freuen, wenn der Schiffsmeister guten Rapport abstattet. Wer weiß, aber vielleicht werden Sie einmal mit einer Prise abgeschickt, und mich gibt man mit, daß ich auf Sie Acht habe. Wär' das nicht ein Kapitalspaß?«

Ich begann demnach des andern Tages unter der Leitung des Schiffsmeisters meine Studien, und da ich Tommy Dott nicht in meiner Nähe hatte, um Possen zu treiben, so war man sehr mit mir zufrieden, bis wir zu Port-Royal anlangten. Dort begab sich der Kapitän zu dem Admiral, berichtete alle Einzelnheiten des Gefechtes, und berührte dabei natürlich auch meine Abenteuer an Bord des Piratenschiffs. Letztere interessirten den Admiral dermaßen, daß er den Kapitän Delmar ersuchte, mich des andern Tages an's Land zu bringen, damit ich bei ihm speise.

Ich war noch sehr schwarz, aber dieß machte mich, glaube ich, nur noch interessanter. Ich erzählte meine Geschichte abermals, und sie gewährte der Gesellschaft, namentlich den Damen, viele Unterhaltung. Auch habe ich Grund, zu glauben, daß mir von dem Admiral und den Offizieren, welche an dem Diner Theil nahmen, viele Komplimente hinter meinem Rücken gezollt wurden, – wenigstens war Kapitän Delmar höchlich vergnügt.

Meine sonderbare Geschichte kam bald weiter. Der Gouverneur bekam Kunde davon, und befragte Kapitän Delmar über die Einzelnheiten. Die Folge davon war, daß ich auch von dem Gouverneur eingeladen wurde, und Kapitän Delmar theilte mir mit, daß man abermals eine Erzählung meiner Geschichte von mir wünsche, die ich denn auch, so bescheiden wie früher, gab. Ich sage bescheiden, denn ich war nie ein Prahler, und ich glaube in der That, daß mir die Umstände weit weniger bedeutend erschienen, als denen, welchen ich sie erzählte. Ich hatte damals nur einen einzigen Wunsch, nämlich mir Kapitän Delmars Gunst zu gewinnen, denn ich fühlte, daß hievon alle Aussichten meines Lebens abhingen, und da ich seinen Charakter kannte, folglich auch wußte, welche Unterwürfigkeit er von mir erwartete, so war mir eine demüthige Unterordnung zur Natur geworden.

Während unseres Verbleibens in Port-Royal setzte ich meine Studien in der Kajüte fort, und da der Kapitän fast immer am Lande war, so befand ich mich recht behaglich dabei. Ich hatte indeß keine Lust, den ganzen Tag fortzustudiren, weßhalb es mir nicht sehr leid that, daß mir Tommy Dott sehr oft Gesellschaft leistete, der, da er der Schildwache wegen nicht durch die Thüre in die Kajüte kommen konnte, die Besahnputtingen herunterkletterte und durch die Fensteröffnungen hereinkroch. Sobald man des Kapitäns Boot anlangen sah, schlüpfte Tommy so schnell wie ein Affe wieder zu der Oeffnung hinaus, und ich brütete recht eifrig über meinen rechtwinkligen Dreiecken. Wenn der Kapitän in die Kajüte trat, stand ich natürlich auf.

»Platz behalten, Mr. Keene,« pflegte er dann zu sagen – »Platz behalten! Der Schiffsmeister hat günstig über Sie berichtet, und ich freue mich darüber.«

Eines Morgens, als Tommy Dott wie gewöhnlich durch das Fenster hereingeschlüpft war, und wir emsig eine Karrikatur des alten Culpepper anfertigten, kam des Kapitäns Boot heran, ohne daß wir es bemerkten. Wir entdeckten erst, daß der Kapitän am Bord war, als er schon die Hintertreppe herunterstieg und von dort aus den ersten Lieutenant anredete.

Tommy Dott konnte unmöglich entrinnen, ohne daß man ihn herausklettern sah. Der Tisch, welcher mitten in der Kajüte stand, war mit einem blauen Tuch verhüllt, das groß genug war, ihn zu bedecken, wenn auch alle seine Blätter angesetzt waren, und in seinem gegenwärtigen verkürzen Umfange fiel der Teppich bis auf den Boden hinunter. Ich machte Tommy darauf aufmerksam, und wie die Hand der Schildwache auf die Thürklinge drückte, um den alsbaldigen Eintritt des Kapitäns anzukündigen, schlüpfte Mr. Dott, um der Entdeckung zu entgehen, unter den Tisch, um durch die Kajütenthür oder das Fenster entweichen zu können, sobald sich der Kapitän nach der Hinterkajüte begab. Der Kapitän trat ein, und ich stand wie gewöhnlich von meinem Stuhl auf.

»Mr. Keene,« sagte er, »ich muß wegen einer wichtigen Angelegenheit mit dem ersten Lieutenant sprechen; haben Sie daher die Güte, die Kajüte zu verlassen, bis dieß geschehen ist. Sie mögen auch Mr. Hippesley sagen, daß ich ihn zu sehen wünsche.«

»Ja, Sir,« versetzte ich mit einem Bückling.

Als ich die Kajüte verließ, hatte ich große Angst, Tommy möchte in seinem Verstecke entdeckt werden, und da der Kapitän von einem wichtigen Geschäfte mit dem ersten Lieutenant gesprochen hatte, so war es meine Pflicht, auf Mr. Dott's Anwesenheit aufmerksam zu machen. Ich wußte kaum, was ich thun sollte. Freilich, wie die Sachen standen, war von keinem großen Verbrechen die Rede. Tommy war ohne Erlaubniß in die Kajüte gekommen und hatte sich daselbst verborgen; wenn ich aber zugab, daß er dort blieb und die wichtige, augenscheinlich geheime Verhandlung, welche statthaben sollte, mit anhörte, so mußte ich die gute Meinung und das Vertrauen des Kapitäns verscherzen. Und doch mochte ich ihn nicht gerne verrathen. Ich war daher in einer schrecklichen Verlegenheit, so daß der erste Lieutenant, als ich zu ihm hinausging, meine Verwirrung bemerkte.

»Ei, was ist Ihnen, Mr. Keene? Warum sehen Sie so ängstlich aus?« fragte er.

»Ach, es ist mir bange, Sir,« entgegnete ich, »und ich halte es für meine Pflicht, Ihnen den Grund davon anzugeben.«

Ich theilte ihm sodann mit, daß Tommy Dott unter dem Kajütentisch stecke und so natürlich die geheimen Mittheilungen des Kapitäns mit anhören müsse.

»Sie haben sehr wohl gethan, Mr. Keene, und ich weiß, wie unangenehm es Ihnen sein muß, gegen einen Tischkameraden den Angeber zu machen. Dießmal soll ihm jedoch nichts Leides geschehen.« Er lachte dann und fügte bei: »Indeß soll Mr. Dott nicht erfahren, daß Sie mich auf seine Anwesenheit aufmerksam gemacht haben. Ich will ihn für die Zukunft aus der Kajüte schrecken.«

Er ging dann die Leiter hinunter und in die Vorderkajüte. Ich erwartete, er würde dergleichen thun, als entdeckte er Tommy zufälligerweise; dieß war aber nicht der Fall. Der Kapitän war eben in die Hinterkajüte gegangen und Mr. Hippesley ihm auf dem Fuße gefolgt, worauf der Letztere die Thüre schloß und dem Kapitän Tommy's Lage, wie auch den Grund, warum ich ihn davon in Kenntniß gesetzt habe, mittheilte. Der Kapitän konnte sich eines Lachens nicht erwehren, da im Grunde von keinem großen Vergehen die Rede war.

Er gab dann dem ersten Lieutenant die nöthigen Weisungen, worauf sie beide in die Vorderkajüte gingen. Hier sagte der erste Lieutenant:

»Wenn es Ihnen recht ist, Kapitän Delmar, so will ich sogleich ein Boot mit dem Brief abschicken.«

»Gewiß,« versetzte der Kapitän, der sich niederließ und augenscheinlich geneigt war, in Mr. Hippesley's Scherz einzugehen. »Schildwache, sage dem Offizier auf dem Deck, er solle das kleine Boot bemannen und Mr. Dott sogleich herunterschicken.«

Ich war eben auf dem Deck, als die Schildwache den Kopf über die Leiter heraufstreckte und die Ordre gab; auch entdeckte ich sogleich den Plan des ersten Lieutenants, und konnte mir die Unruhe denken, in welcher sich Tommy Dott befand. Die Yölle wurde bemannt, und auf dem ganzen Schiffe nach Mr. Dott gefragt, der jedoch nicht zum Vorschein kam. Nach einer Zögerung von mehreren Minuten ging der Offizier auf dem Deck in die Kajüte hinunter und berichtete, daß die Yölle schon seit einiger Zeit bemannt sei, Mr. Dott aber nirgends aufgefunden werden könne.

»Nirgends aufgefunden?« versetzte der Kapitän. »Ei, er wird doch nicht über Bord gefallen sein.«

»Der nicht, Sir,« entgegnete der erste Lieutenant. »Er schläft wohl irgendwo, entweder in einem der Tope, oder auf dem Vorstengenstagsegelfinkenett.«

»Er scheint ein sehr überlästiger junger Mensch zu sein,« erwiederte der Kapitän.

»Ja, wahrhaftig – er ist nicht die Bohnen werth, Sir,« sagte der erste Lieutenant. »Schildwache, hat man Mr. Dott gefunden?«

»Nein, Sir; die Quartiermeister sind allenthalben herumgekommen; er ist nicht in dem Schiff.«

»Sehr sonderbar!« bemerkte der Kapitän.

»O! er wird sich bald wieder auffinden, Sir; aber in der That, Kapitän Delmar, wenn Sie ihm zwei oder drei Dutzend an der Kajütenkanone geben ließen, so würde es ihn zur Besinnung bringen.«

»Das soll auch ohne Weiteres geschehen,« versetzte Kapitän Delmar; »und ich ermächtige Sie dazu, Mr. Hippesley, sobald er zum Vorschein kömmt. Schaden wird's ihm nicht – indeß hoffe ich, daß ihm kein Unglück begegnet ist.«

»Das fürchte ich nicht, Sir,« entgegnete der erste Lieutenant. »Wenn des Proviantmeisters Speisekammer heute geöffnet worden wäre, so würde ich dort nachsehen lassen, ob er nicht bei einem andern Versuche, Pflaumen zu stehlen, eingeschlossen wurde; aber das war nicht der Fall. Beiläufig, die Branntweinstube war diesen Morgen offen, und er ist vielleicht dort gewesen, während man die Lucke über ihm schloß.«

»Nun, so müssen wir einen andern Midshipman schicken,« sagte Kapitän Delmar. »Mr. Keene soll kommen.«

Die Schildwache rief mich, und ich erschien.

»Mr. Keene, Sie werden in der Yölle nach dem Arsenal fahren, diesen Brief dem Arsenaldirektor übergeben und dessen Antwort zurückbringen.«

»Ja, Sir,« antwortete ich.

»Haben Sie nichts von Mr. Dott gesehen?« fragte der erste Lieutenant. »Ihr steckt ja beständig bei einander?«

»Ich sah ihn noch einen Augenblick, eh' Kapitän Delmar an Bord kam, Sir. Seitdem habe ich ihn nicht wieder zu Gesicht bekommen.«

»Gut, gut; wir wollen mit dem jungen Herrn abrechnen, sobald er zum Vorschein kömmt,« versetzte der Kapitän. »Sie können gehen, Mr. Keene.«

Ich bemerkte, daß der Kapitän und der erste Lieutenant lächelten, als ich die Kajüte verließ. Es schien, daß sie sich bald nachher gleichfalls entfernten, und der Kapitän wieder an's Land ging. Tommy war aber so eingeschüchtert, daß er in seinem Versteck liegen blieb, denn er dachte nicht anders, als daß er gepeitscht werden würde, sobald er sich blicken lasse, und beschloß daher, unter dem Tische auszuharren, bis ich zurückkommen und ihm mit Rath an die Hand gehen könne.

Sobald ich mich gemeldet und die Antwort dem ersten Lieutenant übergeben hatte, eilte ich nach der Kajüte, und nun kroch der arme Tommy unter dem Tische vor. Die Thränen rollten ihm noch über seine Wangen hinunter.

»Ich kriege die Peitsche, Keene, so wahr als ich hier stehe. Rathe mir, was kann ich thun – was kann ich sagen?«

»Die Wahrheit – das ist der allerbeste Weg,« versetzte ich.

»Dem Kapitän sagen, daß ich unter dem Tisch versteckt gelegen? Nein, das geht nimmermehr.«

»Verlaß dich darauf, es ist das Beste, was du thun kannst,« entgegnete ich. »Auch ist es der einzige Rath, den ich dir geben kann. Du wirst vielleicht gepeitscht, wenn du die Wahrheit sagst, darfst aber mit Zuversicht darauf rechnen, daß du die Peitsche erhältst, wenn du wegen einer Lüge ertappt wirst. Sie wird dann dein Vergehen nur noch steigern.«

»Nun, ich habe darüber nachgedacht. Mr. Hippesley wird mich zuverlässig peitschen lassen, wenn er mich heut' oder morgen erwischt; wenn ich mich aber ein paar Tage verstecke, so wird man sich dem Glauben hingeben, ich sei über Bord gefallen. Sie sagen dann, ›der arme Tommy Dott‹ und sind dann vielleicht über mein Wiedererscheinen so froh, daß sie mir vergeben.«

»Ja,« versetzte ich, entzückt über diesen Gedanken. »Ohne Zweifel werden sie das, wenn du nach deinem Wiedererscheinen die Wahrheit erzählst.«

»Ich will's demnach so machen. Der erste Lieutenant sagte, ich könne im Branntweinstübchen sein. Wohin soll ich gehen?«

»Ei,« entgegnete ich, »du bleibst unter dem Tisch, bis es dunkel ist, und dann kannst du ja leicht in das Kohlenloch hinunterschlüpfen, wo es so dunkel ist, daß man dich nicht sehen wird, selbst wenn man dort Kohlen holt. Dieß ist der einzige Platz, der mir einfällt. Bleibe morgen und übermorgen den ganzen Tag dort, und komme am Abend heraus. Vielleicht wäre es aber noch besser, den Morgen später.«

»Nun, das ist ein ganz guter Platz,« erwiederte Tommy. »Jedenfalls besser, als gepeitscht werden. Aber willst du mir auch etwas zu essen und zu trinken bringen?«

»Verlaß dich auf mich, Tommy,« versetzte ich. »Ich will es so einrichten, daß du jeden Abend etwas erhältst.«

»Wohlan, so will ich's thun,« entgegnete er.

»Ja, aber du mußt die Wahrheit sagen, wenn du wieder herauf kömmst,« sagte ich.

»Auf Ehre, es soll geschehen.«

Während dieser Worte hörte Tommy ein Geräusch und schlüpfte wieder unter den Kajütentisch.

Bald nachher verließ ich die Kajüte. Der erste Lieutenant winkte mir und fragte mich, wo Mr. Dott sei, worauf ich ihm mittheilte, was zwischen uns abgemacht worden war. Er lachte sehr und entgegnete:

»Nun, wenn Mr. Tommy sich selbst mit ein paar Tagen Gefängniß im Kohlenloch bestraft und bei seinem Wiedererscheinen die Wahrheit sagt, so kann ich, denke ich, wohl versprechen, daß ihm die Peitschenhiebe erspart bleiben; sagen Sie ihm aber nicht, daß Sie mit mir darüber gesprochen haben, und lassen Sie ihn thun, was er sich vorgenommen hat.«

Als es dunkel wurde, versorgte ich Tommy mit Mundvorrath, und er gelangte, ohne entdeckt zu werden, nach dem Kohlenloche.

Des andern Tages erging man sich in Muthmaßungen über sein Verschwinden. Der allgemeine Glaube war, der arme Tommy sei über Bord gefallen, und da es im Port-Royal eine Masse von Hayfischen gab, so folgerte man, er sei wohlbehalten in dem Magen einer dieser Bestien angelangt. Ich darf wohl sagen, daß ihn die ganze Schiffsgesellschaft sehr bedauerte, den Mr. Culpepper ausgenommen, welcher bemerkte, daß ein junger Mensch, der Pflaumen stehle, kein gutes Ende nehmen könne.

»Sie meinen also,« erwiederte der zweite Lieutenant, »ein armer Teufel verdiene von den Hayfischen gefressen zu werden, weil er ein paar von Ihren verwünschten Pflaumen stipitzt hat? Wenn ich Tommy Dott wäre, und dürfte, so wollte ich Sie als Geist umspuken.«

»Ich fürchte mich nicht vor todten Leuten,« versetzte Mr. Culpepper. »Sie sind ruhig genug.«

»Möglich; aber vergessen Sie nicht, daß Sie die Leute zum Tabakkauen veranlassen; sie könnten daher, wenn je gegen einen, gegen Sie im jüngsten Gericht aufstehen.«

Da dieses Gespräch auf dem Halbdecke statt fand, so kam mir ein neuer Gedanke. Als ich Abends zu Tommy ging, fand ich ihn vom Sitzen auf den Kohlen äußerst ermüdet. Ich brachte ihm eine Flasche gemischten Grogs, etwas gesottenes Rindfleisch und Zwieback, sagte ihm aber auch zum Troste, daß Jedermann sein Verschwinden bedaure, und daß ich überzeugt sei, er werde nicht gestraft werden, wenn er die Wahrheit sage.

Tommy wollte das Kohlenloch auf der Stelle verlassen; ich machte ihn jedoch darauf aufmerksam, daß der Kapitän heute noch nicht an Bord gewesen, und daß es nöthig sei, nicht nur die Offiziere, sondern auch den Kapitän auf den Glauben zu bringen, er sei über Bord gefallen, weil sonst dessen Mitleid nicht rege gemacht würde. Tommy fand dieß richtig, und ließ sich's gefallen, noch einen Tag in seinem Verstecke zu bleiben. Ich theilte ihm sodann mit, was Mr. Culpepper gesagt hatte, und fügte bei:

»Wenn dir also Mr. Culpepper zufällig begegnete, Tommy, so solltest du thun, als ob du dein eigener Geist wärest.«

»Ja, das will ich,« versetzte Tommy, »und wenn ich sechs Dutzend dafür abfangen sollte.«

Dann verließ ich ihn. Auf meinem Rückwege nach dem Deck traf ich auf Bob Croß, der den größten Theil des Tages im Dienste des Kapitäns am Land gewesen war, denn da ich nicht länger dem Kapitänsbeischiff angehörte, so kamen wir nur selten zusammen.

»Nun, Mr. Keene,« sagte er, »ich meine, Sie haben jetzt Ihre Farbe ordentlich abgetragen, und hoffentlich seh' ich Sie bald wieder im Beischiff.«

»Ich glaube nicht, daß dieß sobald der Fall sein wird – ich habe noch nicht genug von der Seemannskunst gelernt. Indeß sagt der Schiffsmeister, er werde in vierzehn Tagen mit mir fertig sein, wenn ich so fortmache, wie ich angefangen habe.«

»Ja; ich hab's mit angehört, wie er zum Kapitän gesagt, daß Sie hübsch rasch lernen und einen tüchtigen ratschonellen Seefahrer abgeben würden. Doch will mir der Verlust des armen Tommy Dott nicht aus dem Kopf. Freilich ist er ein kleiner Galgenstrick gewesen – trotzdem aber doch ein lustiger, gutherziger Junge, und jedenfalls zu gut für die Hayfische. Sie müssen seinen Verlust auch fühlen, Mr. Keene, denn ihr stecktet ja immer beieinander.«

»Nicht im Geringsten, Bob,« versetzte ich.

»Das thut mir leid, Mr. Keene. Ich habe gemeint, daß Sie ein freundlicheres Herz hätten.«

»Nun, das habe ich auch, Bob; ich will Ihnen aber ein Geheimniß mittheilen, wovon nur der erste Lieutenant und ich wissen, und das lautet: ›Tommy steckt im Kohlenloche‹, freilich sehr schmutzig, aber demungeachtet ganz wohl und gesund.«

Bob Croß brach in ein schallendes Gelächter aus und wollte geraume Zeit nicht wieder zu sich kommen.

»Nun, Mr. Keene, Sie haben mir wahrhaftig einen Centnerstein vom Herzen genommen. Aber erzählen's mir jetzt auch Alles. Sie wissen ja, man kann mir trauen.«

Ich erzählte sodann Bob, was sich zugetragen hatte, deßgleichen auch, daß Tommy beabsichtige, morgen Abend oder übermorgen früh wieder zum Vorschein zu kommen.

»Nun,« sagte Bob, »das muß wahr sein, Sie sind die Bosheit selbst, Mr. Keene. Doch dießmal ist Alles recht: sind ja Kapitän und erster Lieutenant zu Vertrauten in dem Spaß! Sie haben ganz wohl gethan, und ich bin überzeugt, der Kapitän und der erste Lieutenant haben eine Freude an Ihnen; indeß – nicht vergessen, Mr. Keene, bleiben's hübsch entfernt, wie früher und nehmen's sich nichts heraus.«

»Seien Sie unbekümmert, um mich, Bob,« entgegnete ich. »Aber nun ich Sie in's Vertrauen gezogen habe, müssen Sie mir auch an die Hand gehen.«

Ich berichtete ihm sodann das Gespräch, welches zwischen Mr. Culpepper und dem zweiten Lieutenant statt gehabt hatte.

»Sie sehen nun, Groß,« fuhr ich fort, »daß ich selbst nichts in der Sache thun kann. Mr. Culpepper haßt mich, und würde Verdacht schöpfen. Wenn wir ihn nur ein Bischen furchtsam machen könnten. Das wäre eine Aufgabe für Sie, denn von Ihnen würde er sich keines Possens versehen.«

»Ich sehe,« erwiederte Bob, »die Sache wird gut für Tommy Dott ausfallen, und die Geschickte ein hübsches Ende nehmen. Lassen's mich nur machen. Wenn ich morgen Abend an Bord komm', will ich's schon so gut als möglich einfädeln.«

Nachdem wir uns noch ein wenig weiter mit einander unterhalten, sagten wir uns gute Nacht.

Des andern Morgens kam der Kapitän an Bord. Er blieb mit dem ersten Lieutenant einige Minuten auf dem Decke, während welcher Zeit er natürlich mit Tommy Dott's Lage bekannt gemacht wurde. Als er in die Kajüte kam, stand ich so achtungsvoll und ernst, wie sonst, von meinem Sitze auf, und als er mir Platz zu halten befahl, machte ich, anscheinend mit großem Fleiße, in meinen Studien fort. Wegen Tommy Dott's ließ er keine Sylbe gegen mich fallen, und als er eben die Kajüte verlassen wollte, meldete die Schildwache Mr. Culpepper.

»Entschuldigen Sie, Kapitän Delmar,« begann Mr. Culpepper, mit seinem gewöhnlichen tiefen Bückling, »was sollen wir mit den Effekten des über Bord gefallenen Mr. Dott anfangen? Das Dienstreglement verlangt, daß sie vor dem Mast verkauft werden. Auch erlaube ich mir die Frage, ob er in der Victualienliste fortgeführt werden soll, oder ob es Ihr Wunsch ist, daß er als todt vorgemerkt werde.«

Der Kapitän lächelte und blickte nach mir hin; ich aber verwandte kein Auge von meinem Buch.

»Vielleicht ist's besser, wenn wir bis morgen warten, Mr. Culpepper,« versetzte der Kapitän. »Dann mögen Sie seine Effekten verkaufen und zu dem Namen des armen Teufels ein Kreuz setzen.«

Nach dieser Antwort verließ der Kapitän die Kajüte. Mr. Culpepper folgte. Bald nachher begab sich der Kapitän wieder an's Land.

Vor Einbruch der Nacht kehrte des Kapitäns Beischiff wie gewöhnlich an Bord zurück, und ich erwartete Bob Croß auf dem Gange. Das Boot wurde aufgehißt, worauf Bob zu mir kam.

»Ich muß zuerst hinuntergehen und Mr. Dott sehen, damit ich auf ihn schwören kann.«

Bob that dieß, und kehrte dann auf das Deck zurück. Mr. Culpepper ging eben im Zwischendeck des Schiffs allein auf und ab, als Bob auf ihn zukam und ihn anredete:

»Erlauben« Sir,« sagte Bob, an seinen Hut greifend, »hat Ihnen der Kapitän Etwas von den Kohlen gesagt, denn ich denke, wir werden nicht lange mehr hier bleiben?«

»Nein,« antwortete Mr. Culpepper.

»Dann hat er's wahrscheinlich vergessen, Sir.«

»Ei, wir haben Kohlen genug,« versetzte Mr. Culpepper.

»Das weiß ich doch nicht, Sir. Ich mein', der Kochsmate habe gesagt, sie gingen ziemlich zusammen.«

»Zusammen? Dann muß man fürchterlich verschwenderisch damit umgegangen sein,« rief Mr. Culpepper, der sich Alles, was Geld kostete, sehr angelegen sein ließ.

»Ich weiß nicht, wie weit's wahr ist; doch mein' ich, 's wär' gut, wenn man wüßte, wie die Sachen stehen. Ist noch Ueberfluß vorhanden – je nun, so kann ich's dem Kapitän Delmar sagen, wenn ich morgen an's Land fahre.«

»Ich will heute Abend selbst hinunter gehen und nachsehen,« entgegnete Mr. Culpepper. »Den Midshipmen ist ein eigener Ofen erlaubt – ganz gegen die Regel – und die kochen den ganzen Tag.«

»Weil eben von Midshipmen die Rede ist, Sir,« erwiederte Croß. – »Sie halten's vielleicht für sonderbar – aber so wahr, als ich hier steh', und Sie wissen. Mr. Culpepper, daß ich nicht leicht einzuschüchtern bin – ich hab' diesen Abend den jungen Tommy Dott oder seinen Geist gesehen.«

Es war jetzt schon ganz dunkel, und Mr. Culpepper stierte den Beischiffführer an, dann versetzte er:

»Pah, Unsinn!«

»'s ist kein Unsinn, kann ich Sie versichern. Ich sah ihn mit diesen meinen eigenen Augen – so wahr ich hier stehe.«

»Wo?« rief Mr. Culpepper.

»Ganz vorne, Sir. Ich sag's nur zu Ihnen; Sie müssen aber reinen Mund halten, denn sonst werd' ich ausgelacht. Ich versichere Sie, ich könnte auf Verlangen die Bibel darauf küssen. Tag meines Lebens hätt' ich nie 'was der Art geglaubt, das ist gewiß. Doch wozu weiter davon reden, Sir? Ich glaub', 's ist besser, ich hol' eine Laterne, und mache diese Kohlenangelegenheit mit einem Male ab.«

»Ja, ja,« entgegnete Mr. Culpepper; »aber Sie wissen nicht, wie viele Kohlen es sein müssen. Ich muß mitgehen und nachsehen.«

Bob Croß hatte bald die Laterne bereit und ging mit Mr. Culpepper nach dem Vordertheile. Die Hängematten waren bereits heruntergelassen, und mußten daher aufgeschlagen werden, um den Beiden einen Weg nach dem Unterdeck zu bahnen. Ich folgte unbemerkt.

Man mußte an Latten in das Kohlenloch hinuntersteigen, was für einen alten Mann, wie Mr. Culpepper, kein so gar leichtes Geschäft war. Croß stieg jedoch zuerst hinunter und leuchtete dann dem Proviantmeister, welcher sehr langsam und mit großer Vorsicht nachfolgte. Sobald beide auf den Kohlen standen, nahm der Proviantmeister das Licht, um den Vorrath zu mustern.

»Ei, das ist noch genug für drei Monate, Beischiffführer,« sagte er. »Ich wußte es doch; Sie sehen ja, daß sie hinten fast bis an die Deckbalken reichen.«

»Der Tausend, Sir – schauen's!« rief Croß zurückprallend. »Was ist das?«

»Wo?« rief Mr. Culpepper erschrocken.

»Dort, Sir! – dort ist er: ich sagt's Ihnen ja.«

Die Augen des Proviantmeisters flogen nach der Richtung von Bob's Finger, und nun erblickte Mr. Culpepper Tommy Dott, der unbeweglich, mit glotzenden Augen, weit offenem Munde und ausgestreckten Händen, als wollte er drohen, dastand.

»Barmherzigkeit! Mordio!« rief der Proviantmeister, indem er die Laterne fallen ließ und selbst auf die Kohlen niedersank. Das Licht löschte aus, und sie befanden sich im Dunkeln.

Bob schritt über den Hingestreckten weg und eilte nach dem Unterdeck hinauf. Tommy Dott kühlte zuerst sein Müthchen, indem er auf des Proviantmeisters Gesicht und Körper herumtrat, und kletterte dann gleichfalls hinauf.

Das Geschrei des Proviantmeisters hatte Aufsehen gemacht. Der Profos eilte mit seiner Laterne herzu, als Tommy eben über die Scheerstöcke auftauchte. Auch er erschrak über die Erscheinung, welche in ihrem Kohlenstaube wie ein Kaminfeger aussah. Die Matrosen streckten ihre Köpfe aus ihren Hängematten und einige davon wurden Tommy's gleichfalls ansichtig.

Während Bob Croß nach dem Hintertheile rannte, rief er: »Tommy Dott's Geist!« Auch ich that, wie wenn ich auf den Tod erschrocken wäre, als ich ihm nacheilte. Der erste Lieutenant kam aus der großen Kajüte heraus, und als er mich sah, fragte er, was es gäbe. Ich antwortete, Mr. Culpepper sei nach dem Kohlenloche hinuntergestiegen und habe Mr. Dott's Geist gesehen. Er lachte herzlich und ging wieder zurück.

Tommy hatte sich inzwischen nach der Midshipmens-Kajüte begeben, wo Alles entsetzt vor ihm zurückwich, bis ich eintrat, ihn bei der Hand faßte und zu ihm sagte: »Tommy, mein Junge, wie geht's dir?« Jetzt bemerkten sie, daß es Tommy selber war, und die Ordnung stellte sich wieder her.

Mr. Culpepper wurde aus dem Kohlenloche herausgehißt. Da Tommy ihm in's Gesicht gesprungen war, so sah er ganz jämmerlich aus; er war über und über geschwärzt, von Tommy's Schuhsohlen voll Beulen, und seine Nase blutete reichlich. Eine Zeit lang redete er unzusammenhängend; der Doctor gab ihm aber ein Opiat und schaffte ihn zu Bette.

Des andern Morgens, als die ganze Geschichte auf dem Halbdecke erörtert wurde, erhielt Mr. Tommy einen tüchtigen Verweis und den Auftrag, wieder zu seinem Dienste zurückzukehren. Der Kapitän ergötzte sich sehr über den Ausgang der Geschichte, da die Erzählung derselben bei dem Gouverneur einen Kapitalspaß abgab. Tommy hatte nie die mindeste Idee davon, daß ich ihm eine Tücke angethan, und auch Mr. Culpepper ließ sich's nie einfallen, daß obiges Zusammentreffen abgekartet gewesen war.

Ich hatte nun den gewöhnlichen theoretischen Curs der Nautik unter dem Schiffsmeister beendigt und brauchte nicht länger in der Kajüte zu bleiben. Ich begab mich daher nach meinem gewöhnlichen Quartier zurück. Indes hatte ich eine Vorliebe für die Technik der Seefahrerkunst gewonnen, und ich beschäftigte mich jeden Tag mit Visiren und Vergleichen des Chronometers.

Wir blieben noch drei Wochen in Port-Royal und erhielten dann Befehl zu einem Kreuzzug an der südamerikanischen Küste. Wir verblieben dort ungefähr sechs Monate, ohne daß uns etwas der Rede Werthes begegnete, den Umstand ausgenommen, daß wir vier gute Prisen kaperten. Wir waren auf dem Rückwege nach Jamaika begriffen, als wir mit einem Schooner zusammentrafen, welcher uns die Nachricht mittheilte, daß die Insel Curaçao von vier englischen Fregatten genommen worden sei.

Da wir uns in der Nähe der genannten Insel befanden und unser Wasser auf die Neige ging, so beschloß Kapitän Delmar, sie zu berühren und zwei oder drei Tage dort Halt zu machen.

Der Leser erinnert sich vielleicht, daß der alte Holländer, dessen Leben ich auf dem Piratenschiff gerettet, mir gesagt hatte, daß er Vanderwelt heiße und auf Curaçao wohne. Des nächsten Abends liefen wir im Hafen ein, und Alles wunderte sich, wie ein so starker Platz durch eine so unbedeutende Streitmacht hatte genommen werden können. Der Commodore, der alle Hände voll zu thun hatte, ersuchte unsern Kapitän – oder vielmehr, er befahl ihm, zehn oder vierzehn Tage zu bleiben und ihm Beistand zu leisten.

Am dritten Tage nach unserer Ankunft erhielt ich die Erlaubniß, an's Land zu gehen, denn ich wünschte meinen alten Holländer aufzusuchen. Da ich jetzt wieder auf dem Kapitänsbeischiff war, so hatte ich zwar schon sehr oft gelandet, aber keine Gelegenheit zum Nachfragen gefunden, weil ich mein Boot und meine Mannschaft nicht verlassen durfte.

Ich ging diesen Nachmittag mittelst des Beischiffs an's Land und begab mich durch das Thor in die Stadt, konnte aber Niemand finden, der englisch sprach. Endlich, als ich nach dem Hause von Mynheer Vanderwelt fragte, wurde ich zurecht gewiesen, und ich ging nach der Thüre desselben. Es war ein sehr großes Gebäude, rings herum mit einer hellgrün und weiß bemalten Verandah umgeben. An dem Eingange saßen mehrere Sklaven, die ich nach Mynheer Vanderwelt fragte. Sie stierten mich an und wunderten sich, was wohl mein Begehren sein möge; da ich jedoch die Midshipmens-Uniform trug, so waren sie natürlich sehr höflich gegen mich, und einer davon winkte mir, ihm zu folgen. Ich wurde dann dem alten Herrn vorgestellt, der, mit einer Pfeife im Munde, in einem Rohrstuhle saß und sich von zwei etwa zwölfjährigen Sklavenmädchen Luft zufächeln ließ.

Da er mich am Bord des Piratenschiffes englisch angeredet hatte, so ging ich alsbald auf ihn zu und fragte ihn in der Sprache meines Vaterlandes:

»Wie geht's Ihnen, Sir?«

»Recht gut, Sir,« versetzte er, seine Pfeife aus dem Munde nehmend. »Womit kann ich dienen? Kommen Sie von dem englischen Commodore? Was steht zu Befehl?«

»Ich komme nicht von dem Commodore, Sir,« antwortete ich, »sondern bin bloß da, um Sie zu besuchen.«

»O, sonst nichts?« versetzte der alte Gentleman, indem er die Pfeife wieder in seinen Mund steckte und zu rauchen fortfuhr. Ich fühlte mich etwas gekränkt über diese Behandlung und erwiederte:

»Sie kennen mich nicht, Sir?«

»Nein, Sir,« entgegnete er, »ich habe nicht die Ehre. Wie sollte ich Sie auch kennen, da ich Sie in meinem Leben nie gesehen habe?«

Mein Blut gerieth in Wallung ob dieser kalten Erklärung.

»Dann wünsche ich Ihnen guten Morgen, Sir,« antwortete ich, machte rechtsum und stolzirte mit der ganzen Würde eines beleidigten Midshipman hinaus. Da traf ich denn auf das kleine Mädchen, seine Tochter. Sie sah mich, als ich in vornehmer Verachtung an ihr vorbeispazierte, mit großen Augen an, folgte mir schüchtern, blickte mir in's Gesicht und ergriff mich dann mit verhaltenem Athem beim Arme. Als ich mich in dieser Weise gehalten fühlte, wandte ich mich nach ihr um und war eben im Begriffe, sie ziemlich unhöflich abzuschütteln, als sie laut aufschrie, an mir in die Höhe sprang und mit beiden Armen meinen Hals umklammerte.

»Vater! Vater!« rief sie unter meinen Bemühungen, mich loszumachen.

Der alte Herr kam auf ihren Ruf heraus.

»Halt' ihn! Vater, laß ihn nicht fort!« rief sie in holländischer Sprache. »Er ist es! Er ist es!«

»Wer, mein Kind?« fragte der alte Herr.

»Der Piratenknabe,« versetzte das Mädchen, indem sie an meinem Halse in Thränen ausbrach.

»Mein Gott! es kann nicht sein; er war ja schwarz, mein Kind. Und doch,« fuhr er fort, indem er mich ansah, »er hat Aehnlichkeit mit ihm. Sagen Sie mir, Sir, sind Sie unser Retter?« –

»Ja, ich war es,« antwortete ich; »aber das ist jetzt von geringem Belange. Wollen Sie die Güte haben, diese junge Dame zu entfernen?« fuhr ich noch immer höchlich beleidigt fort.

»Sir, ich bitte um Verzeihung,« entgegnete der alte Herr, »aber Sie können mir keinen Vorwurf machen. Wie hätte ich Sie in Ihrer weißen Farbe erkennen sollen, da Sie bei unserem Zusammentreffen am Bord jenes Schiffes schwarz waren? Die Schuld liegt wahrhaftig nicht an mir, mein lieber junger Freund. Ich hätte gerne zehntausend Thaler gegeben, um Sie wieder zu sehen und Ihnen für Ihre edle Vertheidigung, für die mit eigener Gefahr verbundene Rettung meine Dankbarkeit zu beweisen. Na, Sir, Sie müssen den Irrthum einem alten Manne vergeben, der gewiß keine Ursache hat, gegen einen Offizier des Geschwaders höflich zu sein, welches uns in der letzten Zeit durch seine Tapferkeit und sein Glück so sehr gedemüthigt hat. Hören Sie wenigstens auf die Bitten meines kleinen Mädchens, dessen Leben Sie gerettet haben, wenn Sie sich von mir nicht bewegen lassen wollen.«

Das Mädchen war inzwischen von meiner Schulter heruntergesunken, und lag nun schluchzend und meine Kniee umklammernd am Boden. Ich fühlte mich jetzt von der Wahrheit dessen, was der alte Herr gesprochen, und daß er mich nicht erkannt haben konnte, überzeugt; denn zuvor war es mir ganz außer Acht gekommen, daß ich zur Zeit, als ich mit den Beiden am Bord der Stella zusammen getroffen, eine Beize getragen hatte. Ich streckte daher dem alten Herrn meine Hand entgegen, hob das Kind auf, und wir drei gingen mit einander nach dem Gemache zurück, wo ich den alten Herrn zuerst getroffen hatte.

»Ach, wüßten Sie doch, wie glücklich es mich und die arme Minnie macht, Sie zu sehen und Ihnen unsern Dank auszudrücken!« sagte Mynheer Vanderwelt. »Wie oft haben wir von jenem schrecklichen Tage gesprochen und gewünscht, daß das Geschick Sie uns entgegenführen möchte. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, jetzt bedaure ich die Wegnahme der Insel nicht länger.«

Minnie stand, während Ihr Vater sprach, an meiner Seite, und ihre großen blauen Augen strahlten durch die quellenden Thränen. Als ich mich zu ihr wandte, begegneten sich unsere Blicke, und sie lächelte. Ich zog sie an mich. Es schien, als ob sie nur einiger Ermuthigung bedurft hätte, denn sie küßte mich jetzt wiederholt auf die Wange. Hin und wieder sagte sie auch einige holländische Worte zu ihrem Vater, die ich nicht verstand.

Ich brauche kaum zu bemerken, daß jetzt bald ein vertrauliches Vernehmen unter uns hergestellt war, denn wenn ich auch Anfangs glaubte, mit Undank behandelt worden zu sein, so wurde doch nunmehr reichliche Genugtuung dafür geleistet.

Im Laufe des Abends sagte der alte Herr:

»Guter Himmel! wenn meiner Tochter Augen nicht schärfer gewesen wären, als die meinigen – wenn Sie mit dem Glauben, ich wolle Sie nicht erkennen, sich entfernt hätten, und ich würde es nachher entdeckt haben, so hätte es mir und der armen Minnie das Herz gebrochen. O! wie danke ich – wie innig danke ich Gott, daß er dieß verhütete.«

Der Leser kann sich denken, daß ich einen sehr angenehmen Abend verlebte. Die Dienerschaft, welcher mitgetheilt worden, wer ich sei, schien mich fast anzubeten. Der alte Herr stellte tausend Fragen an mich über meine Eltern, über Kapitän Delmar, über den Dienst – und bat mich, bei ihm zu bleiben, so lange die Fregatte im Hafen liege. Ich erwiederte ihm darauf, daß dieß unmöglich sei; ich wolle jedoch so oft kommen, als ich Erlaubnis erhalte. Um neun Uhr verabschiedete ich mich, und sechs Sklaven begleiteten mich mit Laternen nach dem Boote.

Kapitän Delmar hatte nach dem Beispiele aller übrigen Fregattenkapitäne sein Quartier am Lande aufgeschlagen, denn der Hafen war so eng und landumschlossen, daß man es vor Hitze an Bord kaum auszuhalten vermochte. Ich erfuhr, daß der alte Herr Vanderwelt des andern Tages Kapitän Delmar seine Aufwartung gemacht und die Vorgänge auf dem Piratenschiffe u. s. w. in weit günstigerem Lichte, als es von mir geschehen, berichtet hatte. Der Proviantaufseher war eben zugegen und erzählte das Ganze Bob Croß, der es nachher mir mittheilte. Mynheer Vanderwelt hatte sich's auch als Gunst erbeten, daß mir gestattet werden möchte, bei ihm am Lande zu bleiben, so lange die Fregatte im Hafen liege. Kapitän Delmar hatte dieß zwar abgeschlagen, dagegen aber versprochen, er werde mir, so weit sich's mit dem Dienst vertrage, hin und wieder Urlaub ertheilen.

Der Leser erinnert sich vielleicht, daß die Insel Curaçao im Jahre 1800 an England fiel und 1802 an die Holländer zurückgegeben wurde. Während dieser Zeit hatten sich mehrere englische Kaufleute dort angesiedelt, weiche auch nach der Restauration blieben, und nach der zweiten Wegnahme fanden wir sie noch auf der Insel. Von diesen erhielten wir die Kunde, daß Herr Vanderwelt der reichste Mann auf der Insel sei, und der holländischen Regierung große Summen geliehen habe; er sei längst aus dem Geschäftsleben zurückgetreten, obgleich er große Besitzungen in Havannah habe (die Morgengabe seiner Frau, einer geborenen Spanierin), und gedenke mit dem ersten Kriegsschiff, welches einlaufe, nach Holland zurückzukehren.

Wir blieben drei Wochen in Curaçao, während welcher Zeit mir der erste Lieutenant Erlaubniß gab, fast jeden Abend, wenn der Kapitän sein Beischiff ausgebraucht hatte, an's Land zu gehen und bis halb neun Uhr des andern Morgens bei Herrn Vanderwelt zu bleiben. Dann begab ich mich wieder auf mein Boot und stellte mich zur Verfügung des Kapitäns. In dieser Weise thaten meine Besuche dem Dienst keinen Abbruch, und ich lebte sehr vergnügt mit meinen neuen Freunden; auch kann man sich denken, daß ich sehr vertraut mit der kleinen Minnie wurde.

Ich erlaube mir eine Schilderung von ihr zu geben. Sie zählte ungefähr zehn Jahre, war für ihr Alter groß, sehr schön, hatte tiefblaue Augen und schwarze Haare; ihr Antlitz war sehr lebhaft und ausdrucksvoll – kurz, Alles deutete darauf hin, daß sie mit der Zeit eine sehr schöne Dame werden konnte. Sie war das einzige Kind eines Vaters, der erst spät geheirathet und seine Gattin einige Tage nach Minnie's Geburt verloren hatte, und wurde daher von ihrem Erzeuger beinahe angebetet. Ihr Charakter war sehr liebreich und sanftmüthig, und da bis jetzt noch wenig für ihre Bildung geschehen war, so wünschte Herr Vanderwelt sehnlichst, nach Holland zurückzukehren. Bald wurde ich im Hause wie ein Familienglied betrachtet und behandelt.

Minnie war sehr neugierig, zu erfahren, was ich in dem Seehundsbeutel um meinen Hals trüge, indeß konnte ich natürlich weder ihr, noch ihrem Vater Auskunft darüber geben. Herr Vanderwelt fragte mich sehr oft, ob mir das Leben zur See gefiele, was ich unabänderlich mit ja beantwortete.

Endlich sollte die Fregatte abfahren und ich hatte nur noch einen einzigen Abend bei ihnen zuzubringen. Herr Vanderwelt war sehr ernst, und die kleine Minnie brach bei dem Gedanken an unsere Trennung oftmals in Thränen aus.

Endlich kam die Abschiedsstunde heran – sie war sehr schmerzlich. Ich versprach, zu schreiben, worauf Herr Vanderwelt mir sagte, sein Haus stehe stets zu meinem Empfang offen; auch bat er mich, wenn mir etwas gebräche, ihn davon in Kenntniß zu setzen.

Ich weinte selbst auch, als ich das Haus verließ – wohl das erstemal in meinem Leben, glaube ich, daß ich bei einer solchen Gelegenheit Thränen vergoß. Des andern Morgens waren wir wieder unter Segel, um uns dem Admiral in Jamaika anzuschließen.

Bob Croß hatte mir gesagt, er wünsche während der ersten Wache ein wenig mit mir zu plaudern, und ich traf auf unserem gewöhnlichen Stelldichein, dem Gange, mit ihm zusammen.

»Mr. Keene, ich habe Neuigkeiten für Sie, die der Aufseher des Proviantmeisters gestern Abend eingeholt hat. Ich darf wohl sagen, daß seine Ohren immer offen sind – nicht daß ich dächte, er sei ein Horcher, aber er liebt Sie, und wenn sich's um Sie handelt, so gibt er sich alle Mühe, herauszubringen, was vorgeht. Nun schauen's, Sir, jener Holländer, den Sie aus den Klauen des Negerpiraten gerettet, kam gestern Morgen zu Kapitän Delmar und sagte ihm nebst anderem, es wäre ihm lieb, wenn Sie bei ihm blieben und Seiner Majestät Dienst verließen. Er bat den Kapitän, er möchte zu Ihrer Entlassung aus dem Dienste mitwirken, und dann wolle er Ihnen Vater sein, da Sie keinen hätten, 's wurde von noch Weiterem gesprochen, was der Aufseher nicht verstand, aber 's lief Alles auf das Gleiche hinaus. Nun, der Kapitän sagt, es sei freilich wahr, daß Sie Ihren Vater verloren, aber er betrachte Sie als seinen eigenen Sohn, und er könne sich um keinen Preis von Ihnen trennen. Dann sagte er auch, Sie seien ein so viel versprechender Offizier, daß es sehr unrecht wäre, wenn Sie aus dem Dienste träten, und daß daran gar nicht zu denken sei. Der alte Herr sagte noch allerlei, und setzte dem Kapitän gewaltig zu, um ihn zu perschwadiren, aber es half nichts. Der Kapitän meinte, er wolle Sie nicht gehen lassen, bis Sie Postkapitän wären und eine schöne Fregatte kommandirten; dann seien Sie natürlich Ihr eigener Herr und könnten handeln nach Belieben.«

»Nun, wahrhaftig, ich freue mich recht, all' dieß zu hören, Bob.«

»Ja, Sir, 's ist eine gute Neuigkeit; aber Mr. Keene, da Sie Kapitän Delmar kennen, so hoff' ich, daß Sie sich gegen ihn benehmen werden, als wüßten Sie gar nichts davon.«

»Das soll geschehen, Croß; verlassen Sie sich darauf. Aus dem Dienst wäre ich ohnehin nicht getreten, selbst wenn Kapitän Delmar eingewilligt hätte. Ich bin ein Engländer und wünsche nicht, unter holländischem Schutz zu stehen.«

»Recht so, Sir – recht so – just, wie ich mir's wünschte, daß Sie fühlen sollten. Wie doch die Zeit dahinfliegt. Ei, Mr. Keene, Sie sind ja jetzt schon beinahe drei Jahre auf dem Wasser.«

»In einem Monate, Bob.«

»Und Sie werden nachgerad' so ein langer Bursche, daß man Sie vermuthlich nicht länger in des Kapitäns Beischiff lassen wird, was mir leid thut. Dann ist Mr. Tommy Dott wieder in einer neuen Patsche.«

»Wie? – ich habe doch nichts davon gehört.«

»Glaub's wohl. Drum ist er auch erst vor einer halben Stunde hinein getappt.«

»So erzählen Sie doch.«

»Ei, Sir, Mr. Culpepper war auf dem Tisch in der Konstabelkammer, gerade unter der Lucke, die, wie Sie wissen, immer offen steht, eingeschlafen, sein Kopf zurückgefallen und sein Mund weit aufgesperrt. Es befand sich kein anderer Offizier in der Konstabelkammer als Mr. Culpepper – und Tommy Dott, der ihn bemerkte, bat Timothy Jenkins vom großen Mars, ihm einen Klumpen gekauten Tabaks zu geben. Nun, Jenkins nimmt ihn, wie Sie sich denken können, brühwarm aus seinem Maul und gibt ihn Mr. Tommy, der sein Loth recht gut wählte und den Klumpen in's Proviantmeisters offenen Mund fallen läßt.

»Mr. Culpepper war fast erstickt, aber nach einem schrecklichen Husten kommt die Geschichte wieder heraus; demungeachtet wird's ihm hundeweh und er muß nach dem Becken in seiner Kajüte laufen. Nun, Sir, sobald er wieder herauskömmt, geht er nach dem Raum in der Schanze zwischen dem großen und dem Besahnmast, und fragt die Schildwache, wer ihm dies angethan habe. Die Schildwache, jener einfältige Pinsel, der Martin – sagt gleich, statt seine Kenntniß davon zu läugnen, es sei Mr. Tommy gewesen, und nun ist von Mr. Culpepper eine förmliche Klage auf dem Halbdeck vorgebracht worden. Dießmal wird Mr. Tommy 'was abfangen.«

»Er versteht's nicht, wie man einen Possen spielen muß,« versetzte ich; »er wird immer entdeckt und gestraft. Die Hauptsache ist, sich nicht erwischen zu lassen – darin liegt bei einem Schwank das eigentliche Vergnügen.«

»Nun, Sie verstehen sich freilich besser darauf, Mr. Keene: aber ich denk', 's ist doch einmal Zeit, daß Sie's aufgeben, denn alt genug wären's dazu. Ei, Sie müssen siebenzehn sein, Sir?«

»Ja, Bob, nicht sehr weit davon.«

»Nun, da muß ich in Zukunft wohl Mister Keene sagen.«

»Nennen Sie mich, wie Sie wollen, Bob; Sie sind immer mein guter Freund gewesen.«

»Nun, Sir, ich hoffe nur, daß Kapitän Delmar Sie zu einem Postkapitän macht, wie er sagt, und daß Sie eine schöne Fregatte kriegen; ich will dann Ihr Beischiffführer werden. Das ist übrigens noch lange hin, und wir werden dann nicht mehr auf dem Gange Kriegsrath halten.«

»Nein, aber in der Kajüte, Croß.«

»Ein großes Segel an dem Steuerbordbug!« rief der Ausluger vorn.

»Ein großes Segel an dem Steuerbordbug!« rapportirte der Mate der Wache.

Mein Glas war auf dem Gangspill, und ich eilte danach, um das Fahrzeug vorn zu untersuchen, obgleich mein Dienst als Signal-Midshipman mit Sonnenuntergang zu Ende war.

»Was machen Sie daraus, Mr. Keene?« fragte der Offizier der Wache.

»Ich halte es für ein Kriegsschiff; es ist jedoch so dunkel, daß ich es nicht mit Bestimmtheit erkennen kann.«

»Steuert es auf uns zu?«

»Ja, Sir; und ich glaube, unter Mars- und Bramsegeln.«

Der Offizier der Wache ging hinunter, um dem Kapitän, der sich noch nicht in seine Hängematte begeben hatte, Rapport zu erstatten. Kapitän Delmar hatte zwar gehört, daß eine holländische Fregatte an der Insel erwartet werde, deren Ankunft man im folgenden Monat entgegensah; indeß war kein Grund zu der Annahme vorhanden, daß sich eine oder die andere von unseren Fregatten in dieser Breite befänden – diejenigen im Hafen von Curaçao ausgenommen. Der Wind war leicht, etwa drei Knoten stark, und da der Mond erst nach zwölf Uhr aufging, so wußten wir nicht, was wir aus dem Schiffe machen sollten, das Einige für einen Zweidecker hielten. Der Kapitän ging hinunter, um nach seinen Privatsignalen für die Nacht zu sehen, und ehe er heraufkam, war ich schon mit den Laternen bereit.

»Zwei Lichter über einem in einem Dreieck – aber hurtig, Mr. Keene.«

»Sehr wohl, Sir,« versetzte ich.

Die Lichter waren bald nach der Gaffel aufgezogen, aber da sie von dem andern Schiffe nicht wohl gesehen werden konnten, weil wir auf dasselbe zustanden, so machten wir eine Wendung und legten uns quer vor seine Klüsen. Eine Viertelstunde lang fuhr es fort, auf uns loszusteuern, ohne die Signale zu beachten, bis endlich der Kapitän sagte:

»Sie müssen dort Alle eingeschlafen sein.«

»Nein, Kapitän Delmar,« versetzte ich, mein Teleskop gegen das Schiff haltend, »von Schlafen ist keine Rede, denn ich sah durch die Bugpforten Lichter auf dem Halbdeck. Ich sehe sie jetzt wieder.«

»Ich gleichfalls,« sagte der erste Lieutenant.

»So wollen wir auf die Posten trommeln lassen, Mr. Hippesley,« entgegnete der Kapitän.

Die Mannschaft erhielt das Signal auf die Posten, die Hängematten wurden in sehr kurzer Zeit weggestaut, die Geschütze in Bereitschaft gehalten, ohne daß man jedoch die Stückpforten öffnete, und jeder sah auf seinem Platze der Ankunft des Fremden entgegen, der jetzt nur noch eine Meile entfernt lag. Da wandte das Schiff plötzlich in dem gleichen Gange mit uns nach dem Winde um, und setzte seine Oberbramsegel und sein oberes Klüver bei.

»Keine Antwort auf unsere Signale,« bemerkte der Kapitän. »Hieraus und aus seinem gegenwärtigen Manöver muß ich vermuthen, daß es ein Feind ist.«

»Ich zweifle nicht daran, Sir,« entgegnete der erste Lieutenant. »Eine englische Fregatte würde sich nicht so benehmen.«

»So öffnet die Pforten und zieht die Kampflaternen auf,« sagte der Kapitän, denn bisher hatten wir uns in Acht genommen, Lichter zu zeigen.

Man konnte nun deutlich sehen, daß die Mannschaft des andern Schiffes gleichfalls an ihren Posten war und sich zum Treffen anschickte. Als Alles auf dem Decke bereit war, wurden die Oberbramsegel und das obere Klüver beigesetzt, und wir begannen die Jagd. Das fremde Schiff war ungefähr dreiviertel Meilen von unserem Luvbug; in einer halben Stunde waren wir ihm ziemlich nahe gekommen, und da wir demnach schneller segelten, so durften wir überzeugt sein, im Falle wir es mit einem Feinde zu thun hatten, in einer Stunde im Feuer zu stehen.

Wir hätten natürlich auch in unserer jetzigen Entfernung schon anbinden können, doch ist bei nächtlichen Affären Vorsicht höchst nothwendig. Man sollte nie einen solchen Kampf beginnen, ohne sich zuvor durch Anbreyen überzeugt zu haben, daß man wirklich einen Feind vor sich habe, da Umstände vorhanden sein können, und schon eingetreten sind, welche auch ein englisches Schiff verhindern, die Privatsignale zu beantworten; und ein Schiff, das einer neutralen Macht angehört, ist schon vornweg in einer gleichen Lage.

Die Ungewißheit, ob das fremde Fahrzeug ein Freund oder ein Feind sei, veranlaßte große Aufregung. Mein Dienst als Signal-Midshipman wies mir meinen Platz hinten auf der Schanze an, und Bob Croß, der eigentlich Quartiermeister war, obschon er das Beischiff des Kapitäns führte, befand sich an dem Steuer.

Endlich brachten wir das gejagte Schiff wohl auf unsere Luvwindvierung, und als wir lavirten, fanden wir, daß wir demselben gut anlagen, denn es befand sich ungefähr um einen Strich vor unserem Leebug.

Eine andere halbe Stunde brachte uns auf zwei Kabellängen in seine Nähe, und nun hielten wir ab, um es so dicht leewärts an uns vorbeizulassen, daß man einen Brodlaib über dessen Bord hätte werfen können.

Da der Fremde noch immer auf dem entgegengesetzten Gange blieb, so breyete Kapitän Delmar von der Laufplanke aus.

»Schiff, ahoy!«

Es herrschte eine Todtenstille an Bord beider Schiffe, und seine Stimme drang voll durch den Nachtwind.

»Hoho!« lautete die Antwort.

»Was für ein Schiff?« fuhr Kapitän Delmar fort.

Jetzt war Jeder an seiner Kanone, und die Kapitäne hielten sich bereit, ihre Geschützlagen fliegen zu lassen.

Die Antwort des andern Schiffes war:

»Welch ein Schiff?«

»Seiner brittischen Majestät Fregatte, die Kalliope,« entgegnete Kapitän Delmar; und dann wiederholte er: »Welch ein Schiff hier? Jeder soll auf seinem Posten niederliegen,« fügte er bei.

Dem Befehl war kaum Folge geleistet, als die fremde Fregatte eine volle Lage gab, und zwar der Nähe wegen sehr verheerend für unsern Rumpf und unser Takelwerk. Da sich jedoch die Mannschaft niedergelegt hatte, so kamen nur Wenige zu Schaden.

Sobald das Krachen vorüber war, rief Kapitän Delmar:

»Auf, Männer, und feuert, sobald ich unter den Stern des Feindes wende.«

In ein paar Sekunden waren wir durch die Rauchwolken und luvten unter dem Stern des Gegners. Dann ließen wir eine volle Lage fliegen.

»Laßt ihn wieder los – schlagt da vorne breit. Herum!« lautete die nächste Ordre.

Wir wichen ungefähr um drei Kabellängen zurück, bis wir hinreichend Raum hatten, um zu laviren; dann wandten wir um, und steuerten auf die Luvwindvierung des Feindes, als wollten wir ihn windwärts angreifen.

»Hinüber zu den Backbordkanonen, meine Jungen. Matrosen an die Hinterbrassen und Bollinien, Herr Hippesley.«

»Ja, Sir; Alles bereit.«

Sobald wir nahe genug waren, wurden die Hinterräume in Bewegung gesetzt, das Klüver windwärts gestellt und das Steuer aufgehoben. Die Kalliope arbeitete schön; sie fiel scharf ab, wir kamen wieder unter den Stern des Feindes und gaben abermals eine tüchtige volle Lage – ganz gegen das Erwarten des Holländers, welcher meinte, wir versuchten einen Angriff windwärts, und daher alle seine Mannschaft an die Backbordkanonen gestellt hatte.

Der holländische Kapitän war augenscheinlich sehr ärgerlich darüber; er stand an dem Hackebord und rief uns, sehr zu unserer Belustigung, in schlechtem Englisch zu:

»Du Hundsfott – kein ehrlich Gefecht.«

Während wir leewärts von dem Feinde nach vorne schossen, gab er uns eine Portion von seiner Steuerbordbatterie; da jedoch die Mannschaft nicht schnell genug von der andern Seite zu dem Geschütze herübereilen konnte, so nahmen wir keinen Schaden, während der Besanmast des Holländers einige Minuten, nachdem wir zurückgefahren waren, auf die Seite stürzte. Der Holländer fiel sodann ab. Wir thaten ein Gleiches, um nicht zu scharf bestrichen zu werden, und nun wurden die Lagen unter gleichen Verhältnissen getauscht. Aber noch ehe die Batterien dreimal gespielt hatten, fanden wir, da beide Schiffe im Bagstagswind liefen, daß wir im Segeln weit genug überlegen waren, um aus der Schußweite des Feindes zu kommen, weßhalb wir in den Stand gesetzt wurden, zu luven, und ihm auf's Neue einen Gruß zuzuschicken.

Die letzte Geschützlage zerschmetterte seine große Stenge, und nun war er, wie Bob Croß sagte, mit Haut und Haaren unser, da er ohne Hintersegel nicht umwenden konnte. Wir waren deßhalb unserer Segelschnelligkeit wegen im Stande, nach Belieben unsere Stellung zu wählen, was wir denn auch in so weit thaten, daß wir beständig vor dem Holländer hielten und ihm Lage auf Lage zuschickten, ohne mehr als eine einzige entgegennehmen zu müssen, bis sein Fockmast stürzte und nur noch der Hauptmast stehen blieb.

Dieß besserte im Ganzen seine Lage, denn obgleich er mit so wenig Wind nur schwierig manövriren konnte, so hatte er doch hinsichtlich des Umholens gegen den Wind mehr Freiheit, die er auch benützte, um den Kampf fortzusetzen. Indeß gab uns der Umstand, daß wir unter Segel fochten, großen Vortheil, und obgleich hin und wieder Kugeln einschlugen und wir manchen Matrosen in den Krankenverschlag zu schaffen hatten, so gaben wir's doch gewiß zehnfach wieder heim.

Das Gefecht hatte ungefähr eine Stunde gedauert, als sich unter der fortgesetzten Kanonade der leichte Wind gänzlich legte und eine völlige Windstille eintrat. Dieß setzte uns wieder auf einen gleicheren Fuß, da die Kalliope nicht Fahrt genug hatte, um auf ihr Steuer zu lüstern.

Wir befanden uns jetzt eine Viertelmeile von einander. Aber beide Schiffe waren während der Windstille abgefallen, so daß gegenseitig nur die Schanzkanonen in Anwendung gebracht werden konnten. Der größere Theil der Schiffsmannschaft beschäftigte sich daher, weil sie das Geschütz nicht bedienen konnte, mit Ausbesserung der erlittenen Beschädigungen, welche namentlich in Segeln und im Tauwerk sehr beträchtlich war.

Ich stand eben bei Bob Croß, der nach einer Brise, wie der Seemann die leichten Winde nennt, aussah, als er mich auf einmal mit leiser Stimme anredete:

»Mr. Keene, ich hätt' in meinem Leben nicht gedacht, daß der Kapitän so gut mit diesem Schiff umzuspringen weiß. Er versteht wahrhaftig seine Sache so gut, als nur irgend Einer im Dienst.«

»Ich dachte es auch,« versetzte ich. »Puh', welch' ein garstiger Schuß!« rief ich, als eben eine Kugel einschlug und ein halb Dutzend Matrosen niederschmetterte, welche die Kreuzsegelschoote aufholten, die unmittelbar zuvor gesplißt worden war.

»Ja, Sir, verlassen's sich darauf, der Bursche ist von gutem Schrot, wie alle Holländer; wenn sie übrigens nur ihre Hände aus den Hosentaschen behalten könnten, so würden's noch tüchtigere Kerle sein, als sie jetzt sind. Indeß sie lassen nicht mit sich spielen, und geben's Acht, wir haben ihn noch lange nicht. Wir müssen um Wind bitten, um aufzukommen, und er betete um Windstille, um fortmachen zu können.«

»Wo ist Mr. Keene?« rief der Kapitän, der auf der andern Seite des Deckes war.

»Hier, Sir,« versetzte ich, auf ihn zueilend und meinen Hut berührend.

»Mr. Keene, gehen Sie hinunter und sehen Sie nach, wie viele Verwundete wir haben. Der Doktor wird Ihnen die Zahl ziemlich genau angeben können.«

»Wohl, Sir,« entgegnete ich und ging hinunter. Dieß war jedoch kaum geschehen, als eine Kugel einschlug und das untere Geländer der mit Kupfer beschlagenen Stützen wegriß, welche die Luke umgaben. Die Kugel sauste nur einen Fuß über meinem Hut weg, und wäre ich nicht so geschwind gewesen, so hätte es mein Kopf zu büßen gehabt.

Ich begab mich nach der Konstabelkammer, welche der Doktor dem Krankenverschlag vorgezogen hatte, weil hier mehr Raum zum Operiren war, und richtete den Auftrag des Kapitäns aus.

Er war eben bemüht, einem armen Teufel den Fuß abzunehmen – ein schrecklicher Anblick, bei dem es mir ganz schwach wurde. Sobald er den Knochen abgesägt hatte, antwortete er:

»Sie werden alle Verwundete, die ich verbunden habe, in dem Steerage treffen. – Was man todt heruntergebracht hat, liegt in dem Krankenverschlag. Ich habe bereits fünf Amputationen vorgenommen, der Schiffsmeister ist schwer verwundet, und Mr. Williams, der Mate, todt. Diejenigen, welche ich noch nicht habe vornehmen können, sind hier in der Konstabelkammer. Sie müssen selbst über das, was der Kapitän zu wissen wünscht, einen Augenschein vornehmen, Mr. Keene; denn ich kann nicht ein Bein mit ununterbundenen Arterien verlassen, um Köpfe zu zählen. Mr. Rivers, das Tenaculum – jetzt das Tourniquet ein wenig nachgelassen.«

Da ich sah, daß der Doktor Recht hatte, so holte ich mir eine Laterne und begann meine Untersuchungen. Ich fand vierzehn Verwundete, welche auf des Doktors Hülfe warteten, in der Konstabelkammer, die ein eigentlicher Blutpfuhl war. In dem Steerage befanden sich neun Verbundene, und in ihren Hängematten vier, welchen ein Arm oder Bein abgenommen worden war. Dann ging ich nach dem Krankenverschlag hinunter, um die Todten zu zählen – es waren eilf unserer besten Leute. Nachdem ich die mir aufgetragene Erkundigung eingezogen, stieg ich eben die Krankenverschlagsleiter hinan, als ich noch einen Blick nach des Proviantmeisters Speisekammer warf und des Herrn Culpepper ansichtig wurde, der vor einer Laterne auf den Knieen lag: er war sehr bleich, und als er sich umwandte, bemerkte er mich:

»Was gibt's?« rief er.

»Nichts, Sir. Der Kapitän wünscht nur zu wissen, wie viele Todte und Verwundete wir haben.«

»Sagen Sie ihm, ich wisse es nicht. Er wird mich doch nicht auf dem Deck haben wollen?«

»Er will weiter nichts, als wissen, wie viele von unserer Mannschaft Schaden genommen haben, Sir,« versetzte ich, denn ich bemerkte, daß er meinte, der Auftrag sei an ihn gerichtet.

»O ewige Barmherzigkeit! Halten Sie eine Minute, Mr. Keene, dann können Sie's hinterbringen!«

»Ich kann nicht warten, Sir,« entgegnete ich, indem ich die Leiter hinaufstieg.

Mr. Culpepper hätte mich gar gerne zurückgerufen; ich zog es übrigens vor, ihn in seinem Irrthum zu lassen, da ich zu sehen wünschte, was er am meisten fürchtete, des Kapitäns Mißfallen, oder die Kugeln des Feindes.

Ich kehrte auf das Deck zurück und erstattete meinen Bericht. Der Kapitän machte ein sehr ernstes Gesicht, gab aber keine Antwort.

Ich fand, daß die beiden Fregatten jetzt Stern an Stern lagen und hin und wieder ihre Geschütze abfeuerten, welche vorn und hinten bedeutende Verheerungen anrichteten. Mit Ausnahme der Männer, welche hinten das Geschütz handhabten, hatte sich sämmtliches Schiffsvolk, dem Befehl des Kapitäns zufolge, auf seinen Posten niedergelegt.

»Wenn wir nur einen Hut voll Wind hätten,« sagte der Kapitän zum ersten Lieutenant; »aber ich sehe, es hat nicht den Anschein.«

Ich langte an meinen Hut und sagte:

»Der Mond wird in etwa zehn Minuten aufgehen, Sir; er bringt oft Wind mit sich.«

»Freilich, Mr. Keene, doch ist's nicht immer der Fall. Gebe Gott, daß es so sei, denn sonst fürchte ich, wir werden noch mehr Mannschaft verlieren.«

Das Feuer wurde fortgesetzt, und unser Hauptmast hatte so viele Kugeln erhalten, daß wir ihn durch Wulingen unterstützen mußten. Während wir noch damit beschäftigt waren, ging der Mond auf, und die beiden Schiffe konnten sich nun gegenseitig in's Auge fassen. Ich richtete mein Glas nach dem Horizont unter dem Monde, und war ganz entzückt, eine schwarze Linie zu bemerken, welche Wind hoffen ließ. Ich berichtete dieß dem Meister, und das Vorzeichen hielt Wort, denn in einer Viertelstunde flatterten unsere Segel und füllten sich allmählig.

»Wir haben jetzt Fahrt genug, Sir, um auf's Steuer zu lüstern,« rapportirte Bob Croß.

»Dem Himmel sei Dank,« versetzte Kapitän Delmar. »Auf, ihr Männer. Lassen Sie die Brassen anholen, Mr. Hippesley.«

»Die große Raa des Feindes ist in den Längen entzwei geschossen, Sir,« meldete ich, nachdem ich durch mein Glas recognoscirt hatte.

»Dann ist seine letzte Hoffnung dahin,« versetzte Mr. Hippesley. »Vorn die Steuerbordklüverschoote – laßt ihm 'was zukommen, Quartiermeister! Backbordkanonen, meine Jungen!«

»Nun, meine Leute,« rief Kapitän Delmar, macht kurze Arbeit mit ihm.«

Dieser Einschärfung wurde Folge geleistet. Wir hatten jetzt den Feind gut im Auge und entsandten eine volle Lage nach seinem Stern. Nachdem wir eine Viertelstunde gefeuert, bemerkte ich, daß seine Flagge sich nicht mehr an dem Stocke befand, wo sie nach dem Sturze des Besanmastes aufgehißt worden; auch war in den letzten fünf Minuten kein Schuß erwiedert worden.

»Er hat, glaube ich, gestrichen, Sir,« sagte ich zu Kapitän Delmar, »seine Flagge ist weg.«

»So lassen Sie das Feuer einstellen, Mr. Hippesley – für alle Fälle aber die Kanonen auf's Neue laden. Haben wir ein Boot, das schwimmen kann? Untersuchen Sie die Kutter, Mr. Keene.«

Ich fand, daß dem Kutter auf der Backbordwindviering der Boden eingeschossen war, und daß derselbe unter solchen Umständen natürlich nicht schwimmen konnte. Der am Steuerbord war in einem bessern Zustande.

»Der Steuerbordkuiter wird schwimmen, Sir; sein Dolbord ist zwar zertrümmert, aber doch wird er sich noch immer rudern lassen.«

»Also nieder damit, Mr. Hippesley. Schicken Sie nach dem zweiten Lieutenant.«

»Ich glaube, er ist nicht auf dem Deck, Sir,« versetzte der erste Lieutenant.

»Hoffentlich doch nicht bedeutend verwundet?«

»Ein Splitter, wie ich höre, Sir.«

»Wo ist Mr. Weymß, der dritte Lieutenant? Mr. Weymß, springen Sie in's Boot und nehmen Sie die Prise in Besitz. Es soll so viel Mannschaft mit Ihnen gehen, als Sie unterbringen können. Mr. Keene, gehen Sie mit Mr. Weymß, und sobald Sie die nöthige Kunde eingezogen haben, kommen Sie mit dem Boot und zwei Matrosen zurück.«

Ich folgte dem dritten Lieutenant in's Boot und wir ruderten an Bord unseres Gegners. Ein jüngerer Offizier empfing uns auf dem Decke und überreichte uns seinen Degen. Sein linker Arm lag in einer Schlinge; auch war er sehr schwach vom Blutverlust. Er sprach ziemlich gut Englisch, und wir fanden jetzt, daß wir den Dort, eine holländische Fregatte von achtunddreißig Kanonen, genommen hatten, die mit einer Abtheilung von Truppen für die Garnison und einer beträchtlichen Menge Munition und Geld für die Kolonie nach Curaçao wollte.

Wir fragten, ob der Kapitän sehr verwundet sei, da er sich nicht auf dem Decke zeige.

»Er ist todt, Gentlemen,« versetzte der junge Offizier. »Er war mein Vater. Unser Verlust ist sehr groß gewesen. Obgleich nur Kadet, bin ich jetzt doch kommandirender Offizier.«

Eine Thräne rollte ihm über die Wangen, als er sagte, daß der Kapitän sein Vater sei, und ich fühlte mit, was in seinem Innern vorging. Bald nachher wankte er nach einer Karronade hin, sank auf derselben nieder und verfiel in einen Zustand von Besinnungslosigkeit.

Das Blutbad war fürchterlich gewesen. Wir fanden die Schutzwehren des Schiffes ganz zertrümmert. Die Scene war beinahe so schlimm, als die auf den Decken der Stella, ehe sie von dem Negerkapitän in die Luft gesprengt wurde. Mehrere der Kanonen waren demontirt und zwei davon geborsten. Ich nahm mir nur Zeit, um auf dem Kanonendeck herumzugehen, und kommandirte dann zwei Matrosen in's Boot, um dem Kapitän Delmar meinen Rapport abzustatten.

Ich bat den dritten Lieutenant um die Erlaubniß, den jungen Offizier mit an Bord zu nehmen, der noch immer besinnungslos auf der Karronade lag, und da es ganz am Orte war, daß ich den kommandirenden Offizier mitbrachte, so willigte er ein. Wir ließen ihn an einem Tau in das Boot, worauf ich an Bord der Kalliope zurückkehrte und zum Kapitän hinaufging, um ihm meine Meldung zu machen und ihm den Degen des kommandirenden Offiziers der Prise einzuhändigen.

Ich hatte kaum zu sprechen angefangen, als Mr. Culpepper ungemein verstört, ohne Perücke und mit einem Stück schmutzigen Papiers in der Hand heraufkam. Er zitterte noch immer gewaltig vor Angst, machte vor Kapitän Delmar einen sehr tiefen Bückling und sagte:

»Ich habe hier den Stand der Getödteten und Verwundeten aufgezeichnet, Kapitän Delmar, so weit es mir möglich war, Kunde darüber einzuholen. Ich konnte unmöglich früher damit fertig werden, und habe fast zwei Stunden dazu gebraucht – ja, die ganze Zeit, seit Mr. Keene unten war.«

Der Kapitän, ärgerlich über diese Unterbrechung, entgegnete in sehr hohem Tone:

»Mr. Culpepper, es ist Sache des Wundarzts, den Rapport über Todte und Verwundete einzuschicken. Gehen Sie daher lieber hinunter und bringen Sie Ihren Anzug ein Bischen besser in Ordnung.«

Der alte Culpepper schlich, während ich in meinem Bericht fortfuhr, von hinnen, und dann fragte der Kapitän den Zimmermann, ob die Pinasse hinreichend wieder hergestellt sei.

»In wenigen Minuten, Sir,« lautete die Antwort.

»Mr. Hippesley, Sie müssen dann vierzig Matrosen an Bord der Prise schicken, damit sie so gut als möglich die Beschädigungen wieder herstellen. Mr. Weymß wird an Bord bleiben.«

Man hatte inzwischen den jungen Offizier zu dem Wundarzt hinuntergeschafft, welcher jetzt einigermaßen Zeit gewann, ihn zu bedienen. Er kam bald wieder zu sich, und der Doktor sprach sich dahin aus, daß man wahrscheinlich den Arm retten könne. Ich ging zu ihm hinunter, trat ihm vorderhand meine Hängematte ab, und sobald es ihm in meinem Quartier gehörig bequem gemacht war, kehrte ich nach dem Halbdeck zurück, wo ich mich nach Kräften nützlich machte, denn wir hatten an Bord unserer Fregatte mit Knöpfen und Splißen alle Hände voll zu thun, da die bisherigen Ausbesserungen nur Nothbehelfe gewesen waren.

Der Morgen graute jetzt, und bald hatten wir helles Tageslicht. Die Mannschaft wurde mit den Pytsen nach hinten beordert, und die Decken, welche von dem Blute der Verwundeten befleckt und mit Pulver geschwärzt waren, ausgewaschen. Ich brauche kaum zu sagen, daß wir Alle sehr ermüdet waren, doch war jetzt noch keine Zeit zur Ruhe. Man hatte die Pulverkammer verschlossen und die Feuer ausgelöscht.

Jetzt wurde ein anderes Boot mit dem Zimmermann und dem Gehülfen des Wundarztes an Bord der Prise geschickt, um die Hauptbeschädigungen auszubessern und den Verwundeten Beistand angedeihen zu lassen. Ich ging mit dem Boote. Mr. Weymß, der dritte Lieutenant, war nicht müssig gewesen, denn man schickte sich an, die zerbrochenen Maste durch Stümpfe zu ersetzen, hatte die Decken geräumt, die Todten über Bord geworfen und die Verwundeten in den Unterraum geschafft.

Als der Ueberrest der feindlichen Mannschaft gemustert und mit der Stammliste verglichen wurde, fanden wir, daß der Dort den Kapitän, 2 Lieutenants, 18 Offiziere, 73 Matrosen und 61 Soldaten verloren hatte; der erste Lieutenant, 13 Offiziere und 137 Mann waren verwundet – 117 Getödtete und 151 Verwundete: Gesammtsumme 298 Mann. Das Schiff hatte mehrere Schüsse zwischen Wind und Wasser erhalten, und deßhalb viel Wasser in seinem Raum. Diesem Schaden wurde jedoch bald durch den Zimmermann und seine Gehülfen abgeholfen, während die kriegsgefangene Mannschaft die Fregatte auspumpen mußte.

Ich kehrte mit dieser Kunde an Bord der Kalliope zurück und fand, daß der Wundarzt eben den Rapport über unsern eigenen Verlust an den Kapitän hatte ergehen lassen. Unsere Todten bestanden aus einem Offizier und 17 Mann – die Verwundeten waren der Schiffsmeister, 2 Lieutenants, 2 Midshipmen und 47 von der übrigen Mannschaft.

»Wissen Sie, wer die verwundeten Midshipmen sind?« fragte mich der Kapitän.

»Ich hörte, daß Mr. James gefallen sei, Sir; von den Verwundeten weiß ich jedoch nichts. Einer davon muß wohl Mr. Dott sein, da wir ihn sonst zuverlässig irgendwo gesehen haben würden.«

»Es sollte mich nicht Wunder nehmen,« entgegnete der Kapitän. »Schildwache, frage nach den verwundeten jungen Gentlemen.«

Die Schildwache antwortete: »Mr. Castles und Mr. Dott.«

»Nun,« versetzte der Kapitän, »so wird er für eine Weile seine muthwilligen Streiche unterlassen. Ich habe von dem Possen gehört, den er dem Proviantmeister gespielt hat.«

Als der Kapitän dieß sagte, bemerkte ich das Blatt Papier, welches der Proviantmeister als seinen Rapport über die Todten und Verwundeten heraufgebracht hatte, und das mit den übrigen Meldungen auf dem Tische lag. Der Kapitän hatte es augenscheinlich noch nicht angesehen, ich bemerkte aber alsbald, daß mit zitternder Hand »Stücke Ochsenfleisch 10; ditto Schweinefleisch 19; Rosinen 17; Matrosen 10« darauf verzeichnet war. Ich konnte mich eines Lächelns nicht erwehren.

»Darf ich fragen, was Sie so lustig stimmt, Mr. Keene?« fragte der Kapitän etwas strenge.

»Ich bitte um Verzeihung, Sir, daß ich mich in Ihrer Gegenwart vergaß,« entgegnete ich; »aber Mr. Culpeppers Bericht über die Getödteten und Verwundeten ist daran Schuld.« Ich nahm sodann das Blatt auf und überreichte es dem Kapitän.

Diese Probe von Mr. Culpeppers Gemüthszustand während des Kampfes war sogar für den Kapitän zu stark, denn er lachte laut hinaus.

»Der alte Narr,« murmelte er.

»Sie können jetzt gehen, Mr. Keene. Wenn das Frühstück bereit ist, so soll Mr. Hippesley mit der Vertheilung desselben nicht zögern.«

»Sehr wohl, Sir,« erwiederte ich mit einer achtungsvollen Verbeugung, und verließ sodann die Kajüte, denn ich fühlte, daß es Kapitän Delmar wurmte, weil er nicht ganz so zurückhaltend gegen mich gewesen war, als er es immer zu sein wünschte.

Sobald ich die Befehle des Kapitäns ausgerichtet hatte, ging ich hinunter, um Tommy Dott aufzusuchen. Er befand sich in seiner Hängematte neben der meinigen, in welcher ich den jungen holländischen Offizier untergebracht hatte, und war augenscheinlich in einem sehr fieberischen Zustande.

»Wo bist du verwundet, Tommy?«

»Ich weiß es selbst nicht genau,« antwortete er. »Bringe mir etwas Wasser, Keene.«

Ich brachte eine Schapfe voll Wasser, die er austrank.

»Du weißt also nicht, wo du verwundet bist?«

»Ich glaube, in meiner Seite – irgendwo am Leibe ist's, das weiß ich, aber ich bin von oben bis unten so steif, daß ich nicht genau die Stelle angeben kann. Ich wurde von Etwas getroffen und fiel gerade die Luke hinunter. Das ist Alles, was ich von der Geschichte weiß, bis ich mich in meiner Hängematte fand.«

»Nun, jedenfalls wirst du jetzt nicht dafür gestraft werden, daß du den Klumpen Tabakskaue Mr. Culpepper in's Maul fallen ließest.«

»Nein,« entgegnete Tommy, der sich trotz seines Schmerzes eines Lächelns nicht erwehren konnte, »indeß würde ich ihm noch einen schlimmeren Possen, als diesen, gespielt haben, wenn ich eine Idee davon gehabt hätte, daß wir sobald in's Treffen kommen würden. Wenn ich wich nur umwenden könnte, Keene, ich glaube, es würde mir besser sein.«

Ich half dem armen Tommy, sich in seiner Hängematte umdrehen, und verließ ihn sodann. Auch nach dem Sohne des holländischen Kapitäns sah ich, der jedoch schlummerte; er war ein schmächtiger Jüngling mit sehr schönen, aber fast weibischen Zügen. Ich fühlte mich zu dem armen Menschen hingezogen, denn er hatte seinen Vater verloren und sollte seine besten Jahre in Kriegsgefangenschaft zubringen. Da jedoch die Maten des Hochbootsmanns zum Frühstück pfiffen, so eilte ich in die Back hinunter, um meinen Antheil an Cacao abzulangen.

Sobald die Mannschaft mit dem Frühstück fertig war, mußten die Matrosen wieder an's Werk, um das untere Deck auszuwaschen, neue Segel anzuschlagen und die Kanonen gehörig fest zu machen; auch wurde der Raum, wo die Verwundeten in ihren Betten lagen, mit Schirmen umstellt. Die Todten brachte man hinauf, nähte sie in ihre Matten, legte sie auf den Rösterwerken aus und bedeckte sie, als Vorbereitung zu ihrer Bestattung in der Tiefe, mit der englischen Nationalflagge. Eine weitere Abtheilung wurde abgeschickt, um auf dem genommenen Schiffe mitzuhelfen, während die Kriegsgefangenen an Bord der Kalliope gebracht und in den vordern Kielraum geschafft wurden, den man zu diesem Zwecke geräumt hatte.

Um Mittag war Alles so weit bereit, daß wir im Stande waren, die Prise in's Schlepptau zu nehmen und die Segel der Kalliope auszubreiten, worauf sich die erschöpfte Mannschaft zum Diner begab und sodann Erlaubniß erhielt, den Rest des Tages bis zum Abend zu schlafen. Um tiefe Zeit wurde Alles wieder versammelt und die Todten mit den gewöhnlichen Feierlichkeiten den tiefblauen Wogen übergeben.

Der Wind hielt an, aber die Nacht über wurde das Wasser glatt, und ich war froh, mich nach der Aufregung so vieler Stunden auf einen der Schränke in der Midshipmensback werfen zu können. Ich schlief bis Morgens um vier Uhr, und da ich fand, daß Bretter nicht gerade das weichste Lager boten, so schlüpfte ich in die Hängematte des Midshipmans von der Morgenwache, wo ich bis sechs Uhr verblieb. Um diese Zeit kam Bob Croß zu mir herunter und sagte mir, daß der Kapitän bald auf dem Deck sein würde.

»Nun, Croß,« sagte ich, als ich auf das Deck kam und nach hinten ging, um nach der Prise im Schlepptau zu sehen, »das ist ein hübsches Geschäftchen, und unser Kapitän wird Ehre dafür erholen.«

»Und er verdient's auch, Mr. Keene,« versetzte Croß. »Wie gesagt, ich hätt's mir nicht träumen lassen, daß er mit seinem Schiff so gut umspringen könnt' – nein, und auch Keiner von dem Schiffsvolk. Wir Alle meinten, Mr. Hippesley sei der beste Offizier von den Zweien, aber das war fehlgeschossen. Die Sache ist, Mr. Keene, Kapitän Delmar hüllt sich in seine Würde wie in einen Mantel, und da läßt sich nichts aus ihm machen, bis ihn die Umstände zwingen, ihn abzunehmen.«

»Das ist sehr wahr, Bob,« entgegnete ich. »So lachte er zum Beispiel gestern, und ich lachte auch; aber dann that er gleich zweimal so steif gegen mich, als vorher.«

Ich erzählte dann dem Beischiffführer von Mr. Culpeppers Rapport, worüber er sich höchlich ergötzte.

»Ich bin überzeugt, daß er eine Freude an Ihnen hat, Mr. Keene; ich muß Ihnen aber auch das Zeugniß geben, daß Sie sehr brauchbar und thätig gewesen sind.«

»Wissen Sie, daß der Zimmermann sagt, wir hätten so bedeutende Beschädigungen erlitten, daß sie nicht wohl ausgebessert werden könnten, ohne daß das Schiff in eine Docke geht, und es sollte mich nicht wundern, wenn wir nach Hause geschickt würden, im Falle der Augenschein diesen Rapport bestätigt. Unlieb wäre mir's nicht, denn ich bin Westindiens müde und möchte wohl auch wieder meine Mutter sehen. Wir haben jetzt hübschen Wind und sind zwei Striche frei. Wenn's so fortgeht, werden wir in weniger als vierzehn Tagen vor Jamaika eintreffen.«

Da jetzt der Kapitän auf's Deck kam, so hatte unser Gespräch ein Ende.

Vor Abend war die Prise mit Stumpfmasten versehen und unter Segel gebracht, so daß wir jetzt geschwinder durch das Wasser kamen. In zehn Tagen langten wir zu Port-Royal an. Der Kapitän ging an's Land, und wir wurden, was noch angenehmer war, aller unserer Gefangenen und Verwundeten ledig. Auf den Bericht des Zimmermanns wurde ein Augenschein über die Kalliope gehalten, und das Ergebniß war, daß sie zur Ausbesserung nach Hause geschickt werden sollte. Der Admiral ernannte für den Dort einen Offizier, und Mr. Hippesley erhielt das Kommando über eine Kriegsschaluppe, welche durch die Beförderung ihres Kapitäns auf den Dort, der jetzt den Namen Curaçao erhalten hatte, erledigt worden war.

Zehn Tage nach unserer Ankunft war unser Schiff segelfertig, und wir traten den Weg nach Alt-England an. Tommy Dott und der zweite Lieutenant blieben an Bord, und Beide waren wieder hergestellt, ehe wir noch in den Kanal einliefen. Tommy Dott war durch einen Splitter im Rücken verwundet worden und hatte auch in Folge seines Sturzes durch die Luke schwere Quetschungen erlitten.

Kapitän Delmar hatte sich gegen den Sohn des holländischen Kapitäns sehr freundlich erwiesen, und ihn nicht mit den übrigen Gefangenen an's Land geschickt, sondern ihm gestattet, zu bleiben und mit der Kalliope nach England zu gehen. Er erholte sich zwar nur langsam, war aber bald aus wirklicher Gefahr und konnte lange, ehe wir in der Heimath anlangten, mit dem Arm in der Schlinge umhergehen. Es kam mir vor, als stünde auf unserem Rückwege der alte Culpepper lange nicht so hoch bei dem Kapitän Delmar in Gnaden, als sonst, obgleich er sich sogar unterwürfiger als je benahm. Wir hatten eine schöne Fahrt und warfen sieben Wochen, nachdem wir Port-Royal verlassen, zu Spithead Anker.

Vielleicht irrte ich, aber es kam mir entschieden vor, als benähme sich Kapitän Delmar, je mehr wir uns der Küste von England näherten, noch weit zurückhaltender (ich möchte fast sagen barscher) gegen mich, als es je zuvor der Fall gewesen. Gekränkt durch eine solche Behandlung, die ich, wie ich mir bewußt war, nicht verdiente, versuchte ich, während ich auf dem Decke hin- und herging, mir den Grund zu erklären, und endlich kam ich zu dem Schlusse, daß ihm sein Stolz wieder zu schaffen machte. Er kehrte in's Vaterland zurück, wo ihm seine aristokratische Verwandtschaft entgegentrat, und dachte dabei zugleich an meine Mutter, an die Masalliance mit ihr – wenn anders ein solcher Ausdruck einem Weibe gegenüber, die einem Manne von höherem Stande sich selbst geopfert hat, gebraucht werden kann. Jedenfalls war ich das Resultat dieser Verbindung, und vermuthlich war es die Scham, die ihn veranlasste, mich fern zu halten und seine Gefühle gegen mich zu ersticken. Vielleicht dachte er, was ich eigenhändig von ihm zugestanden in der Nähe meines Herzens trug; möglich aber auch, daß er mich nicht länger als einen Knaben, sondern als einen herangewachsenen jungen Mann betrachtete, der Ansprüche auf seinen Schutz machen könnte. Dieß waren meine Betrachtungen, welchen gemäß ich meinen Entschluß faßte, denn ich brauchte jetzt keines Bob Croß mehr, um mich zu berathen.

Als der Kapitän das Schiff verließ, kam ich nicht, wie die übrigen Midshipmen, zum Zwecke eines Besuchs bei meinen Verwandten um Urlaub ein – ja, nicht einmal, als er wieder an Bord zurückkehrte, was mehreremale geschah, nachdem das Schiff im Hafen eingelaufen war, wo es zur Vorbereitung für die Docke abgetakelt wurde. Eines machte mir jedoch große Freude: als nämlich die Depesche, welche wir nach Hause brachten, veröffentlicht wurde, fand ich meines Namens neben denen anderer Offiziere ehrenvoll erwähnt. Nur drei Midshipmen waren ausdrücklich genannt worden.

Als die Kalliope in die Docke kam, lautete das Gutachten der Arsenaltechniker sehr ungünstig. Sie bedurfte einer durchgängigen Reparatur, wozu mehrere Monate erforderlich waren, weßhalb Befehl erging, die Mannschaft abzulohnen; für die Zwischenzeit hatte sich der Kapitän nach London begeben. Während seines Aufenthaltes in Portsmouth hatte ich nur von Dienstes wegen mit ihm verkehrt, und er war abgereist, ohne mir auch nur eine Sylbe über seine weitere Absichten gegen mich mitzuteilen. Sobald jedoch der Befehl zu Ablohnung des Schiffes kam, erhielt ich einen sehr kalten und steifen Brief von ihm, worin er mir eröffnete, ich könne, wenn ich wolle, in einem andern Schiffe eintreten, dessen Kapitän er mich empfehlen werde; wenn ich es jedoch vorzöge, auf der Liste des Wachschiffes zu bleiben und zu warten, bis er den Befehl über ein anderes Fahrzeug erhielte, würde es ihn freuen, mich unter seine Mannschaft zu zählen.

Ich antwortete ihm sogleich, dankte ihm für seine Güte und drückte meine Absicht aus, an Bord des Wachschiffes zu bleiben, bis er selbst wieder in Dienst trete, da ich unter keinem andern Kapitän segeln möge; ich habe unter ihm den Dienst gelernt und wollte lieber noch Monate warten, als mich seinem freundlichen Schutze entziehen.

Die einzige Erwiederung meines Briefes war ein Erlaß der Admiralität, welcher mich nach Ablehnung der Kalliope dem Wachschiffe zutheilte.

Ich brauche kaum zu sagen, daß ich nach Hause geschrieben und auch Briefe von meiner Mutter erhalten hatte, welche höchlich entzückt war, in der Zeitung meinen Namen erwähnt zu sehen. Ich muß jedoch die Nachrichten über meine Familie auf eine passendere Gelegenheit verschieben, da ich vorerst über das, was in der Kalliope vorfiel, ehe sie abgelohnt wurde, Bericht zu erstatten habe.

Der Leser wird sich erinnern, daß der Sohn des holländischen Kapitäns, der Vangilt hieß, statt in's Gefängniß gesetzt zu werden, die Erlaubnis! erhalten hatte, die Fahrt nach England mitzumachen. Wir Beide waren seht vertraut, und als ich die Entdeckung machte, daß er ein Vetter von Minnie Vanderwelt war, gewann ich eine noch größere Vorliebe für ihn. Er war während der ganzen Rückfahrt sehr schwermüthig – und wie hätte es auch anders sein können, da er nichts Besseres in Aussicht hatte, als Gefangenschaft für den Rest des Krieges, was ihm vielen Kummer machte.

»Könnten Sie nicht entfliehen?« fragte ich ihn eines Abends.

»Ich fürchte, nein,« versetzte er. »Freilich, wenn ich einmal vom Schiffe fort wäre, so zweifle ich nicht, daß ich durch Beihülfe der Schmuggler ein Fahrzeug über den Kanal erhalten könnte. Ich habe Verbindungen in England, die mir behülflich sein würden.«

Als Kapitän Delmar nach London ging, hatte er des armen Jungen ganz vergessen, und Mr. Weymß, der jetzt kommandirender Offizier war, machte keine besondere Meldung über ihn, da er lieber bis zum letzten Augenblick zögern wollte; denn der junge Vangilt war allgemein beliebt, und jeder Tag, den er außerhalb des Gefängnisses zubrachte, war gewonnen für ihn.

In dem gegenwärtigen Fall ließ mich meine Zuneigung zu dem jungen Mann meine Offizierspflicht und die Kriegsartikel völlig vergessen. Ich wußte, daß ich über etwas Unrechtem sann; indeß meinte ich, daß bei vielen tausend Gefangenen, welche wir in England hätten, einer mehr oder weniger nicht von Belang sein könnte, weßhalb ich mir's nach Kräften angelegen sein ließ, einen Ausweg zu entdecken, der sein Entkommen beförderte.

Nach vielem Nachdenken fand ich, daß ich ohne Bob Croß nichts thun konnte, weßhalb ich ihn zu Rathe zog. Bob schüttelte den Kopf und meinte, das sei eine Galgengeschichte; indeß sei es doch Schade, wenn man einen so hübschen jungen Offizier durch die eisernen Stangen angucke; »außerdem,« fuhr er fort, »hat er seinen Vater im Gefecht verloren, er sollte daher nicht noch obendrein auch seine Freiheit verlieren. Nun, Mr. Keene, zeigen Sie mir, wie ich Ihnen helfen kann.«

»Ei, Bob, da ist ja das hübsche kleine Mädchen, das so oft mit der alten Frau an Bord kommt. Sie gehen gewöhnlich in's Boot hinunter und plaudern mit ihr.«

»Ja, Sir,« versetzte Bob; »es ist dieselbige, von der ich Ihnen erzählt habe, daß sie mir auf meinem Knie ihre Fabeln vorlas. Die Sache ist nämlich so, ich hoffe, mich dieser Tage mit ihr splißen zu lassen. Ihre Mutter will sie nicht mit andern Weibspersonen an Bord lassen, weil sie brav und bescheiden ist – ich fürchte, in einem gewissen Sinne des Wortes zu gut für mich.« –

»Wie meinen Sie das, Bob?«

»Ei, Sir, als ich sie zuerst sah, lebte sie und ihre Mutter von ihrem gemeinschaftlichen Verdienst, denn der Vater wurde vor vielen Jahren im Treffen getödtet, und ich pflegte ihnen zu helfen, so weit ich's eben konnte. Jetzt finde ich aber, daß die Umstände verzweifelt anders geworden sind, wenn's schon bei ihnen selbst nicht der Fall ist. Ihr Onkel ist Wittwer geworden; er gilt für einen reichen Mann, und da er stockblind ist und Niemand hatte, der nach dem Tode seines Weibes für ihn sorgte, so nahm er das Mädchen und ihre Mutter in's Haus. Er hat die Dirne gern, und sagt, er wolle ihr all' sein Geld vermachen; auch meint er, sie solle eine gute Partie treffen. Wenn sie jetzt mich heirathen wollt', Sir, so würde man wohl einen Unteroffizier nicht für eine gute Partie ansehen, und da sitzt eben jetzt der Haken, Sir.«

»Was ist denn der Alte gewesen?«

»Ein Schmuggler, Sir, der sich bei dem Geschäfte ein Schönes gemacht hat. Er besitzt außer dem Hause, welches er bewohnt, noch sechs oder sieben andere, die ganz sein Eigenthum sind, und wohnt ungefähr eine Viertelmeile von Gosport. Ich weiß Alles von ihm, obgleich ich ihn nie gesehen habe. Bald, nachdem er das Schmugglergewerb aufgegeben, verlor er das Augenlicht, und das betrachtete er als ein Gericht – wenigstens beredete ihn sein Weib dazu, die unter die Frommen gegangen war. – Da hat er nun auch einen religiösen Strich gekriegt, und er thut jetzt nichts, als beten, wobei er sich selbst einen armen blinden Sünder nennt.«

»Nun, Bob, ich sehe aber nicht ein, warum Sie das Mädchen aufgeben sollten.«

»Nein, Sir; auch will weder sie, noch ihre Mutter, mich aufgeben. Man brauchte gar nicht um seine Einwilligung zu fragen, und ich könnt' sie morgen heirathen, aber ein solches Unrecht möcht' ich ihr nicht anthun.«

»Er ist stockblind, sagen Sie?«

»Ja, Sir.«

»Wir wollen ein andermal Ihre Angelegenheit wieder vornehmen. Vor der Hand möchte ich jedoch diesem armen Vangilt durchhelfen. So viel ist einmal ausgemacht, daß er sagt, die Schmuggler würden ihm auf das Festland helfen. Nun, meine ich, dürste es sehr leicht für ihn sein, unbemerkt aus dem Schiff zu kommen, wenn er sich in Weiberkleider steckte, denn es gehen ja den ganzen Tag viele Frauenzimmer ab und zu.«

»Sehr wahr, Sir, namentlich an Zahltagen, wo Niemand auf sie Acht hat. O, ich sehe, sie möchten einige von Mary's Kleidern haben; sie würden ihm recht hübsch passen.«

»Getroffen. Und da ihr Onkel ein Schmuggler gewesen ist, so könnten wir hingehen, um uns mit ihm über das Entkommen des jungen Menschen in einem Schmuggler-Fahrzeug zu berathen. Vangilt sagt mir, er wolle gerne hundert Pfund bezahlen. Dieß wird sowohl Sie als mich bei dem alten Burschen einführen.«

»Ich glaub', es ist besser, wir lassen den Alten auf dem Glauben, es sei ein Weibsbild – meinen's nicht auch, Sir? Aber als was wollen wir uns vorstellen?«

»Je nun, ich gebe mich für einen Schiffsagenten aus und Sie sollen ein Kapitän sein.«

»Ein Kapitän, Mr. Keene?«

»Ja; ein Kapitän, der ein Schiff gehabt hat, und jetzt auf ein anderes wartet. Ei, Sie waren ja ein Fockmarskapitän, ehe Sie Beischiffführer wurden.«

»Gut, Sir, ich will Mary und ihre Mutter, welche heut' Nachmittag kommen, d'rüber zu Rathe ziehen und Sie das Weitere wissen lassen. Ich helfe vielleicht mir selber auch, wenn ich Mr. Vangilt helfe.«

Denselbigen Abend sagte mir Bob Croß, Mary und ihre Mutter seien zur Beihülfe bereit und zugleich auch der Meinung, daß man auf diesem Wege sich ganz gut bei dem alten Waghorn einführen könne; wir müßten uns zwar Anfangs auf einige religiöse Bedenklichkeiten gefaßt halten, sollten aber nur beharrlich sein, weil in diesem Falle nicht zu bezweifeln wäre, daß wir den alten Mann vermögen könnten, den Jüngling nach Cherbourg oder einem andern jenseitigen Hafen zu schaffen; auch sei es besser, wenn wir am Abend einsprächen – sie wolle dann aus dem Wege sein.

Sobald unser Tagewerk zu Ende war, ließen wir uns Urlaub geben, und ich brach mit Bob Croß nach Mr. Waghorn's Hause auf. Unterwegs trafen wir Mary und ihre Mutter, welche uns zurechtwiesen und dann weiter gingen. Wir fanden den alten Mann unter seiner Hausthüre rauchen.

»Wer da!« rief er, als ich auf die Klinke des Hofthores drückte.

»Gut Freund, Sir,« versetzte Croß. »Zwei Männer, die in Geschäften mit Ihnen sprechen möchten.«

»In Geschäften? Ich habe nichts mehr mit Geschäften zu schaffen – bin längst fertig mit Geschäften. Ich bin ein elender blinder Wurm und denke nur noch an meine verlorene Seele.«

Er war ein sehr hübscher, obgleich von Wind und Wetter stark mitgenommener Mann, und die silbernen Locken hingen ihm auf seinen Kragen nieder; sein Bart war nicht geschoren, sondern mit der Scheere abgezwickt, und der Mangel des Augenlichtes gab ihm ein wehmüthiges Aussehen.

»Gleichwohl, Sir, muß ich mich und meinen Freund, den Kapitän, Ihnen vorstellen,« entgegnete ich, »denn wir bedürfen Ihres Beistandes.«

»Meines Beistandes? Wie kann ich armer blinder Käfer Ihnen beistehen?«

»Die Sache verhält sich nämlich so, Sir, daß eine junge Frau sehnlich wünscht, ihren Freunden auf der andern Seite des Wassers wieder heimgegeben zu werden. Da wir nun wissen, daß Sie Bekanntschaft mit Fährleuten haben, so dachten wir, Sie könnten der armen Person zu einer Ueberfahrt helfen.«

»Das heißt, Sie haben gehört, daß ich ein Schmuggler gewesen bin. Die Leute sagen mir's nach, aber meine Herren, ich zahle jetzt Zoll und Accise – mein Thee, mein Tabak und Alles ist pflichtlich bezahlt – der König hat das Seinige. Die Bibel sagt: ›gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist‹; meine Herren, ich bleibe bei der Bibel. Ich bin ein armer, elender alter Sünder – Gott vergebe mir.«

»Wir verlangen nichts, was gegen die Bibel ist, Mr. Waghorn. Es ist unsere Pflicht, den Unglücklichen beizuspringen, und es handelt sich hier nur um eine arme junge Frau.«

»Um eine arme junge Frau? Die Leute thun etwas der Art nicht umsonst, und außerdem, es ist Unrecht, meine Herren – ich habe das ganz aufgegeben – muß für meine kostbare Seele sorgen, die ich über andere Dinge nicht vergessen darf. Gott behüte Sie, meine Herren.«

In diesem Augenblick kehrten Mary und ihre Mutter zurück. Wir standen auf.

»Seid Ihr's, Mrs. James, und bist du da, Mary? Ich habe da Besuch von einem Kapitän und seinem Freund, aber sie kommen mit einer thörichten Zumuthung, was ich Ihnen auch gesagt habe.«

Ich setzte dann Mrs. James auseinander, weßhalb wir gekommen, und bat sie, unserem Anliegen bei Mr. Waghorn das Wort zu Reden.

»Nun, Mr. Waghorn, warum wollt Ihr's nicht thun? Es ist eine gute Handlung, die ihren Lohn im Himmel finden wird.«

»Wohl, aber was kann ich machen? Sie ist eine arme junge Frau, und kann ihre Ueberfahrt nicht bezahlen.«

»Im Gegentheil,« versetzte ich; »der Kapitän hier leistet Bürgschaft, daß hundert Pfund bezahlt werden, sobald sie in irgend einem Theile von Frankreich oder Holland anlangt.«

»Wirklich? Aber wer ist der Kapitän?«

»Ich habe für den Augenblick kein Schiff, hoffe aber, nächstens eines zu erhalten,« entgegnete Bob; »und das Geld soll gleich bezahlt werden, wenn Sie nur das junge Frauenzimmer aufnehmen, bis es abgeschickt werden kann.«

»Nun, ich will sehen – da ist James Martin, nein, der thut's nicht. Aber Will Simpson – ja, das ist der Mann. Ei, 's ist ein gutes Werk; und Kapitän, wann wollen Sie das Geld bringen?«

Da das Schiff am Mittwoch abgelohnt werden sollte, und wir drei Jahre Sold gut hatten, so gab es hier keine Schwierigkeiten. Ich erwiederte daher:

»Am Mittwoch wird der Kapitän das Geld dieser Frau hier oder Jedem überantworten, der mit uns kömmt, um die junge Dame zu übernehmen – nicht wahr, Kapitän Croß?«

»O gewiß, das Geld steht jede Stunde zur Verfügung,« antwortete Bob. »Ich bin überzeugt, daß sie mich wieder bezahlen wird; und kann sie's, nicht – je nun, so ist das auch von keinem großen Belange.«

»Nun, nun, es gilt!« entgegnete der alte Mann. »Ich bin ein armer blinder Käfer, eine sündige alte Seele, und habe nichts zu thun, als meinen Frieden mit dem Himmel zu machen. Es ist ein Werk der Barmherzigkeit – ›Barmherzigkeit versöhnt eine Menge von Sünden‹, sagt der heilige Paulus. Wohlgemerkt, hundert Pfund – so ist's ausgemacht. Ich will Mr. James zu Ihnen schicken. Sie müssen nicht wieder herkommen, bis sie auf der andern Seite des Wassers ist.«

»Tausend Dank, Sir,« erwiederte Bob. »Ich will nicht wieder kommen, bis ich höre, daß sie in Sicherheit ist, und dann bringe ich Ihnen etwas Tabak, wie Sie ihn heut zu Tage nicht oft zu rauchen kriegen.«

»Soll mich freuen, von Ihnen, Kapitän Croß, und Ihrem Freunde da die Ehre eines Besuches zu erhalten,« entgegnete der alte Mann.

Sofort verabschiedeten wir uns. Nachdem wir fort waren, lobte Mr. James das Aussehen des Kapitän Croß, der ein sehr hübscher Mann sei, und der alte Waghorn hatte augenscheinlich gleichfalls eine gute Meinung von ihm, weil ihm seine Reden gefielen. Mary that jedoch, als ob sie mich vorzöge.

Sobald ich an Bord zurückgekehrt war, sagte ich dem jungen Vangilt, was ich angesponnen hatte. Er drückte mir die Hand und Thränen traten in seine Augen.

»Sie, als Offizier, wagen in der That sehr viel für mich. Was das Geld betrifft, so kennen Sie mich hoffentlich zu gut, um überzeugt zu sein, daß Sie es sobald zurück erhalten, als ich es schicken kann. Wie vermag ich aber je Ihre Freundlichkeit zu vergelten?«

»Vielleicht sind Sie seiner Zeit im Stande, auch mir zu helfen,« versetzte ich. »Wer weiß? das Kriegsglück ist wandelbar, mein Freund. Indeß ist's gut, wenn man uns nicht zu viel beisammen sieht.« Mit diesen Worten verließ ich ihn.

Des andern Tages brachte Mrs. James die zur Flucht nöthigen Kleidungsstücke, welche mir von Bob Croß übergeben wurden. Der nächste Tag war der Zahltag, und das Schiff wegen der vielen Leute an Bord in einem solchen Zustand von Verwirrung, daß unser Anschlag durchaus keine Schwierigkeit fand. Vangilt wechselte in der Midshipmens-Back, welche leer war, seine Kleider, und Bob Croß half ihm in's Boot hinunter, wo ihn Mrs. James erwartete. Da Bob und ich bereits unser Geld eingenommen hatten, so gaben wir ihr die hundert Pfund für den alten Waghorn. Das Boot ruderte ab und Vangilt langte wohlbehalten in Waghorns Wohnung an, wo er acht Tage verborgen blieb, um sodann für die Summe von zwanzig Pfund an die französische Küste geschafft zu werden, die er auch glücklich erreichte. Bei diesem Geschäftchen hatte der alte Waghorn achtzig Pfund eingestrichen, was in Anbetracht dessen, daß er aus purer Menschenliebe gehandelt habe, eine recht artige Belohnung war.

Nachdem ich in dieser Weise, während ich einem Feinde Beihülfe leistete und Vorschub that, einen Hochverrath glücklich durchgeführt hatte, verabschiedete ich mich von Bob Croß und überließ es ihm, seine Liebschaft weiter zu verfolgen, während ich nach Chatham ging, um meine Mutter zu besuchen. Ich hatte bereits meinen Entschluß gefaßt, wie ich mich benehmen wollte, denn ich war kein Kind mehr, sondern sowohl an Geist und Figur ein Mann. Sobald ich in Chatham angelangt war, eilte ich nach dem Hause, welches ich, als ich das letztemal dort gewesen, so geheimnißvoll verlassen hatte. Meine Mutter fiel mir um den Hals und umarmte mich, worauf sie mich mit wohlgefälliger Ueberraschung ansah. Vierthalb Jahre hatten mich sehr verändert – sie kannte mich kaum, denn sie hatte sich in mir immer noch den muthwilligen Aufschützling vorgestellt, den sie mit so viel Schmerz den Händen von Bob Croß überantwortet hatte. Sie bildete sich ungemein viel auf mich ein, denn meine Abenteuer, meine Gefahren und die ehrenvolle Erwähnung meines Benehmens in der Zeitung waren ihr bekannt, und augenscheinlich hatte man ihr von vielen Seiten her zu meiner glücklichen Laufbahn gratulirt. Meine Großmutter, die in ihrem Aussehen gewaltig gealtert hatte, schien jetzt milder gegen mich gesinnt zu sein, und ich war klug genug, ihren Annäherungen mit großer Herzlichkeit entgegen zu kommen. Meine Tante und der Kapitän waren sehr erfreut, mich zu sehen, und ich fand, daß meine beiden Vetterchen, von deren Erscheinen ich gebührend in Kenntniß gesetzt worden, sehr hübsche Kinderchen waren. Meine Mutter hatte sich zwei Ladenjungfern zugelegt, und der ganze Hausstand schien großartiger und blühender zu sein, als je.

Die ersten zwei oder drei Tage mußte ich erzählen und mich bewundern lassen, wie es gewöhnlich nach einer so langen Abwesenheit der Fall ist. Dann aber kehrte Alles ruhig zu den verwandtschaftlichen Beziehungen von Mutter und Sohn zurück, und sie hätte gerne ihre Herrschaft über mich geübt, was jedoch nicht nach meinem Sinne war; denn obgleich sie zu den klugen Frauen gehörte, so war ich doch entschlossen, fürderhin eine Herrschaft über sie zu üben, und ich nahm die erste Gelegenheit eines langen tête-à-tête wahr, um sie diese meine Absicht wissen zu lassen.

Hinsichtlich des Kapitän Delmars sagte ich ihr gerade heraus, daß ich wisse, er sei mein Vater, und daß ich den Beweis davon schwarz auf weiß von seiner eigenen Hand habe. Sie zog es Anfangs in Abrede, worauf ich ihr jedoch erwiederte, daß alles Leugnen fruchtlos sei, denn ich befinde mich im Besitze des Briefes, welchen er ihr über meinen muthmaßlichen Tod geschrieben habe; auch sei es kein Geist, sondern ich selbst gewesen, der die Großmutter erschreckt habe.

Dieß war der erste und zwar ein sehr schwerer Schlag für meine Mutter, denn welche Frau kann die Demüthigung ertragen, daß ihr Kind Kunde hat von ihrer Unklugheit. Ich liebte meine Mutter, und würde ihr gerne diesen Schmerz erspart haben, wären nicht alle meine Plane für meine Zukunft auf diesen einzigen Punkt gebaut gewesen, und hätte ich nicht ihrer Beihülfe und ihres Vorschubs dabei bedurft.

Meine Mutter war ganz zu Boden gedrückt, als sie fand, daß es vergeblich war, mich hinsichtlich meines Vaters aus eine andere Meinung zu bringen. Sie bedeckte sich das Antlitz in tiefer Schaam vor ihrem Kinde, doch ich tröstete sie liebkosend und sagte ihr, ich wisse es ihr von Herzen Dank, daß ich nicht der Sohn eines gemeinen Seesoldaten sei; denn jedenfalls habe ich einmal adeliges Blut in meinen Adern und werde mich meiner Abkunft würdig erweisen, ob sie nun Anerkennung finde oder nicht. Von dieser Stunde an hatte ich aber Gewalt über sie, und das mütterliche Ansehen war für immer dahin. Man darf jedoch nicht glauben, daß ich sie rauh behandelte, denn ich war im Gegentheil noch freundlicher und vor andern Leuten noch pflichtmäßiger als zuvor. Sie war meine einzige Vertraute, der ich ausschließlich die Gründe meiner Handlungsweise mittheilte, und meine Beratherin, obgleich ihr Rath nicht der einer Mutter, sondern einer demüthigen, aufopfernden und liebevollen Freundin genannt werden konnte; auch blieb dieses Verhältniß ihr ganzes Leben über das gleiche.

Sobald meine Mutter die Thatsache zugestanden hatte, fand von meiner Seite kein Rückhalt mehr statt. Ich erzählte ihr, wie Kapitän Delmar sich gegen mich benommen, und sagte, daß er jede Aeußerung eines väterlichen Gefühls gegen mich zurückdränge, obgleich ich überzeugt sei, daß er mich liebe und stolz auf mich sei. Auch setzte ich ihr auseinander, welches Benehmen ich gegen ihn beobachtet habe und wie ich mich in Zukunft gegen ihn zu verhalten gedenke.

»Percival,« sagte meine Mutter, »du sprichst wohl verständig und hast deine Aufführung gegen ihn klüglich eingerichtet, aber worauf zielst du denn eigentlich ab – ich meine, was ist dein Hauptzweck dabei? du hoffst natürlich durch seine Fürsprache Beförderung zu erringen und erwartest, daß er dich für den Fall seines Ablebens nicht vergesse, wenn er mehr Zuneigung zu dir gewinnt. Es scheint mir aber, als liege dir sonst noch Etwas am Herzen – sage mir, habe ich Recht?«

»Allerdings, liebe Mutter; mein Hauptziel geht dahin, daß mich Kapitän Delmar als seinen Sohn anerkenne.«

»Ich fürchte, daß er dieß nie thun wird, Percival, und glaube auch nicht, daß du dabei gewinnen wirst. Wenn du Beförderung erringst, so wird deine Zukunft allerdings als dunkel betrachtet werden; du erscheinst aber dann doch als in der Ehe geboren, was ehrenvoller für dich sein wird, als die Anerkennung, die du von Kapitän Delmar verlangst. Du kennst die Kränkungen nicht, die dir in einer Erfüllung deines Wunsches bevorstehen, und hätte dich Kapitän Delmar als seinen Sohn anerkannt, so dürftest du vielleicht wünschen, daß es nie geschehen wäre.«

»Du sagst, ich seie in der Ehe geboren, Mutter? Nun ja, ich bin's, wie viele Andere es sind, die jetzt zu den Großen des Reichs gehören und kraft dieses Ehebundes auf große Erbschaften berechtigt sind, auf welche sie sonst keine Ansprüche haben würden. Deine Unehre (entschuldige, daß ich dieses Wort brauche) und meine Schmach sind gleichermaßen durch diese Ehe bedeckt, welche jeder Beschuldigung der Illegitimität entgegengehalten werden kann. Kränkungen fürchte ich nicht, und werde sie von Menschen, die ich kenne, nie fürchten, denn ich kann mich vertheidigen und schützen. Aber es ist ein großer Unterschied für mich, die Welt glauben zu lassen, daß ich der Sohn des Seesoldaten Ben bin, wenn ich doch weiß, daß ich dem künftigen Lord de Versely mein Dasein verdanke. Ich wünsche von Kapitän Delmar in einer Weise anerkannt zu sein, daß die Welt von der Thatsache überzeugt ist, ohne im Stande zu sein, es mir zum Vorwurf zu machen. Dieß kann leicht geschehen, wenn Kapitän Delmar nur will; auch soll und muß er es, und dann muß es mir zu gut kommen. Jedenfalls befriedigt es meinen Stolz, denn ich fühle, daß ich nicht der Sohn deines Gatten bin, sondern kochendes Blut in meinen Adern habe, das sich der stolzeste Aristokrat zur Ehre rechnen könnte. Eine solche halbe Verwandtschaft ist mir sammt allen ihren Nachtheilen weit lieber, als wenn man mich für den Sohn eines Mannes hält, den du nur aus Klugheitsrücksichten zum Gatten genommen hast.«

»Nun, Percival, ich kann dir keinen Vorwurf machen; aber auch du mußt mich nicht allzusehr tadeln, wenn du bedenkst, daß dasselbe Gefühl die Ursache war, warum ich deine Mutter wurde.«

»Das geschieht durchaus nicht, liebe Mutter,« versetzte ich. »Nur laß uns jetzt im Einklange handeln – ich bedarf deines Beistands. Erlaube mir, dir noch eine Frage vorzulegen – hast du dir noch nicht hinreichend Geld erworben, um dich von deinem Geschäft zurückziehen zu können?«

»Allerdings, mein lieber Percival – weit mehr, als ich brauche, um gemächlich und sogar auf einem recht anständigen Fuße zu leben. Ich habe jedoch an dich gedacht, und um deinetwillen fortgefahren, meine Habe mit jedem Jahre zu vergrößern.«

»Dann, liebe Mutter, gib es um meinetwillen ja so bald als möglich auf. Nach Geld steht nicht mein Verlangen.«

»Laß mich zuvor die Gründe hören, warum du dieses wünschest?«

»Meine liebe Mutter, ich will aufrichtig gegen dich sein. Ich wünsche, daß du dein Geschäft aufgibst und diesen Ort gegen einen abgelegenen Theil von England vertauschest; auch möchte ich, daß du deinen Namen ändertest und mit einem Worte, von Kapitän Delmar für todt gehalten werdest.«

»Und warum dieß, Percival? Ich kann nicht einsehen, was es dich nützen wird. Um meinetwillen hat er dich unter seine Obhut genommen. Wer bürgt dir dafür, daß du dich nicht mit ihm entzweist, und wer weiß, ob mein vermeintlicher Tod ihn nicht veranlaßt, seine Hand ganz von dir abzuziehen?«

»Durch das, was du sagst, daß nämlich Kapitän Delmar nur um deinetwillen mein Freund ist, gibst du mir nur einen weitern Beitrag zu meinen Gründen, und wenn er mich nach deinem muthmaßlichen Tode verlassen sollte, so ist es augenscheinlich, daß bei ihm die Furcht als Hebel wirkt. Er meint, das Geheimniß meiner Geburt sei nur dir und ihm bekannt. Wenn er dich indeß für todt hält und keinen Beweis mehr gegen sich fürchten zu müssen glaubt, so bin ich überzeugt, er wird dann keinen Anstand mehr nehmen, mir eine väterliche Zuneigung zu zeigen, die jetzt durch seinen Stolz unterdrückt ist. Ich weiß gewiß, daß Kapitän Delmar von Natur aus ein freundlicher und liebevoller Charakter ist. Die Erinnerung an dich wird mir weit nützlicher werden, als mir dein Dasein je sein kann, und das Uebrige magst du mir überlassen. Sollte er sich aber doch wider Verhoffen geneigt zeigen, mich abzuschütteln, so habe ich jedenfalls sein schriftliches Zugeständniß, daß ich sein Sohn bin, und kann im Falle der Noth Gebrauch davon machen. Jetzt mußt du dich aber in meine Wünsche fügen, liebe Mutter. Gib sobald als möglich dein Geschäft auf, und ziehe dich nach einem andern Landestheile zurück. Wenn ich es für passend erachte, soll ihm dein Tod bekannt gemacht werden. Ich zweifle nicht, daß er in einigen Monaten wieder zur See sein wird, und wenn wir England im Rücken haben, so wird sich eine geeignete Zeit bieten.«

»Aber deine Großmutter, Percival – muß ich ihr's sagen?«

»Nein; theile ihr nur mit, daß du dich vom Geschäft zurückzuziehen und Chatham zu verlassen gedenkest. Sage ihr, du wollest künftighin in Devonshire wohnen, und bitte sie, dich zu begleiten. Verlaß dich darauf, sie wird gerne darauf eingehen. Ueber unsern Plan hinsichtlich des Kapitän Delmar brauchst du ihr nichts mitzutheilen – sie haßt schon seinen Namen und wird wahrscheinlich nicht von ihm sprechen wollen.«

»Ich darf mir's aber doch bis morgen überlegen, Percival, ehe ich dir eine entscheidende Antwort gebe?«

»Gewiß, meine liebe Mutter; ich wünsche es sogar, da ich überzeugt bin, du wirst dann mit mir übereinstimmen. Auch ist's mir unendlich lieber, wenn deine eigene Ueberzeugung deinen Entschluß leitet, als wenn du dich nur durch deine mütterliche Liebe bewegen lässest.«

Ich hatte es wohl gewußt, daß meine Mutter auf meine Wünsche eingehen würde. Sie berieth sich mit meiner Großmutter, welche ihre Absichten billigte, und dann wurde bekannt gemacht, Mrs. Keene wolle sich vom Geschäft zurückziehen, und gedenke ihre Kundschaft mit sammt dem Waarenlager zu veräußern. Meine Tante Milly und Kapitän Bridgeman schienen auch mit diesem Schritte meiner Mutter recht wohl zufrieden zu sein. Kurz, die ganze Familie billigte die Maßregel, was in der Regel kein sehr häufiger Fall zu sein scheint. Ich half nun meiner Mutter in Bereinigung ihrer Angelegenheiten, und im Laufe eines Monats fanden wir einen Käufer für das Anwesen. Mit der Erlössumme belief sich jetzt das Vermögen meiner Mutter auf zwölftausend Pfund in dreiprozentigen Papieren, deren Interessen im Betrage von dreihundertsechszig Pfunden mehr als zureichten, meiner Mutter einen anständigen Unterhalt in Devonshire zu sichern, namentlich, da auch meine Großmutter noch immer ein Einkommen von beinahe zweihundert Pfund jährlich besaß.

Nach einem weiteren Monate war Alles in Ordnung gebracht. Meine Mutter verabschiedete sich von ihrer Schwester und allen ihren Bekannten, und verließ Chatham, wo sie mehr als siebenzehn Jahre gewohnt hatte.

Lange vor dem Abzuge meiner Mutter erhielt ich einen Brief von dem jungen Vangilt, der mir seine glückliche Ankunft in Amsterdam meldete, und auf ein Londoner Haus die vorgeschossene Geldsumme anwies. Sein Schreiben war sehr dankbar, enthielt aber, meiner Verwarnung gemäß, nicht eine Sylbe, die mich hätte bloßstellen können, wenn die Korrespondenz in unrechte Hände gefallen wäre.

Ich muß hier noch bemerken, daß man in der Hast, womit das Schiff abgelohnt wurde, Vangilt nicht einmal vermißte, und obgleich es dem kommandirenden Offizier, nachdem er an's Land gegangen, einfiel, daß man über den Gefangenen keine Verfügung getroffen hatte, so hielt er es doch für besser, keine Nachfragen anzustellen, die ihn selbst in eine Klemme bringen konnten. Kurz, es krähte kein Hähnchen darnach.

Ein paar Tage, ehe meine Mutter Chatham verließ, begab ich mich nach London, um das Geld in Empfang zu nehmen, und dann verfügte ich mich nach Portsmouth, um den Bob Croß betreffenden Theil abzutragen. Ich fand, daß Bob seine Zeit gut benützt hatte, denn der alte Schmuggler ließ sich seine Bewerbung um Mary gefallen. Das Mädchen war jedoch noch gar jung – noch nicht siebenzehn – und Bob gab zu, daß er noch nicht viel Geld erspart habe, weßhalb der alte Mann darauf bestand, daß er sich wieder um ein Schiff bewerbe, und noch ein paar Reisen mache, ehe er sich splißen lasse – ein Verlangen, auf das ihn auch Mutter und Tochter einzugehen beredeten. Ich machte mit Bob einen Besuch in dem Hause des Alten, und that, ohne gerade zu lügen, Alles, was ich konnte, um Mr. Waghorn eine günstige Meinung von meinem Freunde beizubringen. Ich ging sogar so weit, zu sagen, ich wolle ihm eine Geldsumme zur Verfügung stellen, wenn er sich kein anderes Schiff verschaffen könne, und würde auch auf Verlangen Wort gehalten haben, da es meine Mutter ohne Zweifel auf meine Bitte vorgeschossen haben würde. Indeß war Bob, als ein hübscher Matrose von nicht dreißig Jahren, immer eines Schiffes gewiß – nämlich eines Kriegsschiffs. Um sich gegen den Preßgang zu schützen, kleidete er sich in das lange Oberkleid eines Kauffahrerkapitäns, und galt auch allgemein als ein derartig Bediensteter.

Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß von dieser Seite Alles gut von Statten ging, kehrte ich wieder nach Chatham zurück, um meine Mutter und Großmutter nach Devonshire zu begleiten. Wir verabschiedeten uns von meiner Tante und Kapitän Bridgeman, reisten nach London ab, wo wir uns einige Tage in einem Gasthofe aufhielten, und bedienten uns dann der Postkutsche nach Ilfracombe, wo meine Mutter für künftig Wohnsitz zu nehmen gedachte. Statt des ihrigen hatte sie den Namen Ogilvie, wie meine Großmutter als Mädchen geheißen, angenommen.

Ilfracombe war damals ein schöner abgelegener Ort, der meiner Mutter namentlich wegen seiner Wohlfeilheit sehr zusagte, da daselbst mit dem Einkommen der beiden Frauen Alles, was sie nur wünschten, bestritten werden konnte. Wir mietheten bald ein sehr hübsches, meublirtes Landhaus, da sich meine Mutter nicht einrichten mochte, bis sie wußte, ob es ihr auch an Ort und Stelle gefiel. Ich muß auch bemerken, daß meine Großmutter mir jetzt eben so zugethan war, als sie mir früher Abneigung erwiesen hatte, da ich sie mit großer Achtung behandelte.

Obgleich es mir nicht schwer gewesen wäre, nach einem Aufenthalte von sechs Wochen bei meiner Mutter Urlaubsverlängerung zu erhalten, so war es doch nöthig, daß ich wieder nach Portsmouth zurückkehrte. Wir hatten auch bereits festgesetzt, daß ich nach drei Tagen abreisen sollte, als ich aus der Plymouther Zeitung erfuhr, daß die neu vom Stapel gelassene Fregatte Manilla mit vierundvierzig Kanonen einen neuen Kommandeur erhalten habe, und der ehrenwerthe Kapitän Delmar heruntergekommen sei, um sein Wimpel aufzuhissen. Dieß änderte natürlich meine Plane. Ich beschloß, nach Plymouth aufzubrechen und daselbst Kapitän Delmar zu erwarten. An Bob Croß schrieb ich, und legte ihm eine Vollmacht bei, meinen Koffer und mein Bettzeug an Bord des Wachschiffes zu Portsmouth abzuverlangen; auch theilte ich ihm meine Absicht mit, bat ihn aber, noch keine Schritte zu thun, bis er weiter von mir gehört hätte.

Ich hatte ein langes Gespräch mit meiner Mutter, welche mir wiederholt versprach, bei meinen Weisungen zu verbleiben und darnach zu handeln. Dann nahm ich achtungsvollen Abschied von meiner Großmutter, welche mir hundert Pfund schenkte, obgleich ich derselben nicht bedurfte, da mir meine Mutter eine gleiche Summe gegeben hatte, und brach endlich nach Plymouth auf.

Der Leser fragt vielleicht, wie es kam, daß Kapitän Delmar, welcher doch versprochen hatte, meine Unkosten zu bestreiten, mir noch kein derartiges Anerbieten gemacht, oder auch nur über diesen Punkt mit mir gesprochen hatte. Die Sache verhielt sich indeß so: er wußte, daß ich drei Jahre Gage und außerdem das Prisengeld für die holländische Fregatte, welches zwar fällig, aber noch nicht bezahlt worden war, zu fordern hatte. In Geldangelegenheiten stand ich mich ohnehin gut, denn meine Mutter erlaubte mir, Wechsel auf sie auszustellen, denn sie hielt sich für überzeugt, ich werde, da ich ihre Umstände kenne, sie nicht durch übermäßige Ausgaben in Verlegenheit bringen: und hierin ließ sie mir auch nur Gerechtigkeit widerfahren.

Ich war nun achtzehn Jahre alt und trat auf's Neue meine Laufbahn an. Je älter ich wurde, desto mehr sprach sich meine Aehnlichkeit mit Kapitän Delmar aus, und auch meine Mutter konnte sich nicht enthalten, dieß gegen mich zu bemerken.

»Ich wünschte fast, daß es nicht der Fall wäre, liebe Mutter, denn ich fürchte, es möchte Kapitän Delmar Unannehmlichkeiten bereiten. Indeß ist da nichts zu ändern. Jedenfalls muß es ihn über allen Zweifel erheben (den er übrigens zuverlässig nicht einmal hat) daß ich sein Kind bin.«

»Das wäre wohl ganz unnöthig,« versetzte meine Mutter mit einem tiefen Seufzer.

»Ich will's wohl auch glauben, liebe Mutter,« entgegnete ich, sie zärtlich liebkosend. »Jedenfalls will ich beweisen, daß ich des Namens Delmar nicht unwerth bin, mag er mir nun zu Theil werden oder nicht. Ich darf übrigens nicht länger zögern, da die Post sonst abfahren könnte. Lebe wohl, und Gott sei mit dir!«

Als ich zu Plymouth – oder Plymouth-Dock, wie Devonport damals genannt wurde – anlangte, fragte ich, in welchem Hotel Kapitän Delmar sich einquartiert hatte. Es war das nämliche, welches ich selbst zu beziehen gedacht hatte, weßhalb ich mein Gepäcke alsbald nach einem andern schaffen ließ, denn ich glaube in der That, Kapitän Delmar würde es für eine große Vermessenheit gehalten haben, wenn einer seiner Offiziere sich's herausgenommen habe würde, mit ihm in dem gleichen Gasthause Wohnung zu nehmen. Des andern Morgens ließ ich mich melden, und wurde vorgelassen.

»Guten Morgen, Mr. Keene,« begann der Kapitän. »Sie wollen vermuthlich um Aufnahme in mein Schiff bitten, und ich genehmige daher Ihr Gesuch, noch ehe es gemacht ist. Ich hoffe, Sie werden immer den gleichen Eifer und dieselbe Achtung gegen Ihre Offiziere zeigen, wie auf der Kalliope. Ei, Sie sind ja gewaltig gewachsen, und sind doch noch so jung. Ich will Ihnen die Stelle eines Mate verleihen, und hoffe, daß Sie meiner Protektion keine Unehre machen.«

»Ich gleichfalls nicht, Kapitän Delmar,« entgegnete ich. »Ich habe nur einen einzigen Wunsch in der Welt, und der ist, Ihnen zu gefallen, da Sie sich von meinen Knabenjahren an so freundlich gegen mich erwiesen haben. Ich würde sehr undankbar sein, wenn ich meine Pflicht nicht mit Eifer und Treue erfüllte. Was ich bin, verdanke ich Ihnen, und ich sehe wohl, daß ich auch für meine Zukunft auf Sie angewiesen bin. Namentlich fühle ich mich Ihnen sehr verpflichtet, Sir, für die große Güte, meinen Namen in der Zeitung zu veröffentlichen.«

»Sie haben es verdient, Mr. Keene; auch wird es Ihnen zuverlässig von großem Vortheil sein, wenn Sie Ihre Zeit ausgedient haben. Ist Ihr Dienst seit Ablohnung der Kalliope fortgelaufen?«

»Ja, Sir; ich stehe noch in den Büchern des Salvador.«

»Wie lange haben Sie jetzt schon gedient?«

»Beinahe fünfthalb Jahre, Sir.«

»Nun, der Rest wird bald vorüber sein; und wenn Sie Ihre Schuldigkeit thun, soll Ihnen mein Schutz nicht fehlen.«

Ich verbeugte mich und wollte mich nach einer Pause mit einem abermaligen Bückling entfernen, als mich der Kapitän fragte:

»Wie geht es Ihrer Mutter, Mr. Keene?«

»Man hat ihr gerathen, ihr Geschäft aufzugeben und auf's Land zu ziehen,« versetzte ich im Tone der Trauer. »Ihre Gesundheit ist so, daß –«

Damit hielt ich inne, da es mir lieber war, wenn er sich durch eine Vermuthung irre leiten ließ, oder mit andern Worten, wenn er sich selbst täuschte.

»Das bedaure ich,« entgegnete er; »doch ist sie schon in ihrer Jugend nie recht kräftig gewesen.«

Hier hielt der Kapitän inne, als ob er zu viel gesagt hätte.

»Allerdings, Sir,« erwiederte ich. »Schon in Miß Delmars Dienste paßte sie nicht für anstrengende Geschäfte.«

»Sehr wahr,« versetzte der Kapitän. »Sie können an Bord gehen, Mr. Keene, und meinem Schreiber sagen, daß er um Ihre Versetzung von dem Salvador auf die Manilla einkomme. Brauchen Sie etwas?«

»Nein, Sir, ich danke Ihnen. Ich will mich nicht jetzt schon an Ihrer Großmuth versündigen. Guten Morgen, Sir.«

»Guten Morgen, Mr. Keene.«

»Ich bitte um Verzeihung, Kapitän Delmar,« sagte ich, mit der Thürklinke in der Hand; »wäre es Ihnen wohl genehm, Robert Croß, Ihren früheren Beischiffführer, in derselben Eigenschaft anzustellen? Ich weiß, wo er ist.«

»Ja, Mr. Keene; ich möchte ihn wohl gerne wieder haben, er war ein zuverlässiger, wackerer Mann. Sie werden mich verbinden, wenn Sie ihm schreiben und ihn ersuchen, sich alsbald einzufinden. Wo ist er?«

»Zu Portsmouth, Kapitän Delmar.«

»Gut; melden Sie ihm, er soll sich möglichst beeilen. Beiläufig, Sie werden auch ein paar von ihren alten Tischgenossen finden – Mr. Smith, den Schiffsmeister, und Mr. Dott. Ich hoffe, der Letztere ist ein Bischen gesetzter geworden. Beinahe hätten Sie auch Ihren alten Bekannten, Mr. Culpepper, wieder zu sehen bekommen, aber er starb vor ungefähr sechs Wochen – ein Schlagfluß, oder Etwas der Art.«

»Gott sei Dank dafür,« dachte ich, und nach einer abermaligen achtungsvollen Verbeugung verließ ich das Zimmer.

Ich kehrte nach meinem Gasthause zurück, und begann daselbst über die eben gehabte Unterredung nachzudenken. Ich rief mir Alles, was vorgefallen, in's Gedächtniß, und kam zu dem Schlusse, daß ich Recht hatte, ihn auf den Tod meiner Mutter vorzubereiten. Er hatte mich aufgenommen, wie ich's nur von ihm erwarten konnte – eigentlich herzlich, darf ich sagen; aber mein Blut kochte mir, wenn ich daran dachte, daß er mich nur ganz gelegentlich und erst, als ich das Zimmer verlassen wollte, nach meiner Mutter fragte. Und dann sein Innehalten, weil er unachtsamer Weise gesagt hatte, sie sei schon in ihrer Jugend nicht recht kräftig gewesen. Ja, dachte ich, er kann den Rückblick an dieses Verhältniß nicht ertragen, und nur um meiner selbst willen, nicht aus dem Grunde einer natürlichen, väterlichen Liebe kümmert er sich um mich; oder wenn ihm an dem Sohne etwas gelegen ist, so geschieht es nur deßhalb, weil sein Blut in meinen Adern fließt, obgleich er die Mutter gering schätzt und verachtet. Ich bin überzeugt, daß es ihm nichts weniger als leid sein wird, wenn er von dem Tode meiner Mutter hört, und diese Freude soll ihm werden. Ich will ihr doch gleich schreiben.

Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß in Kapitän Delmar's Aeußerem einiger Wechsel vorgegangen war. Wie sonderbar es auch klingen mag, er kam mir jugendlicher vor, und als ich unsere Gesichter in dem Spiegel über dem Kaminsims hinter ihm verglich, däuchte es mich, ich sehe ihm ähnlicher, als je. Was mochte wohl der Grund davon sein? O! dachte ich, ich habe es: sein Haar ist nicht mehr mit Grau gemischt – er muß eine Perrüke tragen. Dieß war auch, wie ich mich nachher überzeugte, wirklich der Fall. Die Farbe seiner Perrüke war jedoch viel dunkler, als die meiner Haare.

Ich schrieb Bob Croß noch mit derselben Post, theilte ihm mit, was vorgefallen war, und bat ihn, mit der nächsten Schiffsgelegenheit zu kommen, zugleich aber auch meinen Koffer und mein Bettzeug mitzubringen. Ich ging sodann nach dem Schiffsholm hinunter, um mir die Manilla zu betrachten, die, wie ich bereits gehört hatte, ein sehr schönes Fahrzeug war. Auf dem Rückwege nach meinem Hotel bestellte ich meine Mate-Uniform. Jetzt schon an Bord zu gehen, wäre nutzlos gewesen, da die Schiffssoldaten und Matrosen erst diesen Morgen gezogen worden waren und es nichts darauf zu thun gab, weil die Schiffsbauer noch an Bord und in allen Theilen beschäftigt waren. Auch der erste Lieutenant war noch nicht angelangt. Der Schiffsmeister, welcher das Wimpel aufgehißt hatte, war der einzige anwesende Offizier. Ich freute mich sehr über die Nachricht, daß er mit uns segeln würde, und wir verbrachten den Abend gemeinschaftlich.

»Ich höre,« sprach der Schiffsmeister im Laufe des Abends, »daß an verschiedenen Orten eine große Anzahl tüchtiger Männer von den Matrosenmäklern weggestaut werden. Wenn wir nur an diese Leute kommen und Hand an sie legen könnten, denn ich fürchte, daß wir andern Falls von dem Preßboote nur schlecht bemannt werden, oder eine schöne Zeit zu warten haben, ehe wir aussegeln können. Wie ist's, Keene, glauben Sie nicht, Sie könnten's einleiten, um uns einige Leute zu gewinnen?«

»Ich habe bereits einen gewonnen,« versetzte ich; »Bob Croß, des Kapitäns Beischiffführer.«

»Und dazu einen tüchtigen,« entgegnete der Schiffsmeister; »er war der beste Steuermann, den wir in der Kalliope hatten. Ihr Beide seid ja gar dicke Freunde zusammen gewesen.«

»Ja,« erwiederte ich. »Denn ich kam als bloßer Knabe an Bord, und da er sehr freundlich gegen mich war, faßte ich eine Vorliebe für ihn.«

In derselbigen Nacht machte ich mir über die vorgenannte Frage hinsichtlich der Bemannung unseres Schiffes mit guten Seeleuten einen Gedanken, wobei ich zu dem Entschlusse kam, ich wolle warten, bis Bob Croß anlange, um das Projekt, das ich ausgesonnen, mit ihm zu berathen.

Vorderhand begab ich mich indeß nach einer Trödlerbude in der Nähe des Schiffsholms und versah mich mit einem gemeinen Matrosenanzug von dem ächten und gerechten Schnitt, einem dazu passenden Hut und allen übrigen Erfordernissen. Drei Tage nachher langte Croß in einem Kutter an, und sobald er sich über seine Heirathsangelegenheiten ausgesprochen hatte, legte ich ihm meinen Plan vor, auf welchen er bereitwillig einging.

Ich hatte dabei natürlich keine andere Absicht, als dem Kapitän zu gefallen. Indeß war es nöthig, daß ich zuvor seine Erlaubniß einholte, weßhalb ich mich zu ihm begab, und ihm meinen Gedanken auseinandersetzte. Er ließ sich mit Freuden das Experiment gefallen und dankte mir für meinen Eifer.

»Gehen Sie an Bord, Mr. Keene, und melden Sie, ich habe Ihnen auf sechs Wochen Urlaub gegeben; dann können Sie Ihr Vorhaben ausführen.«

Ich gehorchte, denn es war unbedingt nöthig, daß möglichst wenig Personen Kunde von Dem erhielten, womit ich umging, da große Gefahr damit verbunden war. Ich nehme keinen Anstand, zu sagen, daß ich wohl von den Matrosenmäklern ermordet worden wäre, wenn sie mich entdeckt hätten.

Ich kleidete mich als einen gemeinen Matrosen, schwärzte mein Gesicht, machte mich, namentlich an den Händen, ein wenig schmutzig, und begab mich Abends mit Croß in eines der gemeinen Wirthshäuser, deren die Stadt die Fülle hat. Wir thaten, als hätten wir große Angst vor dem Preßzwange und fragten nach einen Hinterstübchen, in dem wir trinken und rauchen könnten. Dem Wirth erzählten wir, wir seien zweite Maten auf Schiffen, und vor dem Pressen nicht sicher; unsere Fahrzeuge hätten Schaden genommen, weßhalb die Mannschaft entlassen worden; wir seien nie zuvor in Plymouth gewesen, und möchten daher wissen, ob nicht ein geborgenes Plätzchen zu finden wäre, wo wir uns aufhalten könnten, bis wir ein anderes fahrfertiges Schiff auftrieben.

Er versetzte, daß zu Stonehouse ein Haus sei, wo wir vollkommen sicher wären, wir müßten aber natürlich die Mäkler für Kost und Wohnung gut bezahlen, und dann würden sie uns Schiffe ganz nach unserem Belieben verschaffen; dafür, daß wir dort hingebracht würden, sollten wir aber auch ihm noch ein Schönes blechen. Wir ließen uns dieß gefallen und brachen um Mitternacht mit unserem Wirthe auf. Jeder von uns trug sein Bündel, und in weniger als einer Stunde langten wir auf einem von der Straße abgelegenen Pachthofe an.

Nach kurzem Parlamentiren erhielten wir Einlaß und kamen dann in ein kleines Zimmer, wo der Mäkler uns fragte, wie viel wir Geld hätten, und dann uns mittheilte, wie hoch sich seine Anrechnungen beliefen. Er that dieß aus dem einfachen Grunde, weil er uns in dem Falle, daß wir nur sehr wenig oder gar kein Geld hatten, gar bald an Bord eines Schiffes geschafft und von dem Kapitän als Entschädigung einen Vorschuß von unserem Lohn genommen haben würde; waren wir dagegen hinreichend bei Gelde, so wollte er uns ausbeuten, so lange es ging. Man kann sich denken, daß seine Anrechnungen ungeheuer waren, und wir hatten ihm geantwortet, daß wir nur sehr wenig Geld besäßen. Wir versuchten jedoch, so gleichgültig als möglich auszusehen, ließen uns Alles gefallen, zahlten dem Wirthe für sein Geleit nach diesem Hause eine Guinee, und wurden dann in ein großes Zimmer geführt, wo wir ungefähr zwanzig Matrosen fanden, die an einem langen Tische saßen, tranken, sich mit Domino unterhielten und Karten spielten.

Sie schienen nicht auf uns zu achten, sondern waren emsig mit sich selbst oder ihrem Spiele beschäftigt. Croß ließ sich einen Krug Ale reichen und wir nahmen an dem untersten Ende des Tisches Platz.

»Welch' einen Widerwillen doch die Leute vor dem Pressen haben müssen,« sagte Croß zu mir, »daß Sie sich lieber hier einsperren lassen!«

»Ja, und sich noch obendrein den Betrügereien eines solchen Schuftes, als der Mäkler zu sein scheint, auszusetzen.«

»Sprich nicht so laut, Jack,« versetzte Croß, denn ich hatte ihm aufgetragen, mich Jack zu nennen, da wir nicht wissen konnten, ob es nicht Horcher gab.

Wir wünschten sodann zu Bette zu gehen, und wurden von dem Mäkler nach einem Zimmer gewiesen, in welchem sich ungefähr vierzehn Betten befanden.

»Unter diesen fünfen habt Ihr die Wahl,« sagte er, indem er auf diejenigen in der Nähe der Thüre deutete. »Ich komme dann wieder und nehme das Licht weg.«

Wir fanden, daß einige der übrigen Betten besetzt waren, weßhalb wir unser Gespräch nicht wieder ausnahmen, sondern schlafen gingen.

Des andern Morgens fanden wir bei unserer Musterung ungefähr fünfunddreißig Köpfe, denn viele von den kräftigeren Burschen hatten sich vor unserer Ankunft schon zu Bette begeben. Nach dem Frühstück knüpften Croß und ich mit zwei Matrosen ein Gespräch an, und holten sie gar geschickt aus. Unser Hauptzweck war, Erkundigungen über die übrigen Matrosenmäkler einzuziehen, und da die beiden die meisten derselben kannten, weil sie selbst sich nach ihren Reisen stets in derartigen Häusern einzufinden pflegten, so erhielten wir Auskunft über fünf oder sechs so betitelte Wirthshäuser, welche zu Bergung der Matrosen Hintergebäude hatten. Wir notirten uns die Angaben auf's Sorgfältigste.

Nachdem wir etwas bekannter geworden, sprachen die Matrosen von der Beschwerlichkeit ihrer Gefangenschaft und legten uns viele Fragen vor. Wir gaben uns für Deserteure auf einem Kriegsschiff aus und hatten nun hundert Fragen über unsere Behandlung zu beantworten. Ich ließ Bob Croß das Wort führen, was er auch in sehr verständiger Weise that. Er sagte ihnen, Alles hinge von den Kapitänen und den ersten Lieutenants, die an Bord wären, ab; er sei selbst zweimal gepreßt worden; das erstemal habe er's gut genug gehabt, und in acht Monaten zweihundert Pfund Prisengeld verdient; auf dem letzten Kriegsschiff sei es ihm jedoch gar nicht nach Wunsche gegangen, weßhalb er Reißaus genommen habe. Im Ganzen schilderte er den Dienst mit weit günstigeren Farben, als die Matrosen sich denselben gedacht hatten, obgleich der daneben stehende Mäkler alles Mögliche that, um ihnen das Gegentheil einzureden.

Wir blieben mehr als eine Woche in diesem Haus und erklärten sodann, wir müßten ein Schiff aufsuchen, da wir kein Geld mehr hätten. Der Mäkler sagte, er habe eine Stelle für einen von uns als zweiten Mate auf einer Brigg, und ich erklärte mich bereit, sie anzunehmen, indem ich es Bob Croß überließ, so bald als möglich für sich selbst einen Posten zu kriegen. Da wir unsere Rechnung ganz getilgt hatten, war keine Forderung mehr an die Schiffseigenthümer zu machen, und es wurde verabredet, daß ich Morgens um drei Uhr mich an einem gewissen Kai einfinden sollte, wo ein Boot meiner harren würde. Ich blieb mit Bob Croß auf, und als die Glocke zwei Uhr schlug, ließ mich der Mäkler hinaus. Er erbot sich nicht, mit mir zu gehen, weil er kein Geld zu empfangen hatte, und da es pechfinstere Nacht war, so stand nicht wohl zu erwarten, daß ich zu solcher Stunde einem Preßgange in die Hände fiele. Ich sagte Croß Lebewohl und brach mit meinem Stock und Bündel nach Plymouthdock auf.

Da ich nicht wußte, wo ich zu solcher Stunde hingehen sollte, spazierte ich umher und forschte nach, ob ich nirgends Licht entdecken konnte. Endlich bemerkte ich durch die Ladenspalten eines kleinen Bierhauses einen Schein, weßhalb ich an die Thüre klopfte: sie wurde geöffnet, ich eingelassen und die Thüre unmittelbar hinter mir wieder geschlossen. Da fand ich mich auf einmal in der Gesellschaft mehrerer Seesoldaten mit Seitengewehren und einiger mit Hirschfängern bewaffneter Matrosen. Ein Offizier sprang von seinem Sitze auf, packte mich am Kragen und rief: »Du bist gerade der Rechte, den wir brauchen. Wir haben gut Glück heute Nacht.« Ich befand mich in den Händen eines Preßgangs und war jetzt selbst gepreßt.

»Ja, der ist recht; er wird einen kapitalen Burschen für das große Mars geben,« sagte ein herankommender Midshipman, nachdem er mich gemustert hatte.

Ich sah ihn an und erkannte meinen alten Kameraden Mr. Tommy Dott, nur um ein hübsches herangewachsen. Ich bemerkte, daß er mich nicht kannte.

»Aber, Sir,« sagte ich zu dem Offizier des Trupps, welcher so verkleidet war, daß ich seinen Rang nicht zu unterscheiden vermochte, »angenommen, ich gehöre bereits zu einem Kriegsschiff?«

»Das ist nicht der Fall; oder wenn es sich so verhält, so mußt du ein Deserteur sein, mein guter Bursche – das erhellt aus deinem Stock und Bündel. Nun, setze dich nieder, und trink' etwas Bier, wenn du Lust hast. Du wirst auf einer schönen Fregatte Dienste thun und kannst dir's wohl noch ein Stündchen behaglich machen, denn wir gehen noch nicht an Bord.« Ich entschloß mich, des Spaßes wegen, mein Inkognito beizubehalten. Dann fiel mir aber ein, es könnte, wenn ich mich nicht an Bord des bedungenen Schiffes stellte, zu Erörterungen gegen den Mäkler kommen, und daraus Besorgnisse entstehen, in deren Folge sich die Leute zerstreuen dürften. Es war noch zwei Stunden bis zum Tag, und wenn wir genug Mannschaft für einen Preßgang hatten, so konnten wir uns noch vor dem Grauen des Tages aller Leute in Stonehouse versichern.

Ich war eben über meine weiteren Schritte mit mir einig geworden, als ich außen an der Thüre ein Stampfen und Klopfen vernahm. Es wurde geöffnet, und eine andere Abtheilung des Preßganges, von einem zweiten Offizier geführt, trat ein. Ich zählte die Köpfe und fand, daß die vereinigte Macht jetzt dreißig Mann stark war – ihrer Bewaffnung wegen völlig hinreichend, um sich aller meiner früheren Kameraden zu bemächtigen. Ich ging daher zu dem Offizier und bat ihn um ein geheimes Gespräch, in welchem ich ihm mittheilte, daß ich eben von dem Hause eines Matrosenmäklers in der Nähe von Stonehouse komme, wo ich fünfunddreißig so schöne Leute, als nur je welche über eine Planke gelaufen, in ihren Betten gelassen hätte. Da ich selbst gepreßt sei, so mache ich mir nichts daraus, zu sagen, wo sie wären, und man könne daselbst alle aufgreifen.

Der Offizier warf die Lippen auf, als wollte er sagen: »Du bist ein feiner Hallunke, daß du deine Kameraden verrathen kannst,« entschloß sich aber, sogleich darnach zu handeln. Ohne sich über sein Vorhaben weiter auszulassen, ließ er sämmtliche Mannschaft vor dem Hause antreten, überantwortete mich zwei Seesoldaten, damit ich nicht entrinnen möge, und befahl mir sodann, voranzugehen. Ich gehorchte, und wir zogen schweigend weiter, bis wir in der Nähe des Hauses anlangten. Ich machte den Offizier darauf aufmerksam, daß es umzingelt werden müsse, weil die Matrosen sonst entwischen würden; auch habe man große Sorgfalt dabei zu beobachten, da ein großer Hund vor dem Hause sei, der zuverlässig Lärm machen würde. Man leistete meinem Rathe Folge, und nachdem jedem sein Posten angewiesen war, rückte der ganze Haufen langsam gegen das Haus vor. Der Hund begann, wie ich vorausgesetzt hatte, zu bellen, und als bald nachher der Mäkler den Kopf durch das Fenster steckte, bemerkte er, daß der Preßgang unten war. Indeß erwiesen sich alle Versuche, einen Eingang zu erzwingen, vergeblich, da alle Thüren und Fenster unten mit guten Riegeln und eisernen Gittern verwahrt waren.

»Gibt's keinen Weg, in diese Höhle zu gelangen?« fragte mich der Offizier.

»Ich will's einmal probiren, Sir.«

Da Bob Croß einen andern Namen angenommen hatte, so wußte ich wohl, daß ich nichts wagte, wenn ich ihn bei seinem eigentlichen rief. Ich bat daher den Offizier, Befehl zum Stillschweigen zu ertheilen, und als Folge hierauf geleistet wurde, rief ich aus:

»Bob Croß! Bob Croß!! Wo ist Bob Croß?«

Hierauf ging ich nach der kleinen Thüre an der Seite des Hauses, welche zu der Schlafstätte führte, und rief wieder:

»Bob Croß! – Wo ist Bob Croß?«

Ich bemerkte sodann dem Offizier, daß wir jetzt geduldig warten müßten, und daß es nur um so besser sei, wenn der Tag anbreche, ehe wir hineinkämen.

Ich behielt meinen Posten an der kleinen Thüre bei, und ungefähr zehn Minuten später hörte ich die Riegel leise zurückschieben. Jetzt forderte ich den Offizier auf, einen Versuch zu machen, um die Thüre einzubrechen, die dann auch alsbald der Gewalt wich.

»Jetzt, Sir, stellen Sie eine Schildwache an die andere Thüre, damit Niemand durch dieselbe entkomme; auch werden fünf oder sechs Leute nöthig sein, um diejenigen aufzufangen, welche etwa aus den obern Fenstern herausspringen. Mit dem Reste Ihres Haufens mögen Sie in's Haus dringen.«

»Jedenfalls wirst du wissen, was du beginnst,« sagte er, als er die von mir angedeuteten Weisungen gab und mit dem Reste seiner Mannschaft eindrang, demungeachtet aber nicht vergaß, einen Seesoldaten bei mir zurückzulassen, der mich, in der andern Hand das gezogene Bajonet, an dem Arme hielt.

Der Kampf drinnen war heftig und dauerte geraume Zeit. Endlich gewann jedoch die bewaffnete Macht, trotz ihrer Minderzahl, die Oberhand, und die Matrosen wurden, einer nach dem andern, herausgebracht, um der Bewachung der Schiffssoldaten übergeben zu werden, bis sie sämmtlich in ihren Schlupfwinkeln entdeckt und festgenommen waren.

Der Morgen dämmerte herauf, und es war jetzt Zeit, abzuziehen. Der größeren Sicherheit wegen band man die Gepreßten paarweise mit Seilen zusammen, welche man zu diesem Zwecke mitgenommen hatte. Bob Croß, der sich natürlich nicht in den Kampf gemischt hatte, gab mir einen Wink der Wiedererkennung, und wir zogen so schnell weiter, als es mit den etwas störrigen Gefangenen gehen wollte. Jedenfalls war es keine gar lustige Procession, denn obgleich keine gefährlichen Wunden gefallen, so war doch unter dem ganzen, über sechszig Mann starken Haufen nicht ein Einziger, der nicht blutete. Auf dem ganzen Wege wurde kaum ein Wort gewechselt. Man schaffte uns in die Boote und ruderte uns nach dem Holk, welcher der Fregattenmannschaft zugewiesen war, bis die Manilla selbst ihre Takelage hatte; und sobald wir an Bord waren, wurden wir der Bewachung von Schildwachen übergeben.

»Was? Ihr auch da?« fragte einer der Gepreßten.

»Ja,« versetzte ich. »Ich wurde aufgegriffen, als ich in letzter Nacht nach dem Schiffe gehen wollte.«

Der Mäkler, welcher mit den Uebrigen an Bord gebracht worden, stürzte jetzt hervor und rief:

»Ich will darauf schwören, daß uns dieser verrathen hat.«

»Ihr mögt meinetwegen schwören, wenn Ihr Lust dazu habt,« entgegnete ich. »Jedenfalls wird's Euch nichts nützen und mir nichts schaden.«

Der Mäkler sprach mit den Uebrigen, und nun wandte sich der Unwille von Allen gegen mich. Die Meisten betheuerten, sie wollten quitt mit mir werden, und ich solle es ihnen bei nächster Gelegenheit mit dem Leben bezahlen. In der That konnten sie auch kaum zurückgehalten werden, sich an mir zu vergreifen; und obgleich Bob Croß die Schildwache rief, welche mit dem Bajonet den Vermittler machte, so fuhren sie doch fort, mir die Faust unter die Nase zu halten und mich mit ihrer Rache zu bedrohen.

»Ich hab' euch ja gesagt, Jungen,« bedeutete ihnen Bob Croß, »daß ich schon früher an Bord eines Kriegsschiffes gewesen bin. Seht daher wohl zu, was ihr thut, denn ihr könntet's sonst bereuen. Jedenfalls kann derjenige, welcher ihn anrührt, darauf rechnen, daß ihm noch vor morgen Früh fünf Dutzend an der Laufplanke aufgemessen werden.«

Dieß machte die armen Teufel ruhiger. Die Meisten davon legten sich nieder und versuchten ihr Elend wegzuschlafen.

»Warum geben Sie sich nicht zu erkennen, Mr. Keene?« fragte mich Croß flüsternd. »Ich hab' den Schiffsmeister eben nach der Schanze gehen sehen.«

»Es ist, glaube ich, besser, wenn's ich's zur Zeit noch unterlasse, denn es gibt noch mehr Häuser zu visitiren, und wenn mein Streich bekannt würde, so stünde zu erwarten, daß die Weiber Wind davon kriegten und die Mäkler mir auflauerten, vielleicht mich gar ermordeten. Der Kapitän wird ohne Zweifel um zehn Uhr an Bord kommen, und dann will ich's einzuleiten suchen, daß ich ihn zu sprechen kriege.«

»Dem Schiffsmeister können's aber doch trauen – warum ihn nicht in den Handel einweihen?«

»Ich will darüber nachdenken; doch hat's vor der Hand noch keine Eile.«

Da ich fürchtete, Tommy Dott möchte mich erkennen, so ging ich ihm möglichst aus dem Wege.

»Ich will Ihnen 'was sagen, Sir – da ich vorher nicht am Schiffe gewesen, so könnt' ich wohl die Vermuthung unterstützen, daß ich mit den Uebrigen gepreßt worden sei, und daher nach Mr. Dott schicken und mich ihm zu erkennen geben. Der kommandirende Offizier wird natürlich nach mir schicken; man schreibt mich ein, gestattet mir, frei umher zu gehen, und dann kann ich den Kapitän sprechen, sobald er an Bord kömmt.«

»Nun, das ist kein übler Gedanke. Sprechen Sie mit der Schildwache.«

»Wer ist der Kapitän dieses Schiffes, Schildwache?« fragte Bob Croß.

»Kapitän Delmar.«

»Delmar? – Ei, das ist ja mein alter Kapitän. Hab' ich nicht einen Midshipman, Namens Dott, gesehen?«

»Ja, es ist ein Mr. Dott an Bord.«

»Gut; so möcht' ich doch, daß Ihr Mr. Dott meldetet, einer von der gepreßten Mannschaft wünsche ihn zu sprechen.«

Die Schildwache erfüllte mein Verlangen, und Mr. Dott kam herunter.

»Wie geht's Ihnen, Mr. Dott?« fragte Bob Croß, während ich mich abwandte.

»Was, Sie sind's, Croß? Sind Sie auch gepreßt worden?«

»Ja, Sir – da ist nichts zu ändern. Freut mich nur, wieder mit Ihnen zu segeln, Sir. Was ist aus Mr. Keene geworden?«

»O, ich weiß nicht; wenn er aber nicht in der Zwischenzeit gehangen wurde, so glaube ich, daß er gleichfalls auf unserem Schiff Dienste nehmen wird.«

Sollte ich dich nicht dafür am Ohr zupfen? dachte ich.

»Welche andere Offiziere haben wir von der Kalliope, Sir?«

»Den Schiffsmeister Mr. Smith und den Wundarzt.«

»Nun, Mr. Dott, man muß immer aus der Noth eine Tugend machen. Sagen Sie Mr. Smith, er soll mich für das Schiff eintragen; ich wolle meinen Namen lieber gleich unterschreiben, als daß ich mich so lange hier einpferchen lasse.«

»Recht so, Croß; und ich sage euch, ihr Bursche, ihr thätet besser, seinem guten Beispiele zu folgen. Schildwache, ich nehme diesen Mann mit.«

Bob Croß folgte sodann Tommy Dott und wurde in die Dienstliste eingetragen. Der Schiffsmeister freute sich sehr, ihn wieder zu sehen, und bemerkte gegen ihn, ich habe ihm bereits davon gesagt, daß er mir versprochen habe, sich der Manilla anzuschließen.

»Je nun, Sir, das hat wohl seine Richtigkeit, aber es ist eine lange Geschichte. Im Grunde läuft's ganz auf's Gleiche hinaus. Da bin ich einmal und hoffe, meine alte Stelle wieder zu erhalten.«

Bald nachher kam Bob Croß herunter und sagte:

»Nun, meine Jungen, ich bin jetzt frei, und ich rathe euch Allen, es zu machen wie ich. Na, Jack,« sprach er gegen mich, »was meinst du dazu?«

»Nichts, nichts,« versetzte ich; »ich lasse es wohl bleiben, wenn's nicht alle Andern auch thun.«

Bob nahm mich jetzt bei Seite, theilte mir mit, was vorgefallen, und fragte mich, was er dem Kapitän sagen solle. Nachdem ich ihm die nöthige Weisung ertheilt, trennten wir uns.

Um zehn Uhr kam der Kapitän an Bord. Bob Croß stellte sich ihm vor und sagte ihm, er habe ihm etwas in der Kajüte mitzutheilen. Der Kapitän begab sich hinunter, und nun eröffnete ihm Bob, daß ich unter der gepreßten Mannschaft sei, mich aber noch nicht zu erkennen geben wolle, damit meine List nicht ruchbar werde, da ich im Besitz der Mittel sei, noch weitere Matrosen aufzutreiben; auch sei ich der Ansicht, man solle den Mäkler an Bord behalten, obgleich man ihn nicht zum Matrosen brauchen könne.

»Mr. Keene hat sich sehr klug benommen,« versetzte Kapitän Delmar. »Ich begreife seine Beweggründe; das Uebrige mag er mir überlassen.«

Einige Minuten nachher theilte mir Bob mit, was der Kapitän gesagt hatte. Die gepreßte Mannschaft wurde hinauf beordert und vor der Schanze aufgestellt. Ich sah nie eine hübschere Reihe von Leuten bei einander: sie schienen sammt und sonders äußerst tüchtige Seeleute zu sein, und erwiesen sich nachher auch als solche. Der Kapitän rief einen nach dem andern auf, und stellte die üblichen Fragen. Dann rieth er ihnen, sie sollten freiwillig eintreten, was jedoch verweigert wurde. Der Mäkler bat auf's Dringendste um seine Befreiung. Die Namen wurden insgesammt in die Schiffsliste eingetragen.

Jetzt wandte sich der Kapitän an mich – denn ich war der Letzte in der Reihe – und sprach:

»Dem Vernehmen nach hat Euch der Offizier des Preßganges versprochen, er wolle Euch loslassen, wenn Ihr ihm sagen würdet, wo Eure Kameraden wären. Ich verliere einen tüchtigen Mann zwar ungerne, will Euch aber doch in Maßgabe des gegebenen Versprechens ziehen lassen. Ihr könnt ein Boot nehmen und an's Land gehen.«

»Danke Euer Gnaden,« versetzte ich.

Ich begab mich sodann alsbald nach der Laufplanke, werde aber nie die Gesichter der Gepreßten vergessen, als ich an ihnen vorbeiging: sie schnitten Gesichter, als hätten sie gute Lust, mich tausendmal todtzuschlagen, wenn ich im Besitze so vieler Leben gewesen wäre.

Ich ging an's Land, begab mich nach meinem Hotel, wusch mir die Farbe und den Schmutz von meinem Gesichte, kleidete mich in meine Mate-Uniform und verfügte mich nach dem Gasthause, wo der Kapitän wohnte. Ich fand, daß er eben angelangt war, und wurde auf meine Meldung alsbald vorgelassen. Nun theilte ich ihm die Nachrichten mit, die ich hinsichtlich der weitern neun oder zehn Häuser eingeholt hatte, und meinte sodann, ich könne jetzt wohl wieder an Bord gehen, ohne befürchten zu müssen, daß ich erkannt werde.

»Sie haben die Sache ganz herrlich eingeleitet,« entgegnete Kapitän Delmar; »wir haben einen trefflichen Fang gemacht. Indeß halte ich es für besser, daß Sie noch nicht an Bord gehen. Ich will den Preßgang für diesen Abend an Sie weisen und unter Ihren Befehl stellen.«

Ich verbeugte mich und verließ das Zimmer.

Den nächsten Abend und mehrere darauffolgende kam der Preßgang an's Land, und in Folge der von mir eingeholten Nachrichten gelang es uns, im Laufe von vierzehn Tagen mehr als zweihundert gute Matrosen zusammen zu bringen. Sie wehrten sich zwar mitunter ganz verzweifelt, denn da ein Mäklerhaus nach dem andern bestürmt wurde, so konnten sie sich gar nicht denken, wie es zuging, daß sie entdeckt wurden, und hatten sich daher großentheils vorgesehen. Auch waren bei den letzten drei Fängen die Matrosen der Kauffahrer bewaffnet; aber obgleich es zu sehr hartnäckigen Kämpfen kam, und mitunter schwere Wunden fielen, so ging doch kein Menschenleben dabei verloren.

Nachdem ich nun das, was ich erkundet, gänzlich ausgebeutet hatte, blieb mir nichts Weiteres übrig, als an Bord zu gehen, wo ich von dem Schiffsmeister und den übrigen Offizieren, welche schon vorher zu meinen Gunsten eingenommen waren, auf's Freundlichste bewillkommnet wurde. Dieß war also das glückliche Ergebniß meines Planes. Den Mäkler ließen wir nicht wieder an's Land; er wurde an eine Kanonenbrigg abgegeben, dessen Kapitän im Rufe einer grausam strengen Mannszucht stand, und seinem Charakter nach zweifle ich nicht, daß er Wort hielt, wenn er zu Kapitän Delmar sagte, er wolle ihm das Schiff zu einer Hölle machen.

»Geschieht ihm auch ganz Recht,« meinte Bob Croß, als er davon hörte, »denn diese Schufte nehmen den Matrosen ein schreckliches Geld ab, Mr. Keene. Die armen Teufel! Wenn sie sich durch die harte Arbeit mehrerer Jahre Etwas verdient haben, so lassen sie sich in einem Mäklerhause gefangen halten, bis sie ihr Geld verjubilirt haben, oder vielmehr darum betrogen sind. Diese Kerle sind's, welche durch die Gerüchte, die sie über die englische Marine verbreiten, die armen Bursche so einschüchtern: denn man hört bei ihnen von nichts, als von Matrosen, die bis auf den Tod gepeitscht wurden, und was dergleichen Lügen mehr sind. Als ob's nicht schon genug wäre, daß die Meister der Kauffahrteischiffe Allem aufbieten, um die englische Marine herunterzusetzen, und sogar den Matrosen zur Strafe für üble Aufführung drohen, sie an Bord eines Kriegsschiffes zu bringen, um Vorurtheile gegen des Königs Dienst zu wecken! Nun kann ich aber mit gutem Gewissen schwören, Sir, daß es an Bord eines Kauffahrers weit mehr Grausamkeit und Unterdrückung, üble Behandlung und harte Arbeit gibt, als auf Kriegsschiffen. Woher kommt das? Weil der Meister eines Kauffahrers durchaus nicht beaufsichtigt ist, während sich der Kapitän eines Kriegsschiffes streng an sein Dienstreglement halten muß, und sich nicht unterstehen darf, dagegen zu verstoßen. Wir lesen viele Berichte in den Zeitungen über die üble Behandlung, welche an Bord der Kauffahrteischiffe geübt wird, und hört doch nur etwa den neunundneunzigsten Theil davon, denn der Matros' hat 'was Anderes zu thun, als sich vor Gericht die Beine müd' zu laufen, und wenn er mit seiner Löhnung in der Tasche das Schiff verläßt, so sucht er keine Rache, sondern will sich eben lustig machen, und vergißt darüber, was ihm wiederfahren ist. Ich sage nochmal, dem Mäkler geschieht's recht, und ich hoffe, er kömmt für jedes Pfund, das er den armen Matrosen gestohlen hat, unter die Peitsche.«

Ich muß dem Leser noch bemerken, daß fast die Gesammtmasse der Gepreßten, wie es gewöhnlich der Fall ist, sich mit der Zeit heranließ, in Dienst zu treten, und als sie nachher erfuhren, daß ich es gewesen war, der ihnen diesen Streich gespielt hatte, trugen sie mir den Haß, den sie Anfangs so entschieden gegen mich ausgesprochen hatten, durchaus nicht nach, sondern lachten selbst über meinen guten Gedanken, und waren mir sogar mehr zugethan, als irgend einem andern der Offiziere.

Unsere Fregatte war jetzt gut bemannt und beinahe segelfertig. Ich schrieb meiner Mutter und gab ihr die Hauptpunkte eines Briefes an, den sie an Kapitän Delmar senden sollte. Ein paar Tage nachher erhielt ich Antwort summt dem Concept des an den Kapitän gerichteten Schreibens, welches dahin lautete, daß ich nun zum zweiten Male ausfahre, und daß sie vielleicht mich oder den Kapitän Delmar nie wieder sehen werde; sie wünsche ihm Glück und alles Gute, bitte ihn aber, im Falle sie abgerufen würde, seines ihr gegebenen Versprechens und der ihm gebrachten Opfer nicht zu vergessen. Sie lebe übrigens des zuversichtlichen Vertrauens, daß er für mich und mein Glück Sorge tragen werde, und dieß vielleicht um so mehr, wenn es um ihres Andenkens willen geschehe, als wenn sie lebe, um meine Ansprüche an ihn geltend zu machen.

Der Brief wurde Kapitän Delmar übergeben, als er sich eben auf der Schanze befand; er ging damit hinunter und kam bald darauf wieder zurück, ohne daß sich jedoch eine Spur von Rührung oder Bewegung an ihm hätte bemerken können. Ansprüche wegen früherer Dienstleistungen, mögen sie nun an das Vaterland oder an Individuen gemacht werden, erfreuen sich selten einer günstigen Aufnahme; man benimmt sich dagegen, wie bei den Wirthsrechnungen, bei denen man, wenn die Freude genossen, an jedem einzelnen Pöstchen gerne mäckeln möchte – ainsi va le monde.

In Mutton Cove ging das Gerede, unser Schiff, das versiegelte Befehle führte, habe nach Westindien zu fahren. Dieß war nicht nach des Kapitäns Wunsche, da er der Wendekreise bereits satt hatte. Als er aber seine Aufträge eröffnete, fand er, daß er zu Mutton Cove wirklich recht berichtet worden war, und daß er den Auftrag hatte, den dortigen Stationsadmiral so bald wie möglich aufzusuchen.

Wir strengten uns Tag und Nacht an, und da die Manilla eine vortreffliche Seglerin war, so befanden wir uns sehr bald in der Carlisle-Bai von Barbadoes, wo wir den Admiral mit sechs Linienschiffen und einigen kleineren Fahrzeugen antrafen. Sobald die Depeschen von dem Admiral geöffnet waren, wurden sowohl uns als den anderen kleineren Schiffen die Signale angewiesen, und noch vor Abend hatten wir unsere Leinwand nach allen Richtungen ausgebreitet, denn wir sollten die ganze disponible Streitmacht nach Carlisle-Bai zusammenberufen. Daraus ersahen wir wohl, daß etwas Großes im Werke war, ohne daß wir uns übrigens hätten denken können, was es eigentlich betraf. Unsere Befehle lauteten, nach Halifax zu segeln, wo wir nach einer sehr kurzen Fahrt anlangten und zwei Fregatten antrafen, denen wir unsere Instructionen übermachten. Nachdem wir vierundzwanzig Stunden verweilt, kehrten wir gemeinschaftlich mit ihnen nach Barbadoes zurück. Bei unserer Ankunft fanden wir die Bai mit Schiffen überfüllt: wir zählten achtundzwanzig Wimpelschiffe und eine Masse Transportfahrzeuge, die zusammen an zehntausend Mann Truppen bargen. Drei Tage nachher wurde das Signal gegeben die Anker zu lichten, und die ganze Flotte verließ die Carlisle-Bai, um nach Martinique zu steuern, denn jetzt war es kein Geheimniß mehr, daß die Insel der Gegenstand unserer Expedition war. Am dritten Tage langten wir an der Insel an und schifften unsere Truppen an zwei Punkten aus, natürlich einem kräftigen Widerstand entgegensehend. Letzterer fand jedoch zu unserer großen Ueberraschung nicht statt, denn die Milizen der Insel, die aus Sklaven bestanden und uns entgegenziehen sollten, waren nicht der Ansicht, daß Sklaverei eben so gut eines Kampfes werth sei, als die Freiheit, und gingen daher ganz ruhig wieder nach Hause, dem Gouverneur und den regulären Truppen die Entscheidung der Frage überlassend, ob die Insel in Zukunft Frankreich oder England gehören sollte. An den zwei nächstfolgenden Tagen kam es jedoch zu heißem Kampfe, und unsere Truppen erlitten, trotz ihrer Fortschritte, einen bedeutenden Verlust. Die Franzosen zogen sich von den vorgeschobenen Posten nach dem Fort Dessaix zurück, und wir besetzten die Festung an dem Point Salomon.

Der nächste Punkt, der nun angegriffen werden sollte, war Pigorn-Island, und hier wurde das Matrosenvolk mit in Tätigkeit gezogen. Wir sollten die Karronaden und Mörser auf einen fast unzugänglichen Berg schaffen, was uns auch gelang, obschon sehr zur Ueberraschung der Truppen, die es kaum glauben konnten, als die Batterie ihr Feuer eröffnete. Nach einer scharfen Kanonade von zehn Stunden ergab sich Pigorn-Island, worauf der Admiral in Fort-Royal-Bai einzog und die Flotte vor Anker legte, obgleich dieß nicht zeitig genug geschah, um die Franzosen an Verbrennung der im Hafen befindlichen Fregatten zu verhindern. Einige Tage nachher fiel auch die Stadt Saint-Pierre und Fort-Royal; nur das Fort Dessaix hielt sich noch. Mehr als eine Woche waren wir emsig beschäftigt, Batterien aufzuwerfen und schweres Geschütz an das Land zu schaffen. Sobald Alles bereit war, begann die Beschießung des Forts Dessaix, und fünf Tage nachher kapitulirten die Franzosen, was die förmliche Uebergabe der Insel an die Engländer zur Folge hatte.

Ich habe diese Wegnahme nur ganz flüchtig behandelt, da ihre Einzelnheiten schon oftmals geschildert worden sind. Ich kann weiter nichts sagen, als daß die Matrosen harte Arbeit hatten und ihr redlich Theil dabei mitwirkten; um der eigentümlichen Natur des Dienstes willen fand jedoch ein Vorfall statt, der mir von großer Wichtigkeit war. Es wurde vorhin bemerkt, daß es den Matrosen oblag, die Kanonen, Mörser u. s. w. an's Land und auf die Stückbettungen zu schaffen, und sie mühten sich dabei in der Sonnenhitze ab, wie Sklaven, während die Truppen ganz ruhig vor dem Fort liegen blieben. Dagegen ließ sich allerdings kein Einwurf erheben, und die Seeleute arbeiteten auch sehr bereitwillig; aber der Generalstab und die Adjutanten, welche befehlend hin und her ritten, waren nicht ganz so höflich, als sie hätten sein sollen – das heißt, einige davon – was ein gewisses Gefühl von Verdruß und Widerwillen zur Folge hatte.

Die jüngeren Flottenoffiziere und die Lieutenants, welche erübrigt werden konnten, um den Dienst der Matrosen am Lande zu leiten, erhielten hin und wieder von einigen Truppenoffizieren sehr harte Reden, und ermangelten auch nicht, denen, welche sie nicht für berechtigt hielten, ihnen zu befehlen, entsprechende Antworten zu geben. Man führte deßhalb wiederholte Beschwerde bei den Kapitänen der Kriegsschiffe, und bei geeigneter Nachforschung lief das Ganze gewöhnlich darauf hinaus, daß die Kapitäne ihre Offiziere vertheidigten, und die Herren vom Militär keine Genugthuung erhielten. Freilich hatte man während des aktiven Dienstes keine Zeit, derartige Reibungen besonders zu beachten; sie wurden jedoch auch nach der Uebergabe der Insel noch fortgesetzt.

Ein paar Tage nach der Eroberung der Insel wurden die Gefangenen und die Truppen eingeschifft. Die Flotte segelte ab, und eine hinreichende Garnison blieb zur Vertheidigung der Erwerbung an Ort und Stelle. Der Admiral hielt es gleichfalls für passend, zwei oder drei Kriegsschiffe im Hafen zu lassen, unter die auch unsere Fregatte gehörte. Wir standen bald mit den französischen Einwohnern auf gutem Fuße, und besuchten ihre Bälle und Gesellschaften; sobald sich aber Matrosen und Soldaten in den Branntweinkneipen trafen, kam es zu Streit über die Frage, ob erstere oder letztere am meisten zu der Eroberung beigetragen hätten. Wo Leute zum Trunke geneigt sind, wird dieß immer der Fall sein. Es kam zu unterschiedlichen Scharmützeln, in welchem es nicht ohne schwere Verletzungen ablief, und endlich wurde es den Matrosen verboten, an's Land zu gehen. Wenn es zu einem Streite kam, war es freilich ein zu ungleicher Kampf, da die Soldaten ihre Bajonette führten und das Schiffsvolk unbewaffnet war. Uebrigens griff die Abneigung um sich und steckte zuletzt auch die Offiziere an.

Die Folge davon war eine Herausforderung, die ein Adjutant an einen Fregattenkapitän ergehen ließ. Sie wurde angenommen, aber eine Stunde nachher kriegte der Kapitän ein Fieber, so daß er des anderen Tages, als das Duell stattfinden sollte, sein Bett nicht verlassen konnte, und der Herr vom Militär fand, als er auf dem Wahlplatze erschien, statt des Gegners eine Entschuldigung. Ob man nun wirklich glaubte, daß jenes Fieber eine bloße Ausrede war, um den Zweikampf zu vermeiden, oder ob die herrschende Feindseligkeit zu einem derartigen Gerüchte Anlaß gab, weiß ich nicht; indeß ist so viel gewiß, daß der Vorfall viele Hohnreden von Seite des Militärs, und demnach auch große Entrüstung von Seiten der Flottenoffiziere zur Folge hatte. Letztere hatten gute Lust, an's Land zu gehen und jeden rothröckigen Offizier, der ihnen begegnete, zu beleidigen; sobald jedoch diese Aufregung bekannt wurde, durfte kein Urlaub mehr ertheilt werden.

Kapitän Delmar, der kommandirende Offizier der drei Schiffe, hatte sich am Lande einquartirt und Allem aufgeboten, um die Fortdauer der leidigen Spannung zu unterdrücken. Er war dabei mit viel Nachsicht und Verstand verfahren, mußte aber zufälliger Weise einmal mit einigen vom Generalstab in Gesellschaft sein, bei welcher Gelegenheit man sich Bemerkungen über das Benehmen des fieberkranken Flottenkapitäns erlaubte, die er sich nicht gefallen lassen konnte. Er zog die Anschuldigung geradezu in Abrede, und die Folge davon war, daß es zu Worten kam, welche keine andere Wahl zuließen, als ein Duell.

Dieß geschah Montag Nachts, und da es schon zu spät war, so kam man überein, daß die feindliche Begegnung des andern Abends um Sonnenuntergang stattfinden solle. Ich glaube, Kapitän Delmar hatte es so vorgeschlagen, weil er seinen Gegner als einen Raufbold von Profession kannte, und er vor dem Zweikampfe seine Angelegenheiten noch in Ordnung zu bringen wünschte. Es muß hier bemerkt werden, daß der Kapitän durchaus auf keinem vertraulichen Fuße mit seinen Lieutenants stand, während ein sehr geselliges Vernehmen zwischen ihm, dem Wundarzt und dem Schiffsmeister, einem Paar alter Schiffsgefährten, stattfand. Vielleicht mochte er die Oberoffiziere um keine Gefälligkeit ansprechen – so viel ist wenigstens gewiß, daß er für diese Gelegenheit den Schiffsmeister zu seinem Sekundanten bestimmte. Als derselbe an Bord zurückkehrte, trug er mir auf, mit dem Boot an's Land zu gehen und des Kapitäns Pistolen mitzunehmen, sie aber ja vor Niemanden sehen zu lassen. Auch wurde an den Wundarzt die Weisung erlassen, vor dem Kapitän zu erscheinen.

Als der Wundarzt und ich in dem Hause anlangten, wo der Kapitän sein Quartier hatte, fanden wir das Besuchszimmer leer. Ich hatte das Pistolenfutteral in einen Leinwandbeutel gesteckt, so daß es wie ein Depeschenpacket aussah, das nach England geschickt werden sollte; in des Kapitäns Wohnung angelangt, packte ich es jedoch aus und legte es auf einen der Tische. Einige Minuten nachher kam Delmar heraus, und ich war ganz überrascht von seinem Aussehen. Sein Gesicht glühete, und im Gehen schien er zu wanken. Auch der Wundarzt sah ihn erstaunt an. Wir wußten, daß er über Furcht erhaben war, und doch war sein Aeußeres das eines sehr aufgeregten Mannes.

»Doktor,« begann er, »ich freue mich, daß Sie kommen. Ich fühle mich sehr unwohl – untersuchen Sie meinen Puls.«

»Sie sind freilich krank, Sir,« antwortete der Doktor. »Sie haben dasselbe Fieber, wie Kapitän W. Sonderbar!«

»Ja, aber es wird doch etwas zu sonderbar sein, Doktor. Der arme W. hat üble Nachrede genug wegen seiner Krankheit, und wenn ein zweiter Flottenkapitän eine ähnliche Entschuldigung schicken müßte, würden die Rothröcke sauber mit uns umspringen. Wenn Sie etwas für mich thun können – gut; aber ich muß Ihnen bemerklich machen, daß der Zweikampf unabänderlich auf morgen Abend festgesetzt ist, und wenn ich auf den Platz getragen werden müßte.«

»Wir wollen sehen, was möglich ist, Kapitän Delmar. Ich werde Ihnen gleich ein wenig Blut abzapfen; vielleicht legt sich dann das Fieber.«

Ehe jedoch der Arm unterbunden werden konnte, fing der Kapitän an, unzusammenhängend zu reden, und als er nach vorgenommenem Aderlasse seine Papiere zu durchblättern versuchte, fühlte er sich so verwirrt, daß er von seinem Vorhaben abstand und sich alsbald zu Bett bringen ließ. Wie der Wundarzt aus seinem Schlafgemach wieder zurückkam, sagte er zu uns:

»Verlaßt Euch darauf, aus dem morgigen Duell wird nichts. Das Fieber nimmt zu – und vielleicht steht er nie wieder auf – denn ich fürchte, daß wir's mit dem gelben Fieber zu thun haben.«

»Eine schlimme Geschichte,« versetzte der Schiffsmeister – »wahrhaftig eine ganz schlimme Geschichte. Zwei Flottenkapitäne erhalten Ausforderungen, und Beide lassen sich wegen Krankheit entschuldigen. Der ganze Stand wird beschimpft sein. Ich gehe hin und kämpfe selber mit der Landratte.«

»Das geht nicht,« versetzte der Wundarzt. »Was hätte der Kapitän davon, wenn er einen von seinen Offizieren schickte. Verwalter, lassen Sie mir in diesem Zimmer ein Bett aufschlagen. Ich bleibe heute Nacht hier.«

»'s führt zu nichts, wenn wir Beide hier bleiben, Keene,« sagte der Schiffsmeister. »Wir wollen daher an Bord zurück, und morgen früh wieder kommen. Verwünscht schlimme Geschichte das – Gott befohlen.«

Der Schiffsmeister und ich kehrten nach dem Boote zurück. Ich hatte mir über den Schimpf, welcher durch diesen unglücklichen Umstand jedenfalls für eine Weile auf den Dienst und den Kapitän Delmar fallen mußte, meine Gedanken gemacht und war, noch ehe ich auf der Manilla anlangte, zu einem Entschluß gekommen. Sobald ich an Bord war, ersucht ich den Schiffsmeister um ein Gespräch in seiner Kajüte. Dort angelangt, erörterte ich die Frage, wies auf die daraus folgende Schmach hin, brachte ihn tüchtig in's Feuer und machte ihm dann einen Vorschlag über den Weg, den man dabei verfolgen könnte.

»Alle Welt meint, daß ich dem Kapitän Delmar sehr ähnlich sehe, Mr. Smith,« sagte ich.

»Sie könnten ihm nicht ähnlicher sein, wenn Sie sein Sohn wären,« versetzte der Schiffsmeister.

»Gut, Sir; auch habe ich mit ihm einerlei Größe, und wenn mein Haar auch heller ist, so trägt der Kapitän ja eine Perücke. Ich bin daher vollkommen überzeugt, Sir, der Gegner wird, wenn ich mich in des Kapitäns Uniform und Perücke verkleide und morgen den Wahlplatz betrete, die Verwechslung nicht bemerken, und was einen guten Schuß anbelangt, so, glaube ich, kann ich einen Knopf so gut treffen, als der beste Duellant von der Welt.«

Der Schiffsmeister biß sich auf die Lippen und blieb eine Weile stumm. Endlich sagte er:

»Ihr Vorschlag wäre allerdings sehr leicht auszuführen, aber warum wollten Sie für Kapitän Delmar ihr Leben einsetzen?«

»Ei, haben Sie sich nicht vorhin um der Ehre des Dienstes willen zu etwas Aehnlichem erboten? Ich fühle die Schmach eben so gut, wie Sie, und möchte außerdem dem Kapitän Delmar, der mich immer freundlich beschützt hat, einen Dienst leisten. Und wenn ich auch falle, was liegt an dem Leben eines Midshipman? – Nichts.«

»Das ist freilich nur zu wahr?« versetzte der Schiffsmeister derb, verbesserte sich aber schnell, indem er beifügte: »Das heißt, der Midshipmen im Allgemeinen; ich glaube aber, daß Sie ein Bischen mehr werth sind. Ihr Plan kommt mir im Ganzen sehr gut vor, Keene, und wenn der Kapitän morgen nicht besser ist, so wollen wie ihn ernstlicher in Betrachtung ziehen. Ich glaube auch, Sie werden den Kerl tüchtiger auf's Korn nehmen, als der Kapitän, der, wie ich vermuthe, trotz seiner sonstigen Bravheit in seinem ganzen Leben noch keine zwanzig Pistolen abgefeuert hat. Gute Nacht! Ich brauche Ihnen kaum zu sagen, daß die Sache unter uns bleiben muß.«

»Fürchten Sie nichts, Sir. Gute Nacht.«

Ich begab mich, hocherfreut über die halbe Zustimmung, die der Schiffsmeister meinem Vorschlage gegeben hatte, nach meiner Hängematte. Welche Ansprüche an Kapitän Delmar erwuchsen mir nicht daraus, wenn ich mit dem Leben davon kam, und fiel ich, so mußte er doch jedenfalls mein Andenken lieben. Vor dem Fallen war mir jedoch nicht bange, denn ich hatte eine Vorahnung – wahrscheinlich blos die Hoffnungsfülle der Jugend – daß ich Sieger bleiben würde. Ich legte mich zu einem sehr gesunden Schlafe nieder, und erwachte erst, als mich am folgenden Morgen der Quartiermeister weckte.

Nach dem Frühstück ließ der Schiffsmeister ein Boot bemannen, und wir begaben uns an's Land. In Delmar's Hotel fanden wir den Wundarzt sehr bekümmert, denn der Kapitän lag im Delirium und das Fieber stand in seiner höchsten Höhe.

»Was macht er?« fragte der Schiffsmeister.

»Es hat weit mehr den Anschein, er gehe selbst aus der Welt, als den, daß er einen Andern daraus schicke,« versetzte der Wundarzt. »Ich sage weiter nichts, als daß es nicht schlimmer um ihn stehen könnte. Die ganze Nacht hat er getobt, so daß ich ihm fast zwei Pfund Blut nehmen mußte. Er spricht auch viel von Ihnen, Mr. Keene, und von anderen Personen,« fügte der Wundarzt bei. »Sie können hineingehen, wenn's Ihnen beliebt; im Uebrigen habe ich so viel als möglich das Dienstpersonal fern gehalten – es könnte plaudern.«

»Bob Croß ist unten, Sir,« entgegnete ich. »Er ist ein sehr zuverlässiger Mann, weßhalb man ihm wohl die Pflege des Kranken anvertrauen dürfte.«

»Einverstanden, Keene – er soll kommen und an dem Krankenbette Dienste leisten.«

Der Schiffsmeister besprach sich sofort mit dem Wundarzt, und theilte ihm meinen Vorschlag mit, worauf dieser entgegnete:

»Aus dem, was ich heute Nacht erfahren habe, gibt es freilich Niemand, der ein größeres Recht hätte, seinen Platz einzunehmen, und vielleicht dient es zu seinem und des Kapitäns Besten, wenn es geschieht. Jedenfalls will ich Sie begleiten und im Nothfalle mein Bestes thun.«

Die Sache wurde demnach als ausgemacht betrachtet, und ich begab mich in das Zimmer des Kapitäns. Er delirirte und schrie ohne Unterlaß von seiner Ehre und dem Schimpf, der ihn betroffen. Es war augenscheinlich, daß sein Verlangen, dem Feinde entgegenzutreten, nicht wenig zu der hohen Steigerung des Fiebers mitgewirkt hatte; bisweilen ging er aber auch auf andere Gegenstände über, und sprach dann von mir und meiner Mutter. »Wo ist mein Junge – mein Sohn, Percival?« rief er. »Mein Stolz – wo ist er? – Arabella, du mußt mir nicht zürnen – nein, Arabella; bedenke doch die Folgen.« Dann erging er sich in so zärtlichen Ausdrücken gegen mich, daß mir die Thränen über die Wangen rollten, als ich ihn auf seine Stirne küßte, denn da er nicht beim Bewußtsein war, so konnte ich mich deß wohl unterfangen, ohne Anstoß zu geben.

Bob Croß, der eine Weile am Bette gestanden hatte, wischte sich die Thränen aus den Augen und sagte:

»Mr. Keene, wie muß doch dieser Mann gelitten haben, als er seine Gefühle gegen Sie in der Art, wie er es gethan hat, in sein Inneres verschloß. Doch freut es mich, all' dieß mit anzuhören; und wenn's sein muß, sag' ich's ihm – ja, und sollt's mir in der nächsten Minute sieben Dutzend eintragen.«

Ich blieb mit Bob Croß den ganzen Tag über an seinem Bette und vernahm, daß er mich in dieser Zeit über zwanzigmal als seinen Sohn anerkannte. Gegen Abend bereitete ich mich schweigend zu dem Dienste vor, welchen ich zu verrichten hatte. Croß, der von meiner Absicht nichts wußte, war nicht wenig erstaunt, als er sah, daß ich meine Kleider auszog, die des Kapitäns anlegte, und dann seine Perrüke aufsetzte. Die Musterung vor dem Spiegel fiel befriedigend aus.

»Ei,« sagte Croß, mich ansehend, »Sie sehen ja leibhaftig wie der Kapitän selbst aus; Sie könnten beinahe an Bord gehen und die Kriegsartikel verlesen. Indeß, Mr. Keene,« fügte er mit einem Blicke auf den besinnungslos daliegenden Kapitän bei, »ist's jetzt wahrhaftig keine Zeit zu derartigen Possen.«

»Es ist von keinen Possen die Rede, Bob,« entgegnete ich, ihn bei der Hand nehmend. Ich bin im Begriffe, den Kapitän vorzustellen und einen Zweikampf für ihn auszufechten, damit den Dienst kein Schimpf treffe.«

»Ich hab' nicht gewußt, daß der Kapitän in ein Duell verflochten ist,« versetzte Bob, »obgleich ich hörte, daß es einen Wortwechsel gegeben hat.«

Ich setzte ihm nun das Ganze auseinander.

»Sie haben Recht, Mr. Keene – ganz Recht in Allem. Gott segne Sie und sende Ihnen Glück. Wenn ich nur auch mit dabei sein könnte.«

»Nein, Bob, das ist unmöglich.«

»Nun, so behüt Sie Gott, und treffen's mir den Soldaten gut. Du mein Himmel, wie wird's mir sein, bis ich weiß, wie's abgelaufen ist.«

»Sie werden's bald erfahren, Bob. Mittlerweile Gott befohlen! Ich hoffe zuversichtlich, daß wir uns wiedersehen.«

Mit diesen Worten verließ ich das Schlafgemach.

Der Wundarzt stutzte selber, als er meiner ansichtig wurde, und erklärte die Aehnlichkeit für vollkommen. Ich nahm den Doktor und den Schiffsmeister am Arme, und so brachen wir auf. Der Schiffsmeister trug meine geladenen Pistolen, und in einer Viertelstunde langten wir an dem Orte des Stelldicheins an. Meine Verkleidung war so täuschend, daß wir keinen Anstand nahmen, sogar früher auszuziehen, als abgemacht worden war, und wir freuten uns sehr, daß wir uns als die Ersten auf dem Kampfplatze eingefunden hatten.

Die verabredete Zeit war Dämmerungseinbruch, und fünf Minuten nach unserer Ankunft erschienen auch unsere Gegner. Da in Westindien das Zwielicht nur ganz kurze Zeit währt, so war keine Zeit zu verlieren. Wir wechselten eine höfliche Verbeugung, worauf der Schiffsmeister und der Sekundant meines Gegners acht Schritte als Mensur abmaßen. In einer sehr kurzen Verhandlung zwischen Mr. Smith und dem andern Gentleman, der den Adjutanten vertrat, wurde entschieden, daß wir uns mit den geladenen Pistolen in den Händen, den Rücken zuwenden und auf die in Tempo's abzugebenden Kommandoworte; »Macht Euch fertig« – »schlagt an« – »Feuer!« uns umwenden, zielen und abfeuern sollten.

Hierdurch wurde das Treffen schwieriger, denn die Signale wurden so rasch hintereinander gegeben, daß es unmöglich war, ein Ziel zu nehmen; es kam also hauptsächlich darauf an, mit dem Worte »Feuer« abzubrennen.

Der erste Kugelwechsel fiel nicht glücklich für mich aus. Ich fehlte meinen Gegner und erhielt seinen Schuß in meine linke Schulter. Dadurch wurde ich jedoch nicht unfähig, weßhalb ich darüber schwieg. Die Pistolen wurden wieder geladen und uns eingehändigt. Die Waffe meines Gegners entlud sich ein wenig vor dem Rufe »Feuer!« und ich fühlte mich abermals getroffen, erwiederte aber den Schuß, und zwar mit verhängnißvollem Ausgange. Die Kugel drang durch seinen Körper und er fiel. Der Wundarzt, der Schiffsmeister und sein Sekundant gingen augenblicklich auf ihn zu und halfen ihm in eine sitzende Lage; in wenigen Minuten war er jedoch bewußtlos.

Inzwischen war die Pistole meiner Hand entsunken und ich an Ort und Stelle geblieben. Ich gebe zu, daß sich ein unangenehmes Gefühl bei dem Gedanken meiner bemächtigte, daß ein Nebenmensch im Duell von meiner Hand gefallen sei; wenn ich mir übrigens vergegenwärtigte, warum ich den Zweikampf ausgefochten, und daß ich die Ehre des Kapitäns (warum soll ich nicht lieber gleich die Ehre des Vaters sagen?) vertheidigt hatte, so konnte ich die That unmöglich bereuen. Indeß blieb mir keine Zeit, meine Gefühle zu zergliedern, denn ich empfand eine Schwächeanwandlung, und während der Wundarzt nebst den Uebrigen neben dem verscheidenden Adjutanten beschäftigt waren, sank ich in Folge reichlichen Blutverlustes besinnungslos zu Boden. Als ich wieder zu mir kam, lag ich im Bette – der Wundarzt, der Schiffsmeister und Bob Croß um mich beschäftigt.

»Verhalten Sie sich ruhig, Keene,« sagte der Wundarzt, »und Alles wird gut gehen. Aber Ruhe ist die Hauptsache, damit das Fieber nicht überhand nimmt. Da, trinken Sie dieß, und versuchen Sie, ob Sie nicht darauf schlafen können.«

Man half mir in die Höhe, damit ich die Arznei nehmen konnte. Mein Kopf war so verwirrt und ich selbst so schwach, daß ich wohl fühlte, ich dürfe kaum athmen, damit der Lebenshauch nicht meinen Körper verlasse; ich war daher froh, als ich wieder auf dem Kissen lag. Bald nachher sank ich in einen tiefen Schlaf, aus dem ich erst nach einigen Stunden wieder erwachte. Wie ich nachher erfuhr, war es mir sehr an die Nähte gegangen, denn der übermäßige Blutverlust hatte beinahe eine Todesschwäche veranlaßt.

Als ich des andern Morgens meine Augen aufschlug, vermochte ich kaum meine Sinne zurückzurufen. Bisweilen sah ich Bob Croß; auch hörte ich stöhnen und sprechen. Letzteres hielt ich für meine eigene Stimme, aber es war die des Kapitän Delmar, dessen Fieber noch immer anhielt, und der sich in einem höchst beunruhigenden Zustande befand. Erst des andern Abends, vierundzwanzig Stunden nach dem Duell, war ich meiner Sinne wieder völlig mächtig, und jetzt gab ich Croß durch einen Wink zu verstehen, daß ich trinken möchte. Er reichte mir etwas Limonade – sie kam mir wie Nektar vor. Dann ging er fort, um den Wundarzt zu holen, welcher an das Bett kam und meinen Puls fühlte.

»'s wird jetzt gehen, mein Junge,« sagte er. »Die nächste Nacht wieder einen guten Schlaf, und morgen früh werden Sie nichts Weiteres zu thun haben, als sich zu erholen.«

»Wo bin ich getroffen?« fragte ich.

»Sie haben einen Schuß in Ihrer Schulter und einen andern in Ihrer Hüfte, indeß sind beide Kugeln ausgezogen. Die in der Hüfte hatte eine große Vene zerrissen und dadurch eine solche Blutung veranlaßt, daß ich meinte, es sei vorbei mit Ihnen, als man Sie hierher brachte. Mehrere Stunden hing also Ihr Leben nur an einem Faden, aber wir dürfen Gott danken, daß jetzt Alles recht ist. Sie haben kein Fieber, und Ihr Puls geht wieder kräftig.«

»Was macht der Kapitän, Sir?«

»Er befindet sich so schlecht, als es nur sein kann; doch habe ich Hoffnung, daß es zum Besseren umschlagen wird.«

»Und Kapitän W., Sir?«

»Der arme Teufel? Er ist todt und hat so auf die unwiederleglichste Weise bewiesen, daß sein Fieber keine Verstellung war. Die Soldaten schämen sich jetzt ein Bischen – haben auch allen Grund dazu, aber leider kommen gute Gefühle meistens zu spät. Nun, Keene, für diesen Abend haben Sie genug gesprochen. Nehmen Sie Ihr Sedativ, und versuchen Sie wieder zu schlafen. Morgen werden Sie, wie ich nicht zweifle, im Stande sein, nach Belieben Fragen zu stellen.«

»Nur noch eine einzige, Sir: – ist der Adjutant todt?«

»Ich habe nichts von ihm gehört,« versetzte der Wundarzt; »doch werden wir morgen Kunde erhalten. Schlafen Sie jetzt – und gute Nacht.«

Nachdem der Wundarzt das Zimmer verlassen hatte, rief ich Bob.

»Heut' Abend kriegen's keine Antwort, Mr. Keene,« versetzte Bob Croß. »Dagegen können wir morgen die ganze Geschichte der Länge und Breite nach besprechen. Sie müssen Ordre pariren und einschlafen, Sir.«

Da ich Bob in soweit kannte, daß er von dem, was er gesagt hatte, nicht abzubringen war, so legte ich meinen Kopf auf's Kissen und war bald wieder in die Nacht des Vergessens gesunken. Es war noch nicht Tag, als ich wieder erwachte. Croß schnarchte in dem Stuhle neben meinem Bette: der arme Bursche hatte sich seit er an's Land gekommen und der Kapitän erkrankt war, keinen Augenblick niedergelegt. Trotz des Brennens in meinen Wunden fühlte ich mich bedeutend besser, und ich hätte jetzt gar zu gerne wissen mögen, ob Kapitän Delmar außer Gefahr war; doch konnte ich hierüber keine Kunde erhalten, bis der Wundarzt kam. Ich machte mir daher in der Zwischenzeit über das Vorgefallene meine Gedanken, und rief mir in's Gedächtniß zurück, daß mich der Kapitän im Delirium seinen Sohn, seinen Percival, genannt hatte, worüber ich mich höchst glücklich fühlte.

Ungefähr eine Stunde, nachdem ich erwacht war, kam der Wundarzt in's Zimmer.

»Wie geht's Kapitän Delmar, Sir?« fragte ich.

»Ich freue mich, sagen zu können, daß er sich viel besser befindet. Aber ich muß den armen Croß wecken, wie abgemattet er auch sein mag.«

Croß, den unser Sprechen geweckt hatte, war im Nu auf seinen Beinen.

»Sie müssen zu dem Kapitän gehen und Acht haben, daß er die Betttücher nicht zurück wirft, Croß. Er liegt jetzt in einem Schweiße, der nicht unterdrückt werden darf – verstanden?«

»Ja,« versetzte Bob, sich nach dem andern Zimmer entfernend.

»Sie befinden sich wieder gut, Keene,« sagte der Wundarzt, meinen Puls fühlend. »Wir wollen gelegentlich nach Ihren Wunden sehen und den Verband wechseln.«

»Sagen Sie mir, Sir,« entgegnete ich, »wie haben Sie's eingeleitet? Ist Niemand dahinter gekommen?«

»O nein, man hält Kapitän Delmar für schwer verwundet und glaubt, daß Sie das gelbe Fieber haben. Diese Vermuthung müssen wir unterstützen, und aus keinem andern Grunde habe ich die Vorsorge getroffen, daß Niemand als Bob Croß die Krankenzimmer betreten darf. Ich zweifle nicht, daß Kapitän Delmar in einigen Stunden wieder zur Besinnung kommen wird – aber dann geht erst die liebe Noth an. Wollen wir ihm die Wahrheit sagen?«

»Jedenfalls vor der Hand noch nicht, Sir. Sagen Sie ihm, er habe den Zweikampf ausgefochten und seinen Gegner getödtet. Er wird glauben, es sei zu einer Zeit geschehen, wo er seiner Sinne nicht mächtig war, oder das Fieber habe ihn des Umstandes vergessen lassen.«

»Gut, vielleicht ist dieß das Beste, was wir jetzt thun können; es wird auch sein Gemüth beruhigen, denn mit der Rückkehr seiner Besinnung wird auch das Gefühl für den Schimpf wieder aufleben. Wenn man hier nicht vorbaut, bricht vielleicht das Fieber auf's Neue los.«

Der Wundarzt erlaubte mir, diesen Morgen Etwas zu frühstücken und verband dann meine Wunden, die er in ganz gutem Zustande fand. Ungefähr um zwölf Uhr kam der Schiffsmeister mit dem ersten Lieutenant an's Land. Der Wundarzt sagte Letzterem, er könne den Kapitän Delmar nicht sehen, und mit mir mochte derselbe vornweg schon in keine Berührung kommen, da er der Meinung war, ich habe das gelbe Fieber. Nachdem er sich daher wieder entfernt hatte, besuchte mich der Schiffsmeister. Nachmittags erwachte Kapitän Delmar aus seiner Betäubung – das Fieber war gebrochen, und er hatte nur noch mit außerordentlicher Schwäche zu kämpfen.

»Wo bin ich?« sprach er nach einer Pause. Nachdem er sich jedoch gesammelt, wandte er sich an Croß, der, die einzige Person im Zimmer, nach den vom Wundarzt ertheilten Weisungen handelte. »Wie lange habe ich schon hier gelegen?«

»Seit dem Duell, Sir.«

»Seit dem Duell? Was meinen Sie damit?«

»Je nun, seit Euer Gnaden das Duell ausgefochten und den Soldaten-Offizier getödtet haben.«

»Getödtet? – Duell? Ich kann mich nicht erinnern, daß ich ein Duell ausgefochten hätte.«

»Das will ich wohl glauben,« versetzte Bob. »Euer Gnaden waren damals in einem tobenden Fieber; doch was auch der Wundarzt sagen mochte, Sie wollten nicht im Bette bleiben, sondern gingen hin. Aber als der Zweikampf vorbei war, mußten wir Sie heimtragen.«

»Ich habe also wirklich gekämpft? – Und kann mich deß doch nicht im Geringsten entsinnen. Es muß in der That ein heftiges Fieber gewesen sein. Wo ist der Wundarzt?«

»In der Verandah drunten, Sir; er spricht mit einigen Soldaten-Officieren, die gekommen sind, um sich nach Ihrem Befinden zu erkundigen. Da ist er.«

Der Wundarzt trat ein, und Kapitän Delmar fragte ihn:

»Ist Alles wahr, was mir Croß gesagt hat? Habe ich wirklich den Zweikampf bestanden und meinen Gegner getödtet?«

»Ich bedaure, sagen zu müssen, Sir, daß er todt ist und gestern begraben wurde. Ich muß übrigens bitten, daß Sie jetzt nicht mehr sprechen – Sie müssen sich einige Stunden ruhig verhalten.«

»Nun, Doktor, da meine Ehre gerettet ist, so will ich Ihnen ja gerne gehorchen. Es ist doch sehr sonderbar –«

Hier sank der Kapitän erschöpft zusammen und verstummte. Nach einigen Minuten war er wieder eingeschlummert und erwachte erst am nächsten Morgen in einem bedeutend gebesserten Zustande.

Er besprach sich dann mit dem Wundarzt, welcher ihm den Zweikampf beschreiben mußte. Der Kapitän war sehr zufrieden, und nun theilte ihm der Wundarzt mit, daß ich vom gelben Fieber befallen worden sei und im nächsten Zimmer liege.

»Im nächsten Zimmer?« versetzte der Kapitän. »Warum ist er nicht an Bord gebracht worden? Ist mein Haus ein Spital, in das alle erkrankte Midshipmen zur Kur geschafft werden müssen?« Diese Antwort des Kapitäns, die ich deutlich hören konnte, schnitt mir in's Herz. Ich fühlte, gegen welchen unüberwindlichen Stolz ich anzukämpfen hatte, ehe ich mein Ziel erreichen konnte.

»Da nur Sie und Mr. Keene vom Fieber befallen sind,« antwortete der Wundarzt, »so hielt ich es für besser, ihn hier zu behalten, damit sich die Ansteckung nicht auf die übrige Schiffsmannschaft fortverpflanze. Ich habe doch hoffentlich recht gehandelt, Kapitän Delmar?«

»Ja, ich sehe,« entgegnete der Kapitän, »es ist ganz recht so – an dieß dachte ich nicht. Ich hoffe, Mr. Keene befindet sich wohl?«

»Ich glaube, daß wir ihn durchbringen werden, Sir,« erwiederte der Wundarzt.

»Sorgen Sie dafür, Doktor, daß ihm durchaus nichts abgeht. Es soll ihm während seiner Krankheit und der Reconvalescenz an nichts fehlen. Es wäre ein schwerer Verlust für – den Dienst,« fügte der Kapitän bei.

»Zuverlässig, Sir,« versetzte der Wundarzt.

»Wir haben hier die Zeitungen von Saint Pierre, worin sich einige Berichte über den Zweikampf befinden; doch sind sie meistens unrichtig. Einige sagen, Sie seien zweimal verwundet worden, während es andere bei einem einzigenmale bewenden lassen.«

»Ich will's wohl glauben,« entgegnete der Kapitän, »denn Croß sagt mir, ich habe nach Hause getragen werden müssen. Auffallend ist es mir, daß ich in einem solchen Zustande meine Waffen führen konnte. Danke Ihnen, Doktor; ich will's lesen, wenn ich ein Bischen ausgeruht habe, denn ich fühle mich bereits wieder müde.«

Der Wundarzt theilte sodann dem Kapitän den Tod des Kapitän W. mit.

»Der Arme!« versetzte Kapitän Delmar. »Nun, ich will wegen Besetzung seiner Stelle keine Verfügung treffen, bis ich besser bin.« Der Kapitän legte sich wieder zurück, und ließ die Zeitungen auf der Decke liegen.

Es verging eine Woche, während welcher der Kapitän und ich bedeutende Fortschritte in der Besserung machten. Wir konnten des Tags schon ein paar Stunden auf den Sopha's unserer Zimmer zubringen. Der Wundarzt sagte mir, es würde bald nöthig werden, ihm den wahren Verlauf der Sache mitzutheilen, und er gedenke, dieß am nächsten Morgen zu thun. Indeß traf es sich, daß Delmar die Kunde davon nicht durch den Doktor erhielt. Am Nachmittag, als letzterer an Bord war, fühlte sich der Kapitän so weit gekräftigt, daß er sich entschloß, seine Kleider anzuziehen, und sich in's Wohnzimmer zu begeben. Er forderte Croß auf, ihm dieselben zu reichen, und das Erste, was ihm gegeben wurde, waren die Beinkleider, denn Bob hatte ganz vergessen, daß ich sie getragen hatte.

»Nun, was soll das?« fragte der Kapitän. »Da ist ja ein Loch in dem Bunde; auch sind sie blutig.«

Bob erschrak darüber so sehr, daß er aus dem Zimmer ging und that, als habe er die Worte des Kapitäns nicht gehört. Nachher mochte der Kapitän wohl selbst seinen Rock genommen und ein Loch in der Schulter gefunden haben, wo sich gleichfalls Blutspuren zeigten.

»Wache ich, oder träume ich?« sprach der Kapitän vor sich hin. »Ich bin unbeschädigt, und doch melden die Zeitungen, ich sei zweimal verwundet worden. Croß! Croß! – Wo ist Croß?«

Bob, der seine Zuflucht nach meinem Zimmer genommen hatte, wo wir jedes Wort hören konnten, flüsterte mir zu:

»'s hilft jetzt nicht mehr, Mr. Keene – ich muß ihm Alles sagen. Doch haben's keine Sorge – ich weiß schon, wie ich's angreife.«

Dann gehorchte er der Aufforderung des Kapitäns und ließ mich in einem Zustande großer Beklommenheit zurück.

»Croß,« begann der Kapitän strenge, »ich bestehe darauf, daß man mir die Wahrheit berichte, denn ich bin von meinen Offizieren hintergangen worden. Habe ich jenes Duell wirklich ausgefochten oder nicht?«

»Je nun, Sir,« versetzte Croß, »man hat die Wahrheit nur verschwiegen, bis Sie wieder ganz wohl wären, und ich glaube, ich muß jetzt wohl damit herausrücken. Sie waren zu krank, und thaten ganz rasend wegen Ihrer Ehre – riefen, daß Sie beschimpft seien und daß –«

»Nun, nun, fortgefahren.«

»Ich will's ja, Kapitän Delmar, aber ich hoffe, daß Sie nicht zürnen werden. Mr. Keene konnt's nicht ertragen, Sie so zu sehen, und sagte, er sei zu jeder Zeit bereit, sein Leben für Sie einzusetzen. Er bat daher Mr. Smith, den Schiffsmeister, ihm zu erlauben, den Zweikampf auszufechten, denn, sagte er, er habe so viel Aehnlichkeit mit Ihnen (was auch ganz seine Richtigkeit hat), daß Niemand an ihn denken würde, wenn er Euer Gnaden Perücke und Uniform anzöge. So ist's zugegangen, Sir.«

»Weiter,« sagte der Kapitän.

»Nun, Sir, der Schiffsmeister konnt' die Sticheleien der Soldaten am Land nicht ertragen, und ließ sich's gefallen, daß Mr. Keene an Ihre Stelle treten sollte, was denn auch geschah, Sir. Ich hoffe, Sie werden Mr. Keene nicht böse sein, Sir, denn's ist ja nur Ihr alter Rock, und ich denke, man kann ein Stück einsetzen lassen, daß man's nicht einmal steht.«

Croß fuhr nun fort, den ganzen Vorgang zu beschreiben, wobei er natürlich nicht verfehlte, mich sehr herauszustreichen. Dann sagte er auch dem Kapitän, Jedermann an Bord und auf dem Lande halte ihn für verwundet und mich für gelbfieberkrank, so daß also Niemand von dem wahren Hergange unterrichtet sei, als der Schiffsmeister, der Wundarzt und er selbst.

»Ist Mr. Keene ernstlich verwundet?« fragte der Kapitän nach einer Pause.

»Nein, Sir; der Doktor sagt, es gehe ganz gut mit ihm. Aber 's ist ihm so nahe gegangen, wie nur je einem Menschen. Einmal war sein Athem so schwach, daß er keine Feder bewegt haben würde – alles Blut heraus aus seinem Körper.«

Der Kapitän schwieg eine Weile und sagte endlich in ruhigem Tone:

»Sie können jetzt gehen, Croß.«

Mit welchen Gedanken und Gefühlen Kapitän Delmar die genannte Mittheilung erwog, als er allein war, weiß ich nicht zu sagen; daß er übrigens nicht zürnte, schloß ich aus dem Tone, womit er Croß gehen hieß. Ich war eben in meine Betrachtungen vertieft, als der Chirurg eintrat, und mir einen Brief überbrachte.

»Eben ist ein Schooner mit Depeschen von dem Admiral angelangt,« sagte er. »Der zweite Lieutenant hat sie dem Kapitän hinterbracht, und unter den Briefen aus England fand ich auch einen an Sie. Ich habe Croß gesprochen,« fügte er bei, und verließ dann mit bedeutungsvollem Kopfnicken das Zimmer.

»Der zweite Lieutenant mit Depeschen, Sir,« rapportirte Bob Croß dem Kapitän im andern Zimmer. »Soll ich ihn hereinführen?«

»Nein, ich bin nicht wohl; er soll sie Ihnen übergeben,« versetzte der Kapitän.

Während der Kapitän mit seinen Depeschen beschäftigt war, las ich meinen Brief. Er war von meiner Mutter und enthielt noch die Abschrift eines weiteren von meiner Großmutter, der dem Kapitän den Tod meiner Mutter meldete. Natürlich gab es da eine Menge letzter Wünsche. Ich war überglücklich, daß das Schreiben zu so gelegener Zeit an den Kapitän eingelaufen war, denn ich wußte, die Nachricht von dem Tode meiner Mutter mußte mir jetzt sehr zu Statten kommen. Freilich war mein Benehmen in dieser Sache durchaus nicht recht, aber ich wußte, mit wem ich es zu thun hatte. Der Kapitän schämte sich seines früheren Verhältnisses zu meiner Mutter und der daraus erwachsenen Ansprüche gegen ihn. Meiner Person gegenüber war dieß schon weniger der Fall, und nun sie todt war, fiel vielleicht der ganze Beweggrund zur Schaam weg. Meine Mutter war ihm nicht verwandt und stand unter ihm, während ich sein Fleisch und Blut, folglich auch schon halb geadelt war.

Der Kapitän erließ Befehl, die Anker zu lichten. Der Admiral hatte ihm den Auftrag gegeben, nach der Küste von Süd-Amerika zu segeln, um nach einer französischen Fregatte zu sehen; auch sollte er, da kein weiterer Grund vorhanden wäre, vor Martinique eine so große Streitmacht liegen zu lassen, das Kommando an Ort und Stelle dem nächst ältesten Offizier übergeben. Die Reihe hätte Kapitän W. getroffen, der am Fieber gestorben war.

Als Aeltester im Kommando besetzte Kapitän Delmar die erledigte Stelle. Der Kapitän einer Korvette erhielt Kapitän W.'s Schiff und unser erster Lieutenant den Befehl über die Korvette; bei uns blieb jedoch, zur großen Verwunderung der Offiziere des Geschwaders, eine Lieutenantsstelle unbesetzt. Dieß ging am Nachmittag vor; des Abends wurde nach dem Schiffsmeister geschickt, und mit ihm und dem Wundarzt eine Berathung gehalten, welche darauf hinauslief, daß der Kapitän mit dem Arm in der Schlinge, als sei er verwundet worden, an Bord gehen sollte, während man Vorsorge traf, mich in Decken zu hüllen und nach des Kapitäns Kajüte zu schaffen, wie wenn ich vom Fieber noch zu schwach wäre, um mein Bett zu verlassen. Dem Beischiffführer wurde Stillschweigen eingeschärft, und mir theilte der Wundarzt das Ergebniß der Konferenz mit.

Des andern Morgens waren wir sämmtlich eingeschifft. Wir lichteten die Anker und segelten südwärts. Ich muß hier noch bemerken, daß ich während dieser ganzen Zeit den Kapitän weder gesehen hatte, noch anderweitig mit ihm in Berührung gekommen war. Durch den Wundarzt erfuhr er, daß ich sehr betrübt sei, über die Kunde von dem Tode meiner Mutter, welche auch einen hemmenden Einfluß auf meine Wiedergenesung geübt habe.

*

 


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