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Fünftes Kapitel

Sobald ich auf dem Spielplatz anlangte, der in Wahrheit weiter nichts, als ein kleines Stück ungebauten Landes war, an welches wir kein größeres Anrecht hatten, als jeder andere auch, – setzte ich mich bei einem Pfosten nieder, und begann das zu verschlingen, was mir Mr. O'Gallagher zu lassen gut gefunden hatte. Es ist wahr, ich fürchtete mich vor ihm, denn seine Strenge gegen die andern Knaben überzeugte mich, daß er mir nur wenig Barmherzigkeit würde angedeihen lassen, wenn ich mich unterfinge, ihm in die Quere zu kommen; indeß gewann doch bald mein Unwille die Oberherrschaft über meine Furcht, und ich fing an, zu überlegen, ob ich nicht wegen des keckstirnigen Raubes an meinem Mittagsbrode mit ihm quitt werden könnte. Dann erwog ich aber auch, ob es nicht besser sein würde, ihn mein Essen nehmen zu lassen, wenn ich ihn dadurch bestimmen konnte, mich gut zu behandeln – eine Rücksicht, die mich veranlaßte, jedenfalls noch eine Weile zu zögern. Sobald die Erholungsstunde vorüber war, rief uns eine Glocke wieder nach der Schule. Ich ging mit den Uebrigen zurück und nahm denselben Sitz wieder ein, welchen mir Mr. O'Gallagher zuvor angewiesen hatte.

Nach hergestellter Ruhe winkte mich der Pädagog zu sich.

»Wohlan, Master Keene,« begann er, »du wirst so gut sein, mir deine Ohren zu leihen, das heißt, aufzuhorchen, während ich ein Bischen mit dir spreche. Weißt du, wie viele Wege es gibt, Etwas zu lernen? Halt's Maul! ich frage dich, weil ich weiß, daß du es nicht weißt, und weil ich es dir sagen will. Es sind ihrer akkurat drei: der erste ist das Auge, mein gutes Bürschlein, und wenn ein Junge so scharfe Augen hat, wie du, so wird Viel auf diesem Wege in den Kopf hineinspazieren. Du wirst eine Sache kennen, wenn du sie wieder siehst, obgleich dies vielleicht deinem Vater gegenüber nicht der Fall ist, da sich's dabei um ein Geheimniß handelt, das nur deine Mutter wissen kann. Der zweite Weg, Etwas zu lernen, du Dummkopf, ist das Ohr, und wenn du auf Alles Acht gibst, was die Leute sagen, und auf Alles nach Kräften hörst, so kannst du zu vielen Wahrheiten gelangen, aber auch wohl zu zehnmal mehr Lügen. Du siehst, Waizen und Spreu mengt sich da zusammen, und du mußt in Zukunft letztere von dem ersteren scheiden lernen. Wir kommen jetzt zu dem dritten Weg, der ein ganz verschiedener ist, denn du siehst, daß die beiden ersten uns wenig Mühe machen und wir sie immer betreten müssen, mögen wir nun wollen oder nicht. Der dritte, und zwar der Hauptweg, ist der Kopf selbst, der Aug' und Ohr zur Beihülfe braucht und auch noch zwei andere Adjutanten hat, die man Gedächtniß und Aufmerksamkeit nennt. Du siehst also, wir haben die Visual-, dann die Aural- und dann die Mentualwege – drei schwere Worte, die du nicht verstehst und mit deren Erklärung ich mich nicht gegen ein solches Rindvieh, wie du bist, bemühen mag, denn ich werfe nie die Perlen vor die Schweine, wie es im Sprüchwort heißt. Kommen wir übrigens jetzt zu einem andern Theil unserer Geschichte, Master Keene. Da es drei Wege gibt, um etwas zu lernen, so gibt es auch drei Mittel oder Nothbehelfe, durch welche die Jungen zum Lernen gespornt werden. Wir haben da zuerst das Lineal, welches du mich nach Johnny Target's dickem Schädel schicken sahst; du hast auch bemerkt, welchen Klapps es ihm gegeben hat. Nummer Zwei ist die Klatsche – ein Ding, von dem du vielleicht noch nie gehört hast, aber ich will dir's zeigen; da ist es,« fuhr Mr. O'Gallagher fort, indem er eine Art flachen hölzernen Löffels, mit einem Loch in der Mitte, zum Vorschein brachte. »Das Lineal ist, wie du gesehen hast, für den Kopf, die Klatsche für die Hand. Du hast bemerkt, wie ich das Lineal anwendete; jetzt will ich dir auch zeigen, wie man mit der Klatsche umspringt.«

»Du, Tommy Goskin, komm' heraus da.«

Tommy Goskin legte sein Buch nieder und näherte sich dem Schulmeister mit gar bedenklicher Miene.

»Tommy Goskin, du hast heute deine Aufgabe nicht gut hersagen können.«

»Ja, ich habe, Mr. O'Gallagher,« versetzte Tommy. »Sie haben's ja selbst gesagt.«

»Nun, Bürschlein, so hast du gestern deine Sache nicht recht gemacht,« fuhr Mr. O'Gallagher fort.

»O ja, ich habe es recht gemacht, Sir,« entgegnete der Junge wimmernd.

»Wie, du unterstehst dich, mir zu widersprechen?« rief Mr. O'Gallagher. »Jedenfalls wirst du dann Morgens nichts gelernt haben – also her mit deiner rechten Hand.«

Der arme Tommy streckte sie aus und heulte bei dem ersten Schlage aus Leibeskräften, indem er zugleich die schmerzenden Finger rieb.

»Jetzt deine linke Hand, daß sie's nicht übel nimmt, wenn sie nicht auch Etwas abfängt. Man muß es immer bei geraden Zahlen belassen.«

Tommy erhielt einen Schlag auf die linke Hand, welchem er die äußerlichen Schmerzäußerungen folgen ließ.

»So; jetzt kannst du gehen,« sagte Mr. O'Gallagher, »und laß dir's gesagt sein, daß du mir nicht wieder so kömmst, sonst gibt es ein Platzen. Und nun, Master Keene, kommen wir zum dritten und letzten, zur Einreibung des Birkenöls – da ist es – hast du's je schon gekostet?«

»Nein, Sir,« versetzte ich.

»Wohlan denn, du wirst schon noch das Vergnügen haben; denn ich zweifle nicht, es wird dazu kommen, noch ehe wir Beide ein paar Tage älter find. Laß 'mal sehen –«

Mr. O'Gallagher sah sich jetzt in der Schule um, als wollte er irgend einen Schuldigen herausfinden. Da jedoch die Knaben merkten, was los war, so steckten sie ihre Nasen so eifrig in ihre Bücher, daß er auch nicht einen Einzigen entdecken konnte. Endlich wählte er einen fetten, rothbäckigen Knaben aus.

»Walter Puddock komm heraus!«

Walter Puddock gehorchte und gab sich augenscheinlich bereits für verloren.

»Walter Puddock, ich habe eben Master Keene gesagt, du seiest der beste Lateiner in der ganzen Schule. Mache mir daher jetzt Ehre – denn wenn du mich durch dein Benehmen Lüge» strafst – beim Blut der O'Gallagher's, ich will dich dann peitschen, bis du so dünn bist, wie ein Häring. Was heißt auf Lateinisch ein dreispitziger Hut, wie ihn die römischen Gentlemen nebst ihren Togens trugen?«

Walter Puddock stockte ein paar Augenblicke und ließ dann ohne weitere Gegenrede die Hosen hinunter.

»Da sehe man diesen Galgenstrick – er weiß, was kommen wird. Schande über dich, Walter Puddock, daß du deinem Lehrer eine solche Schmach anthust, und ihn vor dem jungen Master Keene zum Lügner machst. Wo ist Phil Mooney? Komm' her, Bürschlein, und nimm den Walter Puddock auf. Ich kann zwar nichts in dich hineinbringen, Phil, aber so viel ist gewiß, daß ich durch dich den andern Knaben ein Bischen was eintrichtere.«

Walter Puddock wurde sofort über Phil Mooney's Rücken hergelegt, und erhielt ein Dutzend gut geführte Ruthenstreiche. Er ertrug es, ohne zu schreien, obgleich ihm die Thränen über die Wangen herunterrollten.

»So, Walter Puddock – ich sagte dir's ja, es werte auf ein Platzen hinauslaufen. Geh' nach deinem Wörterbuch, du schmutziger Lumpenkerl, und mache deiner Erziehung und dem gediegenen Unterricht einer gewissen Person, die ich nicht nennen mag, mehr Ehre.«

Mr. O'Gallagher legte jetzt die Ruthe bei Seite und fuhr fort:

»Nun, Master Keene, ich habe dir jetzt die drei Wege des Lernens, und auch die drei Hülfsmittel gezeigt, unter derer Beihülfe man die kleinen Knaben überredet, Etwas zu lernen. Geht's auf den drei ersteren nicht hurtig vorwärts – je nun, so kommen die drei letzten etwas empfindlich hinten d'rein. Indeß wird sich's mit der Zeit zeigen, daß an einem blinden Gaul sowohl Nicken als Winken verloren ist. Und noch Eins, du kleiner Gaudieb – nimm darauf bedacht, daß die Sandwiches morgen mehr Senf haben, oder es gibt ein Platzen. Du hast jetzt die ganze Theorie der Erziehungskunst vernommen, Master Keene, und so Gott will, werden wir morgen mit der Praxis anfangen.«

Der würdige Pädagoge machte sich im Laufe des Tages nicht weiter mit mir zu schaffen. Wir wurden um fünf Uhr entlassen, und ich eilte nach Hause, auf dem ganzen Wege darüber nachdenkend, was in der Schulstube vorgefallen war.

Meine Großmutter und meine Mutter hätten gar zu gerne wissen mögen, wie es mir ergangen; die erstere hoffte, ich hätte die Ruthe zu kosten gekriegt, die letztere nicht – ich ließ mich jedoch aus keine Geständnisse ein. Ich nahm eine stolze, gleichgültige Miene an, denn ich war böse auf meine Mutter, und haßte die Großmutter. Tante Milly jedoch fragte mich nicht umsonst, als wir einmal allein waren. Ich theilte ihr Alles, was vorgefallen, mit, woraus sie mich guten Muthes sein hieß, da ich nicht mißhandelt werden solle, wenn sie es ändern könne.

Ich versetzte, daß ich mich für jede Mißhandlung auf die eine oder die andere Weise rächen würde. Dann begab ich mich zu Kapitän Bridgeman nach der Kaserne und erzählte ihm meine Erlebnisse. Er rieth mir, über das Lineal, die Ruthe und die Klatsche zu lächeln, und machte mich auf die Nothwendigkeit aufmerksam, daß ich in die Schule gehe, und lesen und schreiben lerne. Zu gleicher Zeit war er aber auch sehr entrüstet über Mr. O'Gallagher's Benehmen; er sagte mir, ich solle mir durchaus keine Ungerechtigkeit oder Tyrannei gefallen lassen, da ich auf seinen Beistand und seine Unterstützung zuverlässig zählen könne, wenn ich nur des Lernen nicht verabsäume.

Durch den Rath und den Schutz meiner beiden großen Freunde bekräftigt, entschloß ich mich, aus Leibeskräften zu lernen, im Fall einer Mißhandlung aber lieber den Tod eines Märtyrers zu sterben, als der Unterdrückung nachzugeben. Jedenfalls wollte ich Herrn O'Gallagher für jeden Ruthenstreich oder jede Züchtigung, die ich empfinge, wo möglich einen Possen spielen, und mit diesem löblichen Vorhaben verfiel ich in einen tiefen Schlaf – zu tief sogar, um auch nur zu träumen.

*

 


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