Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Das Schiff war bereits drei oder vier Tage von Martinique aus auf der Fahrt, ehe mich der Kapitän anredete. Ich lag die ganze Zeit über in meiner Matte, die in der Vorderkajüte hing, und wenn ich von dem Wundarzte verbunden wurde, so geschah es nur in Bob Croß' Beisein. Am vierten Morgen nach unserer Ausfahrt kam der Kapitän in den Schirm herein, mit dem meine Hängematte umstellt war, und fragte mich mit sehr freundlicher Stimme, wie ich mich befinde.
»Es geht mir viel besser, Sir, ich danke Ihnen. Auch hoffe ich, Sie werden mir diese große Dreistigkeit, deren ich mich um der Ehre des Dienstes willen unterfing, nachsehen.«
»Je nun,« entgegnete der Kapitän lächelnd, »ich glaube, Sie sind für Ihre Vermessenheit schon gehörig gezüchtigt worden. Ich weiß den Beweggrund Ihrer Handlungsweise zu schätzen, und fühle mich Ihnen sehr verpflichtet für den Eifer, den Sie sowohl für die Ehre des Dienstes, als für mich an den Tag gelegt haben. Das Einzige, was mir dabei widerwärtig ist, besteht darin, daß die Rolle, welche Sie gespielt, geheim gehalten werden muß, und noch mehr, daß einer aus dem Schiffsvolk um die Geschichte weiß.«
»Ich habe freilich die Folgen nicht so überlegt, wie ich hätte thun sollen, als ich so zu handeln wagte, Sir,« versetzte ich.
»Schweigen wir davon, Master Keene. Ich bedaure recht, daß ich die Kunde von Ihrer Mutter Tod hören mußte, doch kam, glaube ich, die Trauerpost nicht unerwartet.«
»Nein, Sir, und deßhalb war ich auch schon halb auf den Schlag vorbereitet, so daß er mich nicht gar so schmerzlich überraschte.«
»Es geschah natürlich um Ihrer Mutter willen, Mr. Keene, daß ich Sie unter meinen Schutz nahm; doch soll ihr Tod unsere Verhältnisse in nichts ändern, so lange Sie sich aufführen, wie Sie bisher gethan haben. Ihr Wohlverhalten verschaffte Ihnen meine lebhafte Theilnahme, und ich werde Sie nicht aus dem Gesichte verlieren. Wie viele Monate haben Sie noch zu dienen, ehe Ihre Zeit aus ist?«
»So weit ich mich entsinne, habe ich jetzt fünf Jahre und sieben Monate gedient.«
»So dachte ich auch. Nun, Mr. Keene, ich habe auf Sie Rücksicht genommen, als ich die bei uns durch den Tod des Kapitän W. und die Beförderung meines ersten Lieutenants erledigte Stelle nicht besetzte. Sobald Sie wieder wohl sind, werde ich Sie provisorisch zu einem Lieutenant dieses Schiffs ernennen, und da wir jetzt einen etwas unstäten Auftrag haben, so zweifle ich nicht, daß Ihre Beförderung bestätigt wird, wenn Ihre Zeit abgelaufen ist, und Sie, ehe wir uns dem Admiral wieder anschließen, Gelegenheit gefunden haben, sich auszuzeichnen. Sie haben also vorderhand weiter nichts zu thun, als zuzusehen, daß Sie bald wieder auf die Beine kommen. Gott befohlen!«
Der Kapitän begrüßte mich zum Abschiede mit einem sehr gnädigen Kopfnicken, und verließ den Schirm, ohne mir Zeit zu lassen, ihm zu danken. Ich war in der That überfroh – weniger über meine Beförderung, als über die Umwandlung in dem Benehmen des Kapitäns gegen mich, die in der That so augenfällig war, daß ich mich den frohesten Vorahnungen hingab. Geraume Zeit machte ich mir Gedanken über meine Zukunft. Als Lieutenant des gleichen Schiffes kam ich weit häufiger mit ihm in Berührung; er konnte jetzt mit mir sprechen und auf mich Acht haben, ohne daß es auffiel; ja, er konnte sich sogar gegen mich auf einen familiären Fuß stellen. Ich entschloß mich, mein Benehmen sehr sorgfältig zu bewachen, damit ich seinen Stolz ja nicht durch die mindeste Vertraulichkeit verletze, und hoffte, meine Karten so zu spielen, daß ich am Ende mein angelegentlichstes Ziel erreichte. Doch fühlte ich wohl, daß ich noch einen weiten Boden zu überspringen hatte, und daß die größte Umsicht nöthig war. Es fiel in die Augen, daß ich mich noch weit höher in seiner und in der öffentlichen Meinung heben mußte, ehe ich erwarten durfte, daß mich Kapitän Delmar förmlich als seinen Sohn anerkannte. Ich fühlte, daß ich noch durch Blut zu waten und auf meiner Berufsbahn den Wechselfällen von tausend Kugeln entgegen zu treten hatte, bevor ich mein Ziel erreichte. Eine glänzende Fernsicht der Zukunft schwamm vor meinem Geiste, und die Augen noch auf die Gebilde meines Ehrgeizes geheftet, sank ich in Schlaf, die ganze Nacht in denselben Träumen schwelgend, in welchen ich mich wachend ergangen hatte.
Nach vierzehn Tagen war ich völlig wieder hergestellt. Meine Wunden hatten sich geschlossen, und ich konnte wieder umher gehen. Der Schiffsschneider veränderte meine Uniform, einer der Lieutenants trat mir eine Epaulette ab, und ich bezog meine Kajüte in dem Geschützraum, wo mir von meinen neuen Tischgenossen ein sehr warmer Empfang zu Theil wurde. Doch trat ich den aktiven Dienst erst nach einem Monat an, da mir noch ein Lähmigkeitsgefühl zurückgeblieben war, welches der Wundarzt für eine häufige Nachwehe des gelben Fiebers erklärte!?
Ich hätte bemerken sollen, daß meine Mutter, als sie so gefällig war, um meinetwillen einen Selbstmord zu begehen, sich mit aller Vorsicht benommen hatte, denn der Brief meiner Großmutter theilte Kapitän Delmar mit, die Verschiedene habe mir in dreiprocentigen Fonds zwölftausend Pfund, die sie in ihrem Geschäfte erspart, hinterlassen, weßhalb fortan kein Grund vorhanden sei, daß ich wegen der auf mich zu verwendenden Kosten dem Kapitän zur Last falle. Aus dieser Andeutung meiner Großmutter darf man jedoch nicht glauben, daß Kapitän Delmar je geizig oder filzig gewesen wäre, da er sich im Gegentheil, was Geldsachen betraf, stets ungemein freigebig (obschon nicht verschwenderisch) erwies, wenn man dabei in Betracht zog, daß er als zweiter Sohn eines Adeligen außer seinem Kapitänsgehalt nur eine Jahresrente von tausend Pfund zu verbrauchen hatte.
Endlich war ich so weit genesen, um wieder in den Dienst eintreten zu können. Man denke sich meine Freude, als ich jetzt wieder auf dem Halbdeck einher spazierte – und nicht wie früher auf der Lee-, sondern auf der Luvseite, mit einer Epaulette auf der Schulter. Sonderbarerweise war unter den vielen Midshipmen an Bord auch nicht ein einziger, welcher länger im Dienste gestanden hätte, als ich, weßhalb ich wegen meiner Beförderung auch nicht den mindesten Neid zu befahren hatte. Ich stand daher fortwährend auf dem besten Fuße mit meinen früheren Tischgenossen, obschon sich die Vertraulichkeit, die zwischen uns bestanden, allmählig minderte. Zu Letzterem gab jedoch nicht ich die Veranlassung, denn es war einfach die Wirkung meiner Verpflanzung aus der Back eines Haufens junger Bursche in die Gesellschaft der älteren Offiziere. Ich war jetzt ein Mann, der wie ein Mann dachte und fühlte. Mit der Midshipman-Uniform hatte ich auch meine Lust an muthwilligen Streichen ausgezogen, und ich achtete mich selbst, indem ich meine neue Stellung achtete.
Nun ich mich auf derselben Seite des Decks befand, ließ sich Kapitän Delmar sehr oft in ein Gespräch mit mir ein, und obschon er sich anfangs sehr behutsam dabei benahm, so wurde er doch nachgerade immer zutraulicher gegen mich, da er fand, wie ich mir nie eine Anmaßung erlaubte, sondern mich unablässig mit der höchsten Achtung gegen ihn benahm.
Wir kreuzten drei Monate lang, ohne die französische Fregatte, auf welche wir Jagd machen sollten, getroffen oder Nachricht von ihr erhalten zu haben. Endlich entschloß sich Kapitän Delmar, den Strich zu wechseln, und wir segelten um zehn Breitegrade weiter nach Norden.
Auf unserem Wege begegneten wir einer amerikanischen Brigg, welche wir anhielten. Wir ließen ein Boot aussetzen, um den Kapitän zu uns an Bord zu holen, und Kapitän Delmar fragte ihn, ob er in diesen Gegenden nichts von einer französischen Fregatte gehört oder gesehen habe. Da das Gespräch auf dem Halbdecke stattfand, und ich eben die Wache hatte, so kann ich darüber ausführlichen Bericht erstatten.
»Ja, ich glaube so, daß eine Französin in diesen Strichen ist,« versetzte der Amerikaner in einem Nasentone.
»Sind Sie ihr begegnet?« fragte Kapitän Delmar.
»Will's meinen; ich lag in Cartagena neben ihr, als ich meine Ladung Häute einnahm. Haben Sie nicht eine Spiere an Bord, Kapitän, woraus sich eine Bramstenge machen ließe?«
»Ist sie klein oder groß?«
»Ei, Kapitän, 's ist mir gleichviel, ob sie klein oder groß ist. Ich habe zwei Zimmerleute an Bord, und so kann ich sie schon in die gehörige Form schlagen lassen.«
»Ich fragte wegen der Fregatte, nicht wegen der Spiere,« entgegnete Kapitän Delmar stolz.
»Und ich meinte die Spiere, die mir von Werth ist, nicht das Schiff, mit dem ich durchaus nichts zu schaffen habe,« erwiederte der amerikanische Kapitän. »Sie sehen, Herr, wir Beide haben unsere Bedürfnisse – Sie wünschen Auskunft, ich brauche eine Spiere. Wie wär's mit einem ehrlichen Tausche?«
»Gut,« versetzte Kapitän Delmar, den dieser Vorschlag belustigte; »wenn Sie Auskunft ertheilen, sollen Sie die Spiere haben.«
»Es gilt!«
»Lassen Sie den Zimmermann wissen, daß er eine kleine Spiere heraussuche, Herr K...,« sagte Kapitän Delmar zum ersten Lieutenant.
»Nun, Kapitän, das sieht doch wie ein Geschäft aus. Nun, so will ich denn fortfahren. Das französische Schiff ist so groß, wie das Ihrige – vielleicht,« fügte er bei, indem er sich auf dem Verdecke umsah – »vielleicht ein Bischen größer. Aber daraus machen Sie sich vermuthlich nichts.«
»Lag es noch im Hafen, als Sie ausfuhren?«
»Es hat, glaube ich, zwei Tage vor mir die Anker gelichtet.«
»Und wie viele Tage sind Sie auf dem Wege?«
»Just vier Tage, schätze ich.«
»Und haben Sie gehört, wohin es segelte?«
»Ja, und ich glaube, ich könnte die Stelle, wo es jetzt ist, mit dem Finger angeben, wenn ich wollte. Kapitän, können Sie mir nicht einen Schlag zweizölligen Taus borgen? Ich habe eine Marssegelbrasse zu reffen, und mein Tauwerk geht mir eben jetzt sehr zusammen. Ich glaube, es ist so oft gebraucht worden, daß es jetzt ein Ende damit hat.«
»Sie sagten, daß Sie wüßten, wo das französische Fahrzeug liegen müsse – und wo wäre das?«
»Kapitän, mit Verlaub – kann ich den Schlag Zweizölliges haben?«
»Wir haben keinen ganzen Schlag mehr übrig, Sir,« bemerkte der Schiffsmeister, seinen Hut berührend; »und was da ist, werden wir für ein paar neue Brassen brauchen können.«
»Nun, nun, ich lasse mich berichten, und verlange nichts, was nicht zu haben ist. Aber sonderbar, ich kann mich jetzt durchaus nicht mehr des Platzes erinnern, wohin der Franzose gegangen – ist mir rein aus dem Gedächtniß geschlüpft.«
»Vielleicht könnte ihm das Zweizöllige nachhelfen,« entgegnete Kapitän Delmar. »Herr Smith, lassen Sie das Tau heraufholen und in's Boot schaffen.«
»Gut,« erwiederte der amerikanische Kapitän. »Wie Sie sagen, Herr – es kann meinem Gedächtniß nachhelfen, 's wär' nicht das letztemal, daß sogar ich selbst das Gedächtniß eines Menschen mit einem Endchen Zweizölligen aufgefrischt hätte,« fügte er, über seinen Witz lachend, bei. »Aber ich sehe es nicht kommen.«
»Ich habe Befehl ertheilt, daß es in's Boot geschafft werde,« entgegnete Kapitän Delmar stolz. »Meinen Befehlen wird ebensowenig der Gehorsam verweigert, als mein Wort Beanstandung erleidet.«
»So mögen's wohl Diejenigen halten, welche Sie kennen, Kapitän; aber mir sind Sie fremd. Auch glaube ich durchaus nicht viel zu verlangen – eine Spiere und ein Bischen Tau – wenn ich Ihnen dagegen sage, wo Sie ein schönes Schiff aufgreifen und ein ganzes Heer von Dollaren zum Prisengeld machen können. Gut; da ist das Tau, und ich will's Ihnen jetzt sagen. Der Franzmann segelte nach Berbice oder Surinam, um nach Westindienfahrern zu sehen, die entweder an dortiger Küste sind, oder doch erwartet werden. Dort werden Sie ihn, so wahr ich hier stehe, finden; ich glaube aber, daß er ein Bischen größer ist, als dieses Schiff – indeß Sie machen sich da wohl nichts daraus.«
»Sie mögen wieder an Bord gehen, Sir,« sagte Kapitän Delmar.
»Schön; ich danke Ihnen, Kapitän – und gut Glück!«
Der amerikanische Kapitän stieg in's Boot hinunter, und sobald wir es wieder aufgehißt hatten, segelten wir der Küste von Demerara zu.
»Es muß ein schönes Schiff sein,« sagte Kapitän Delmar zu mir, während er auf dem Deck hinschritt – »ein sehr schönes Schiff, wenn es größer ist, als das unsrige.«
»Entschuldigen Sie, Kapitän Delmar, wenn ich mit eine Bemerkung erlaube. Als der Amerikaner sagte, er sei etwas größer, glaubte ich in seinem Auge einen Ausdruck wahrzunehmen, der mich auf den Gedanken brachte, er rede nur so, um uns zu täuschen. Die Amerikaner haben keine besondere Vorliebe für uns und machen sich wohl einen Spaß daraus, wenn sie Rache an uns nehmen können.«
»Möglich, Mr. Keene. Indeß sehe ich den Zweck der Täuschung nicht ein, wenn er das Schiff größer macht, da wir dadurch nur veranlaßt werden, mehr auf der Hut zu sein. Wenn er gesagt hätte, es sei kleiner, so würde ich selbst auch eine Arglist muthmaßen.«
»Ich meinte es nicht in diesem Sinne,« entgegnete ich. »Er sagt, es sei ein Bischen größer; nun kann ich mich aber des Gedankens nicht erwehren, daß er uns mit diesem »Bischen« hintergehen will, und daß wir in dem Franzosen keine Fregatte, sondern ein Linienschiff finden werden. Dagegen wollte er weiter nichts, als uns auf dem Glauben lassen, daß es eine größere Fregatte sei, als die unsrige.«
»Nicht unmöglich,« entgegnete Kapitän Delmar gedankenvoll. »Jedenfalls, Mr. Keene, »bin ich Ihnen verbunden, daß Sie mir Ihre Ansicht mittheilten.«
Der Kapitän ging noch etlichemal schweigend auf und ab, und verließ sodann das Deck.
*