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Fünfzehntes Kapitel

Obgleich der Widerwille, den ich gegen die ganze Culpepper'sche Familie gefaßt hatte, so groß war, daß ich ihr Alles hätte zum Possen thun können, so war doch mein Geist jetzt so von Dem angefüllt, was ich über meine Geburt und meinen muthmaßlichen Vater erfahren, daß ich an keine Teufeleien zu denken vermochte.

Während des ganzen folgenden Tages ging ich, in Gedanken vertieft, auf der Allmande oder in dem kleinen Garten spazieren, und als ich Nachts zu Bette ging, blieb ich abermals bis zum Morgengrauen wach. Ich hatte in den letzten zwei Tagen mehr nachgedacht und Reflexionen gemacht, als vielleicht durch mein ganzes früheres Leben.

Ich war zwar vollkommen überzeugt, daß meine Lage besser war, als wohl der Fall gewesen wäre, wenn ich einen gemeinen Seesoldaten zum Vater gehabt hätte; indeß fühlte ich doch auch, daß ich unter solchen Verhältnissen vielen Kränkungen ausgesetzt war, und daß mich meine Beziehung zu der Familie meines hochadeligen Vaters nichts nützen konnte, wenn ich nicht von ihm anerkannt wurde; – und Kapitän Delmar – wie sollte ich mich gegen ihn benehmen? In keinem Falle war meine Liebe zu ihm sonderlich groß, und das neue Licht, das mir aufgegangen war, trug keineswegs dazu bei, dieselbe zu vermehren. Indeß klangen die Worte meiner Mutter zu Chatham: »Weißt du auch, wem du diesen Schabernack gespielt hast?« u. s. w., mir noch immer in den Ohren. Ich fühlte die Ueberzeugung, daß er mein Vater war, und daher auch eine Art Kindespflicht – vielleicht eine vermehrte Achtung – gegen ihn.

Dieß waren sehr bangende Gedanken für einen noch nicht vierzehnjährigen Knaben, und die Culpeppers bemerkten, daß ich nicht nur sehr blaß aussehe, sondern auch während meines kurzen Aufenthaltes magerer geworden sei.

Da ich nach dem ersten Tage sehr schweigsam und zurückhaltend war, so freute man sich ungemein, als endlich meine Kleider anlangten und ich als bordfähig rapportirt werden konnte. Mir ging es ebenso, denn ich sehnte mich, an Bord zu gehen und meinen Freund Tommy Dott zu sehen, den ich, wenn der Gegenstand zur Sprache kam, über meine Schritte zu berathen gedachte. Freilich fiel mir dabei auch Bob Croß, des Kapitäns Beischiffführer, ein, der vielleicht noch besser dazu paßte, obschon ich noch nicht ganz gewiß wußte, ob es überhaupt räthlich war, einen oder den andern in mein Vertrauen zu ziehen.

Hinsichtlich meines Benehmens gegen meine Mutter war ich zu einem Entschlusse gekommen. Aus dem, was in meiner Abwesenheit zwischen ihr und dem Kapitän vorgegangen war, konnte ich wohl entnehmen, daß sie nie die Wahrheit anerkennen würde, weßhalb ich mich dafür entschied, sie wissen zu lassen, daß ich in das Geheimniß eingeweiht sei. Ich meinte, ihre Antwort müsse mir jedenfalls einen Fingerzeug über die Richtigkeit der Thatsache geben, die ich in knabenhafter Uebereilung für unumstößlich annahm, obgleich ich auch nicht den mindesten positiven Beweis hatte.

An dem Tage, der zu meiner Aufnahme auf das Schiff bestimmt war, bat ich Miß Culpepper, mir einen Bogen Papier zu geben, damit ich an meine Mutter schreiben könne. Sie willfahrte mir sehr bereitwillig und sagte, ich solle sie meinen Brief lesen lassen, damit sie etwaige Schreibfehler darin verbessern könne, denn es werde meiner Mutter Freude machen, wenn sie von mir einen richtig geschriebenen Brief erhalte. Sodann begab sie sich in die Küche, um einige Aufträge zu geben.

Da es mir nicht entfernt zu Sinne kam, sie mein Schreiben lesen zu lassen, so faßte ich mich äußerst kurz, um dasselbe auf die Post zu bringen, ehe sie wieder zurückkam; es lautete folgendermaßen:

» Liebe Mutter!

Ich habe Alles weg – ich bin der Sohn des Kapitän Delmar, und Jedermann hier weiß, was du vor mir geheim hältst. Ich gehe heute an Bord.

Dein
getreuer
P. Keene

Dieß war nun freilich sehr kurz, und gewiß auch so unumwunden, als möglich. Vielleicht hätte ich aber nichts schreiben können, was mehr berechnet gewesen wäre, meiner Mutter Kummer und Unruhe zu machen.

Sobald ich mit meinem Briefe fertig war, faltete ich ihn, und zündete eine Kerze an, um ihn zu siegeln. Die alte Mrs. Culpepper, die im Zimmer war, krächzte hinaus: »Nein, nein, Sie müssen es Medea zeigen.« Ich achtete jedoch nicht darauf, sondern setzte, nachdem ich den Brief gesiegelt hatte, meinen Hut auf, und begab mich nach dem Postbureau, wo ich das Schreiben in den Schalter fallen ließ. Auf dem Heimwege begegnete ich Mr. Culpepper, dem Beischiffführer Bob Croß und einem Paar von der Bootsmannschaft.

Wie ich mir dachte, waren sie ausgeschickt worden, um mich zu holen. Ich schloß mich sogleich den Sendlingen an, und wurde freundlich von Bob Croß bewillkommt.

»Nun, Mr. Keene,« begann derselbe, »sind Sie jetzt ganz schiffsgerecht? Wir sollen Sie aufgreifen.«

»Alles in Ordnung,« versetzte ich. »Ich freue mich, fortzukommen, denn ich bin's satt, unthätig auf der Küste zu liegen.«

Wir waren sehr bald bei dem Hause; die Matrosen brachten meine Koffer und mein Bettzeug fort, während Bob Croß noch eine Weile blieb, damit ich mich von den Damen beabschieden möge.

Die Förmlichkeit war auf beiden Seiten von keinem großen Leidwesen begleitet. Miß Culpepper konnte es nicht unterlassen, mich zu fragen, warum ich ihr meinen Brief nicht gezeigt habe, worauf ich ihr antwortete, daß Geheimnisse darin stünden. Dieß trug nun durchaus nicht dazu bei, ihre gute Laune zu erhöhen, weßhalb unser Abschied Alles, nur nicht zärtlich war, und ehe noch die Matrosen mit meinen Effekten hundert Schritte zurückgelegt hatten, waren Bob und ich bereits auf ihren Fersen.

»Nun, Master Keene,« sagte Bob, als wir über Southsea-Common hingingen, »wie haben Ihnen des Proviantmeisters Frauenzimmer gefallen?«

»Ganz und gar nicht,« versetzte ich. »So lang ich dort war, versuchten sie an einem fort, mich auszuholen; 's hat sie indeß nicht viel genützt.«

»Weiber sind neugierig, Master Keene. Na, was wollten's denn aus Ihnen 'rausholen?«

Ich wußte kaum, was ich antworten sollte, und stockte. Ich fühlte zwar eine lebhafte Zuneigung zu Bob Croß und hatte zuvor schon daran gedacht, ob ich ihn nicht zu meinem Vertrauten machen sollte, war aber noch immer unentschieden und blieb die Antwort schuldig, welche denn schließlich Bob Croß für mich unternahm.

»Schauen's, mein Kind – denn obgleich Sie auf das Halbdeck gehen und ich vor den Mast gehöre, so sind Sie doch nur ein Kind in Vergleichung gegen mich – ich kann Ihnen sagen, was sie aus Ihnen 'rauspumpen wollten, so gut als Sie mir's sagen könnten, wenn Sie nur wollten. Nach meinem Dafürhalten ist wohl kein junger Mensch an Bord der Fregatte, der besser einen guten Rath braucht, als Sie, und ich sag's Ihnen aufrichtig – Sie werden Ihre Karten zu spielen haben. Bob Croß ist kein Narr und kann so weit als jeder Andere durch 'nen Nebel sehen. So weit ich Sie kenn', lieb' ich Sie um ihrer selbst willen, und dann hab' ich auch nicht vergessen, daß Ihre Mutter freundlich gegen mich war, obschon sie gar gewaltig mit ihrer eigenen Betrübniß zu thun hatte: nicht daß ich's Geld gebraucht hätt' – nein, 's Geld war's nicht, aber die Art und die Umstände, wie sie mir's gegeben hat. Ich hab's ihr versprochen, ich wolle ein Bissel nach Ihnen sehen – ein Bissel heißt nämlich bei mir recht viel – und das will ich auch, wenn's Ihnen recht ist, daß ich's soll! Wo nicht – je nun, so lang' ich vor Ihnen, als meinem Offizier, an den Hut, was Sie nicht viel helfen wird. Sie können daher jetzt entscheiden, junger Herr, ob Sie mich wollen zu Ihrem Freund haben, oder nicht.«

Diese Berufung gab völlig den Ausschlag. »Bob Croß,« versetzte ich, »wohl wünsche ich Sie zu meinem Freunde zu haben und dachte schon früher daran, war aber nicht ganz schlüssig, ob ich mich an Sie oder an Tommy Dott halten sollte.«

»Tommy Dott? Nun, Master Keene, 's ist nicht sehr schmeichelhaft, mich in die eine Wagschale zu legen und Tommy Dott in die andere; auch nimmt's mich nicht Wunder, daß die meinige 'nunterzieht. Wenn Sie in die Patsche gerathen wollen, so können Sie sich an keinen Besseren wenden, als an Tommy Dott: aber Tommy Dott ist nicht halb so passend, Ihnen mit Rath an die Hand zu gehen, als Sie vermuthlich sind, ihm zu rathen. Machen Sie ihn daher meinetwegen zu Ihrem Spielkameraden und Gesellschafter, was übrigens seinen Rath betrifft, der ist nicht weit her. Doch sei's drum – weil Sie mir den Vorzug gegeben haben, so will ich Ihnen jetzt sagen, daß die Culpepper'schen Leute haben ausfindig machen wollen, wer Ihr Vater ist. Hab' ich nicht Recht?«

»Ja freilich,« entgegnete ich.

»Nun gut; das ist keine Zeit, von solchen Dingen zu schwatzen. In einer Minute sind wir im Boot drunten, und so wollen wir für jetzt darüber schweigen. Vergessen's übrigens nicht, wenn Sie an Bord sind, und die Rede darauf kommt, Ihnen 'nen Mann zu bestellen, der für Ihre Hängematte Sorge trägt – zu sagen, daß der Beischiffführer Bob Croß das Geschäftlein schon übernommen habe. Verstanden? Weiter brauchen's nicht zu sagen. Warum – sollen's mit der Zeit erfahren, wenn wir ungestört mit einander plaudern können. Und wenn einer von Ihren Tischgenossen etwas sagen sollt', über den nämlichen Gegenstand, wegen dem die Culpeppers Sie in die Mache genommen haben, so halten Sie sich nur recht steif und geben's keine Antwort. Nun da sind wir am Ausfahrthafen. Für jetzt also hat's mit unserm Geplauder ein Ende.«

Koffer und Bettzeug waren bereits im Boot, und sobald Croß und ich eingetreten waren, befahl er dem Mann am Bug, abzufahren. In einer halben Stunde langten wir neben der bei Spithead gelegenen, ganz neu gemalten Fregatte an, deren Wimpel stolz im Winde flatterte.

»Ich will zuerst hinaufsteigen; und vergessen's nicht, an Ihren Hut zu langen, wenn die Offiziere mit Ihnen sprechen,« sagte Bob Croß, als er das Falltau hinausstieg. Ich folgte ihm nach und befand mich alsbald auf dem Halbdeck, wo ich den ersten Lieutenant und mehrere Offiziere traf.

»Nun, Croß?« sagte der erste Lieutenant.

»Ich hab' da einen jungen Gentleman an Bord gebracht, der auf dem Schiff den Dienst lernen soll. Ich glaube, Kapitän Delmar hat schon Ordre über ihn erlassen.«

»Mr. Keene vermuthlich?« entgegnete der erste Lieutenant, mich vom Kopfe bis zu den Füßen musternd.

»Ja, Sir,« versetzte ich, meinen Hut berührend.

»Wie lange sind Sie in Portsmouth gewesen?«

»Drei Tage, Sir; ich habe mich bei Mr. Culpepper aufgehalten.«

»Ei, da haben Sie sich wohl gar in Miß Culpepper verliebt?«

»Nein Sir,« antwortete ich. »Ich hasse sie.«

Auf diese Antwort brachen der erste Lieutenant und die ihn umgebenden Offiziere in ein lautes Gelächter aus.

»Nun, junger Herr, Sie müssen heute in der Konstabelkammer mit uns speisen. Wo ist Mr. Dott?«

»Hier, Sir,« versetzte Tommy Dott, der von der andern Seite des Halbdeckes herkam.

»Mr. Dott, nehmen Sie diesen junge« Gentleman hinunter und zeigen Sie ihm die Midshipmens-Kajüte. Laßt sehen, wer seine Hängmatte besorgen soll.«

»Ich glaube, Bob Croß will dieß übernehmen, Sir,« sagte ich.

»Des Kapitäns Beischiffführer? – Hum! gut, das wäre jedenfalls abgemacht; sehr gut – wir werden bei Tisch das Vergnügen Ihrer Gesellschaft haben, Herr Keene. Ei, Sie machen ja ein Gesicht, als ob Sie Mr. Dott kennten?«

»Als ob es nicht so wäre, Tommy?« sagte ich grüßend zu dem Midshipman.

»Da haben wir nunmehr vermuthlich ein Paar,« sagte der erste Lieutenant, der sich jetzt gegen den Schiffsspiegel umwandte, und weiter ging.

Tommy und ich stiegen nun so schnell als möglich die Hüttentreppe hinunter, und ein paar Sekunden später saßen wir in vertraulicher Unterhaltung mit einander auf demselben Koffer.

Meine außerordentliche Aehnlichkeit mit unserem ehrenwerthen Kapitän hatte auch auf die Offiziere, welche bei meiner Ankunft auf dem Halbdeck standen, Eindruck gemacht, und Bob Croß war, wie er mir nachher erzählte, von dem Wundarzte unter irgend einem Vorwande vorgeladen worden, damit er über mich Auskunft ertheile. Ich konnte damals Bob's Gründe, warum er in nachfolgender Weise antwortete, nicht begreifen; indeß setzte er mir dieselben später auseinander.

»Wer brachte ihn herunter, Croß?« fragte der Wundarzt mit anscheinender Gleichgültigkeit.

»Seine Mutter, Sir. Dem Vernehmen nach hat er keinen Vater, Sir.«

»Habt Ihr sie gesehen? Was war es denn für eine Art Person?«

»Ei, Sir,« versetzte Bob Croß, »ich habe schon viele Damen von Stand gesehen, aber eine so leibhaftige Lady ist mir, glaub' ich, nie zu Gesicht gekommen. Und welch' eine Schönheit – ich wollt's gleich morgen heirathen, wenn ich ein solches Fahrzeuglein in mein Schlepptau kriegen könnt'!«

»Wie kamen sie nach Portsmouth?«

»Ei, Sir, sie kamen in einer vierspännigen Kutsche herunter; und nach dem Hotel George ging sie, als ob's gar nichts ausmachte.«

Dieß war durchaus keine Lüge von Seite des Beischiffführers, denn wir waren in einer Kutsche nach Portsmouth gekommen; indeß hatte es doch die beabsichtigte Wirkung, den Wundarzt zu täuschen.

»Habt Ihr Etwas von ihr gesehen, Croß?«

»Als sie bei dem Kapitän war, nichts, Sir – wohl aber in ihrer eigenen Wohnung. In meinem Leben nie hab' ich eine so großmüthige Dame getroffen.«

Es wurden noch mehrere Fragen an ihn gestellt, welche der Beischiffführer so ziemlich in ähnlicher Weise beantwortete, so daß meine Mutter als eine sehr wichtige und geheimnisvolle Person erschien. Allerdings hätte Tommy Dott das Gegentheil aussagen können; aber erstlich war es nicht sehr wahrscheinlich, daß sich die Offiziere über diesen Punkt mit ihm benahmen, und zweitens bat ich ihn, nichts über meine Verhältnisse auszusagen, was er denn auch, da er mir sehr zugethan war, mir recht gerne zu Gefallen that. Bob Croß hatte demnach den Wundarzt, der natürlich seinen Tischgenossen Bericht erstattete, vollständig mystifizirt.

Mr. Culpepper's Aussagen lauteten allerdings etwas anders als die des Beischiffführers. Man hatte da meine Angabe, daß meine Tante an einen Marineoffizier verheirathet sei, deßgleichen auch, daß meine Mutter bei Kapitän Delmar's Tante gewohnt habe. Doch lag hierin immer noch Bedenken und Geheimniß genug, und das Ganze lief darauf hinaus, daß man meine Mutter für eine weit wichtigere Person hielt, als sie wirklich war. Was dazu diente, eine Dame von Stande aus ihr zu machen, wurde bereitwillig geglaubt, und alle Gegenmomente als apocryphisch und falsch betrachtet.

Wer jedoch auch meine Mutter sein mochte – über einen Punkt kam man männiglich überein, daß ich nämlich der Sohn des ehrenwerthen Kapitäns Delmar sei, und ich theilte diese allgemeine Ueberzeugung. Begierig sah ich nunmehr dem nächsten Briefe meiner Mutter entgegen, welcher zwei Tage, nachdem ich an Bord der Fregatte gegangen, einlief. Er lautete folgendermaßen:

» Mein lieber Percival!

»Du kannst nicht wissen, welchen Schmerz und welches Erstaunen mir Dein unkindlicher und höchst kränkender Brief bereitet hat. Gewiß bist Du, als Du schriebest, der Ueberlegung nicht fähig gewesen, und Du thatest es wohl in einem Augenblicke der Aufregung, die ihren Grund in irgend einer unedlen Bemerkung hatte, welche Dir zu Ohren kam.

»Ach, mein liebes Kind! Jetzt, da Du eine Lebenslaufbahn angetreten hast, wirst Du finden, daß es nur zu Viele gibt, deren einzige Freude es ist, ihren Nebenmenschen Kummer zu machen. Ich kann mir nur denken, daß in Deiner Anwesenheit einige Aeußerungen gemacht wurden, die aus einer Aehnlichkeit Deines Gesichtes mit dem des ehrenwerthen Kapitäns Delmar entsprangen, und daß eine solche vorhanden ist, wurde früher auch schon von Andern bemerkt. In der That waren sogar Onkel und Tante Bridgeman ganz betroffen über diese Aehnlichkeit, als Kapitän Delmar zu Chatham anlangte. Doch dieß beweist nichts, mein liebes Kind. Leute sehen sich oft sehr ähnlich, die sich nie zuvor gesehen oder nie von einander gehört haben, bis sie der Zufall zusammenbrachte und zu einer Vergleichung Anlaß gab.

»Da Dein Vater in Kapitän Delmar's Diensten war und denselben beharrlich begleitete, was natürlich auch zur Folge hatte, daß ich ihn hin und wieder sah, so ist es allerdings leicht möglich, daß der Eindruck seines Gesichts unablässig in unserem Gedächtniß war und – doch Du verstehst solche Fragen nicht, weßhalb ich nicht weiter sagen will, als daß Du Dich unverzüglich aller derartigen Gedanken entschlagen sollst.

»Du vergissest, mein lieber Sohn, daß Du mich durch eine solche Vermuthung kränkest und daß die Ehre Deiner Mutter damit angegriffen wird. Ich bin überzeugt, daß Du hieran nicht gedacht hast, als Du jene übereilten und unüberlegten Zeilen schriebst. Ich muß noch beifügen, mein liebes Kind, daß Kapitän Delmar sehr stolz und empfindlich ist, und wenn er je erführe, daß Du solche Dinge vermuthest oder aussprächest, so würden seine Gunst und sein Schutz auf immer für Dich verloren sein. Vor der Hand thut er ein menschenfreundliches und wohlthätiges Werk, indem er sich um den Sohn eines treuen Dieners annimmt; wenn er aber nur einen Augenblick dächte, Du meinest ihm verwandt zu sein, so würde er Dich für immer abschütteln, und Deine Aussichten für's Leben wären vernichtet. Ja, ich bin überzeugt, dieß wäre sogar der Fall, selbst wenn überhaupt nur die Möglichkeit statthaben könnte, daß Du wärest, wofür Du Dich wahnsinniger Weise in Deinem Briefe hältst. Käme ein solches Gerücht zu seinen Ohren, so würde er sich alsbald von Dir lossagen und es Dir überlassen, Dich selbst durch die Welt zu schlagen.

»Du siehst also, mein liebes Kind, wie in jedem Betracht kränkend und lächerlich Deine Vermuthung ist, und ich versehe mich's zu Dir, daß Du, nicht nur um Deiner selbst, sondern auch um der Ehre Deiner Mutter willen, derartigem Gerede keinen Glauben schenkst – ja, im Gegentheil sogar es entrüstet zurückweisest, da für uns und für den Kapitän nur Verdruß und Unglück daraus erwachsen kann.

»Kapitän Bridgeman trägt mir auf, Dir zu sagen, daß er meine Ansicht theile, und ein Gleiches ist auch von Seiten Deiner Tante Milly der Fall. Was Deine Großmutter betrifft, so wagte ich es natürlich nicht, ihr Deinen Brief zu zeigen. Schreibe mir, mein lieber Sohn, und theile mir mit, wie es mit diesem unglücklichen Irrthum vorging. Im Uebrigen verbleibe ich

Deine
Dich zärtlich liebende Mutter
Arabella Keene

Ich überlas diesen Brief wohl zehnmal, ehe ich zu einem Entschlusse kommen konnte. Endlich sagte ich zu mir selbst, es ist doch nirgends eine entschiedene Abläugnung der Thatsache, und dieß veranlaßte mich zu dem Entschluß, das Schreiben bei nächster Gelegenheit Bob Croß zu zeigen und mir sein Gutachten darüber zu erbitten.

*

 


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