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29.

Mehr als ein Jahr war vergangen seit jenem Märztage, wo Käthe Mangold, die Enkelin und einzige Erbin des reichen Schloßmüllers, auf dem Fahrwege von der Stadt her geschritten war, um sich im Hause ihres Vormundes in ihrer neuen Eigenschaft als »Goldfisch« vorzustellen.

Wer jetzt, von der mit vornehmen Villen besetzten Fahrstraße abbiegend, diesen Weg betrat, der sah rechts, und zwar ebenfalls an der Fahrstraße hin, eine Reihe hübscher kleiner Häuser liegen; sie gehörten den Arbeitern der Spinnerei und standen im ehemaligen Mühlengarten, auf dem Grund und Boden, den Käthe ihrem Vormund für die Leute abgetrotzt hatte. Und die Bewohner der Stadt gingen so gern da vorüber. Früher hatte sich hier die alte, dicke, das Mühlengrundstück begrenzende Mauer aufgetürmt – in ihrem tiefen Schatten war der Fußsteig selten trocken geworden, er war als grundlos verrufen gewesen. Nun dehnte sich hier plötzlich ein anmutiger, mit Kugelakazien bepflanzter Spazierweg hin. Die kleinen Häuser sahen so nett und holländisch sauber aus mit ihrem fleckenlosen Ölanstrich, der luftigen Veranda neben der Haustür und dem schmalen Vorgarten, der schon im Herbst mit allerlei Reisern schönblühender Gebüsche besetzt worden war.

Die Schloßmühle lag hinter ihnen, altersdunkel, stolz in ihrer Ehrwürdigkeit, aber auch abgewendet mit ihren Fenstern, als zürne sie, daß man ihrem grünen Gartenmantel diesen modernen Saum angeflickt habe. Sie selbst hatte sich keiner Veränderung unterworfen; nur die alte, halbverwischte Sonnenuhr war aufgefrischt und die kleine Tür nach dem anstoßenden Parke zugemauert worden. Die Schloßmühle stand in keiner Beziehung mehr zu dem ehemaligen Besitz der verblichenen Ritter von Baumgarten, die ihr vorzeiten den herrschaftlich klingenden Titel verliehen hatten. Aber der tosende Lärm, das klopfende Herz in dem ehrwürdigen Bau des Mittelalters klang in verjüngter, erhöhter Kraft, und der in den Mühlhof mündende Fuhrweg war befahrener als je; das »herrenlose Geschäft« ruhte in starker, sicherer Hand und wurde mit klugem Blicke geleitet. Käthe hatte Glück gehabt bei ihrem Unternehmen. Sie hatte für die Mühle einen braven, sachkundigen Geschäftsführer gefunden, und in der Buchführung stand ihr der gänzlich verarmte Kaufmann Lenz zur Seite.

Als Lehrling war sie in dem Kontor eingetreten, das sie in der Mühle geschaffen hatte, aber bei ihren bedeutenden Schulkenntnissen, ihrem scharfen, klaren Urteil und Überblick war sie ihrem Lehrer und Meister binnen kurzem ebenbürtig geworden. Sie arbeitete in der Tat »Tag für Tag« wie ein Mann – das Geschäft wuchs und erweiterte sich überraschend schnell und zeigte sehr bald Erfolge, wie sie selbst der Schloßmüller nicht errungen hatte. Und das, was sie auf ihrem selbstgewählten rauhen Lebenswege stärkte und ermutigte, waren die zufriedenen Gesichter um sie her; es war jedes an seinem Platze. Sie hatte die Witwe des verunglückten Franz mit ihren Kindern bei sich behalten und ihr eine Heimstätte in einem neu hergerichteten kleinen Seitengebäude der Mühle für zeitlebens angewiesen. Die Frau besorgte mit Suse zusammen nach wie vor die kleine zur Mühle gehörige Wirtschaft und das Hauswesen, und die Kinder erhielten eine Ausbildung, für die ihr verstorbener Vater, der mehr auf die materiellen Errungenschaften bedacht gewesen war, sicherlich nie gesorgt hätte.

Von der großen Hinterlassenschaft des Schloßmüllers war Käthe in der Tat nichts verblieben als die Mühle und einige tausend Taler, die sie mit dem Stück Gartenboden zugleich von ihrem Vormunde erbeten und erpreßt und den Arbeitern zu ihrem Häuserbau geliehen hatte. Die vielen Hunderttausende waren in den Flammen spurlos verschwunden, und das wenige Gold und Silber, das man geschmolzen später unter Schutt und Trümmern fand, rührte wohl eher von Eßgerät und Trinkbechern her als von Münzen. Bei dem auf die Explosion folgenden geschäftlichen Zusammenbruch kamen viele Gläubiger, trotz der vorhandenen Liegenschaften und Wertgegenstände, um ihr Geld; der Konkurs erwies sich als einer der schlimmsten, hoffnungslosesten, die der große Krach hinter sich herschleppte. Villa und Park waren wieder in altadlige Hände gekommen, und der neue Besitzer ließ schleunigst die Turmtrümmer forträumen, das Wasser in den Fluß zurückleiten und den Graben zufüllen; selbst der geborstene Hügel wurde der Erde gleichgemacht, »auf daß der ehemals ritterliche Grund und Boden durch nichts mehr an die Zeit erinnere, wo sich der Übermut eines Emporkömmlings hier breit gemacht und ein schmachvolles Ende genommen habe«. Auch der alte, ehrwürdige Holzbogen, der nach dem Haus am Flusse führte, war abgebrochen worden. Man ging jetzt über die der Spinnerei nahe gelegene Steinbrücke und einen hübschen Fußweg am jenseitigen Ufer entlang, wenn man nach dem Doktorhaus kommen wollte.

Das Haus, das im Spätherbst noch vollständig erneuert worden war, stand unbewohnt; die alte Freundin der Tante Diakonus war den Winter über in der ehemaligen Stadtwohnung des Doktors verblieben und wollte erst mit Beginn der schönen Jahreszeit wieder hinausziehen … Dorthin wanderte Käthe fast jeden Tag. Ob die Herbstnebel dampften und Weg und Steg von Nässe triefen mochten, ob die Schneeflocken stöberten oder der Wind eisig von Norden herblies: sowie die Abenddämmerung hereinbrach, warf Käthe die Feder fort, hüllte sich warm ein und huschte hinaus ins Freie …

Da schüttelte sie die Zahlenlast, das starre, trockene Geschäftswesen, unter dem sie ihr heißes, klagendes Herz geflissentlich vergrub, für eine halbe Stunde ab; dann war sie nicht die ernste, geschäftspünktliche Herrin, deren achtsamem Auge nicht die kleinste Unregelmäßigkeit entging, die an sich und ihre eigenen Leistungen die höchste Forderung stellte und in weiser Verteilung von Lob und Rüge dasselbe bei ihren Untergebenen zu erzielen wußte, ohne daß je ein hartes Wort von ihren Lippen, ein heftig zürnender Blick aus ihrem Auge kam – sie war in diesen Dämmerstunden nur das junge Mädchen, das seiner tiefen Sehnsucht Raum gab, das, bei aller Härte und Strenge gegen seine unbezwingliche Neigung, sich doch Augenblicke der wehmütigen Träumerei, der Hingebung an den Schmerz zugestand.

Dann trat sie durch die schmale, knarrende Lattentür, die ins Feld hinausführte und auf die sie, Henriette auf den Armen, nach dem Überfall im Walde todesermattet zugeschritten war. Im Vorübergehen strich sie stets mit schmeichelnder Hand über den grünangelaufenen Steinsockel inmitten des Rasengrundes, neben dem sie einmal mit Bruck gestanden, und suchte dann die Stelle auf, wo der Gartentisch seinen Platz gehabt hatte; dort hatte Bruck um ihretwillen schwer gelitten – das wußte sie nun. Sie umging das einsame Haus mit seinen verrammelten Fensterläden, seinen neuen, ungeheizten Schlöten und schnarrenden Wetterfahnen und stieg die schlüpfrigen, winternassen Stufen hinauf, um das Ohr an das Schlüsselloch der Haustür zu legen. Jenes schwache, scheinbare Seufzen, das der von dem geöffneten Bodenraum herabkommende Zugwind verursachte, schlich durch den weiten Hausflur; neben und über der Tür rasselten dürre Weinranken, und manchmal flog noch ein verspäteter Spatz unter den Dachvorsprung – das war alles Leben, das sich in der Verlassenheit regte, und doch horchte das junge Mädchen begierig darauf; es war doch nicht Grabesstille, und das Recht, diese Tür wieder zu öffnen, lag ja noch in geliebten Händen, und eines Tages wurden auch wieder Schritte laut da drinnen, und liebe Gesichter sahen zu den Fenstern heraus – das war ja alles festgestellt, wenn Käthe sich auch dabei sagen mußte, daß sie selbst dann stets verreisen werde, bis – Bruck einmal ein weibliches Wesen am Arme führte, in dessen Hand sie den Ring legen durfte.

Er mochte wohl vielumworben sein in L.....g. Der Ruf seines Namens wuchs von Tag zu Tag; eine große, auserwählte Zuhörerschaft drängte sich zu seinen Vorlesungen, und die Nachricht von verschiedenen glücklichen Kuren, denen er hervorragende Persönlichkeiten unterworfen hatte, machte die Runde durch die Welt. Die Briefe der Tante Diakonus an Käthe – sie schrieb ihr sehr oft – atmeten Glück und Seligkeit; sie waren für das junge Mädchen eine Quelle des Genusses, aber auch furchtbarer, neuaufgerüttelter Seelenkämpfe, und deshalb antwortete sie ziemlich sparsam und zurückhaltend. Der Doktor selbst schrieb nicht – er hielt streng an seinem Versprechen fest, sie nie zu bestürmen – und begnügte sich stets mit einem Gruß, den sie freundlich und pünktlich erwiderte.

So verlief ihr junges, einsames Leben Tag für Tag. Sie ahnte nicht, daß man sich in der Stadt viel mit ihr beschäftigte, daß sie jetzt, nach ihrer tatkräftig durchgesetzten Mündigsprechung, wo sie sich so entschlossen und willensstark an die Spitze ihres Geschäfts gestellt hatte, weit mehr Teilnahme und Beachtung herausforderte als früher durch ihren unliebsamen Goldfischtitel … Dieser ausgezeichnete Leumund führte denn auch sehr oft einen Besuch in die Schloßmühle, den sie das erste Mal mit unverhohlenem Erstaunen begrüßte. Die Frau Präsidentin Urach verschmähte es durchaus nicht mehr, auf ihren Spaziergängen mit der ihr treu gebliebenen Jungfer in der Mühle einzukehren, um, »wie es ihre Pflicht gegen ihren verstorbenen teuren Schwiegersohn erheische, nach der Jüngsten zu sehen«.

Die alte Dame war schon einige Wochen nach ihrer Abreise in die Residenz zurückgekehrt; sie hatte es draußen »nicht ausgehalten«. In einer engen Straße ein paar kleine, hochgelegene Zimmer bewohnend, lebte sie, ihren kargen Mitteln gemäß, zurückgezogen und halbvergessen von der Welt. Der Medizinalrat von Bär hatte sich ein Landgut gekauft und der Residenz grollend den Rücken gekehrt – er war für sie verschollen, und von den übrigen Freunden besuchten sie nur noch einige Altersgenossinnen und der pensionierte Oberst von Giese, die manchmal zu einem Spielchen bei ihr zusammenkamen.

Sie fühlte sich mit einemmal so wohl »in der großen, weiten Schloßmühlenstube, in der man so recht aufatmen könne«; sie ließ sich, ermüdet von dem zurückgelegten Weg und behaglich in das altmodische, federngepolsterte Kanapee des seligen Schloßmüllers gedrückt, den duftenden Kaffee vortrefflich schmecken, den Käthe stets sofort auf der Maschine bereitete, und widersprach durchaus nicht, wenn Suse auf den Wink ihrer jungen Herrin einen schweren Korb voll frischer Butter, Eier und Schinken an den Arm der Jungfer hängte.

Auf Flora war sie nicht gut zu sprechen. Die Enkelin, die im vollen Besitz ihres Vermögens geblieben war, bezahlte zwar die Mietwohnung für ihre Großmama und trug auch die Kosten für die Bedienung; alles übrige verbrauchte sie aber für sich selbst und konnte kaum auskommen, wie sie wiederholt brieflich versicherte. Zürich hatte sie sehr bald wieder verlassen – das »grause« ärztliche Studium erregte ihr die Nerven »bis zum Wahnsinnigwerden«. Sie war eben eine jener geistigen Koketten, die um jeden Preis eine Rolle spielen und Aufsehen machen wollen, sich gern den Anschein grübelnden Denkens und tiefgehender Kenntnisse geben, vor nichts aber mehr zurückschrecken als vor der ernsten, harten Geistesarbeit.

Nun war die Osterzeit herangekommen. Schon seit mehreren Wochen wurde im Garten des Doktorhauses unermüdlich gearbeitet. Der Doktor hatte einen Gärtner aus L.....g geschickt; der steckte neue Wege ab oder suchte vielmehr die Spuren des alten, sehr hübschen Gartenplanes wieder auf und gab den Anlagen die frühere Gestalt zurück. Viele Hände waren beschäftigt, zu graben und zu pflanzen, und Plätze wurden vorgerichtet, wo einige Bildwerte aufgestellt werden sollten, die aus L.....g gekommen waren und noch verpackt in dem Hausflur standen. Am Hause waren schon seit vierzehn Tagen alle Läden geöffnet; die Zimmer wurden tapeziert und mit neuem Firnisanstrich versehen, und auf den First war sogar eine Fahnenstange gekommen. Dann zog die Freundin der Tante wieder ein und brachte eine Schar Tagelöhnerinnen mit, die das Haus vom Dachboden bis zum Keller spiegelblank machten.

Käthe hatte ihre Spaziergänge nicht unterbrochen. Auch heute, am heiligen Abend vor dem Osterfeste, war sie in der Mittagstunde noch einmal drüben gewesen. Im Garten wurde noch immer gepflanzt und gesät, aber die alten Taxusgruppen, die ihn früher als undurchdringliche, buschige und struppige Wildnis verunstaltet und verdüstert hatten, standen gesäubert und in die ehemaligen Schranken zurückgewiesen, und aus ihrem dunkeln Grün traten leuchtend und anmutig die neuen Sandsteinfiguren hervor. Auf den Wegwindungen, die die Hecken durchschnitten, lag in tadelloser Glätte heller Sand; an die Stelle der knarrenden Holztür im Zaune war ein feines schwarzes Eisengitter getreten; die Laube der Tante Diakonus stand weiß angestrichen, und hinter dem Hause umschloß ein Plankenzaun den neuen Hühnerhof.

Und auf dem wohlbekannten Steinsockel vor dem Hause hob sich eine Terpsichore, die Arme in anmutigem Schwunge emporgestreckt, auf der äußersten Spitze ihres zarten Füßchens, genau so, wie sich Käthe die längst zertrümmerte Gestalt auf dem schmalen Fußreste sonst in Gedanken wieder aufgebaut hatte.

»Das Standbild ist sehr hübsch,« sagte der fremde Gärtner achselzuckend; »es müßte nur auf einem schöneren Grunde stehen. Der Rasen« – er zeigte über den Grasplatz hin – »ist verwildert und nichts nutz, aber der Herr Professor hat mir streng verboten, den Spaten da anzusetzen.« – Käthe bückte sich, helle Glut auf den Wangen, und pflückte die ersten Veilchen, die sich im Schutze des Sockels bereits voll und köstlich duftend entfaltet hatten. »Ja, der Rasen starrt von Unkraut,« setzte der Gärtner über die Schulter hinzu und ging weiter.

Und das Haus – jetzt in der Tat ein Schlößchen – stand heute da, glänzend in Frische und Neuheit und so festlich und feierlich geschmückt, »als ob eine Braut einziehen sollte«, wie die alte Freundin ahnungsvoll lächelnd zu Käthe sagte. Das schneeweiße Kätzchen kam über den neuen Mosaikfußboden des Flurs leise gegangen; im Zimmer der Tante Diakonus, hinter den Vorhängen und umringt von den in der Stadt überwinterten Lorbeer- und Gummibäumen, schmetterte der Kanarienvogel aus voller, trillernder Kehle, und die Goldfischchen schwammen munter in der Glasschale – da war ja auch schon das gewohnte Leben und Treiben wieder eingekehrt, und die Tante Diakonus selbst sollte mit dem Nachmittagszuge eintreffen. Sie bringe auch einen Gast mit, hatte die alte Freundin, geheimnisvoll mit den Augen blinzelnd, gemeint; wen, das wisse sie nicht, sie habe nur den Auftrag erhalten, das Fremdenzimmer mit hübschen, neuen Möbeln zu versehen. Und dabei hatte sie stolz die breite, weißglänzende Flügeltür zurückgeschlagen, und Käthe war in einen Tränenstrom ausgebrochen – sie mußte an ihre Henriette denken, die hier gelitten hatte und doch noch einmal in ihrem armen Leben so glücklich, so stillselig gewesen war. Neben dieser schmerzvollen Erinnerung rang sich aber auch noch eine nie gekannte, heißaufquellende Eifersucht empor. Wer war sie, die sich an das Herz der Tante gedrängt und die alte Frau so sehr für sich eingenommen hatte, daß sie als Besuch mitkommen durfte?

Die rosenbestreuten Vorhänge und die schaukelnden Blumenampeln waren an den Fenstern verblieben; die altmodische, mühsam zusammengesuchte Zimmereinrichtung dagegen hatte modernen, hübschen, wenn auch sehr einfachen Kirschbaummöbeln weichen müssen, und statt der verblichenen Bilder aus Voß' »Luise« hingen einige schöne Landschaften an den helltapezierten Wänden. Der, ach, so wohlbekannte Raum war in ein trauliches Wohnzimmer umgewandelt und ein anstoßendes, früher vollkommen leerstehendes Gemach als Schlafstube eingerichtet worden.

Dies alles hatte Käthe noch einmal mit tränenverdunkelten Augen überblickt, dann war sie heimgegangen, um an den Schreibtisch zu treten und noch einige nötige Geschäftsbriefe zu schreiben. Kaufmann Lenz sollte am Abend von seiner geschäftlichen Rundreise zurückkehren; bis dahin hatte die junge Herrin noch manches zu erledigen, um dann, abgelöst von ihrem Posten, auf vierzehn Tage nach Dresden zu ihren Pflegeeltern zu reisen.

Ach, wie entsetzlich zerstreut war sie doch heute! Wie klopften ihre Pulse, und wie abscheulich zerfahren kamen die sonst so sicheren Gedanken und Buchstaben aus ihrer Feder! Und nun trat auch noch die Jungfer der Präsidentin ein; sie hatte den großen, leeren Marktkorb am Arm, »weil sie eben das bißchen Bedarf für die Festtage in der Stadt einkaufen wollte«; es sei ja nur ein kleiner Umweg über die Mühle, habe die gnädige Frau gemeint und ihr einen eben eingelaufenen Brief von Fräulein Flora zum Durchlesen für das »liebe Fräulein Käthchen« mitgegeben.

Suse wurde sofort beordert, den Korb bis an den Rand mit ihren schön geratenen Napfkuchen und allen möglichen guten Dingen aus der Speisekammer zu füllen, der Brief aber lag noch unberührt auf dem Schreibtisch, als die Jungfer längst in die Stadt zurückgekehrt war.

Die Präsidentin hatte dem jungen Mädchen schon einigemal die Zuschriften der Stiefschwester mitgeteilt – es war Käthe zwar stets zumute gewesen, als glühe das Briefblatt zwischen ihren Fingern, aber sie hatte pflichtschuldigst gelesen, um nicht feindselig zu erscheinen. Auch jetzt überschlich sie das Gefühl, als müsse aus dem starkduftenden Umschlag da neben ihr eine Flamme züngeln, um sie zu verletzen. Unwillig schob sie das widerwärtige kleine Viereck mit dem Ellbogen weiter, so daß es unter einem Stoße von Rechnungen verschwand – sie sah nicht ein, weshalb sie sich auch noch durch das Lesen einer der meist sehr leichtfertigen und von Anmaßung und Übermut strotzenden Briefe aufregen solle, wie es bisher stets der Fall gewesen war.

Die Feder wurde wieder aufgenommen, aber nur für wenige Augenblicke. Erregt griff das junge Mädchen wie nach einem schützenden Talisman nach den mitgebrachten Veilchen, die vor ihr im Glase standen, und atmete den kühlen, süßen Duft ein; sie trat an ihren Flügel und spielte zur inneren Beschwichtigung eine harmlose, sanfte Weise; sie öffnete eines der Fenster und streichelte die kirren Tauben, die draußen auf dem Sims hockten, und dabei sagte sie sich wiederholt, daß die Übermittlung des Briefes im Grunde ja nur ein versteckter Angriff auf ihre Speisekammer gewesen sei – aber es mußte ein böser Zauber in dem unseligen Umschlag stecken. Das Blut stürmte ihr immer heißer nach dem Kopfe, bis sie, glühend wie im Fieber, plötzlich die Papiere wegstieß und mit hastigen Fingern den Brief ergriff.

Beim Entfalten des Papierbogens fiel ein versiegelter Zettel heraus – sie bemerkte es nicht – ihre Augen irrten über den Anfang der Zuschrift; sie wurden groß und weit, und unwillkürlich griff das starke Mädchen nach einer Stütze, um sich eine festere Haltung zu geben. Flora schrieb von Berlin aus:

»– Du wirst wohl lachen und triumphieren, liebe Großmama, aber ich sehe ein, es ist besser so – ich habe mich vor einer Stunde mit deinem ehemaligen Schützling, Karl von Stetten, verlobt. Er ist häßlicher und körperlich verkommener als je und trägt in seinem Bullenbeißergesicht jetzt auch noch eine blaue Brille – abscheulich; es wird mir zeitlebens peinlich sein, an seinem Arm zu gehen, aber seine hündisch treue, wirklich närrische Leidenschaft für mich erweckte mir schließlich doch ein menschliches Rühren, und weil er durch den unerwarteten Tod seines jungen Vetters plötzlich Majoratsherr auf Lingen und Stromberg geworden ist, hier zu Hofe geht und in der Gesellschaft gut angeschrieben zu sein scheint, so hatte ich sonst nicht viel mehr gegen die Verbindung einzuwenden –«

Der Brief flog auf den Schreibtisch – Bruck war frei, dergestalt von seiner Kette erlöst, daß er nun auch – in die Schloßmühle kommen durfte. War das denkbar? Eine so jähe, ungeahnte Wendung, nachdem man sich sieben entsetzliche Monate hindurch gemartert, nachdem man alle innere Kraft aufgeboten hatte, um das widerspenstige Herz, ja, jeden abirrenden Gedanken zu knebeln, damit man endlich zu der unerschütterlichen, toten Ruhe gelange, mit der man den verhaßten Ring in die Hand der Auserwählten legen und dann seinen rauhen Lebensweg einsam, aber ohne Schuld zu Ende gehen konnte!

Sie schlug die Hände vor das Gesicht, als sähe sie ein Gespenst mitten in dem Jubelrausch emportauchen – Gott im Himmel, wenn sie falsch gelesen hätte! Es war doch so? Flora, dieses unberechenbare Wesen, hatte sich verlobt? Sie wollte sich nun doch, nach so vielen fehlgeschlagenen Versuchen, berühmt zu werden, in der zwölften Stunde in die Ehe retten? Käthe griff noch einmal nach dem dicken, duftenden Briefblatt – ja, ja, da stand es wirklich und wahrhaftig in den »großen Krakelfüßen«. Und dann folgte eine genaue Anleitung, in welcher Weise die Verlobungsanzeige für die Residenzbewohner zu bewerkstelligen sei; es war die Rede von der Hochzeit, die man, gerade um der Vergangenheit willen, auf den zweiten Pfingstfeiertag festgesetzt habe – und dann kam die vorläufige Einladung zu der Vermählungsfeierlichkeit für die Großmama selbst. Das war alles sonnenklar und unumstößlich, aber nun flog eine tiefe Blässe über das Gesicht der Lesenden, und sie meinte, an der Lähmung, die über sie komme, müsse sie sterben. Flora schrieb weiter:

»Auf meiner Durchreise nach Berlin habe ich mich auch einige Tage in L.....g aufgehalten. Es wird dir interessant sein, zu hören, daß einem gewissen Hofrat und Professor Bruck bei seinem fabelhaften Glück nicht nur die Berühmtheit in den Schoß, sondern auch eine schöne Gräfin zu Füßen gefallen ist. Man versicherte mir allgemein, er sei im stillen verlobt mit der reizenden Kranken, die er, nachdem alle anderen Ärzte sie aufgegeben hatten, durch eine kühne Operation dem Tode entrissen habe. Das gräfliche Elternpaar soll mit der Verbindung durchaus einverstanden sein, und die liebe, gottselige Tante Diakonus scheint ihren Segen auch nicht zu verweigern. Ich sah sie neben dem Brautpaar im Theater sitzen, fried- und tugendsam wie immer, und, wenn ich nicht irre, Zwirnhandschuhe an den Händen. Das Mädchen ist sehr hübsch, wenn auch ein Puppengesicht ohne Geist – und Er? Nun, dir kann ich's ja sagen, Großmama: ich habe mir die Lippen blutig gebissen vor Grimm und Groll, weil das dumme Glück diesen Menschen zu einem Gegenstand der allgemeinen Vergötterung macht, weil er hinter dem Stuhl seiner Braut stand, so sicher, zuversichtlich und ruhig, als gebühre ihm alle Auszeichnung von Rechts wegen, und als wisse er nichts von Charakterschwäche – der Ehrlose! … Gib Käthe den inliegenden Zettel –«

Ach ja, da lag er wohlversiegelt auf dem Schreibtisch und trug die Adresse: »An Käthe Mangold.« – Und die Welt kreiste vor ihren Augen, und der schmale Papierstreifen flog in den wie von Fieberfrost geschüttelten Händen auf und nieder. Er enthielt nur die Worte: »Habe die Freundlichkeit, den dir anvertrauten Ring nunmehr der Gräfin Witte zu übergeben – oder wirf ihn auch meinetwegen in den Fluß zu dem anderen

Flora.«

Käthe war plötzlich sehr ruhig geworden; sie glättete zerstreut den Zettel und legte ihn zu dem Briefe. Sollte die schöne Gräfin Witte der Gast sein, für den man das Fremdenzimmer eingerichtet hatte? Sie schüttelte energisch den reizenden, flechtengeschmückten Kopf, und die braunen Augen begannen aufzustrahlen, während sie die Hände fest gegen die tiefatmende Brust preßte. War sie es wert, ihm je wieder in die Augen zu sehen, wenn sie auch nur sekundenlang an ihm zweifelte? Er hatte gesagt: »Zu Ostern komme ich wieder.« Und er kam, und wenn die glänzendste Menschenberedsamkeit ihr das Gegenteil versicherte, sie glaubte nichts, als daß er sie liebe und daß er kommen werde. Nein, nein, solch ein hochmutberauschter Schloßherr konnte es wohl übers Herz bringen, der einst Geliebten, der unglücklichen, blonden Edelfrau, die neue stolze Schloßherrin in der Hochzeitsschleppe zuzuführen – aber nicht er, nicht er in seiner Gemütsinnigkeit. Er brach der Müllersenkelin nicht sein Wort um einer anderen willen, und wenn diese andere selbst – eine Gräfin sein sollte.

Ein unbeschreiblicher Glückseligkeitsturm wogte in ihr auf und riß alle Gedanken in seinen Wirbel. Sie flog nach dem südlichen Eckfenster, um nur einen Blick nach dem alten Hause zu werfen – Himmel, dort von der Fahnenstange flatterte eine farbenglänzende Flagge über die Baumwipfel hin. Waren die Gäste schon da? Sollte sie hinübereilen, um die Tante Diakonus in ihre Arme zu schließen? Nein, in dieser stürmischen Aufregung ganz gewiß nicht. Da mußte erst die verräterische Glut von den Wangen gewichen und der Herzschlag ruhiger geworden sein, wenn sie sich nicht vor den seelenvollen, klaren Augen der sanften Frau scheuen sollte … Ruhe, Ruhe! – Sie trat an den Schreibtisch.

Da lag aufgeschlagen das große, dicke Hauptbuch; das Fach hier barg sechs Geschäftsbriefe, die heute noch beantwortet werden mußten, und drunten rasselte schwerfällig einer der Mühlenwagen mit Getreidesäcken in den Hof. Die Hunde bellten einen Bettler, dem Suse ein Stück Brot vom Vorsaalfenster zuwarf, wie toll an; da waren Prosa und rauhe Wirklichkeit übergenug. Und die Neuruppiner Bilderbogen, die, als großväterlicher Nachlaß streng geachtet, immer noch die Wände zierten, sie hatten ganz gewiß nichts Aufregendes, so wenig wie die dickbäuchigen Federkissen des Kanapees darunter und die Schwarzwälder Standuhr daneben, die so entsetzlich steif und geradlinig die Wand hinaufstieg und den lebensmüden Pendel langatmig hinter dem blinden Glase schwang.

Der Blick des jungen Mädchens streifte langsam alle diese Herrlichkeiten, dann nahm sie einen Briefbogen und tauchte die Feder ein. »Herren Schilling und Kompanie in Hamburg« – ach, das konnte ja niemand lesen! Verzweiflungsvoll fuhr sie mit der Hand über die glühende Stirn, so daß die braunen Locken wegflogen und eine schmale, rote Narbe hervortreten ließen. Und so verharrte sie einen Augenblick unbeweglich, die Linke über die Augen gelegt und in der Rechten die ungeschickte Feder auf dem Papiere festhaltend; da streifte ein kühles Wehen ihre Wange. Die Zugluft kam durch eine offene Tür oder vom Fenster her; sie sah auf – und da stand er, dort auf der obersten Stufe der in das Zimmer hinabführenden Holztreppe, lächelnd, strahlend in Wiedersehensfreude.

»Bruck! – Ich wußte es,« jubelte sie auf, und die Feder fortwerfend, breitete sie die Arme aus und lag im nächsten Augenblick an seiner Brust.

Draußen kam Suse über den Vorsaal; was sollte denn das heißen? Die Tür stand weit offen, im April, wo man noch täglich das »sündenteure« Holz in den Ofen stecken mußte, und den Aufschrei hatte sie auch gehört. Sie fuhr mit dem blauen Schürzenzipfel, den sie gerade in der Hand hielt, um sich den Schweiß von der Stirn abzutrocknen, vor Schrecken in den Mund, denn da unten auf den weißgescheuerten Dielen ihrer heiligen Schloßmühlenstube stand der Herr Doktor Bruck und hielt ihr Fräulein in den Armen, so fest, als wolle er sie in seinem ganzen Leben nicht wieder loslassen – Herr Gott – und sie waren ja doch kein Brautpaar vor den Leuten.

Behutsam schlich sie näher, um die Tür sacht zu schließen, aber Käthe sah sie und bemühte sich unter heißem Erröten, der Umarmung zu entfliehen.

Der Doktor lachte – er lachte wieder so frisch und wohlklingend wie früher – und hielt sie nur um so fester. »Nein, Käthe, du kamst zwar freiwillig, aber ich traue dir doch nicht,« sagte er. »Ich wäre ein Tor, wenn ich dir Zeit ließe, dich möglicherweise in die Schwester zurückzuverwandeln. Kommen Sie nur herein, Jungfer Suse!« rief er über die Schulter – er hatte die alte Haushälterin sehr wohl bemerkt. – »Erst müssen Sie bestätigen, daß Sie eine Braut gesehen, dann soll sie ihre Freiheit haben.«

Suse wischte sich die Augen und wünschte sehr wortreich Glück, dann aber beeilte sie sich, die Tür zuzudrücken, um zu »der Müllerfranzen über den Hof 'nüber zu laufen« und ihr halb glücklich, halb klagend zu sagen, daß es mit der Herrlichkeit in der Mühle wieder aus sei, weil das Fräulein nun doch heiraten wolle …

Der Doktor trat an den Schreibtisch und schlug feierlich das Hauptbuch zu. »Die Karriere der schönen Müllerin ist geschlossen, denn – Ostern ist da,« sagte er. »Wie habe ich die Tage gezählt bis zu dem Ziele, das ich mir damals selbst stecken mußte, wenn ich dich nicht ganz verlieren wollte! Du weißt nicht, wie es tut, ohne Gewißheit gehen zu müssen, wenn man für sein ganzes Lebensglück zittert. Mein einziger Trost waren deine Briefe an die Tante, diese klaren Briefe voll Willenskraft und strenger Weltanschauung, aus denen ich trotz alledem die heimliche Liebe las – aber wie spärlich kamen sie!« Er ergriff ihre Hand und zog sie wieder an sich. »Ich habe wohl begriffen, daß ein Zeitraum der Entsagung zwischen der schlimmen Vergangenheit und meinem neuen Leben liegen müsse; ich hatte ja deinem geschwisterlichen Gefühle Rechnung zu tragen, aber bis zu dieser Stunde ist es mir doch rätselhaft geblieben, weshalb du gänzlich entsagen und einen einsamen, unbeglückten Weg gehen wolltest.« Er verstummte plötzlich und eine tiefe Glut bedeckte sein Gesicht – da, neben dem zugeklappten Hauptbuche lag ein Zettel; er kannte diese großen und doch so unsicheren Schriftzüge nur zu gut: solcher Papierstreifen waren ihm in der ersten Zeit seines Brautstandes genug zugeflogen.

Mit einer entschiedenen Bewegung legte Käthe die Hand auf die Papiere. Warum diese abscheulichen Ränke noch einmal an das Licht ziehen? Mochten sie doch begraben sein für immer; ihrem Glücke trat nichts mehr in den Weg. Aber tiefernsten Blickes zog der Doktor Brief und Zettel hervor. »Ich dulde kein Geheimnis zwischen uns, Käthe,« sagte er fest, »und hier liegt eins.«

Er las, und nun bestand er unerbittlich auf einer Beichte; die Seelenkämpfe, denen das junge Mädchen unterworfen gewesen war, zogen an ihm vorüber, er sah aber auch in die Tiefen ihrer selbstlosen Neigung – sie hatte willig ihre ganze Zukunft hingeworfen, um ihn zu erlösen.

»Und wie steht es mit der schönen Gräfin Witte? Ich habe geglaubt, sie begleite die Tante Diakonus und werde drüben im Fremdenzimmer wohnen,« sagte Käthe schließlich unter Tränen lächelnd; sie versuchte gewaltsam das unerquickliche Thema abzubrechen, das den sonst so gelassenen Mann in die furchtbarste Aufregung versetzt hatte, und es gelang ihr. Er lachte.

»Im Fremdenzimmer wohne ich,« versetzte er. »Ich hatte meine guten Gründe, dich meine Ankunft vorher nicht wissen zu lassen, und mein Gefühl hat mich richtig geleitet. Was aber die junge Gräfin betrifft, so ist sie, behufs einer Kur, drei Monate unsere Hausgenossin gewesen und legte ihre Dankbarkeit, weil es mir geglückt ist, sie herzustellen, ein wenig zu lebhaft an den Tag – das ist alles. In vierzehn Tagen wirst du sie kennen lernen, denn bis dahin, mein Lieb, will der Professor seine Professorin heimführen. – Unser Brautstand hat sieben Monate gewährt – das bedenke. Ist es dir recht, wenn wir da drüben« – er zeigte durch das Fenster nach einem nahe gelegenen Kirchturme – »an den Altar treten? Ich habe das Dörfchen immer so gern gehabt.«

»Du darfst mich führen, wohin du willst,« antwortete sie leise und innig; »aber ich habe hier noch Pflichten –«

»Bah, das Hauptbuch ist geschlossen, und ›Schilling und Kompanie in Hamburg‹ kann dein getreuer Lenz abfertigen.«

Sie mußte lachen. »Gut denn – wie du befiehlst!« erklärte sie. »Ich trete zurück, und damit bricht für den armen Lenz eine bessere Zeit an; er soll die Mühle pachtweise bekommen – sie wird ihm rasch wieder zu blühendem Wohlstande verhelfen.«

Nun wurde auch die Schloßmühlenstube geschlossen und Käthe schritt an Brucks Arm den Fußweg entlang, den sie oft in Sturm und Unwetter zurückgelegt hatte. Heute war es himmlisch, unter den überhängenden, knospenden Zweigen hinzugehen. Die Blütenkätzchen der Weiden strichen schmeichelnd über die glühenden Wangen des Mädchens; ein weiches Abendlüftchen flog auf, und die Flußwellen zogen gesänftigt und leise plätschernd an den jungen, zitternden Ufergräsern vorüber. Drüben dehnte sich der Park hin vornehm still wie immer; man sah die Schwäne auf dem Teichspiegel langsam kreisen, und hoch über den Wipfeln der Parkbäume flatterte eine blaugelbe Fahne auf der Villa – »die Herrschaft« war zu Hause.

Was alles flutete bei diesem Anblicke durch die zwei Menschenseelen, die sich eben Treue geschworen hatten für die Zeit und Ewigkeit!

»Weißt du auch, daß man Moritz in Amerika gesehen haben will?« flüsterte der Doktor.

Sie nickte. »Vor einigen Tagen wurden der Witwe Franz anonym fünfhundert Taler aus Kalifornien zugeschickt – sie zerbricht sich den Kopf über den Wohltäter, ich aber kenne ihn.« Und sie erzählte, wie »der Arbeiter mit dem blonden Vollbart« die Rehe vor sich hergejagt hatte, um – sie vor einem grauenhaften Tode zu bewahren, weil sie in glücklichen Zeiten seine Lieblinge gewesen waren …

Nun lag es vor ihnen, das liebe, alte Haus, von der Abenddämmerung umsponnen. Die Arbeiter hatten den Garten verlassen. Es war so feierlich still – die weißen Götterbilder dämmerten aus den Taxushecken, und die alte Frau kam lautlos, mit ausgebreiteten Armen die Türstufen herab, um »die Liebste, Beste«, die sie so lange vom Himmel für ihren Liebling erfleht hatte, an das mütterliche Herz zu ziehen …

Da zitterte tief und voll der erste Glockenton von der Stadt herüber – das Fest wurde eingeläutet – Ostern!

 


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