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Kurze Zeit nachher stieg Käthe, die kranke Schwester vorsichtig stützend, auf der kleinen Treppe in das untere Stockwerk hinab, »um sich zu melden«. Sie kamen durch den schmalen Gang, in den Käthe bei ihrer Abreise für einen Augenblick geflüchtet war. Er lief den großen Saal entlang, der fast den ganzen Raum des einen Seitenflügels der Villa nahezu beanspruchte – in ihm wurden die berühmten Hausbälle des reichen Mannes abgehalten.
»Es ist Probe für heute abend, und dabei wird noch fortdekoriert und geschmückt,« sagte Henriette aufhorchend und heiser und höhnisch vor sich hinlachend – pathetische Deklamation, hier und da durch starkes Pochen und Hämmern unterbrochen, scholl durch die Türen. – »Wie ekeln mich diese Mädchen da drinnen an! Sie möchten sämtlich, wie sie da auf der Bühne stehen, der Braut die Augen auskratzen, und doch faseln sie in grenzenlosem Schwulst von der schönsten Blume, die ihrem Kranz entrissen werde, von dem Dichtergenius, der ihre Stirn geküßt habe, und was dergleichen poetische Aderlässe mehr besagen. Und Moritz mit seiner maßlosen Verschwendung benimmt sich dabei wie ein Narr. Gestern abend, unmittelbar nach seiner Rückkehr von Berlin, hat er die Handwerker Buben gescholten. Die Ausschmückung mußte als ›trödelhafter Plunder‹ sofort von den Wänden gerissen werden, weil die Leute an zwei dunkeln Ecken Wollstoffe statt Seidendamast verwendet hatten; er wird nachgerade abstoßend mit seinem ewig herausgekehrten Millionärbewußtsein. Da sieh her!«
Sie schob unhörbar eine der Türen etwas weiter auf. Durch den nur schmalen Spalt sah man die Bühne nicht, auf der die Probe abgehalten wurde; dagegen präsentierte sich schräg seitwärts ein prachtvoller Baldachin von goldbefranstem Purpursamt – er sollte sich heute abend über dem Brautpaar wölben.
»Wie wird er mit seinem blassen, finsterbrütenden Gesicht sich ausnehmen unter dem komödienhaften Firlefanz dort!« flüsterte Henriette und drückte den Kopf wie in ausbrechender Verzweiflung tiefbewegt an die Gestalt der Schwester. »Und sie wird wieder neben ihm stehen, siegend, triumphierend wie immer, in der wohlstudierten Toilette von weißem Mull und kindlich naiven Margaretenblümchen, wie sie der unschuldsvollen Braut am Polterabend zukommt. Ach Käthe, es ist etwas so Seltsames, Unbegreifliches um die ganze Geschichte; ich habe jetzt so oft das Gefühl, als lauere ein unglückliches Geheimnis dahinter, so etwas wie ein heimlich glimmender Feuerbrand unter grauer Asche.«
Im Eßzimmer saß die Präsidentin mit Flora und dem Kommerzienrat beim Frühstück. Die Braut war im eleganten, rosabesetzten Schlafrock, und ein Morgenhäubchen bedeckte die aufgewickelten Locken. Käthe erschrak fast, so grau und scharf erschien das Römergesicht der schönen Schwester ohne die goldene Glorie der Stirnlöckchen; heute sah sie zum erstenmal, daß Flora die Jugend hinter sich habe, daß endlich das ruhelose Bestreben, sich hervorzutun, die glühende Ehrsucht anfingen, das herrliche Oval unerbittlich in harter, einwärtssinkender Linie zu verlängern.
»Mein Gott, Käthe, wie kommst du denn auf die Idee, uns gerade heute ins Haus zu fallen?« rief sie emporschreckend, in rückhaltlosem Ärger. »In welche Verlegenheit bringst du mich! Nun muß ich dich wohl oder übel ins Gefolge stecken. Ich habe schon zwölf Brautjungfern – eine dreizehnte kann ich nicht brauchen, wie du dir wohl selbst sagen wirst –« Sie unterbrach sich mit einem leisen Aufschrei und fuhr zurück.
Der Kommerzienrat hatte mit dem Rücken nach der Tür zu gesessen und eben ein Glas Burgunder zum Munde geführt, als Floras Ausruf den Eintritt der Schwester verkündete. War ihm das Glas infolge der Überraschung entglitten, oder hatte er es unsicher, mit abgewendeten Augen auf den Tisch gestellt – genug, der volle, dunkelpurpurne Inhalt ergoß sich über das weiße Damasttuch und benetzte auch Floras Kleider.
Der reiche Mann stand einen Augenblick starr, verwirrt, mit völlig entfärbtem Gesicht und stierte erschrockenen Auges nach der Tür, als trete dort ein wesenloses Phantom, nicht aber das stattliche Mädchen mit den ernsten Zügen und der ruhigen, festen Haltung herein. Aber er faßte sich rasch. Mit einer lebhaften Entschuldigung gegen Flora drückte er auf die Tischglocke, um helfende und säubernde Hände herbeizurufen, dann eilte er auf Käthe zu und zog sie in das Zimmer herein. Und da ließ sich auch nicht eine Spur vom verschmähten Liebhaber in seinem ganzen Wesen entdecken, er war in jedem Worte, in seinem kühlen Händedrucke ganz und gar der väterlich gesinnte Vormund von ehedem, der sich freute, sein Mündel wohlbehalten zurückkehren zu sehen. Er klopfte ihr wohlwollend auf die Schulter und hieß sie willkommen.
»Ich habe nicht gewagt, dich einzuladen,« sagte er; »auch war ich in der letzten Zeit geschäftlich zu sehr überbürdet, um viel an Dresden denken zu können – du wirst das verzeihen –«
»Ich bin einzig und allein als Henriettens Pflegerin gekommen,« unterbrach ihn Käthe rasch, aber ohne den leisesten Anklang von Gekränktsein über Floras ungezogene Begrüßung.
»Das ist lieb und gut gemeint, mein Kind,« sagte die Präsidentin mit aufgehelltem Gesichte; jede, auch die letzte Befürchtung erlosch in ihr angesichts dieser unbefangenen Begegnung. »Aber wohin mit dir? In deinem ehemaligen Zimmer ist Floras Brautstaat aufgestellt und –«
»Sie werden mir deshalb nun doch erlauben müssen, mich in meinem eigenen Daheim einzuquartieren, wie ich auch bereits getan habe,« fiel Käthe höflich mit bescheidener Zurückhaltung ein.
»Es wird mir vorläufig nichts anderes übrig bleiben,« versetzte die alte Dame lächelnd und sehr gutgelaunt. »Heute wird unser Haus zum Bersten überfüllt sein – dazu leben wir in einem Trubel, wie ich ihn noch nicht gesehen habe; mit Mühe haben wir uns an den Frühstückstisch gerettet. Vom Morgengrauen an wird gehämmert, geprobt –«
»Ja, sie deklamieren drüben, daß die Balken zittern,« sagte Henriette boshaft und legte sich müde in einen Lehnstuhl zurück, den ihr der Kommerzienrat hingerollt hatte. »Im Vorübergehen hörten wir ›Pallas Athene‹, die ›Rosen von Kaschmir‹ und die ›Neue Professur‹ in lieblichem Versegemengsel –«
»Hu!« stieß Flora heraus und legte zornig beide Hände auf die Ohren. »Es ist geradezu unverschämt, mir ein solches Dilettantenprodukt vorzuleiern, mir, die ich mit meinen reizenden Festspielen stets und immer, vorzüglich bei Hofe, geglänzt habe. Und da soll man nun stillsitzen und keine Miene verziehen, während man sich vor Spott und Lachen die Zunge abbeißen möchte –«
Die Präsidentin unterbrach sie mit einer hastigen Handbewegung; eben traten die darstellenden Damen, die vor der Probe Schokolade im Eßzimmer getrunken hatten, herein, um ihre zurückgelassenen Hüte und Sonnenschirme zu holen.
Flora schlüpfte in das anstoßende Ankleidezimmer der Großmama.
Mit affektierter Freude eilte die Hofdame, Fräulein von Giese, auf Käthe zu und begrüßte sie als eine »Langentbehrte«; auch dem Kommerzienrate reichte sie die Hand zum Gruße. »Schön, daß wir Sie hier treffen, mein bester Herr von Römer!« rief sie. »Da können wir Ihnen doch vorläufig danken für die bewunderungswürdige Art und Weise, mit der Sie unseren kleinen Polterabendscherz unterstützten. Wahrhaftig reizend, zauberhaft!« Sie küßte entzückt ihre Fingerspitzen. »Solche Feerien aus ›Tausendundeine Nacht‹ kann man allerdings auch nur in der Villa Baumgarten veranstalten – darüber ist die ganze Welt einig. – Übrigens, haben Sie schon von dem Unglück des Majors Bredow gehört? Er ist fertig, völlig zugrunde gerichtet – alle Kreise sind beunruhigt. Mein Gott, in welcher entsetzlichen Zeit leben wir doch! Sturz folgt auf Sturz, in so rascher Folge –«
»Major Bredow hat aber auch wahnsinnig genug in den Tag hinein spekuliert,« sagte die Präsidentin gleichmütig und stützte behaglich den Ellbogen auf die gepolsterte Lehne ihres Lehnstuhls. »Wer wird denn so toll, so ohne Sinn und Verstand vorgehen?«
»Die Frau, die schöne Julie, ist schuld – sie hat zu viel gebraucht; ihre Anzüge allein haben jährlich dreitausend Taler gekostet.«
»Bah, das hätte sie auch fortsetzen können, wenn der Herr Gemahl mit seinem Anlagekapital vorsichtiger gewesen wäre, aber er hat sich an Unternehmungen beteiligt, die von vornherein den Schwindel an der Stirn getragen haben.« Sie zuckte die Achseln. »In solchen Fällen muß man mit einer Autorität gehen, wie ich zum Beispiel; gelt, Moritz, wir können ruhig schlafen?«
»Ich mein' es,« versetzte er lächelnd mit der lakonischen Kürze der Überlegenheit und füllte sein Glas mit Burgunder – er leerte es auf einen Zug. »Ganz ungerupft bleibt man bei einem solchen gewaltigen Zusammensturz selbstverständlich auch nicht; da und dort entschlüpft ein kleines Kapital, das man ›spaßeshalber‹ riskiert hat – Nadelstiche, an denen sich bekanntlich niemand verblutet –«
»Ach, da fällt mir eben ein, daß ich ja heute die Börsenzeitung noch nicht erhalten habe,« fiel ihm die Präsidentin ins Wort und richtete sich lebhaft auf. »Sie kommt sonst pünktlich um neun Uhr in meine Hände.«
Er zog gleichgültig die Schultern empor. »Wahrscheinlich ein Versehen auf dem Postamte, oder das Blatt hat sich in mein Brief- und Zeitungspaket verirrt und ist mit hinüber in den Turm gewandert; ich werde nachsehen.« Dabei stellte er sein Glas nieder.
»Verzeihung, meine Damen!« sagte er mit Hindeutung auf sein rasches Trinken. »Ich fühlte plötzlich, daß mein gefürchteter Kopfschmerz im Anzuge ist; er kommt blitzschnell, und ich pflege ihn mit einem schnell genossenen Glase Wein aus dem Felde zu schlagen.« Vorhin hatte er in der Tat ausgesehen, als dringe ihm die dunkle Glut des Rotweins bis unter die Stirnhaut.
Er entkorkte rasch eine Flasche Sekt und füllte mehrere auf der Anrichte stehende Gläser. »Ich bitte, mit mir auf das Gelingen unserer heutigen Abendvorstellung zu trinken,« sagte er, ein Glas erhebend, zu den Damen, die die Kristallkelche ergriffen und seinem Beispiele folgten. »Die Blumenfee mit ihrem reizenden Gefolge soll leben. Die Jugend und die Schönheit, und das herrliche Leben selbst, das ja keinem von uns feindlich ist, ja, auch der süßen Gewohnheit des Daseins ein Hoch!«
Die Gläser klangen, und die Präsidentin schüttelte leise lachend den Kopf.
Käthe war unwillkürlich in die Fensternische zurückgewichen, in deren Nähe Henriettens Lehnstuhl stand. Sie sah, wie sich bei dem taktlosen Trinkspruche die Wimpern der Kranken feuchteten, wie sie sich in schmerzlichem Zorn auf die Lippen biß – die süße Gewohnheit des Daseins war für sie ein Marterrost, und »das herrliche Leben« ließ sich »feindlich« genug jeden Atemzug mit Schmerzen abkaufen. Die junge Mündel hatte kein Glas genommen, und der Herr Vormund hatte ihr auch keines angeboten. Der Blick des Mädchens glitt dunkel und ernstspähend über seine lebhaft erregten Züge. Sie hatte nie geahnt, daß auch hinter diesem glatten, leidenschaftslosen Männerantlitz ein innerer Sturm aufwogen könne – und da war er in den unstet flackernden Augen, in dem leisen, krampfhaften Beben der Lippen, in der gezwungen lustigen Stimme.
Es war, als fühle der reiche Mann den Blick – er sah unwillkürlich nach der Fensternische, dann stellte er rasch sein Glas auf den Tisch und fuhr sich mit beiden Händen hastig über Stirn und Haar; zu dem Kopfschmerz, der diesmal der Weinkur zu spotten schien, hatte sich für einige Sekunden nun auch ein leichter Schwindelanfall gesellt.