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9.

Sie ging, ihr vernachlässigtes Amt am Teetische wieder aufzunehmen, Käthe aber blieb am Flügel stehen und blätterte in den Noten. Die letzten Worte Henriettens hatten sie tief bewegt. War verschmähte Liebe wirklich so seelenerschütternd, daß man um ihretwillen sterben möchte? Und hatte sie diese tragische Gewalt auch über einen Mann wie Bruck?

Er verließ eben mit festen Schritten Floras Zimmer; auch die Präsidentin rauschte eilig vorüber; es hatten sich noch zwei ältere Damen im Salon eingefunden, die sie begrüßen mußte. Die Tür nach dem Arbeitszimmer blieb nach wie vor offen; jedenfalls wurde der fragliche Artikel konsequentermaßen beendet, denn nachdem auch Fräulein von Giese wieder herübergekommen war und sich abermals präludierend an den Flügel gesetzt hatte, wurde es ganz still drüben.

Käthe verfolgte mit einem Seitenblick den Doktor, wie er den Salon durchschritt. Er trat an den Teetisch, um mit Henriette zu sprechen; allein eine der neu angekommenen Damen hielt ihn fest und verwickelte ihn in ein Gespräch. Er war ritterlich, verbindlich und sehr ruhig in seinen Gebärden, aber Käthe hatte vorhin bei Floras maliziöser Antwort eine Flamme in seinen Augen lodern sehen; er hatte jäh die Farbe gewechselt, und auch jetzt noch brannte ein erhöhtes Rot auf seinen Wangen – er war nicht so ruhig heiter, wie er zu sein schien. Und seine schöne Widersacherin drüben im roten Arbeitszimmer war es ebensowenig; schon nach fünf Minuten stieß sie hörbar ungeduldig den Stuhl zurück und kam herüber.

»Nun, Flora, schon fertig?« fragte das Hoffräulein und ließ die unermüdlichen Finger in Terzen über die Tasten laufen.

»Bah, glaubst du, man schüttelt einen wirksamen Schluß nur so aus dem Ärmel? Ich bin eben nicht mehr aufgelegt, und ohne Inspiration schreibe ich nun einmal nicht; dazu ist mir der Schriftstellerberuf zu heilig.«

Fräulein von Giese zwinkerte eigentümlich boshaft mit den Augen; sie hatte einen falschen Blick. »Ich bin sehr gespannt, wie die Kritik dein großes Werk ›Die Frauen‹ aufnehmen wird. Du hast uns so viel davon erzählt. Hat der Verleger es angenommen?«

Flora hatte das Augenspiel wohl bemerkt. »Es wäre euch schon recht, ihr treuen Seelen, wenn es abgelehnt würde – nicht wahr, Margarete?« sagte sie beißend. »Aber die Freude erlebt ihr nicht; das sagt mir mein – nun, mein kleiner Finger.« Sie lachte leise und übermütig, schüttelte die duftigen Löckchen aus der Stirn und schickte sich an, den Salon mit jener vornehmen Nachlässigkeit zu betreten, welche sie wie eine stolze Fürstin anzunehmen wußte.

»Kind, du stehst ja da, mit dem Notenhefte in der Hand, als wolltest du auch unsere Ohren in Anspruch nehmen,« sagte sie im Vorübergehen zu Käthe mit spöttischem Tone und einem sprechenden Seitenblicke nach der emsigen Klavierspielerin. »Singst du denn?« Käthe schüttelte den Kopf. »Das müßte ein Sommerserbteil sein; unsere Familie hat keine Singstimmen.«

»Ja, Flora, Käthe treibt Musik,« rief der Kommerzienrat herüber. Er sprach mit einem Herrn in der Nähe der Tür und trat jetzt näher. »Ich weiß es aus den Rechnungsbelegen der Doktorin. Viel Geld, Käthe! Ich habe es dir schon sagen wollen: Du hast sehr teure Lehrer.«

Das junge Mädchen lachte. »Die besten, Moritz. Wir in Dresden sind praktische Leute; das Beste ist das Billigste.«

»Nun, mir ist's schon recht. Hast du denn aber auch Talent?« fragte er in zweifelhaftem Tone; »die musikalische Begabung lag allerdings nicht in der Familie Mangold.«

»Den Trieb wenigstens,« versetzte sie einfach, »und die Neigung, Melodien zu ersinnen.«

Flora, die eben auf die Schwelle des Salons trat, wandte sich überrascht um. »Geh doch, Käthe!« sagte sie hastig. »Melodien ersinnen! Du siehst mir danach aus mit deinen roten Backen und deiner Hausfrauenerziehung. Eine Polka oder ein Walzer läuft wohl jedem, der gerne tanzt, einmal durch den Kopf –«

»Und ich tanze leidenschaftlich gern, Flora,« unterbrach Käthe sie heiter und aufrichtig bekennend.

»Siehst du? Wer wird sich da gleich den Anschein tiefsinniger Produktivität geben! Und daraufhin nimmst du wohl gar Unterricht in der Komposition?«

»Ja, seit drei Jahren.«

Flora schlug die Hände zusammen und kam ganz erregt in das Musikzimmer zurück. »Ist denn deine Lukas« – sie nannte die ehemalige Gouvernante immer noch bei ihrem Mädchennamen – »von Sinnen, daß sie das Geld so zum Fenster hinauswirft?«

Es war ziemlich still im anstoßenden Salon. Die drei alten Herren am Kamin und die Dame, welche mit dem Doktor gesprochen, hatten eben auch einen Spieltisch besetzt; Doktor Bruck saß in leise geführter Unterhaltung neben Henriette, und Fräulein von Giese pausierte aufhorchend für einen Moment; so konnte man jedes Wort dieses ziemlich lauten Gespräches drüben hören.

Henriette sprang auf und kam herüber. »Du bist musikalisch, Käthe,« fragte sie erstaunt, »und hast, solange du da bist, nicht eine Taste berührt?«

»Der Flügel steht neben Floras Zimmer; wie konnte ich denn so anmaßend sein, sie mit meinem Klavierspiel im Arbeiten zu stören?« antwortete das junge Mädchen unbefangen und natürlich. »Ich habe freilich schon den lebhaften Wunsch gehabt, und es hat mir in den Fingern gezuckt, auch einmal auf dem Instrumente hier zu spielen, denn es ist herrlich, und mein Pianino daheim taugt nicht viel. Wir haben es vor fünf Jahren alt gekauft. Die Doktorin will schon seit lange ein besseres von dir fordern, aber ich war immer dagegen. Es war mir fatal, daß du von dieser Forderung auf meine Leistungen schließen könntest. Nun aber, nachdem ich heute den bewußten Schrank gesehen habe, bin ich durchaus nicht mehr so blöde; ich wünsche mir ein Instrument wie dieses.«

»Es kostet tausend Taler; tausend Taler für eine kleine Mädchenpassion! Das will überlegt sein, Käthe.«

»Und wer im Hause spielt denn auf eurem Instrumente?« fragte sie jetzt mit fast harter Stimme und aufglühenden Augen; man sah, sie war im Innersten verletzt. »Wem verschafft es einen Genuß in stillen Stunden? Es steht nur für Gäste da. Muß denn das Kapital immer so angelegt sein, daß es nur Nutzen trägt?«

Der Kommerzienrat trat ihr ganz betroffen näher und erfaßte ihre Hand; er hatte diesen Ausdruck voll Energie und eigener fester Urteilskraft noch nicht in dem blühenden Mädchenantlitze gesehen. »Ereifere dich nicht, liebes Kind!« begütigte er. »Bin ich denn je ein harter und knickeriger Vormund gewesen? Geh, spiele ein Stück und beweise uns, daß dir die Beschäftigung mit der Musik wirklich Herzenssache ist! Mehr verlange ich gar nicht, und du sollst ein Instrument haben, wie du es dir wünschest.«

»Nun, nach dem Vorhergegangenen tue ich's nicht gern,« sagte sie aufrichtig und unumwunden und entzog ihm ihre Hand. »›Erspielen‹ will ich mir den Flügel keinesfalls, wer weiß denn, was für eine Leistung du unter der ›Herzenssache‹ verstehst! Aber ich werde meine Noten holen, weil mir das ›Sichnötigenlassen‹ verhaßt ist.«

Sie wollte sich entfernen.

»Wozu denn Musikalien? Spiele doch eine deiner ›Kompositionen‹!« sagte Flora, ein sardonisches Lächeln halb verbeißend.

»Ich kann auch meine eigenen Arbeiten nicht auswendig,« antwortete Käthe hinausgehend.

Sie kam sehr rasch mit einem Notenhefte in der Hand zurück. Während sie sich auf den Klavierstuhl setzte, den ihr Fräulein von Giese bereitwillig einräumte, nahm Flora das Heft vom Notenpulte. »Von wem?« fragte sie, das Titelblatt aufschlagend.

»Nun, hast du nicht eine Komposition von mir zu hören gewünscht?«

»Allerdings, aber du hast dich vergriffen – das Tonstück da ist ja gedruckt –«

»Ganz recht. Es ist gedruckt.«

»Mein Gott, wie kommt denn das?« fuhr Flora so rasch, so naiv erstaunt und betreten heraus, daß sie auf einen Augenblick ihre selbstbewußte Haltung einbüßte.

»Ja, Flörchen, wie kommt es denn, daß deine Sachen gedruckt werden?« fragte Käthe scherzend, mit Humor zurück, und legte ihre schönen, schlankgebauten Hände auf die Tasten. »Ich will dir sagen, wie ich zu der Ehre gekommen bin,« setzte sie schnell und begütigend hinzu – Flora hatte offenbar ihre Antwort sehr übel genommen; sie richtete sich beleidigt empor und sah mit hochmütigem Blicke auf die junge Schwester herab. »Meine Lehrer haben die ›Phantasie‹ heimlich drucken lassen, um mir eine Geburtstagsfreude zu machen.«

»Ah so – das konnte man sich denken,« sagte Flora und legte die Noten auf das Pult zurück.

Henriette war währenddem hinter ihr weggeschlüpft; sie beugte sich über Käthes Schulter und zeigte mit dem Finger auf das Titelblatt. »Laß dir doch nichts weismachen, Flora!« rief sie auflachend. »Sieh her! Da steht der berühmte Verlag von Schott und Söhne – die Firma gibt sich doch zu einem Geburtstagsspaß nicht her. Käthe, sage die Wahrheit!« bat sie mit strahlenden Augen. »Man spielt deine Sachen draußen in der Welt – sie werden gekauft?«

Das junge Mädchen nickte errötend und bestätigend mit dem Kopfe. »Die Wahrheit ist aber auch, daß ich um mein eigenes Hinaustreten nicht gewußt und das erste Opus gedruckt auf meinem Geburtstagstische gefunden habe,« sagte sie und begann ihren Vortrag.

Es war eine ganz einfache Melodie, welche an das Ohr der Hörer schlug, aber schon nach einigen Takten ließen die am Spieltische Sitzenden die Whistkarten sinken, so samtweich quollen die Töne aus dem Instrumente, und so durch und durch originell und herzergreifend klang die neue Weise. Die junge Komponistin saß da, die Augen ernst sinnig auf die Noten geheftet, in so ruhiger Haltung, daß man das schwarze Bernsteinkreuz auf ihrer Brust unter den Atemzügen beben sehen konnte. Da war kein Glänzen mit Fingerfertigkeit, kein »Wühlen in den Tönen« – man fragte sich nicht, ob das Spiel korrekt sei; man dachte überhaupt nicht an das Spiel, so wenig wie man bei einem erschütternden Gesange an die Mundstellung des Sängers denkt, und als die Melodie schwieg, die nicht einmal zum Schlusse in die rauschende Gangart eines modernen Konzertstückes verfallen war, da blieb es noch einen Augenblick so atemlos still, als dürfe die entfliehende Tonseele, die eben noch so innig gesprochen, nicht durch lautes Geräusch erschreckt werden. Dann aber wurde es lebendig drüben im Salon; die Herren riefen: »Bravo!« – »Reizend!« –»Prächtig!« und die Damen bedauerten, daß der Papa Mangold das nicht erlebt habe. Man war überrascht, gerührt und – griff wieder zu den Karten.

»Die reizende ›Phantasie‹ müssen Sie mir geben, Fräulein. Ich werde sie der Fürstin vorspielen,« sagte die Hofdame mit Gönnermiene.

»Und den schönsten Konzertflügel, der je gebaut worden ist, sollst du haben, Käthe!« setzte der Kommerzienrat begeistert hinzu.

Henriette aber schmiegte liebkosend ihr blasses Gesicht an die blühende Wange der Schwester und flüsterte mit feuchten Augen: »Du Auserwählte!«

Schon nach den ersten Tönen war Flora wie verscheucht vom Flügel weggetreten und geräuschlos hinausgegangen. Langsam glitt sie drüben im roten Zimmer hin und wieder, bei jeder herzerschütternden Wandlung der Melodie einen förmlich erschreckten Blick nach dem genialen Mädchen am Klavier werfend, und nun, als der letzte Ton verklungen, war die ruhelos schwebende weiße Gestalt verschwunden; sie hatte sich jedenfalls in die Schreibtischecke am Fenster zurückgezogen.

»Ah, mir scheint, Flora nimmt es übel, daß sie nun nicht mehr die einzige ›Berühmtheit‹ der Familie Mangold sein wird,« sagte Fräulein von Giese halb für sich, halb zum Kommerzienrat gewendet mit boshaftem Geflüster.

Der Kommerzienrat lächelte – er lächelte stets, wenn jemand vom Hofe vertraulich zu ihm sprach – aber er vermied es, zu antworten.

»Auf deine Doktorin bin ich übrigens sehr böse, weil sie mir niemals Näheres über deine musikalische Begabung mitgeteilt hat,« sagte er zu Käthe, die eben ihren Platz am Flügel verließ.

Sie lachte.

»Bei uns daheim wird überhaupt kein Aufhebens davon gemacht,« versetzte sie unbefangen. »Die Doktorin ist eine Frau, die mit ihrem endgültigen Urteil kargt und zurückhält; sie weiß, daß ich noch sehr viel zu lernen habe.«

»Ach, geh mir doch! Das ist schon mehr spartanische Erziehung –«

»Oder auch das ausgesuchteste Raffinement, mit dem man einen großen Erfolg in Szene zu setzen wünscht,« fiel Flora ein, die eben unter die Tür trat; ihr Gesicht glühte wie im Fieber. »Mir machst du nicht weis, Käthe, daß du so harmlos bescheiden über dein Talent denkst, daß du wirklich so wenig Gewicht darauf legst, um bei einem fünftägigen Aufenthalt in unserem Hause zu tun, als kenntest du auch nicht eine Note – das ist falsch, hinterlistig gegen mich, gegen uns alle.« Der aufquellende Groll erstickte fast ihre schöne, klangreiche Stimme.

»So urteilst du, Flora?« brauste Henriette empört auf. »Du, die nie müde wird, ihre schriftstellerischen Bestrebungen, ihre ›gelehrten Studien‹ in jedes Gespräch zu ziehen und breitzutreten, die sich in ihrem Bekanntenkreise bereits auf Erfolge stützt, welche noch abzuwarten sind –«

»Henriette, besorge den Tee!« rief die Präsidentin in scharfem, strengem Tone herüber – man war zu laut im Musikzimmer.

Die Angerufene ging grollend hinaus.

»Du irrst, Flora, wenn du denkst, ich lege kein Gewicht auf mein Talent,« sagte Käthe vollkommen ruhig, während die geistesstolze Schwester zornig an der Unterlippe nagte und die Hinausgehende mit einem bitteren Blicke verfolgte. »Dann wäre ich unwahr gegen mich selbst und auch namenlos undankbar, denn es verschafft mir himmlische Stunden. Es ist Zufall, daß ich nicht gleich bei meiner Ankunft darüber gesprochen habe; denn gerade die Musik ist schuld, daß ich einen Monat früher hierher gekommen bin. Mein Lehrer in der Komposition mußte auf vier Wochen verreisen, und weil ich dann volle zwei Monate den Unterricht eingebüßt haben würde, entschloß ich mich rasch und verließ Dresden mit ihm zugleich.«

Bei diesen letzten Worten des jungen Mädchens ging Fräulein von Giese in den Salon, sichtlich widerwillig sich losreißend – die Erörterungen waren ja doch zu pikant – aber ihr Vater, ein alter pensionierter Oberst, war eben gekommen; er mußte begrüßt werden, auch der Kommerzienrat ging hinaus.

Flora trat wieder an den Flügel und nahm das Notenheft vom Pult. Käthe sah, wie sich der schöne Busen der Schwester unter fliegenden Atemzügen hob, wie ihre Hand in nervöser Aufregung bebte; Käthe bereute bitter die Arglosigkeit, mit der sie das kleine Werk in diesem Kreise vorgeführt hatte.

»Man hat dir wohl viel Schmeichelhaftes darüber gesagt?« fragte Flora und schlug mit der umgekehrten Rechten auf das Titelblatt – ihre Augen hingen verzehrend an den Lippen der Schwester.

»Wer denn?« entgegnete Käthe. »Meine Lehrer sind ebenso zurückhaltend mit ihrem Lobe wie die Doktorin, und andere wissen nicht um meine Autorschaft; du siehst doch, der Name des Komponisten fehlt.«

»Aber das Werkchen wird viel gekauft?«

Käthe schwieg.

»Sage nur die Wahrheit! Ist es schon mehr als einmal aufgelegt worden?«

»Nun ja.«

Flora warf das Heft auf den Flügel. »Zu solch einem Backfisch mit dem dicken Posaunenengelgesicht und der unverkümmerten Seelenruhe kommt der Ruhm im Schlafe, und andere müssen qualvoll kämpfen um jede Staffel; sie sterben fast im glühenden Ringen und Streben, ehe sie auch nur genannt werden,« stieß sie bitter heraus. Sie schlug die Arme unter und ging auf und ab.

»Nun, was tut's im Grunde?« sagte sie plötzlich stehen bleibend, wie erleichtert. »Die glänzendste Rakete verpufft spurlos droben in der Luft; sie ist dagewesen, während der Feuerkern im Vesuv fort und fort glüht; die Welt weiß um sein Dasein, und wenn er seine Flammen ausstößt, dann jubelt oder zittert das Menschenherz. Ganz gut so, da sind es eben zwei aus der Familie Mangold, die hinaustreten in die Arena. Wir wollen sehen, Käthe, wer von uns beiden die glänzendste Karriere macht.«

»Ich ganz gewiß nicht,« rief Käthe heiter und strich sich ein widerspenstiges Löckchen aus der Stirn. »Ich werde mich hüten, in die Arena zu gehen. Denke ja nicht, daß ich unempfindlich bin gegen Erfolge! Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, zu sehen, daß man mit seinen Schöpfungen die Herzen anderer rührt und bewegt, und das gäbe ich nicht hin um alle Schätze der Welt. Aber bloß dafür und deshalb zu leben? Nein, ich sehe daheim zu viel Glück, zu viel beseligendes Zusammensein und Zusammenwirken – was hilft mir der Ruhm, wenn er mich einsam läßt?«

»Aha, da haben wir ja die Bescherung, die ganze hausbackene Quintessenz deiner Erziehung! Wie es dieses Fräulein Lukas selbst unablässig erstrebt und schließlich durchgesetzt hat, so wirst du es auch machen – du willst dich verheiraten.« Sie lachte in verletzendem Spott hell und schneidend auf.

Das köstliche Rot auf den Wangen des jungen Mädchens breitete sich plötzlich bis an die Haarwurzeln der Stirn; es lief selbst über den schneeweißen runden Hals hinab. »Du lachst und spottest, als sei es dir nie eingefallen, dasselbe zu tun,« sagte sie entrüstet, aber mit unwillkürlich gedämpfter Stimme, »und doch –«

Flora streckte so rasch die Hand aus, als wolle sie die schönen Mädchenlippen zupressen. »Bitte, kein Wort weiter!« rief sie gebieterisch. Sie verschränkte die Arme wieder unter dem Busen und neigte langsam zustimmend den Kopf. »Ja, mein sehr weises Fräulein, ich war allerdings für einen Augenblick so schwach und verblendet, mir ein Netz überwerfen zu lassen, aber, Gott sei Dank, der Kopf ist wieder draußen; er ist klar und stark genug, sich die Freiheit zurückzuerobern.«

»Und hast du gar kein Gewissen, Flora?«

»Ein sehr empfindliches sogar, mein Schatz; es sagt mir eben, daß es ein unverantwortlicher Leichtsinn gewesen ist, mich selbst so hinzuwerfen. Du wirst bibelfest genug sein, um zu wissen, daß jeder dafür verantwortlich gemacht wird, wie er sein Pfund verwertet. Sieh mich an, kannst du dir wirklich denken, ich würde zeitlebens als simple Frau Doktorin am Herde stehen und Gemüse kochen? Und für wen?« Sie neigte den Kopf bezeichnend nach dem Salon, aus welchem jetzt lebhaftes Stimmengeräusch herüberscholl; mit dem Eintritte des alten Obersten von Giese war Leben und Bewegung in die Gesellschaft gekommen, nur Doktor Bruck saß allein am Teetisch und las in einer Zeitung; er war scheinbar sehr vertieft und hatte kaum aufgesehen, als Henriette an seine Seite zurückgekehrt war.

»Siehst du, daß auch nur einer der Herren mit ihm verkehrt?« fragte Flora mit unterdrückter Stimme. »Er ist geächtet, und mit allem Recht. Er hat mich und die Welt betrogen; sein ihm vorausgegangener glänzender Ruf ist eitel Reklame gewesen.«

Sie brach ab und zog sich rasch in ihr Zimmer zurück, jedenfalls, um dem alten redseligen Obersten aus dem Wege zu gehen, der jetzt in Begleitung seiner Tochter und des Kommerzienrates in das Musikzimmer trat und sich Käthe vorstellen ließ. Auf seine Bitte setzte sich das junge Mädchen noch einmal an das Instrument und spielte. Wunderlich! Mit was für Augen ihr Schwager und Vormund nach ihr hinsah, sobald sie den Blick vom Notenblatte hob, so feurig, so unerklärlich, durchaus nicht so brüderlich vertraut, wie er ihr als Kind die Bonbonstüten und gestern noch ein schönes Bukett aus der Stadt mitgebracht hatte. Sie ließ ihm stets willig die Hand, wenn er sie im Gespräche erfaßte, und litt es, daß er ihr liebkosend die Locken aus der Stirn strich; er tat das so harmlos, wie es ihr Vater einst getan, und jetzt, als sie die Hände von den Tasten sinken ließ, trat er unter dem rauschenden Beifall der anderen rasch auf sie zu und legte seinen Arm um ihre Schultern.

»Käthe, was ist aus dir geworden!« flüsterte er, sich über sie herabbeugend. »Wie erinnerst du mich an Klothilde, deine selige Schwester! Aber du bist schöner, ungleich begabter.«

Sie griff mit der Linken nach dem Arm, um ihn abzustreifen, aber Moritz erfaßte nun auch die Hand und hielt sie mit festem Drucke, als sei es fürs ganze Leben. Für die Anwesenden war das ein hübsches Bild, eine selbstverständliche, harmlose Gruppe. Der Vormund umarmte stolz und hingerissen seine Mündel, das ihm anvertraute Kind seines Schwiegervaters. Nur Henriettens bleiches Gesicht war sehr rot geworden; sie lächelte so eigentümlich. Doktor Bruck neben ihr sah nach seiner Uhr, dann reichte er Henriette verstohlen die Hand und benutzte die allgemeine Aufregung, um sich unbemerkt zu entfernen.


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