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Suchen wir am Ende, was Siegmund Freud besaß, als er auszog, die menschliche Seele zu enträtseln, und was ihm fehlte.
Freud besaß Konzentration. Er konnte viele Stunden am Tage ein halbes Dutzend Menschen nacheinander einzeln anhören und ihre Geständnisse in seinem Kopfe verarbeiten, ohne diese Depositionen zu vermengen. Er besaß offenbar Geduld, und seine Arbeit war auf vollkommene Gelassenheit gerichtet. Er besaß die Erfahrung des Neurologen und konnte daraus Schlüsse auf die Ätiologie und die Behandlung seltener Erscheinungen ziehen. Er besaß Diskretion unter Lebenden und hat aus wissenschaftlichen Gründen nie jemand auch nur indirekt preisgegeben. Vor allem zeichnete ihn eine männliche Aufrichtigkeit aus, die des Philosophen würdig ist. Freud machte nie Kompromisse und hatte Furcht vor niemand.
Aber Freud fehlte der Blick. Seine Beobachtungen gingen sämtliche durchs Ohr, und daß er sich hinter seine Patienten setzte, hatte Gründe, solange er ihre vertrauliche Erzählung nicht stören wollte; aber er suchte auch vorher oder nachher nicht, sich durch das Auge zu kontrollieren. In sämtlichen Berichten, die er publizierte, fehlt eine genaue Beschreibung der Physiognomie und der Reaktionen, die soviel vom Charakter verraten. Niemals sieht man ihn ein Menschenantlitz studieren und demaskieren, was doch seinem Beruf und seiner Lehre entsprechen müßte. Statt mit den Röntgenstrahlen des Menschenkenners die Herzen zu durchleuchten, lauschte er immer nur auf ihre Töne durch das Stethoskop.
Freud fehlte die Hingabe. Mit der eigensinnigen Strenge eines Jesuitenpaters trieb er die verwirrte Seele zu Geständnissen über eine einzige, die sexuelle Sphäre, auch wenn der Leidende sich in ganz anderen Gebieten getroffen fühlte. Freud und seine Schüler sahen gar nicht, daß eine leidende Seele nur durch Betrachtung aller Umstände erklärt werden kann. Anstatt einen Patienten jede Woche zweimal je eine Stunde im Halbdunkel auf den Diwan des Arztes zu legen, müßte dieser ihn in seinem Hause aufsuchen, seine Mitspieler studieren, aus deren Urteil, Blicken, halben Worten, aus ihren Scherzen selbst auf verschwiegene Dinge schließen, sie mit den Äußerungen des Patienten vergleichen, kurz, seine Lebensform ergründen, statt seinen Berichten zu vertrauen. Auch so war Freud beständig ein Jäger, statt ein Vater zu sein. Seine selbstsichere Natur ließ ihn zu schnell verallgemeinern, damit der Patient unter das Dogma fiel, das der Arzt oft genug durch Suggestion verstärkte. Niemals sieht man ihn in seinen Berichten überrascht, überrannt, denn es mußte am Ende alles »in den Rahmen seiner These passen«, so wie er es zuletzt jenem Opponenten von seiner Auffassung des Moses gestand.
Freud war ein Fremder in der Natur. Persönlich unabhängig von den Jahreszeiten, gefühllos gegen Landschaft und Klima, vermochte er nicht, die Einflüsse der Natur und ihren Wechsel in die psychische Rechnung einzusetzen. Wenn alle Patienten von der Natur unbeeinflußt geschildert werden, so muß das am Analytiker liegen. Da Freuds Deutung der menschlichen Handlungen und Leiden fanatisch auf einen Punkt gerichtet war, kam ihm nie der Gedanke, sie könnten vielleicht ganz wo anders, außerhalb des Organismus entstehen oder verwandelt werden. Wer nie das Wachstum eines einzelnen Baumes beobachtet hat oder die Wandlung der Atmosphäre durch Wärme und Kälte oder den Aufbau einer Blüte oder das Geheimnis eines Kristalls oder die Wellenbildung am Meeresstrande oder das Strudelsystem eines Baches oder die Atmung einer Wiese oder die Gesetze der Regentropfen, wer jeden Tag in der Steinwüste einer Großstadt begonnen und beendet hat, kann die Menschen nur einseitig betrachten und beraten, denn die Hälfte des organischen Lebens bleibt ihm unbekannt.
Freud blieb sein Leben lang die Schönheit fremd. Auf all den Tausenden Seiten seiner Werke, die zum großen Teil Berichte sind oder auf ihnen fußen, wird man dieses Wort nicht finden. Er kannte nicht den Einfluß der Schönheit auf die Seele. Während ihm lebende Kranke Führer zu historischen Künstlern wurden, fand er in der Kunst nie den Schlüssel zur Seele des Lebenden. Schönheit war für ihn nichts als ein sexueller Reiz; ihre Übertragung auf die Bildung des Herzens, ihr Eindruck auf empfängliche Seelen war ihm schon deshalb fremd, weil er jeden Einfluß höherer Art auf das menschliche Leben leugnete. Niemals schloß er vom klassischen oder eleganten Körperbau eines Patienten auf die Lebensweise und sein Weltbild; er berechnete nur, wie sich seine phallischen Eigenschaften in einem solchen Körper auswirken möchten.
Freud blieb die Musik fremd. Da er die Erlösung gespannter Seelenkräfte durch Musik, nach seinen eigenen Worten, niemals erlebte, konnte er den Eindruck der Musik in Entstehung und Heilung von Seelenleiden nicht einsetzen. In sechzig Jahren dachte er nie darüber nach – dies zeigen seine Krankengeschichten –, daß Musik ein Sedativum oder Exzitans für die Nerven bedeutet, die mit nichts verglichen werden können. Unbekannt mit diesem gefährlichen und heilsamen Mittel für Nervenleidende, blieb er ein Leben lang den Harmonien fern und entbehrte die magischen Wirkungen, die seine eigenen Ideen hätten auflockern, ausgleichen, ihn selbst vielleicht zu harmonischeren Gefühlen hätten leiten können.
Freuds Arbeit verleugnet Geschmack und Stil. In den elf Bänden seiner Werke wird man kein persönliches Gleichnis, kaum ein farbiges Beispiel finden. Auch wenn man keine poetische Gabe voraussetzt, wie etwa die von Humboldt, so erscheinen trocknere Naturforscher, wie Darwin oder Linné, als bilderreiche Autoren neben ihm. Das destruktive Element, auf das Freud so stolz ist, seine Mission als »Entlarver« wird nirgends vom Geiste Voltaires durchblitzt. Statt dessen finden wir beständig die Lust am Triebhaften und am Perversen. Ein Autor, der Worte wie Narzißmus, prächtige Hinterbacken oder Penisneid erfindet, bringt solche Begriffe, früher unaussprechbar, auf die Lippen einer jungen Frau. Noch nach fünfzig Jahren bekommt Freud nicht genug davon. Er ist imstande, die sexuellen Bedeutungen eines Traumes doppelt dick drucken zu lassen, damit sie in die Augen springen. Er ist imstande, die Buchstaben eines Wortes so lange umzustellen, bis er einen pornographischen Begriff herausbekommen hat.
Freud war der Mann ohne Humor, er kannte weder Lachen noch Lächeln. Er schreibt zweihundert Seiten über Witz, aber am Schlusse nur acht über Ironie. Den von fixen Ideen geplagten Menschen nimmt er nie an der Hand, um ihn zu den versöhnenden Quellen zu führen, die leise rauschend von frischem Wasser über das Gestein sprudeln und die Spitzen abglätten. Was die Analyse des menschlichen Herzens von Epikur bis zu Nietzsche adelt, die verstehende Erklärung tragikomischer Mächte, in die sich alle Verwirrung auflöst, ist Freud auf ewig fremd geblieben. Nachdem er seinen Patienten immer tiefer in Abgründe geführt, die ihm zuvor unbekannt waren, führt er ihn nie zurück in Wärme, Licht und Heiterkeit der Oberwelt, die Quellen der Heilkraft. Wie ein Musiker, der beständig in Synkopen komponierte, verliert er alle fließende Harmonie und versäumt, den Leidenden grade die höheren Formen des Gefühls und Begreifens zu zeigen, in denen sich der Wahn erlöst. Niemals tritt Pylades zu Orest. Dieser tödliche Ernst ist es, der die Frage des Geschlechtes zu echt deutscher Schwere verurteilt. Die Stelle in der Analyse des Hephästos, wo das Gelächter der olympischen Götter als »für uns befremdend« bezeichnet wird, beleuchtet diese Welt, die sich so tief vorkommt, weil sie nicht lachen kann.
Freud kannte nicht das Spiel. Durchblättert man seine Analysen, so wird man keinen Fall finden, in dem er die zur Analyse bereite Seele in eine freie lächelnde Stimmung führt. Der Spieltrieb – ein ebenso wichtiger Motor der Menschen wie Ehrgeiz oder Sexus –, dieser Wunsch, zwecklos seine Kräfte zu üben, einen Tag des Lebens einem Nichts zu widmen, dessen Anfang dem Ende gleicht: dieser Tanz der Gedanken, diese Verschwendung der Gefühle, dies Gegenstück zu Depression und Verwirrung, das mit ihnen abwechselt, blieb Freud unbekannt. Er kannte weder den Schmetterling als Symbol, noch die Schaukel, noch den Kugelspieler, und von dem tiefen Sinn der spielenden Seele und wie sie dadurch aufzulockern wäre, wußte er nichts.
Freud hatte keine Phantasie. Mit dem Eigensinn des Materialisten, der alles Unwägbare leugnet, wehrte er sich dagegen, von etwas bewegt zu werden, was er nicht verstünde, und wies grade diejenige Hälfte der Welt zurück, die zur Deutung der Träume führt. Hätte er erklärt, seine Psychologie sei faktisch und vernünftig und lehne jeden Bezug auf das Gaukelwesen der Träume ab, so hätte man einen Mann vor sich, der seinen Platz als Philosoph gewählt hat. Nun aber tut dieser Kunst- und Schönheitsleugner, dieser rationale Naturforscher das einzige, was er vermeiden müßte: er tritt in die Welt der Träume ein, die nur eine phantasievolle Natur zu deuten weiß. Wie Alberich, der Zwerg, die Rheintöchter locken will und sie doch nie fassen kann, so folgt Freud den schwimmenden Traumfiguren, besessen vom Sexus wie Alberich vom Golde, und versucht sich in einem ihm fremden Elemente. Deshalb lachen die Künstler über seine Traumdeutungen, wovon wir einige Beispiele gaben.
Freud war die Liebe fremd. Daß er dieses »vieldeutige Wort« mit ironischem Mißtrauen umging, folgt aus seiner sexuellen Grundidee, die die Hälfte der Liebe von vornherein erwürgt. Da nie ein Feind von ihm erzählt hat, er hätte aus der erotischen Sphäre von Frauenanalysen die leicht zu pflückenden Früchte gewonnen, scheint sein eigenes Liebesleben in der oben skizzierten Ehe beschlossen gewesen zu sein. Der Zynismus, mit dem er jede nichtsexuelle Form der Liebe leugnete, stammt bei Schopenhauer aus Enttäuschungen, bei Freud aus einem vollkommenen Nihilismus. Blickt man in die von ihm erzählten eigenen und fremden Träume und ihre Deutung, so erkennt man, daß er selbst weder im Leben noch im Traume die Liebe außerhalb des Sexus gesucht hat. Da er jede Geliebte als Mutterbild sah, entgingen ihm alle anderen Symbole, in denen sie die Tochter, die Göttin, die Sklavin eines Mannes ist. Er hat die Augensprache der Liebenden nie vernommen, die stummen Zeichen, Fragen und Aufforderungen, die ihr Seelenleben bestimmen und sie in Entzückung oder Verzweiflung, in Neurose, Selbstmord oder in das Glück entführen.
Alles, was vor und nach der sexuellen Vereinigung liegt, alle zarten und geistigen Einflüsse von Frauen auf Männer, alle werbenden oder bewundernden Stellungen von Männern vor Frauen, alle romantischen Beziehungen waren ihm unbekannt. Dieser Expert in Perversitäten wußte nichts von den Finessen der Liebe noch von der Freundschaft. Der Mann ohne Freunde trat als Zyniker in die Verhältnisse fremder Menschen ein. In hundert Krankengeschichten wird man ihn nie ein herzliches oder vornehmes Motiv der Liebe oder Freundschaft im Patienten supponieren sehen.
Auch die Kinder blieben Freud ganz fremd. Der Autor, der seine ganze Lehre auf die Gefühle von Kindern gründete und alle Patienten auf ihre Kinderjahre zurückführte, zeigt in keinem von all seinen Berichten, daß er das Kind selbst studiert hat; er suchte nur rückwärts das Kind im Neurotiker, und zwar nur sein Sexualleben. So wenig man in seinen Träumen und Berichten eine lebende Blume, eine Statue, eine Melodie, eine zärtliche Frauengeste, ein Freundeswort finden wird, so wenig findet man darin das Bild eines spielenden. Kindes, sein Lachen oder seine Fragen. Der »Entzauberer des Kinderparadieses« konnte in seinem Fanatismus nur die perversen oder »bestialischen Triebe« der Kinder ans Licht ziehen: sonst wäre die Grundvision des Meisters ein Irrtum gewesen und sein Leben umsonst. Die volle Ablehnung aller Naivität im Kinderleben, die Leugnung jeder natürlichen Regung für Mutter und Vater, aller rührenden Züge unschuldiger Zärtlichkeit zwischen Geschwistern oder von Hilfe und Hingabe zwischen Kindern, der tiefe Sinn ihres harmlosen Spieles mit Puppen oder mit Tieren fehlt in seinen Berichten ganz. Dies alles wird von ihm durch düstere Triebe ersetzt, und zwar bei jedem gesunden Kinde jedes Zeitalters und Landes, denn eine andere Seite kannte er nicht.
Freud war ohne Glauben. Daß er kein gläubiger Christ oder Jude war, hat er mit weit größeren Weisen gemein; aber aus seinem vollkommenen Nihilismus weicht nicht der Groll. Seine Ablehnung ist nicht frei, sondern aus einem Ressentiment entstanden, das mit den groben Schlüsseln seiner Wissenschaft nicht zu eröffnen ist. Wilde Träume von ungehemmten Orgien stecken hinter diesem Kampf gegen Religion und Kultur, aber der »Entdecker des Unbewußten« gesteht es sich nicht ein. Wenn Freud das Rechtsverbot des Inzestes oder die Monogamie als Ursachen so vieler Verdrängungen bezeichnet, so ist er erbittert, möchte in eine orgiastische Welt zurück, verschweigt aber seinen Schülern und Lesern seine Wunschträume und läßt sie nur darauf schließen. Wenn Nietzsche die Urtriebe an Stelle der Gesetze preist und dasselbe »Unbehagen an der Kultur« bekennt, so möchte er an ihrer Stelle Glück, Stolz, Macht einiger weniger entwickeln; Freud dagegen bleibt beim Phallus, ohne sich aus seiner Unterwelt zu erheben. Daraus ist ihm nicht nur die Leugnung eines Gottes, sondern auch die jedes Fatums entstanden und dem stumpfen Zufall, das heißt dem planlosen Dahinbrüten die Leitung einer jeden Strebens beraubten Welt überlassen. Hier, wo der Geist nur geduldet wird als Sublimierung von Urtrieben, wo keine Geistigkeit frei, sondern nur als Entsagung akzeptiert wird, kann keine Form des Glaubens in die dämmerige Unterwelt hinunterleuchten. Mit Stolz und Eigensinn steht dieser Prophet auf einer Welt ohne Fügung und ohne Führung.
Aber auch von außen gesehen fehlten Freud die Elemente des Seelenforschers. Ihm war die Aktivität fremd; vom vielbewegten Leben kannte er keine einzige Provinz. Er hatte die Luft der Bibliothek und des Laboratoriums geatmet, Ehrgeiz und Intrigen von Professoren und Kollegen in Wien und Paris kennengelernt und sich dann, mit Dreißig, in die drei dunklen Zimmer zurückgezogen, die er nur zu gelegentlichen Reisen verließ. Während er Menschen aller Kreise beraten sollte, deren Beruf ihr Seelenleben beeinflußte, hatte er die Schauplätze ihrer Tätigkeit nie betreten, auch nicht als Betrachter, sie blieben ihm alle fremd: der Betrieb in einer Fabrik, die Luft in einer Küche, das Weben in einer Staatskanzlei, der Geruch einer Tischlerwerkstatt, der Rhythmus eines Ladens, eines Parlamentes, eines Handelshauses, die Gesetze eines Hafens, einer Gärtnerei, eines Theaters. Nichts half dem Nervenarzte, den aktiven Menschen zu verstehen, der zu ihm kam, um sich Rat zu holen.
Freud war die Vielheit der Motive fremd. Was treibend und hemmend wirkt, wenn Menschen handeln oder vor einer Handlung zurückweichen, fehlt in Diagnose und Philosophie dieses Systems: beinahe ganz fehlen Mut, Neugier, Abenteuer, Schönheitssinn, Gottesstreben, konstruktiver Wille, Phantasie als gegenwärtig wirkende Kräfte. Hier werden die Leidenden, die Rat suchen, ganz wie die historischen Gestalten, beständig in ihre Vergangenheit geführt, in ihren Motiven auf frühe Verletzungen, triebhafte Wünsche beschränkt, bis alle wie im Gefängnishof, in den grauen Drillichanzügen ihrer Verdrängung hintereinander herschreiten, während er, der Wächter, aus seinem vergitterten Turmfenster mit unbewegtem Antlitz herunter blickt. Der höchste Zweck des menschlichen Handelns, sich der Gott-Natur anzunähern, existiert nicht. Die Aufgabe ist allein, den bestialischen Trieben zu entgehen und in der Entsagung der Sublimierung Ersatz zu finden, statt im Handeln oder im Betrachten aufzublühen.
Und doch ist, was Freud fehlte, grade die Summe der Elemente, die den Erforscher der menschlichen Seele zu seiner Kunst befähigt. Nur durch Hingabe an den Einzelnen, an sein Streben, seine Natur kann sich ein Mensch die Seele eines anderen aufschließen. Mit Musik, Spiel und Humor lockert man die Seele auf, mit Liebe, Freundschaft, Glauben macht man sie leichter und klärt sie über sich selbst auf. Wer dies alles entbehrt, sollte sich nicht als Erforscher der menschlichen Seele bezeichnen und eine Schule ohne die Mittel gründen, die alles entscheiden.
Statt eines hingebenden Menschenfreundes, statt eines Beobachters des bunten Lebens finden wir einen starren, auf seine Prinzipien schwörenden Propheten, der aus seiner düsteren Kindheit, aus seinen Haß- und Inzestgefühlen souveräne Schlüsse machte auf ähnliche Gefühle bei allen anderen Menschen. Wir finden einen suggestiven Dogmatiker, statt eines mitfühlenden Arztes. Weil er durch achtzig Jahre seinen Vaterhaß nicht überwand, hat er ihn in die Welt getragen.
Freud hatte in der Jugend als Nervenarzt eine originelle Methode übernommen, ausgebaut, Licht in verschlossene Provinzen gebracht und auch noch später vielen Leidenden geholfen. Aber die leitende Idee wurde zur Monomanie, die Methode zum Zwang; zugleich wurde der Arzt zum Philosophen, der Neurologe zum Diktator über Kultur und Geschichte, der Prophet zum Gründer einer Sekte, diese zur Gefahr für die gesunde Gesellschaft.
Freud glich einem Manne, der beständig durch ein zu stark geschliffenes Augenglas blickt und deshalb die Gegenstände der Welt verzerrt sieht. Seit er das Glas weitergegeben, sehen Millionen von Menschen viele Dinge der Welt verzerrt, wie er.