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Das analytische Verfahren, das sich seiner Kälte rühmt wie seiner anderen Schwächen, Musik und Dichtung in der Traumdeutung verspottet, arbeitet in Wahrheit mit den ältesten Tricks der Zauberer und Priester. Diese wollten durch Suggestion die Reue des Sünders erzwingen, nachdem sie ihm seine Geständnisse abgelauscht hatten; die Analyse will dieselben Geständnisse, um ihn zu heilen. Hier aber ist das Verhältnis von Anfang an sexuell gefärbt. Freud erklärt, es käme » immer« der Augenblick, wo sich die Anziehung zur »Übertragung« steigert. Er meint die Verliebtheit, umschreibt es aber meist mit »Übertragung«.
Zuweilen spricht Freud es aus: es brauche »einen mächtigen Impetus«, um den Patienten umzustimmen; das Resultat werde bestimmt »ausschließlich durch das Verhältnis zum Arzt … durch stürmische Liebe oder mäßigere Formen … Ohne Übertragung würde der Patient auf den Arzt und seine Argumente nicht einmal hören. Übertragung hat die umfassendste, durchaus zentrale Bedeutung. Ohne Übertragung würde Vernunft nicht auf den Patienten wirken … Sobald die Übertragung begann, also die Liebe wächst, haben wir nicht mehr mit der früheren Krankheit zu tun, sondern mit einer neu geschaffenen und übertragenen, die die frühere ersetzt … Der Analytiker sieht es ins Licht treten und aufblühen und versteht den Besucher, da er selbst das zentrale Objekt ist … Übertragung, besonders in den Händen eines skrupellosen Arztes, ist ein gefährliches Instrument.«
In diesen bedeutsamen Sätzen, deren Varianten sich bei Freud oft wiederholen, stellt sich der als Entzauberer berühmte Arzt durchaus als Zauberer dar. Der Mann, der »das vieldeutige Wort Liebe« umgeht oder verspottet, läßt es hier nicht bloß gelten, sondern »aufblühen«, ja er macht den Erfolg seiner Kuren davon abhängig, daß der Patient ihn liebt. Anstatt, wie der Priester, als ein anonymer Mittler zu verschwinden, nennt er sich selbst das Zentralobjekt und enthüllt den Genuß, den sein Machtwille aus der Hingabe von Hunderten zog, während er selbst sich nie hingab.
Er soll es auch gar nicht: er soll seinen persönlichen Anteil auslöschen, fordert einer seiner Schüler, der erklärt, die Ausbildung des Arztes beruhe auf seiner eigenen Analyse, »die den Zweck hat, eine persönlich unbewußte, affektive Beteiligung auszuschalten«. Hier wird die gegenseitige Hingabe gradezu verboten; etwa, wie wenn man die Sympathie des Dramatikers für seinen Helden ausschaltete.
Freud kennt aber die Gefahren seiner Methode und zeigt sie auf. Denn während er selbst von niemand als geldsüchtig geschildert worden ist, hat die Flut von Analytikern, die heute aus seiner Methode ein Geschäft machen, besonders in Amerika den Ruf des Geldschneidens. Hunderte von privaten Mitteilungen und Prozessen zeigen es an, daß Freud, der als bedeutender Nervenarzt begann, von Menschen gefolgt wurde, die nur zu oft so skrupellos sind, wie er es befürchtete. Wenn die meisten Analytiker heut auf Geld versessen sind, um von vier bis sechs reichen Patienten ein Jahr bequem zu leben, so sind sie kaum zu tadeln: es ist immer noch redlicher, aus der Dummheit der Menschen Geld zu machen, als an den eigenen Wahn zu glauben.
Aber Freud hat auch die inneren Gefahren seiner Methode erkannt, denn er sagt: »Wahrscheinlich wird die Anwendung unserer Therapie das Gold der Psychoanalyse mit viel Beimischung des Kupfers der direkten Suggestion vermischen … Während der Analyse muß dem Patienten viel gesagt werden, was er selbst nicht ausdrücken kann. Ideen müssen ihm gesagt werden, die er bisher nicht hatte. Seine Aufmerksamkeit muß durch diese Kanäle geleitet werden … Eine Analyse ist nicht ein rein wissenschaftliches Experiment: es ist mehr ein therapeutischer Eingriff.«
Hier tritt Freud selbst unter die Gesetze der Medizin zurück. Jeder Kulturstaat bestraft einen Arzt wegen eines Kunstfehlers, den er durch Operation oder Medikament zum Schaden des Patienten begangen hat. Aber noch haben sich wenige gefragt, welches Unheil täglich in den Sprechzimmern der Analytiker angerichtet wird. Wenn es geschehen ist, läßt sich der Schaden und somit auch die Anklage nicht so formulieren, wie wenn ein Bein zu früh amputiert oder ein Herzkranker durch verkehrte Behandlung frühzeitig zum Tode gebracht worden ist.
Freuds Schüler verdoppeln den Sinn der Übertragung; einer von ihnen, Pfister, sagt sogar, der Patient solle mit einem schnellen Streiche gewonnen werden, man müsse ihm die Idee fixe einimpfen, damit er geheilt werde, alles hänge an der Macht der Überredung. Andere schildern »das Liebesspiel zwischen Arzt und Patienten«: jetzt süß und zärtlich, dann verärgert und verstimmt, nun tritt er autoritativ auf, zieht den Patienten an, nun läßt er ihn wieder fallen, es entstehen Wochen der Spannung wie zwischen Liebesleuten, und zwar durchaus nicht bloß bei verschiedenen Geschlechtern. Wenn aber Arzt und Patient sowohl Mann als Frau sein können, eines bleibt konstant: das Weib in diesem Kampfe ist der Doktor, denn er wird erst umworben, und dann regiert er.
Steckel, eine andere Größe unter den Freudianern, schreibt, der Neurotiker will Macht, das heißt, »er will geliebt werden«! Auf alle Art, bald aggressiv, bald bettelnd, suche der Patient seinen Arzt dazu zu bringen, ihn zu lieben. Steckel gibt das Beispiel des Traumes einer Frau, die ihre alten Schuhe ihrer Tante gegeben hat und nackt dasteht: »Ich fürchtete mich, ohne Schuhe durch die Straßen zu gehen.« Der Arzt heilt sie (wir wissen nicht wovon), aber sie kommt immer wieder. Deutung: sie fürchtete sich jetzt durchs Land zu gehen ohne den Schutz ihrer Neurose. Warum? Hohe Absätze heißen auf österreichisch Stöckl. »Sie brauchte niedrige Stöckel, das gibt den Zusammenhang mit meinem Namen.« Die Logik einer Primadonna, die Intrigenwelt hinter den Kulissen, die Atmosphäre einer Garderobe im Theater, wo sich Leidenschaften mit Affektationen mischen, der Zweck beständig durch Eifersüchte verfälscht, das Schauspiel vernebelt wird.
Vielleicht wundert man sich, daß keinem von diesen Ärzten der Gedanke kommt, der Patient könnte am Ende stärker oder klüger sein als sie? Nicht doch! Sie sitzen auf ihren delphischen Klubstühlen und überblicken das arme Geschlecht der Patienten von oben. Und wenn es nicht geht, wenn der nervöse Patient durch Wochen nicht geheilt wird, also keine »Übertragung« stattfindet, so bekommt er für sein Geld eine wunderbare Etikette: »Diese Neurose ist narzißtisch.«
Wer hat nicht einmal einen Schauer über dem Rücken gefühlt, wenn einer mit Kreide über die Tafel fuhr oder wenn die Hand über den Samt glitt? Der aber, der darüber klagte, sagte zu Steckel, er wüßte, was es bedeute: »Die Kreide ist der Phallus, die Tafel die Vagina.« Der Arzt fühlt sich verhöhnt, der Kranke gesteht, er wollte ihn nur necken. Sie versöhnen sich, und jetzt gibt Steckel die echte Erklärung wie folgt: Kalk sind Knochen eines Skelettes, Seide, Samt und Tafel Symbole von Haut und Körper. »Wir haben es also hier mit einem klaren Fall von kannibalistischem Komplex zu tun.« Vielleicht zieht man die burleske Deutung des Patienten vor? Wenn schon Kannibale, dann doch lieber mit Phallus!
Wo hören diese Gaukeleien von Leuten, die nichts gelernt haben, mit Leuten, die zuviel Geld haben, eigentlich auf, müßige Gesellschaftsspiele zu sein, und werden Gefahren? Was liegt daran, daß jener dumme Mensch von jetzt ab glaubt, er wolle die Frauen eigentlich aufessen, nach denen er begehrte! Was liegt überhaupt an den Irritationen von Müßiggängern, die sich beim Arzt einen Lebensinhalt suchen und sich im Gefühl ihrer inneren Leere »analysieren« lassen, wie man sich maniküren läßt? Aber da gibt es tausend andere, besonders junge Menschen, die nach einem Jahr analytischer Behandlung vollkommen verwirrt werden und ihrem Wirken verlorengehen, wenn sie sich nicht sogar umbringen. Keine Statistik hat gezählt, wie vielen die Analyse schadete und wie vielen sie nützte.
Was wird denn aus den Kindern, die diesen monomanen Ärzten zum Opfer fallen? Ein kleines Mädchen sollte beten: »Mutter Gottes, du bist voller Gnaden.« Es sagte aber aus Zerstreutheit: »Mutter Gottes, du bist voller Knaben!« Da verriet das Kind seine sexuellen Träume! Es wurde in der Analyse auf Wege verführt, die ihm gänzlich fremd waren. Sagt der Patient, er könnte sich eines ihm suggerierten Traumes durchaus nicht erinnern, so versucht es der Arzt so lange, bis er ihn zu Fall bringt. »Ich kann versichern«, fährt Freud fort, » daß die verkappten Träume vom Sexualverkehr mit der Mutter um ein vielfaches häufiger sind als die berichteten.«
Hier wird die Suggestion durch den Hypnotiseur eingeräumt. Daß Klinik und Wissenschaft hier verlassen werden, schreckt uns nicht, wie es viele Experten geschreckt hat. Wir stellen nur fest, daß wir nicht mehr einen Arzt vor uns haben, sondern einen Magier, der bedeutende Geständnisse macht. In seinen Erinnerungen erzählt Freud, wie ihm, auf sein Drängen, die Patientinnen Verführungsszenen durch den Vater vorgespiegelt hätten, Phantasien, »die ich ihnen vielleicht selbst aufgedrängt hatte … Eine Zeitlang war ich ratlos … Ich zog aus der Erfahrung die richtigen Schlüsse, daß die neurotischen Symptome nicht direkt an wirkliche Erlebnisse anknüpften, sondern an Wunschphantasien, daß für die Neurose die psychische Realität mehr bedeute als die materielle.« Freud bemerkt gar nicht, daß dies das Grunderlebnis aller Künstler ist, die nichts mit Neurose zu tun haben. Ganz mit seinem eigenen Widerspruch beschäftigt, fährt er fort:
»Ich glaube auch heute nicht, daß ich meinen Patienten jene Verführungsszenen aufgedrängt, suggeriert habe. Ich war da zum erstenmal mit dem Ödipus-Komplex zusammengetroffen, der späterhin so überragende Bedeutung gewinnen sollte … Mein Irrtum ist also der nämliche gewesen, wie wenn jemand die Sagengeschichte der römischen Königszeit nach der Erzählung des Livius für historische Wahrheit nehmen würde, anstatt für das, was sie ist: eine Reaktionsbildung gegen die Erinnerungen armseliger, wahrscheinlich nicht immer römischer Zeiten und Verhältnisse.«
Bei einem solchen Mangel an Logik könnte man Freud für einen echten Zauberer halten. Wenn er das von den Patienten unter seiner Suggestion Erdichtete für Wahrheit nahm und auf so schwanker Grundlage seinen Ödipus-Komplex aufbaute, so verstärkte er ja nur das, was er Realität nennt, seine Vorgefühle, mußte also in seinem eigenen Vergleich nachträglich finden, daß Livius' Geschichte viel wahrer war, als er selbst wußte. Auf alle Fälle bekennt Freud, daß er den Ödipus, den er selbst einen Grundstein seiner Lehre nennt, zuerst geahnt und suggeriert, dann wiederum nicht suggeriert, dann unter Autosuggestion von Neurotikern empfangen, all diese Ausgeburten seiner eigenen und anderer krankhafter Phantasien auf das gesamte gesunde Menschengeschlecht übertragen und daraus die These geformt habe, jeder normale Junge wollte einmal mit seiner Mutter ein Kind erzeugen.
Dieser fatale Übergang vom Neurotiker zum Normalen und wieder zurück ist von einem Nervenarzt in einer kostbaren Antwort aufgefangen worden, die ihm ein anderer gab. Professor Carney Landis, der sich in Amerika fünfzig Stunden analysieren ließ, um die Analyse kennenzulernen, fragte seinen Arzt: »Was ist normal?« – »Das weiß ich nicht«, erwiderte der Esel, »ich habe nie mit normalen Leuten zu tun.«
»Wenn aber ein Normaler zu Ihnen käme?« (Der Professor meint sich selbst.)
» Auch wenn er anfangs normal wäre, würde die analytische Behandlung eine Neurose erzeugen.«
Ein solches Mißlingen wird von Freud selbst als möglich zugestanden, natürlich nicht klar auf deutsch, sondern in der Mystik der Geheimsprache: »daß die an narzißtischer Neurose Erkrankten keine Übertragungsfähigkeit besitzen oder ungenügende Reste davon«. Wenn ihm also Leute begegnen, die sich gegen ihn wehren, so erklärt er sie nicht etwa für gesund, sondern nur für bedauerliche Menschen, die das Heil der Analyse verlieren.
Freud hat seine Methode selbst variiert. »Das Drängen«, sagt er, »war auf die Dauer zu anstrengend für beide Teile.« Er probierte also eine neue Methode, »welche in gewissem Sinne ihr Gegensatz war«. Jeder Patient soll sagen, was ihm grade in den Sinn kommt, aber aufrichtig, so daß er von jetzt ab Aufrichtigkeit die Voraussetzung der Kur nennt. Indessen fand er den Patienten » nicht wirklich frei; er blieb unter dem Einfluß der analytischen Situation.« Was bleibt übrig? » Deutungskunst, deren erfolgreiche Handhabung zwar Takt und Übung erfordert, die aber unschwer zu erlernen ist.« Auch in seinen Memoiren erklärt sich Freud für die Laienanalyse, da ja der Arzt selbst zunächst »trotz seiner Diplome ein Laie in der Analyse ist« und der Nichtarzt nach entsprechender Vorbereitung die Aufgabe erfüllen könne.
Ein tapferes Bekenntnis, denn es mußte einem alten Nervenarzte die Feindschaft der Nervenärzte eintragen. Ähnlich wie die Producer in Hollywood tun, erklärt Freud, ein talentvoller Mann könne ohne Vorbildung ebensogut analysieren, so wie jene ein zwanzigjähriges Mädchen ohne Theaterschule auftreten lassen. Der erste braucht nur feine Sinne, das Mädchen nur schöne Beine, beides Eigenschaften, die auf dasselbe sexuelle Zentrum gerichtet sind. Mit dieser generösen Geste gibt Freud jedem begabten Laien sein eigenes Feld preis, und wir gehen nur in dem einen Punkt weiter als er, daß wir den Nervenarzt für speziell ungeeignet zu Analyse halten, weil er den Normalen nicht kennt und doch beständig zur Erklärung braucht.
Da indessen das Vorurteil für den »Experten«, besonders in Amerika, sich doch lieber einem Manne mit Titel und Diplom nähert, so zitieren wir hier einen deutschen und einen französischen Neurologen von bedeutendem Ruf über Freuds suggestive Methode:
Professor Bumke spricht von der »Plus-Minus-Rechnung der Analyse«. Wenn der Funke nicht überspringt, keine Übertragung stattfindet, der Patient die ihm aufgedrungene Deutung ablehnt, so ist diese erst recht wahr: »In diesem Falle leistet eben das Unbewußte Widerstand. Auch wenn man die Analyse leugnet wie ich«, schreibt der Professor, »beweist das nur, daß sich mein Unterbewußtsein dagegen sträubt«. Wenn man in einem Traum keine junge Frau aufreizend erscheinen sieht, sondern nur einen häßlichen alten Mann, so bedeutet das eben, das Bewußtsein solle nicht wissen, woran das Unbewußte eigentlich denkt. Daher die vielen Rückversicherungen der Analyse, in der zwei Dutzend Gegenstände den Phallus bedeuten. Denn wie Freuds vielfältige »Deutungen« nie widerlegbar sind, weil er sie nie beweist, so stattet er seine Apotheke mit so vielen Pulvern aus, daß eins auf alle Fälle wirken muß. Genau so erklären seit Jahrhunderten Magnetiseure, wenn es nicht geht, das Objekt habe sich nicht gesammelt.
Zuweilen dämmert es bei den Schülern. Während bisher die Analytiker vom Ödipus gesprochen haben, wie man von Krebs oder Sowjets spricht, wagt Mrs. Horney zwischen den obligaten Verneigungen das vernichtende Urteil: daß Freud den Ödipus nicht an Normalen, sondern an Neurotikern studiert habe, und da er ihn bei diesen oft fand, » nahm er an, er sei universell«.
Was diese Forscherin empfiehlt, verwöhnten Patientinnen zu raten, das sind die üblichen Umwege, die in alten Zeiten der galante Arzt ohne Geheimsprache seinen ebenso unersättlichen Kundinnen zuflüsterte: Reisen Sie fort und machen Sie Bekanntschaften mit jungen Männern! Einige Zeit vorher riet Hippokrates in Athen: »Laßt die junge Frau heiraten, und ihre Schmerzen werden verschwinden.«
»In andern Fällen«, fährt Mrs. Horney fort, »wird die Therapie in Veränderung der Umgebung zu suchen sein.« An dieser Stelle hat die Autorin ein Sternchen und unten eine köstliche Fußnote drucken lassen: »In solchen Fällen ist Psychoanalyse weder nötig noch ratsam.«
Auf der Pariser Weltausstellung von 1867 oder 68 – so erzählte mein Großvater – war die neuerfundene »Stiefelknecht-Maschine« eine Attraktion: ein Bett, an dessen Fuß eine komplizierte Konstruktion so angebracht war, daß der Stiefel dessen, der sich hineinlegte, maschinell von seinem Fuß gezogen wurde. Daneben stand ein hölzerner Stiefelknecht alten Stils im Werte von 20 Centimes mit der Anschrift: »Sollte die Maschine nicht funktionieren, so wird man gebeten, diesen hier zu benutzen.« Der Vergleich mit der Analyse leuchtet um so mehr ein, als auch hier die neue Methode meistens im Bette spielt.
Während sich einige Schüler Freuds langsam von seinen Dekreten loslösten, steigerte der Meister den Ausdruck seiner Dogmatik im Alter so sehr, daß er zur Forderung der Prophylaxe vordrang: »Die Ansicht, daß die meisten unserer Kinder in ihrer Entwicklung eine neurotiche Phase durchmachen, trägt den Keim einer hygienischen Forderung in sich. Man kann die Frage aufwerfen, ob es nicht zweckmäßig wäre, dem Kind mit einer Analyse zu Hilfe zu kommen, auch wenn es keine Anzeichen von Störungen zeigt, als eine Maßregel der Fürsorge für die Gesundheit, so wie man heute gesunde Kinder gegen Diphtherie impft, ohne abzuwarten, daß sie an Diphtherie erkranken.« Freud sieht nicht, daß man gegen Diphtherie wegen Ansteckung impft, während Neurosen nur ansteckend wirken können, wenn man sie durch Analysen erregt.
Das ist ein ernster Vorschlag des Meisters.
Ich sehe ein halbes Dutzend kleiner Knaben und Mädchen in der Sonne Fangball spielen, sie balgen, zanken und amüsieren sich. In einer Stunde wird jedes von ihnen sich atemlos in Rock oder Schürze seiner Mutter drücken, müde vom Spiel, hungrig nach Milch und Brot, und wenn sie zusammen gebadet haben sollten, werden sie wohl über ihren verschiedenen Anblick gelacht haben. Wenn die Mutter sie nachher abreibt, wird weder sie noch das Kind sexuelle Gefühle produzieren. Wenn sie im Schlafzimmer der Eltern ihre Betten stehen haben, ein Junge und ein Mädchen, so werden sie vielleicht erwachen, wenn der Vater etwas laut zu Bette geht, das breite Bett etwas kracht, und wenn der Junge wach bleiben sollte, so wird er vielleicht denken, sie spielen miteinander. Wovon die Kinder träumen? Von Bällen, von Hunden, von Schlitten, vom Nikolaus, von Elefanten. Der Morgen wird zwei Kinder so unschuldig wiederfinden, wie der Abend sie verließ.
Das geht so nicht weiter! Die sexuellen Triebe in diesen Kindern sind viel zu unbewußt: sie wissen am Ende gar nicht, was sie alles für Mord- und Beischlafgelüste im Unterbewußtsein beherbergen – und doch wird durch deren Verdrängung die Neurose vorbereitet, und in zwanzig Jahren werden sie bleich und furchtsam zur Analyse schleichen! Wir müssen vorbeugen! Wir müssen sie von ihrem Spielplatz wegführen, nicht täglich, aber einmal jeden Monat, jeden einzelnen und Arthur mit milder Stimme ausfragen, ob er nicht Furcht für seinen kleinen Penis empfindet, und was er davon halte, daß Marie keinen hat; ob er die Mutter nicht unter den brutalen Angriffen des Vaters habe stöhnen hören, ob er nicht lieber selbst der Mutter ein Kind machen und auf alle Fälle seinen Rivalen, den Vater, umbringen möchte.
Dies alles, wie wir es in den vorigen Kapiteln aus Freud zitiert haben, ist das Gift, was jede Impfung einspritzt, um die Krankheit zu verhindern. Solange unsere Kinder ihre natürlichen Triebe verdrängen müssen, sind sie Kandidaten für spätere Neurosen. Laßt uns vorbeugen, damit ihre unbewußten Triebe ins Bewußtsein treten! Laßt uns das Fieber der Impfung erzeugen, damit sie später gesund bleiben!