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15. Neue Worte

Damit sind wir beim Wort-Fetischismus angekommen. »Narzißmus« ist gewiß das häßlichste von all den Worten, die die Ordensbrüder nachstammeln lernen, bevor sie eingekleidet werden. Der Jüngling hieß einst Narzissus, eine der schönsten Göttergestalten, und seine holde Sünde war, sich in sein Spiegelbild im Wasser zu verlieben. Aus dieser seltsamen Gestalt, die unter Göttern nur einmal und unter Menschen einmal alle hundert Jahre vorkommt, weil sie nur selten so schön sind wie Oscar Wilde, macht Freud einen Typus, der in jeder Elektrischen zum Barbier fährt, wo es ja an Spiegeln nicht mangelt. Er versteht gar nicht den Sinn der Sage, die einzig aus der Schönheit aufsteigt, und nennt »narzißtisch« jeden, der häßlich, alt und böse wie er sein mag, sich mehr liebt als den Arzt, das heißt also die gute Hälfte der Menschheit.

Das Mißverständnis des schönen Narzissus, dessen Namen Freud so frevelhaft verdreht hat, zeigt sich in der Liste der »narzißtischen« Damen, die die bleichen aufgeregten Schüler aufstellen: dort haben sie nämlich die sogenannten dämonischen Frauen hingeschleppt: Delilah, Helena, Kleopatra, Lukrezia Borgia, Cressida, Manon Lescaut, Nana: also gerade die, die das Gegenteil bedeuten; denn diese waren alle nicht in sich selbst verliebt, sondern ganz erfüllt von der liebenden oder tödlichen Leidenschaft zu ihren Liebhabern. Jede von ihnen ist genau das Gegenbild des Narzissus.

Wenn ein Freudianer mit seiner Wünschelrute den Liebesgarten betritt, entdeckt er immer nur eine Quelle der Heiterkeit. Hier sieht es so aus: Brünhilde, die sich nur dem stärksten Manne hingeben wollte und deshalb am Ende den Siegfried annahm, lebte in Wirklichkeit unter zwei Freudianischen Trieben: sie war ein »narzißtisches Weib«, das »ein Leben in düsterer Verzweiflung führte, weil sie dem Manne nie vergab, daß er ihr ihre Jungfrauschaft geraubt« habe. Zweitens aber hat die Analyse hinter ihrer Sprödigkeit eine »unbewußte Vater-Fixation« entdeckt, denn der Vater stellt den übermenschlichen omnipotenten Helden dar. So ist dem Riesenweib, das sich in ihrer Felsengrotte mit Siegfried amüsierte, nach tausend Jahren alle Lust verboten, sie ist zu einer doppelten Neurose verurteilt worden, aus der sie nur noch an seltenen Walkürenabenden von Wagner zu Schrei und Brunst entzaubert werden kann.

Als zweites Leitmotiv hat er auch »das vieldeutige Wort Liebe« durch das Wort »Libido« ersetzt, und viele bürgerlichen Gänse, die nichts von dem einfachen Wort verstehen, machen sich mit dem komplizierten interessant. Später hat er sich in das Wort Eros gerettet, was seiner Sphäre entzogen ist. Freud nennt Libido an einer Stelle »Anarchie der sexuellen Triebe«. An anderer Stelle definiert er: »Wir brauchen das Wort Sexualität in demselben umfassenden Sinn wie die deutsche Sprache das Wort Liebe.«

Warum braucht er wohl nicht das Wort Liebe?

Später dämmert ihm, daß die Sprache seines Ordens doch vielleicht sinnlos ist, und er verteidigt sich gegen den Einwand, die Begriffe Libido und Trieb wären unscharf: »Klare Grundbegriffe und scharf umrissene Definitionen sind nur in den Geisteswissenschaften möglich … In den Naturwissenschaften, zu denen die Psychologie gehört, ist solche Klarheit der Oberbegriffe überflüssig, ja unmöglich.«

Wir machen ihm diese unscharfen Begriffe nicht zum Vorwurf, da wir ja in seinem Unternehmen die Wissenschaft nicht suchen, sondern bestreiten. Sein Fehler liegt grade in dem lebenslangen Versuch, das Unwägbare als Naturwissenschaft zu erklären, wo doch alles gewogen wird. Hier, wo Freud selbst an der Definierbarkeit dessen zweifelt, was er beständig definieren will, tritt der Widersinn der Psychoanalyse als medizinische Wissenschaft für einen Augenblick hervor; zugleich die Paradoxie eines Versuches, diese Dinge in die Geisteswissenschaften zu übertragen, wozu Freud eine ganze Zeitschrift jahrelang führte. Dabei nennt er es selbst »eine große Ungerechtigkeit«, die Psychologie nicht den Naturwissenschaften zuzurechnen.

Auch die Worte selbst sowie alle anderen Erscheinungen der Welt teilt Freud in männliche und weibliche ein: er kann nicht anders. Professor Berand Wolfe hat dies moderne Pater noster, das der Analytiker herunterbetet, an der Entwickelung der Libido mit dem folgenden Schwulst erklärt:

»Die Libido hat zunächst polymorph-perverse, prägenitale und postgenitale Phasen zu durchlaufen. Dann reift sie zu oral-erotischen Phasen beim Saugen, kommt in die anal-erotische Phase des Kindes, setzt sich fort in der homosexuellen Phase des Jünglings und wächst schließlich zur hetero-sexuellen Phase bei denen, die glücklich genug sind, diesen Zustand (der Normalität) zu erreichen. Wenn die hetero-sexuelle Phase der Libido erreicht ist, dann tritt die volle Libido gewöhnlich in einen Konflikt auf Tod und Leben mit der Gesellschaft.«

Wer glücklich genug ist, diesen Konflikt mit der deutschen Sprache zu lösen, kann sich's in sein Deutsch so übersetzen: Jeder Mensch hat in Kindheit und Jugend perverse Phasen zu durchlaufen, worauf einige später den normalen Geschlechtstrieb erreichen, diesen aber gewöhnlich gegen die Gesellschaft durchkämpfen müssen.

Man wendet ein, daß Schüler meist die Weisheit der Propheten verdunkeln? Man möchte den Meister selber als Wortkünstler hören? Freud will sagen, daß es viele Egoisten auf der Welt gibt: wie macht er das? Er braucht statt einer halben Zeile die folgenden tiefen vierzehn:

»Narzißmus oder Selbstliebe ist die grundlegende Konzeption eines Zustandes, in dem die Libido das eigene Ich erfüllt, sich selbst zum Objekt erhoben hat … Für die ganze Lebenszeit bleibt das Ich das große Libido-Reservoir, aus welchem Objektsbesetzungen ausgeschickt werden, in welches die Libido von den Objekten wieder zurückströmen kann. Narzißtische Libido setzt sich also fortwährend in Objekt-Libido um und umgekehrt … Nun, da man die Selbsterhaltungstriebe auch als libidinöser Natur, als narzißtische Libido erkannte, erschien der Verdrängungsvorgang als ein Prozeß innerhalb der Libido selbst; narzißtische Liebe stand gegen Objekt-Libido, das Interesse der Selbsterhaltung wehrte sich gegen den Anspruch der Objektliebe, also auch gegen den der engeren Sexualität.«

Die Worte bei Freud aber haben nicht bloß den Zweck, den klaren Wasserspiegel zu trüben, indem man viel Schlamm aufrührt; in anderen Fällen haben sie auch die symbolische Kraft, Träume zu deuten, ja sogar Krankheiten zu erzeugen. Hier ein paar Beispiele aus Freuds Wort-Fetischismus:

Wenn jemand von der Pflanze Huflattich träumt, so übersetzt dies Freud – mit dem Vermerk »Ich weiß nicht, ob mit Recht« – Huflattich wäre »pisse en lit«. »Ich mache übrigens auf die identischen Buchstaben in Huflattich mit flatus aufmerksam!«

»Wenn wir kleine Kinder &›Würmer‹ nennen, so erscheinen im Traum die Geschwister regelmäßig als Würmer und Ungeziefer.« Ein Patient träumt von Beinbruch: es ist aber » Ehebruch« gemeint.

Eine Patientin, die während der Kur ihren Vater verliert und von ihm träumt, daß er zu ihr sagte: »Es ist viertel zwölf …« Ihre Deutung: »Vater war immer so pünktlich.« (Man sieht, sie schließt noch ganz natürlich.) Aber Freud » treibt sie an«, wie er sagt, sich scharf zu erinnern, ob nicht ein besserer Zusammenhang zu finden sei. Sie denkt über den gestrigen Tag nach und daß ihr jemand gesagt habe, die Urmenschen lebten in uns allen fort. Freud: »Das gab eine ausgezeichnete Gelegenheit für sie, den verstorbenen Vater wieder einmal fortleben zu lassen, sie machte ihn zum Urmenschen.«


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