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Von der alten Ödipus-Eiche, die in Kolonos wuchs, hat Freud mehrere Ableger gezüchtet, die ganz gut im selben Garten gedeihen.
Der erste ist der Großvaterkomplex. Parodie? Tiefer Ernst, Gegenstand ganzer Bücher, Ausweis für Lehrstühle, diesmal, wie Goethe sagt, »antiker Form sich nähernd«. Perseus hatte nämlich seine Tochter eingeschlossen, um ihre Ehe zu verhindern; ihr Liebhaber überstieg aber alle Hindernisse, und ihr Sohn nahm später Rache, indem er den Großvater erschlug. Nachdem diese Sage dreitausend Jahre durch Dichtungen und Gemälde geschimmert hatte, wird erst jetzt von den Analytikern entdeckt, was sie bedeutet: »Da die Mutter gewöhnlich durch Neigung an den Vater gebunden ist, muß der Sohn instinktiv fühlen, daß sein Großvater sein Rivale in der Neigung der Mutter ist.«
Von hier aus läßt sich der Ödipus wie Domino weiterspielen. So hat ein Kollege von Freud, Ernest Jones, den »Tantenkomplex« entdeckt. Ein Mann, der sich in jede Art alter Jungfern verliebte, meinte damit die Tante seiner Kindheit. Denn die »unvermählte Tante ist der Ersatz für die jungfräuliche Mutter«. Und ganz dem anmutigen Spiele hingegeben, fährt der Autor fort: »Dies kann leicht für alle Mitglieder der Familie verallgemeinert werden, vom Bruder zum Großvater, von der Schwester zur Tante, alle sind Ersatzformen für die originale Dreieinigkeit von Vater, Mutter und Kind.«
An dieser Stelle übergeben wir die Familie ihrem fächerförmigen Ödipus-Schicksal und wenden uns einem heitereren Objekte zu, den Perversen.
Die perversen Formen des Sexus, das heißt solche, die bei allen Menschen dafür gelten, liefern Freud die schönsten Beispiele. Nehmen wir zunächst einen ganz einfachen Fall: den eines Mannes, der nur bei Dirnen geschlechtsstark wird. Freuds Erklärung in der Analyse: der Mann liebte seine Mutter, übertrug diese Begierde auf eine Dirne, schreckte aber davor zurück und wünschte sich, seine Mutter wäre eine Dirne und dem Vater untreu: daher die Wahl des jungen Menschen für leichtsinnige Frauen. Primitiver, alltäglicher Fall, eine Aufgabe für Anfänger!
Bei der Erklärung der Homosexuellen beginnt Freud elegante Volten zu schlagen. Auch diese Perversität stammt natürlich von der Begierde des Kindes nach seiner Mutter: »Es ist alles einfach und durchsichtig.« Kleine Kinder glauben »immer«, die Mutter habe einen Penis: daher die spätere Neigung des jungen Mannes zu Knaben. Genügt diese Erklärung nicht? Eine andere Volte: Die Mutterneigung wird von dem Knaben verdrängt, daher ist er nicht mehr für Frauen empfänglich, daher pervers. Noch nicht genug? Dritte Volte (alles bei Freud zu lesen):
Der Knabe liebte einst seine Mutter so sehr, daß er sich mit ihr identifizierte, ihr Gefühl als sein eigenes erlebte. Sie liebte den kleinen Jungen: daher übernahm er dieses Gefühl für kleine Jungen, in denen er jetzt eine Erinnerung an seine eigene Kindheit sieht, und liebt sie, wie seine Mutter ihn geliebt hat, nämlich sexuell: also liebt er sich selbst in dem Jungen und bleibt der Mutter treu, wenn er Jungens liebt, beginge aber Untreue, wenn er eine Frau liebte.
Staunt man nicht über den Trapezkünstler, der alles spielend auf den Kopf stellt? Und über die lesbische Volte?
Auch das Mädchen verdankt seine Homosexualität dem Ödipus: Sie wird pervers »nach der Enttäuschung beim Vater … Die zwei Phasen in der Entwickelung der weiblichen Homosexualität spiegeln sich sehr schön in den Praktiken wider, die ebenso oft und ebenso deutlich Mutter und Kind miteinander spielen wie Mann und Weib.« Diese Erklärung nennt Freud bescheiden einen »Beitrag aus der Vorgeschichte des Weibes«.