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Als wir als Studenten erlebten, was die Professoren der Philologie aus unseren Dichtern machten, war dies eine Quelle ironischen Vergnügens, und wir zeichneten Karikaturen. So geht es denen, die die Frauen kennen, wenn sie Freuds Deutung der Liebe erfahren: man glaubt, man liest in einer Freud-Parodie. Was Freud in seiner »Psychologie des Liebeslebens« doziert, wäre geeignet, junge Leserinnen in Klöster oder in öffentliche Häuser, Rassenforscher zur gewaltsamen Verkuppelung ausgewählter Menschentiere und Gesetzgeber zur Einrichtung von Begattungsschulen zu treiben.
Freuds Grundirrtum: daß die Triebe der Menschen verkümmern und erkranken, weil die Kultur ihnen nicht erlaubt, sie auszuleben, läßt ihn glauben, es gäbe keine harmonische Liebe. Denn »bei den meisten Menschen … bleibt das Liebesleben in zwei Richtungen gespalten, die von der Kunst als himmlische und irdische (oder tierische) Liebe personifiziert werden. Wo sie lieben, begehren sie nicht, und wo sie begehren, können sie nicht lieben.« Diese Spaltung von Sinnlichkeit und Zärtlichkeit nennt er dann »die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens«.
Was für Frauen muß wohl ein Mann getroffen, vor allem, wie muß er sie angesehen haben, der so über die Liebe schreibt!
Hätte Freud nichts geschrieben als den Satz »wo sie lieben, begehren sie nicht, und wo sie begehren, können sie nicht lieben«, so würde er schon von Don Juan und Mephisto zugleich, aber auch von allen Psychologen und Dichtern niedergelächelt werden. Denn in seiner fanatischen Sucht, das Nihilistische, Unfruchtbare im Menschen zu verallgemeinern, unterwirft er die »meisten Menschen« dem Gegensatze von Liebe und Begehren.
Weil Freud wie jeder Arzt Geständnisse von Frauen empfing, die sich in ihrer Hochzeitsnacht von einem brutalen Gatten abgestoßen fühlten, versteigt sich der Dilettant der Liebe zu diesem Satze: »Je mächtiger das psychologische Element im Sexualleben der Frau entwickelt ist, desto widerstandsfähiger wird sich auch ihr Libido-Urteil gegen die Erschütterung des ersten Sexualaktes erweisen, desto weniger überwältigend wird ihre körperliche Besitznahme wirken.«
Wenn aber solche Fälschungen der tiefsten Gefühle und Beziehungen unter den Menschen beständig wiederholt, ausgebaut, bald mit lateinischen Namen verdunkelt, bald in schwülstiges Deutsch gewickelt werden, so fühlen sich die jungen Leute der Großstadt von der pikanten Lektüre angezogen und suchen sich aus der Tiefebene der natürlichen Liebe in die höheren Kreise der »Libido« zu erheben; ähnlich, wie manche Leute mit Grafen und Fürsten an einer Tafel zu speisen wünschen. Von Freud ist die dekadente Aristokratie des Sexus zur Tafel geladen. Oder gibt es eine feinere Visitenkarte für einen geistigen und fortgeschrittenen Menschen, als wenn er Freuds primitiven Nihilismus wiederholt: »Die Entwickelung des Menschen scheint mir keiner andern Erklärung bedürftig als die der Tiere; ich sehe keinen Trieb zur Vervollkommnung … Der Glaube daran ist Illusion.«
Die Naivität des Professors über die Gefühle der Frauen ist aus seinem ausschließlichen Verkehr mit Hysterischen erklärbar; daß er aber allein diesen Verkehr sucht, daß er jeder natürlichen Äußerung mißtraut, weist eben auf die Richtung seiner Instinkte zurück. Wie glücklich sind aber Frauen ohne Zentrum, Gesellschaftsgänse, wenn sie von Freuds autoritärer Feder lesen, »der Ehemann sei sozusagen immer nur der Ersatzmann, niemals der Richtige«, denn dies sei natürlich der Vater.
Was soll man von einem Manne halten, der – in seiner oft zitierten Analyse der »Dora« – von einem jungen Mädchen erzählt, das von einem älteren Mann unter Vorwänden in ein Zimmer gelockt und dort plötzlich von ihm mit Umarmungen und Küssen überfallen wird, worauf Freud fortfährt: »Das war wohl die Situation, um bei einem vierzehnjährigen, unberührten Mädchen eine deutliche Empfindung sexueller Erregtheit hervorzurufen. Dora empfand aber in diesem Moment einen heftigen Ekel, riß sich los und eilte an dem Mann vorbei zur Treppe … In dieser Szene ist das Benehmen des vierzehnjährigen Mädchens bereits voll und ganz hysterisch … Jede Person, bei welcher ein Anlaß zur sexuellen Erregung überwiegend oder ausschließlich Unlustgefühle hervorruft, würde ich unbedenklich für eine Hysterika halten … Anstatt der Sensation, die bei einem gesunden Mädchen unter solchen Umständen gewiß nicht gefehlt hätte, stellt sich bei ihr die Unlustempfindung ein, welche dem Schleimhaut-Trakt des Eingangs in den Verdauungskanal zugehört, der Ekel.«
Dies Urteil von Freud genügte allein, um ihn von der Erörterung der weiblichen Psyche, die doch die Hälfte seines Untersuchungsfeldes darstellt, auszuschließen. Denn was mußte wohl dies junge Mädchen empfinden, das längere Zeit mit einem Ehepaare verkehrt hatte, nun an einem Festtage von dem Manne in sein leeres Lokal eingeladen wurde und dort plötzlich überfallen wird? Mag sie auch alle Lockungen und Träume der Pubertät erlebt haben: in diesem Augenblicke konnte ein gesundes Mädchen nichts empfinden als Schrecken und Ekel. Sie stößt ihn weg und läuft davon. Freud aber, der nur anormale Menschen kennt, nennt dies Mädchen »voll und ganz hysterisch«, denn ein gesundes Mädchen müßte sich normalerweise dem brünstigen Manne sogleich hingeben.
Dieselbe Dora, als sie dann auf Freuds berühmtem Sofa lag, öffnete ein Täschchen, steckte einen Finger hinein und schloß es wieder. Freud: »Ich erklärte ihr dann, was eine Symptomhandlung sei.« Und doch war das einzige, was der Arzt dem kleinen Mädchen nicht mitteilen durfte, die darauffolgende Erklärung: »Das ist eine recht ungenierte, aber unverkennbare pantomimische Mitteilung dessen, was sie damit tun möchte, die der Masturbation.« Dies ist der Weg, normale Mädchen neugierig, gesunde hysterisch zu machen.
Ein anderes junges Mädchen sieht Freud als seine Patientin, liegend, hastig den Saum ihres Rockes über den vorschauenden Knöchel ziehen. Sie hat damit das beste verraten, was die spätere Analyse aufdecken wird, »ihren narzißtischen Stolz auf ihre Körperschönheit und ihre Exhibitionsneigungen«. Uns verrät Freuds Betrachtung nur die seinen. Nur wer ein junges Mädchen nie anders denn als Sexualobjekt betrachtet hat, kann zu solchen Schlüssen gelangen.
Die Fälschung der Gefühle, die Freud, offenbar im Bezug auf Tizians Bild, für die Begriffe himmlischer und irdischer Liebe entwickelt, diese Art die höchsten Gefühle der Menschheit zu erniedrigen, zieht sich durch alle seine Schriften, die die Kultur gegen die Instinkte ausspielen. Man vergleiche nur einmal Rousseaus Naturmenschen, der von den zartesten Empfindungen bewegt wird, mit Freuds nachgeborenem Bruder, und man erkennt, was in den Seelen der beiden Autoren lebte und was ihre so verschiedenen Naturen in einer erwünschteren Welt suchten. Schüler Platons und Nietzsches, die den panischen Menschen zum Vorbilde hatten, als sie sich aus den Städten in das Rauschen der Natur zurückzogen, müssen lachen, wenn sie den Professor Freud von Urmenschen träumen oder seine dekadenten Propheten aus der kleinen Bourgeoisie ihre natürlichen Instinkte aufblasen sehen. Da ihm nicht bloß die Kenntnis des gesunden Menschen abgeht, sondern auch die der großen Maler und Dichter, weiß er weder aus Erfahrung noch aus Horaz' Gedichten oder aus griechischen Vasen, daß sich auch die in Grotten geborene Nymphe dem ersten Griff des Fauns zu entreißen sucht wie Fräulein Dora. Für ihn scheint sich das Liebesfest von Rubens in ein öffentliches Haus von Groß zu verwandeln, seine Empfindung entstammt der Großstadt. Freud faßt sich deshalb in die klassischen Sätze zusammen: »Die Lage der Genitalien – inter urinas et feces – bleibt das bestimmende, unveränderliche Moment. Die Genitalien sind tierisch geblieben, und so ist auch die Liebe im Grunde heute ebenso animalisch, wie sie es von jeher war … Das, was die Kultur aus ihr machen will, scheint ohne fühlbare Einbußen an Lust nicht erreichbar, die Fortdauer der unverwerteten Regung gibt sich bei der Sexualtätigkeit als Unbefriedigung zu erkennen.«
Ein Mann, der weder die Frauen noch die Liebe kennt, weder das Raffinement der Kultur zur Verfeinerung der menschlichen Triebe noch die natürlichen Züge der Zärtlichkeit unter Tieren; ein Mann, der seine Visionen nie an und in der Natur kontrolliert oder auch nur mit ihr verglichen hat; ein Mann, der jedes Streben nach oben leugnet; ein Menschenfeind, der sich nur in der Sphäre der Maulwürfe unter der Erde wohlfühlt, überträgt seine Schlüsse auf labile Naturen, erweitert dann die Geständnisse dieser suggestiblen Kranken zu Grundlagen der gesamten Menschheit – und niemand erhebt sich, um solchem Wirken mit einem kräftigen Gelächter Einhalt zu tun! Mit dem ganzen Haß des im Schatten Lebenden gegen die, die sich des Lichtes erfreuen, schließt Freud die Geschichte seiner eigenen Bewegung mit dem mephistophelischen Wunsche, »daß das Schicksal allen eine bequeme Auffahrt bescheren möge, denen der Aufenthalt in der Unterwelt der Psychoanalyse unbehaglich geworden ist. Den anderen aber möge es gestattet sein, ihre Arbeiten in der Tiefe unbelästigt zu Ende zu führen.«
Dieser nächtigen Stimme hören wir aus hoher Ferne die Stimmen dreier anderer Seelenforscher erwidern, die vor hundertfünfzig und vor sechzig Jahren schrieben.
Schiller: »Dieser Abfall des Menschen vom Instinkte, der das moralische Übel zwar in die Schöpfung brachte, aber nur, um das moralisch Gute darin möglich zu machen, ist ohne Widerspruch die glücklichste Begebenheit der Menschengeschichte.«
Goethe: »Ich bekenne mich zu dem Geschlechte, das aus dem Dunkeln ins Helle strebt.«
Nietzsche: »Welche Bestialität der Idee bricht sofort heraus, wenn sie nur ein wenig verhindert wird, Bestie der Tat zu sein … Hier ist Krankheit, es ist kein Zweifel, die furchtbarste Krankheit … Wer es noch zu hören vermag, wie in dieser Nacht von Marter und Widersinn der Schrei Liebe, der Schrei des sehnsüchtigsten Entzückens, der Erlösung in der Liebe geklungen hat, der wendet sich ab, von einem unbesieglichen Grausen erfaßt … Die Erde war zu lange schon ein Irrenhaus.«