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Wo liegt eigentlich Britisch-Guayana? In Afrika? In Indien? Ach so, es ist in der Nachbarschaft Französisch-Guayanas, da, wo Cayenne ist, in Südamerika also, jetzt weiß man schon Bescheid.
Wenn wir aber Demarara, die Hauptstadt – nur im Lehrbuch heißt sie Georgetown, kein Mensch nennt sie so –, zuerst betreten, könnten wir bezweifeln, ob das wirklich Südamerika ist, nicht vielmehr Indien.
Inderinnen, umbauscht von weißen und farbigen Tüchern, gehen durch die Straßen. Männer, den Körper mit weißen, kurzgeschürzten Linnen bedeckt, unzählige Bettler, nur mit einigen Fetzen bekleidet, torkeln an den Arkaden entlang oder liegen auf der Erde. Ein mohammedanischer Priester mit brennendrotem Turban, Pumphosen und Jacke, seine Stirn ist mit lila Linien bemalt zum Zeichen seiner hohen Würde, liest mit lauter, singender Stimme aus dem Koran den vor ihm kauernden Zuhörern vor. Die »cookshops«, die Kochbuden der Ärmsten, locken mit indischen Aufschriften die Hungrigen in ihre dunklen Höhlen. Die dicken Inhaberinnen mit glänzend schwarzem Haar, silbernen Rosetten an der äußeren Nasenwand und klirrenden Armbändern, bedienen selber mit einer dicken Suppe ihre Gäste, verhungert oder, wenn man will, asketisch aussehende Inder.
134 In den offenen Geschäften unter den Arkaden beugen sich Silberschmiede über die Ohren- und Nasenringe, die Arm- und Knöchelbänder, die die Wohlhabenheit einer Inderin offensichtlich dartun.
In einem anderen Laden werden in bronzene Gebrauchsgegenstände Szenen und Gestalten aus der verlassenen Heimat gehämmert. Emaillearbeiter tragen mit unglaublicher Geduld Farben auf. Die Dosen, Vasen, Schalen sind für Fremde bestimmt.
Auf dem Markt ist das Leben noch lauter, das Durcheinander noch größer. Zwischen den Obstbergen wird viel Reis mit Curry feilgeboten, Süßigkeiten, aus Guava hergestellt, und alle Gewürze, die der indische Gaumen gewohnt ist.
Die Käufer sind unter den Marktbesuchern weniger zahlreich als jene, für die der Markt einfach ein gesellschaftliches Ereignis ist, das man mitmacht. Im Kreis hocken Männer und Frauen auf den Fersen und plaudern, oder wenn der Gesprächsstoff ausgegangen ist, bleiben sie stundenlang schweigend in dieser Lage, die nicht sehr bequem scheint.
Hier sieht man, daß Britisch-Guayana nicht nur indisch, sondern auch afrikanisch ist. Die Neger durchbrechen mit ihrem lauten Lachen die Gelassenheit der Inder.
Syrier weben bunte Teppiche und preisen gleichzeitig singend ihre Ware an.
Ein Alter, mit langem, weißem Bart, strickt mit Zehen und Fingern bunte Wollketten für die Mädchen, die gleich auf die Bestellung warten.
Im fliegenden Schönheitssalon lassen die Bettler ihren Bart stutzen und betrachten dann in einer Spiegelscherbe kritisch das Werk des Haarkünstlers.
Manchmal huscht ein Chinese in schwarzem Seidenmantel oder eine Chinesin mit einem riesigen Schirm durch die Menge. Diese Chinesen sind die Aristokraten unter der »farbigen« Bevölkerung Britisch-Guayanas, denn man läßt nur diejenigen in das Land, die über größere Mittel verfügen.
Wie die Neger nach Südamerika kamen, das wissen wir, das war noch in jenen barbarischen Zeiten, als Sklavenhandel erlaubt war. Wie aber kommen die Inder nach Südamerika? 135
Import indischer Kulis
Diese indische Kolonisation in Britisch-Guayana ist eine Sache neueren Datums. Im letzten Jahrzehnt fand ganz ohne Sang und Klang eine kleine Völkerwanderung statt. Heute sind weit über die Hälfte der Einwohner Britisch-Guayanas Inder. Allerdings ist dieses Land, das genau den Umfang von Großbritannien hat, mit etwa 400 000 Einwohnern, alle Indianer einberechnet, eines der am dünnsten bevölkerten Länder der Welt.
Als kurz nach dem Kriegsende die Zucker- und Reispreise in die Höhe schnellten, erinnerten sich die Engländer, daß sich die fruchtbaren, aber bisher gar nicht ausgebeuteten Ländereien in Guayana für die Zuckerproduktion besonders eignen würden. Aber erst müßte Urwald gerodet werden. Arbeitskräfte fehlen? In Indien gibt es genug Menschen. Man holt Kulis aus Indien.
Dieser Ausdruck »Kulis« ist offiziell. Die Inder in Britisch-Guayana werden überhaupt nur als Kulis bezeichnet. Das Wort Kuli ist in die englische Sprache übernommen und bedeutet soviel wie »farbige«, ungelernte Arbeiter. Die Inder sind aber gar keine ungelernten Arbeiter, es wurden nur solche hierher transportiert, die schon in Indien auf Zucker- oder Reisfeldern gearbeitet haben oder in Zucker- und Rumfabriken. Und doch Kulis.
Ja, nicht nur Kulis im Sinne des englischen Wörterbuches, sondern auch in dem extremen Sinn der Halbsklaven.
Denn diese Inder sind nicht frei, wenn sie nach Britisch-Guayana kommen, sie haben einen Fünfjahrkontrakt. Während dieser Zeit müssen sie die Arbeiten verrichten, die ihnen von der Regierungsstelle angewiesen werden. Sie müssen dort arbeiten, wohin man sie schickt, sie genießen keine Freizügigkeit, Entweichen von der Arbeitsstelle wird mit Gefängnis bestraft, auch Annahme einer anderen Arbeit. In den ungeheuren Urwäldern von Britisch-Guayana dürfen die »Arbeitgeber« nur Arbeiter einstellen, die eine von der Regierung ausgestellte Arbeitskarte besitzen, sonst werden auch sie bestraft.
Diese Maßnahmen sind alles andere als beliebt. Man braucht also nicht zu glauben, daß der Bürokratismus ein Vorrecht der zivilisierten Länder ist. Er herrscht auch im tiefsten Urwald.
Ich sprach schon von den vielen Bettlern, die den Straßen von Demarara einen so malerischen Anstrich geben. Man könnte erst 136 annehmen, daß ihre phantastisch zerlumpten Erscheinungen ihre Zahl größer erscheinen lassen, als sie wirklich ist. Aber die kühlen statistischen Zahlen beweisen klipp und klar, daß der Augenschein nicht täuscht. Schon im Jahre 1928, als noch gute Konjunktur war, gab es in Demarara, einer Stadt von fünfzigtausend Einwohnern, etwa viertausend behördlich genehmigte Bettler. Heute, in der Krisenzeit, hat sich ihre Zahl mindestens verdoppelt, also ungefähr jeder sechste Einwohner ist ein konzessionierter Bettler.
»Ich war Kuli, habe in der Zuckerfabrik gearbeitet, sie ist geschlossen, es gibt keine Arbeit.« Die meisten sprechen etwas englisch.
»Können Sie denn nicht zurückfahren nach Indien?«
»Bin erst seit drei Jahren hier, Rückfahrkarte bekomme ich erst nach dem fünften Jahr.«
Ein anderer: »Ich bin seit sieben Jahren hier mit Familie. Nach fünf Jahren konnte ich statt Reisegeld Land bekommen. Den Rest sollte ich in Jahresraten abzahlen. Ich hatte eine Zuckerplantage, aber es ging gleich alles schief. Die Preise fallen, Zucker kann man überhaupt nicht verkaufen. Ich konnte nichts zahlen, ich habe alles verloren.«
Keine Arbeit in diesem Lande, wo doch soviel Raum ist und so wenig Hände? Nein, keine. Man muß die Produktion einschränken, es lohnt nicht, man läßt die Zuckerrohrfelder verkommen. Fabriken werden geschlossen. In den Lagerhäusern ist schon übergenug Zucker aufgestapelt, man weiß nicht, wohin damit. Es wird nichts anderes übrigbleiben, als ihn zu vernichten.
Und was geschieht mit den Kulis? Man hat allein im Jahre 1920 sechzigtausend Inder nach Guayana importiert, nur wenige sind nach Indien zurückgekehrt. Wer weiß, vielleicht werden die Zuckerpreise einmal in die Höhe gehen, vielleicht können sie ihr Glück auch anders machen. – Es gibt ja Diamanten und Gold, nicht nur Zucker in Guayana.
Wie werde ich reich und glücklich?
Es ist merkwürdig, in dieser Stadt der Bettler so viele große Aufschriften zu sehen, die alle von Diamanten, Gold, Edelsteinen sprechen. »Erste Britische Diamanten-Gesellschaft«, »Krakowsky 137 Diamanten GmbH«, »Goldverwertungs AG«. Denn Britisch-Guayana ist wirklich reich, es ist nicht nur fruchtbar, hat nicht nur ungeheure, unausgebeutete Wälder, sondern auch viele Naturschätze. Neben Brasilien ist es das bedeutendste Diamantenland Amerikas.
»Seien Sie weise, versäumen Sie nicht, bei uns Ihre Einkäufe zu machen, wenn Sie Diamanten oder Gold graben wollen.«
»Die besten Ausrüstungen für Diamantengräber hier zu haben«, so und ähnlich locken Anzeigen.
Ich war also nicht einmal besonders überrascht, als sich im Hotel ein Herr bei mir melden ließ, der mir ohne viel Umschweife ungeheure Reichtümer versprach. In seiner Rede glitzerten nur so die Diamanten und blinkten die Goldberge. Der Fremde sah exotisch und interessant aus, ein Inder, aber in der weißen Tropenkleidung der Weißen.
Leider stellte sich zu schnell heraus, daß er nur ein Fremdenführer war, doch bereit, eine Expedition für mich nach den Diamantenfeldern auszurüsten. Er würde alle Formalitäten erledigen, Diamantengräber für mich verdingen, ein Boot chartern, einen Kapitän und Mannschaften heuern. Er wollte alle nötigen Werkzeuge besorgen, Waffen und Munition, Zelte und Lebensmittel, er berechnete, wieviel Biskuits und Salzfische, wieviel Konserven, Mehl und Zucker ich mitnehmen müßte. Ich hätte selbst weiter nichts zu tun, als in Diamanten zu wühlen. Nach vier Monaten könnte ich als mehrfache Millionärin nach Europa zurückkehren.
Welche Aussichten! Ich sah mich schon in Hamburg mit Säcken voll Diamanten landen.
Ja, und die Kosten? Der Inder rechnete und rechnete. Etwa zweitausendfünfhundert Dollar müßte ich schon anlegen, um reich zu werden, wirklich nicht viel. Er konnte auch gar nicht begreifen, daß ich diese glänzende Gelegenheit nicht ergriff. Ganz unglaubwürdig schien ihm, daß ich eine so kleine Summe nicht besaß.
In Britisch-Guayana haben die europäischen Touristen – sie sind eine große Seltenheit – denselben Ruf wie die Amerikaner in Europa. Niemand will es glauben, daß ein Europäer, der überhaupt auf die Idee verfiel, nach Britisch-Guayana zu kommen, nicht sehr reich sei. Dagegen sind die Amerikaner aus den Staaten 138 und aus Kanada ganz gewöhnliche Erscheinungen. Sie verbringen sehr häufig ihre Ferien hier. Es werden Touristenfahrten mit Aufenthalt im Hotel veranstaltet. Der Rum ist berühmt, in dem Hotel ersten Ranges gibt es eine große Auswahl von Cocktails, und jeder bekommt soviel Highballs serviert, wie er nur wünscht. Das allein ist schon eine achttägige Seereise wert.
Der Inder sah mich immer noch vorwurfsvoll und traurig an.
Wirklich, warum soll man leichtsinnig dem Glück aus dem Wege gehen?
»Wo ist denn der Abfahrtshafen der Diamantensucher?«
»Der ist in Bartica, eine Tagesfahrt von Demarara entfernt.«
»Und das kostet?«
»Ungefähr 10 Dollar mit der Eisenbahn.«
»Glänzend, soviel kann ich noch für Glückssuche erübrigen. Wenn ich dann in Bartica viele erfolgreiche Diamantengräber treffe, mache ich auch unbedingt eine Expedition. Wenn ich mit Bestimmtheit sehe, daß ich auf diese Weise Millionärin werden kann, würde es mir vielleicht möglich sein, die nötigen Mittel aufzutreiben.«
Der Inder zog unzufrieden ab.