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Florida ist das gelobte Land Amerikas. In Florida wimmelt es immer noch von Millionären. Warum nicht dort einmal das Glück versuchen?
Ich fahre nach Tampa. Das ist eine Stadt mit besonders gutem Ruf.
Die eine Hälfte Tampas, jene, die jeder Tourist zu sehen bekommt, wird von den Prospekten mit Recht als Paradies bezeichnet. Auf gepflegtem Rasen leuchten tropische Blumen, Palmen heben sich gegen den tiefblau strahlenden Golf von Mexiko. Elegante kleine Läden verbergen sich unter Kamelienbäumen, Kinder auf Ponys reiten vorbei. Damen und Herren, wie aus dem neuesten Modeblatt geschnitten, beleben den Strand. Das mondäne Hotel mit den russischen Zwiebeltürmen kann sich sogar einer historischen Vergangenheit rühmen, denn während des amerikanisch-spanischen Krieges hatte Roosevelt hier gewohnt und Verhandlungen geführt.
Ja, man geht sogar daran, ein »super paradies« auf der Insel, die sich vor Tampa lagert, zu schaffen, mit venezianischen Palästen, maurischen Schlössern, Wunderblumen und exotischen Vögeln. Wäre die Krise nicht dazwischen gekommen, stünde das »Überparadies« fix und fertig zum allgemeinen Gebrauch da.
Wahrscheinlich aber auch nicht zum allgemeinen Gebrauch. Denn siehe, der Geldmangel vertreibt mich schnell aus der paradiesischen Hälfte Tampas, und ich muß mich, wenn ich Arbeit finden will, schleunigst nach der anderen Hälfte begeben.
100 Diese ist sogar interessanter. Hier gibt es italienische Opernvorstellungen, Hahnenkämpfe, Stiergefechte, Häuser mit Balkons, ungeheuer viele winzige Kaffeehäuser, in denen Italiener, Spanier, Kreolen heftig gestikulieren. All dies wäre sehr schön, aber die Luft, die in Tampas besserer Hälfte würzig, von Meeresbrisen erfüllt ist, legt sich hier dick und beizend schwer auf die Lunge.
Wir sind in Ybor-City – so heißt die Fabrikstadt Tampas. Hier sind die größten Zigarrenfabriken der Staaten, hier werden die meisten dunklen Havanna-Zigarren hergestellt. Fünfhundert Millionen Zigarren jährlich. Nicht nur das. Hier gibt es die größten Zigarrenschachtel-Fabriken der Welt, hier werden die schönen bunten Bilder, mit denen sie geschmückt werden, hergestellt und Zigarrenbinden. Hier gibt es Arbeit. Hoffentlich auch für mich.
Aber es ging schwerer, als ich gehofft hatte. Auch Florida wird von Arbeitslosen überlaufen.
Endlich in der fünften Fabrik hatte ich Glück, nachdem ich erzählt hatte, daß ich eine besonders geschickte, langjährige Tabakarbeiterin bin.
Aber meine Freude über meine neugewonnene Arbeitsstelle war nicht von langer Dauer. Nach den langen Tagen, immer über die Maschine gebeugt, in der schweren, beizenden Tabakluft, befanden sich in meiner Lohntüte so wenige Dollars, daß ich kaum meine Stube bezahlen konnte, und die, mitten im Fabrikgebiet, roch auch nach Tabak.
»Lehrlinge bekommen bei uns überhaupt oft gar keinen Lohn«, sagte mir der Vorarbeiter, als ich ihm Vorhaltungen wegen meines geringen Einkommens machte.
Wie, ein Lehrling sollte ich sein nach meinen reichen Erfahrungen in der Tabakindustrie?
Aber auch meine Kolleginnen, die schon jahrelang hier arbeiteten, verdienten kaum soviel, daß sie leben konnten.
»Nicht einmal die Zigarrenmacherinnen bekommen jetzt noch einen anständigen Lohn, seitdem man überall die verfluchten neuen Maschinen einführt. Die Leute, die sie erfunden haben, gehörten in die Hölle.«
Hauptnahrungsmittel der Tabakarbeiterinnen war Kaffee, schwarzer, unglaublich starker Kaffee. Gift gegen Gift, denn alle Arbeiterinnen bekommen es zu spüren, wenn sie lange Jahre in der giftigen Atmosphäre des Nikotins leben.
101 »Wenn du hier lange arbeitest, kannst du nie ein Kind austragen. Macht nichts. Wozu auch die Gören, man kann sich ja selbst nicht satt fressen«, sagt eine etwas zerzauste Arbeiterin.
»Kaffee, Kaffee.« Der Kaffeeverkäufer wird von allen umdrängt. Man arbeitet im Akkord, aber diese Arbeiter des Südens werden nicht einmal dadurch zu verbissener Ausdauer gezwungen.
In den Sälen, in denen keine Maschine lärmt, findet man bei den Zigarrenarbeitern überall Vorleser. Er wird von der Belegschaft des Saales bezahlt. Die Vorleser wechseln ab, aber immer werden eine schöne Stimme und deutliche Aussprache verlangt. Meist wird spanisch gelesen, hauptsächlich Zeitungen, aber auch Erzählungen oder sozialistische Schriften. Es ist außerordentlich interessant, zu sehen, wie der Gesichtsausdruck der Zuhörer gleichzeitig wechselt, wie sich bei einer sie besonders interessierenden Nachricht plötzlich alle Köpfe heben. Sie sind noch kaum organisiert, aber ihre Einstellung ist doch sozialistisch.
»Die haben es gut, die in Räumen arbeiten können, in denen keine Maschine Krach macht«, sagen wir, denn die ewig surrenden elektrischen Maschinen ermöglichen uns nicht, uns unsere Zeit so interessant zu vertreiben.
Eines Abends, als ich mir gerade den Kopf darüber zerbrach, wie ich mit meinen geringen Mitteln haushalten könnte, traf ich eine Bekannte. Sie war unterwegs nach Palm Beach, sie hatte schon mehrere Winter durch dort gearbeitet. Sie schilderte in so verlockenden Farben die Möglichkeiten, die gerade jetzt bei Saisonbeginn in dem vornehmsten Kurort Amerikas auch der dienenden Geister warteten, daß ich kurz entschlossen Tampa und der Zigarrenfabrik Lebewohl sagte und nach Palm Beach zog.