Maria Leitner
Eine Frau reist durch die Welt
Maria Leitner

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»Südliche Pinien« und der mondäne Klub

Die nächste Station meiner Reise hieß Southern Pines (Südliche Pinien). Durch diesen schönen Namen ließ ich mich verleiten, hier auszusteigen, um Arbeit zu suchen.

Die Pinien sahen noch ganz nördlich aus, man hätte sie mit Kiefern übersetzen müssen, der Sand verlieh der Gegend eine unleugbare Ähnlichkeit mit dem Grunewald, und die Arbeitssuche gestaltete sich auch unerfreulich. Hier war ein Kurort mit großen Hotels und weißem Personal. Doch wieder stellte sich heraus, daß man, obgleich die Saison erst angefangen hatte, nur Personal nehmen wollte, das beglaubigt aus einer Großstadt im Norden kam. Da sie aber mein Fahrgeld aus New York nicht bezahlt haben, glaubten sie mir auch nicht, keine Hiesige zu sein, sie hielten mich einfach nicht für dumm genug, aus New York auf eigene Spesen hierher gekommen zu sein.

»Wir nehmen nur Leute direkt durch die Agenturen in New York oder Boston, wir bezahlen lieber das Fahrgeld und die Agenturen, aber wir arbeiten nicht mit den Einheimischen. Wir brauchen Leute, die etwas vom Arbeitstempo verstehen und die zuverlässig sind, und Schnecken sind fix im Vergleich mit diesen Leuten im Süden.« Es blieb mir nichts übrig, ich mußte meine Sache aufgeben. Zum Glück aber hörte der Milchmann, ein Einheimischer, mein Gespräch mit dem Manager.

Als ich herauskam, stand er noch da mit seinem Fordwagen, Modell 1912, und winkte mir zu: »Sie suchen Arbeit? Ich fahre jetzt nach Pinehurst, ich beliefere dort einen Klub, das ›parlor maid‹ (das Stubenmädchen) aus New York ist getürmt, ich habe sie am Bahnhof gesehen. Sagen Sie einfach, Sie kommen aus New York, man hat Sie geschickt.«

Ich holte meinen Koffer vom Bahnhof, und wir schaukelten auf dem weichen Sand gen Pinehurst. Der Kiefernwald wurde dichter, überall tauchten die Holzhäuser des Südens auf, die sich auf Pfähle stützen, um nicht im Sand zu versinken.

Pinehurst selbst ist kreisförmig nach besonderen Plänen erbaut, die Häuser, die Hotels, die Gärten, die Brücken, sogar der Wald wie aus einer mondänen, illustrierten Zeitung herausgeschnitten. 119

Der mondäne Klub

Mein Freund, der Milchmann, reichte mir den Koffer von seinem Ford. Ich erklärte im Büro, daß man mich geschickt hätte, und ohne mich weiter viel zu fragen, wurde ich angestellt. Ich begann zu merken, daß man hierzulande besser nicht sagt, man suche Arbeit, man bringt einfach seinen Koffer und erklärt, man gehört hierher.

Im Klub war gerade bewegtes Leben, man hielt einen Golf-Match ab und ein Preis-Bogenschießen. Endlich einmal ein Bild, das mit den Vorstellungen des sporttreibenden Amerikaners harmoniert, wenn auch die meisten Teilnehmer, umfangreiche Herren und ältliche Damen, mit ihren Wunschbildern, die man in den Kinos bewundern kann, nur wenig Ähnlichkeit haben. Obgleich sie nicht zu dem gesellschaftlichen Bild gehören, sind die Sportlehrer doch die wichtigsten Persönlichkeiten des Klubs. Die Amazonen lassen sie zwar ihre Inferiorität fühlen, indem sie ihnen öffentlich Dollar-Trinkgelder zuschieben und natürlich auch nie den Tee im gleichen Raum mit ihnen einnehmen würden. Dafür bekommt der Lehrer im Bogenschießen die allerschönsten Blicke, und der lahme Reitlehrer, der seit seiner Kindheit kaum gehen kann, aber auf dem Pferd, wie ein Zentaur, ein neuer, kühner Mensch wird, hat bei den Damen entschieden größeren Erfolg als die Kohlenbarone in karierten Golfhosen. Für Training im Tennis sorgen verschiedene berühmte Spieler, die Professionelle geworden sind. Auch das Zielscheibenschießen ist beliebt, das in Pinehurst besondere Tradition hat; die berühmte erste amerikanische Schützin, Annie Oakley, war hier einst Schützenlehrerin.

Eine wichtige Rolle in unserem Klub spielen die »Caddies«, die eigentlich auf der Rangliste sogar hinter dem Personal stehen. Man ist wohl schon in Deutschland soweit mit dem Golfsport vertraut, um zu wissen, daß die »Caddies« die Jungen sind, die den Golfspielern die Schläger nachtragen. Hier in unserem Klub haben sie sogar eine eigene Schule, unter Leitung des Ober»caddies«, wo ihnen nicht nur Golf, sondern auch gute Sitten beigebracht werden sollen. Aber gute Sitten! Niemand kennt so gut die Schwächen der Gäste wie die »Caddies«, die wissen, wer seine Partner zu beschummeln versucht, wie alle als bessere Spieler dastehen möchten, als sie sind, sie können die wichtigen Mienen 120 aller Teilnehmer beim Spiel nachahmen, sie kennen die Schwächen dieser Industriekapitäne, dieser »Beherrscher der Welt«, besser als die eigenen Gattinnen.

Eine Laien-Aufführung und das Leben

Auf der Weiterreise hörte ich, daß in einem Grenzstädtchen zwischen North und South Carolina eine Baumwollweberei neu eröffnet werden soll. Es fuhren viele Arbeiter, die davon erfahren hatten, in die Stadt, auch ich stieg aus.

Es hatte sich herausgestellt, daß sich die Eröffnung der Fabrik verzögert hatte, die ganze Stadt war voll fremder Arbeiter, zugrunde gegangener Farmer, die mit ihrem ganzen Hab und Gut, mit Frauen und Kindern aus den Bergen in Erwartung der Arbeit in das Städtchen zogen.

In einem wilden Durcheinander trafen sich in der Stadt älteste Überreste der amerikanischen Vergangenheit mit den neuesten Ingenieurwerken, die Wasserkräfte nach den neuesten Methoden für die Fabrik gewinnen sollten. Man sah die alte Kurie, die sogenannten Plantagenhäuser, die von Loggien umfangen werden, und winzige Holzhäuschen, die die Arbeiter aus einigen Planken selbst errichtet hatten. Man sah alte, kleine von Pferden gezogene Wägelchen und die neuesten Limousinen. Hier können die Mädchen nicht nur aus Spaß wie in New York »Danke für die Wägelchenfahrt« sagen.

Aber die sichtbare Aufregung in dem Städtchen steht nicht nur mit der Eröffnung der neuen Fabrik im Zusammenhang, man bereitet ein Theaterstück vor, gespielt von der Jeunesse dorée, man wird die »Drei Schwestern« von Tschechow aufführen. Ein Regisseur aus Cincinnati, ein Führer der »little theater«-Bewegung, der größten amerikanischen Laienorganisation, studiert das Stück ein.

Man sieht in den Straßen die »Schauspieler und Schauspielerinnen« in ihren von den Großeltern geerbten Kostümen über die Straße laufen.

Wir haben hier zwei Hotels, das eine heißt natürlich »Hotel Amerika«. (Es gibt keine Stadt in Amerika ohne »Hotel Amerika«.) Diesmal ist dies das feinere. Das ist sofort schon von außen zu erkennen. Wir haben eine breite Veranda mit großen 121 Schaukelstühlen und zwei Eingängen, einen Eingang für die Damen und einen für die Herren. Auf der einen Seite der Terrasse schaukeln behaglich die Herren, auf der anderen die Damen.

Das weniger feine Hotel hat keine Schaukelstühle und ist »nur für Männer«. Hier wohnen die Arbeiter, die noch etwas Geld haben. Da keine Schaukelstühle da sind, sitzen sie auf den Treppen des Einganges. Die anderen sitzen auf dem Bürgersteig. Es sieht aus, als wartete die ganze Stadt auf eine Theatervorstellung. Sie alle aber warten nur auf Arbeit. Die Aufführung: amerikanisches Rußland, Burleske statt Melancholie. Das Theater ist aber das Leben selbst: diese kleine Stadt mit den ortsfremden Hungernden und den fröhlichen traditionsfesten Alteingesessenen.

 


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