Maria Leitner
Eine Frau reist durch die Welt
Maria Leitner

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Teufelsinsel bei Tageslicht

Diesmal erreicht die »Biskra« die Insel um sechs Uhr morgens. Ich erwache, als wir stoppen. Als ich an Deck komme, sind schon die neuen Passagiere eingestiegen, auch die Arztfrau ist da mit ihrem Mann, aber nur auf Besuch, sie will, wenn auch nur für kurze Stunden, wieder »zivilisiertes Leben« genießen. Auch Sträflinge sind gekommen, aber nicht jene, die das letzte Mal auf dem Schiff waren.

Wir halten vor der Insel Royal, sie ist so nahe, daß man jedes Haus, jeden Strauch, jeden vorbeigehenden Menschen, es sind solche in Sträflingskleidern, klar erkennen kann. Die großen dunklen Häuser sind Gefängnisse, die kleinen, wohnlicheren sind die Behausungen der Beamten. Sie sieht nett aus, diese Insel mitten im Ozean; die Wege sind gepflegt, man sieht hübsche Gärten und Anlagen.

Die Sträflinge bieten ihre Erzeugnisse an, heute haben sie Zeit, wir werden, es ist ein besonderer Ausnahmefall, einige Stunden vor den Inseln liegen. Auf der schwarzen Tafel steht die Abfahrtszeit, als wären wir in einem x-beliebigen Hafen und nicht bei den 75 Inseln, die den Ruf haben, die abgeschlossensten der Welt zu sein, den Inseln, die nur in den seltensten Fällen von regulären Dampfern angelaufen werden. Diesmal fahren höhere Beamte der Inseln nach Frankreich.

»Hier, bitte, kaufen Sie Behälter aus Kokosnuß.«

Der Sträfling, lang, schmal und von der schimmelfarbenen Blässe, durch die alle Gefangenen gezeichnet sind, hat die aus Kokosnüssen gefertigten Behälter und Sparbüchsen um sich herum ausgebreitet. »Souvenir Isles de Salut«, »La Guayana Française« ist in die Kokosnußschalen eingraviert, genau wie bei den Souvenirs aus den Basaren der Badeorte, und sie sehen auch genauso aus, als wären sie in Kötzschenbroda in Sachsen verfertigt.

»Kaufen Sie bitte«, sagt der Sträfling, er spricht nur gebrochen Französisch, und es stellt sich auch heraus, daß er Deutscher ist.

»Wie kommen Sie denn hierher?«

»Ich habe einen Franzosen totgemacht. Hier diese Körbe sind selbst geflochten aus den hiesigen Palmenblättern, sie sind haltbar. Ich bin lebenslänglich. Ich komme nie mehr von hier fort. Was das ist? Das ist ein Zigarrenabschneider, der ist einer Guillotine nachgebildet. Ja, die Guillotine sehen wir sehr oft. Wir leben hier auf der Insel so zusammengepfercht, dann kommt es manchmal zwischen uns zum Streit. Und weil die Wut so in uns sitzt wegen dem Leben, das wir führen müssen, endet es oft schlecht. Kaufen Sie doch einen Zigarrenabschneider, die werden auch am ehesten gekauft, das ist eine nette Erinnerung zu Hause von hier. Wenn man Geld hat, kann man Kartoffeln kaufen, aber ein Pfund kostet zwei Francs. Ich habe schon seit einem Jahr keine Kartoffeln gegessen. Hier, mein Herr, diese Schale mit Indianerköpfen, besonders preiswert, sie sind bald ausverkauft. Alle, die hier sind auf der Insel Royal, haben jemanden totgemacht, es sind keine anderen. Aber auf der Insel Saint Joseph, da gibt es verschiedene, die kommen nur hin zur besonderen Strafe. Wenn einer versucht auszurücken oder nicht gehorchen will, die werden strenger gehalten als wir auf der Insel Royal. Die dürfen kaum aus ihren Zellen, aber auch wir haben Strafzellen, da sitzt man tagelang, wochenlang im Dunkeln, und Ketten gibt es auch zur Strafe. Dieser Korb ist besonders billig, kaufen Sie ihn, meine Dame. Das mit mir ist wegen einer Frau passiert, sie war ein Aas, es hat sich nicht gelohnt, aber man kann ja nichts wieder gutmachen.«

76 Dieser Sträfling macht die besten Geschäfte, er ist gesprächig und versteht seine Ware anzupreisen, kein Passagier kann ihm widerstehen. Die anderen sind befangen, sie können vor Erregung kaum sprechen.

Der eine ist jung, schmal, er ist erst seit einem halben Jahr hier, er ist aus Paris, er möchte wissen, was in der Welt vorgeht. Alle, die schon längere Zeit hier sind, kümmern sich nicht mehr um die Ereignisse da draußen. Er weiß noch über alles ganz genau Bescheid. Über das Leben auf der Insel spricht er nur ungern.

»Man kann hier nichts als Schlechtigkeiten lernen. Wir machen ja diese Gegenstände, aber es ist so dumm, so sinnlos. Ich habe Glück, daß ich mitkommen durfte auf das Schiff. Viele Gefangene haben, seitdem sie hier sind, keinen Fremden gesehen. Nein, einen Brief möchte ich nicht wegschicken, ich will gar nicht, daß man von mir weiß. Manchmal wünsche ich, ich käme auch noch unter die Guillotine, dann wäre endlich alles zu Ende.«

 

Die »Biskra« fährt an der Insel Saint Joseph vorbei. Hier gibt es nur Gefängnisse. Gefängnisse, die eine Strafe sind für Gefangene, die sonst in Saint Jean, in Cayenne oder Saint Laurent gelitten haben. Gefängnisse, die nach diesen Lagern noch eine Strafe sind, müssen unübertreffliche Schreckenskammern sein.

»Hier sind freilich nicht die schlimmsten Verbrecher«, sagt der höhere Beamte, »aber es sind die undiszipliniertesten Elemente, solche, die einfach nicht zu lenken sind, die ihre Kameraden aufzuhetzen versuchen, die Verschwörungen anzetteln, die ausgerückt sind, aber wieder eingefangen wurden. Aus Cayenne versuchen manche nach Brasilien hinüberzukommen, aus Saint Laurent nach Holländisch-Guayana. Wenn ihr Abenteuer mißlingt, kommen sie nach Saint Joseph. Hier können sie nicht mehr frei herumlaufen, und selbst wenn sie es könnten, es würde ihnen nicht gelingen, zu entkommen. Die Boote, die Saint Joseph mit der Insel Royal verbinden, werden streng bewacht. Weit hinaus könnten sie sich in dem Boot überhaupt nicht wagen. Und dann die vielen Haifische um die Inseln, kein Mensch könnte hier auch nur einen Steinwurf weit schwimmen.«

»Sehen Sie, jetzt kommt die Teufelsinsel. Es sieht aus, als könnten die Gefangenen nach Royal hinüberspringen, aber keiner könnte entkommen.«

77 Auch die »Biskra« ist jetzt so nahe der berüchtigten Insel, daß man fast meint, man könnte, wenn man sich etwas vorbeuge, die Palmen berühren. Die kleinen Häuser der Gefangenen sind sehr deutlich unter den Palmen zu sehen. Wüßte man nicht, was diese Insel bedeutet, alle Passagiere würden entzückt ausrufen: welch eine reizende Insel. So ungefähr stellt man sich das Eiland Robinsons vor, sehr grün, mitten im Ozean, mit hohen, mächtigen Palmen. Das Teuflische würde man erst merken, wenn man hier leben müßte. Die Abgeschiedenheit ist vollkommen, keine Botschaft dringt zu den Gefangenen, sie dürfen nichts über den Lauf der Welt erfahren. Nur in Ausnahmefällen dürfen sie zensurierte Nachrichten von ihren Angehörigen empfangen. Nichts anderes können sie sehen als diese Kokospalmen, die aus der Ferne so idyllisch wirken, und immer quält sie die gleiche Hitze, Schwärme von Moskitos und Krankheiten, für die sie nie im Krankenhaus Heilung finden. Es gibt jetzt zwölf Gefangene auf der Insel, darunter auch einen Deutschen, alle zwölf sind wegen Landesverrats verurteilt, alle zwölf lebenslänglich.

Zwei Gefangenenwärter sind noch auf der Insel.

»Nur zwei?«

»Zwei genügen vollkommen, und es gibt Alarmvorrichtungen, die auf der Insel Royal sofort gehört werden, ausrücken könnte keiner. Und würden sie etwas gegen die Wärter unternehmen, erwartete sie nur die Guillotine.«

Es sind auf den Inseln über sechshundert Gefangene.

Ich fragte die Frau des höheren Beamten, die von den Inseln kam, ob das Leben, das sie geführt hatte, nicht schrecklich war.

»Gar nicht, im Gegenteil, ich werde sicher Sehnsucht haben nach der Ruhe. Hilfe hatte ich im Haushalt, soviel ich wollte, und hier kann keiner frech werden, wenn man ihm etwas sagt, wie in Frankreich. Ich machte meine Bestellungen in Paris, und alles kam pünktlich an. Dann haben wir auch eine Kooperative, wo alles Nötige für uns besorgt wird. Um fünf Uhr abends müssen die Sträflinge wieder im Gefängnis sein, und dann herrscht die vollkommenste Ruhe auf der Insel. Die befreundeten Familien der Administration kommen abends zusammen, wir haben Radio, die Zeit vergeht wirklich ganz angenehm.«

»Ja, Sie haben es besser auf den Inseln als wir in Cayenne«, sagt die Frau eines Verwaltungsbeamten, die auch nach Frankreich 78 fährt. »Cayenne ist wirklich furchtbar, auch für uns. Auf dem Markt in Cayenne kann man nichts Vernünftiges kaufen. Ich war zehn Jahre lang in Neukaledonien, dort war es viel besser.«

»Ist dort die Lage der Gefangenen günstiger?«

»Davon weiß ich nicht viel. Aber auf dem Markt dort bekommt man einfach alles, Tomaten, Salate, Äpfel, Birnen, als wäre man in Frankreich.«

 


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