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»Warum erwürgen Sie nicht die Mumien mit ihren Perlenschnüren«, fragte man mich in der Küche, als ich zum drittenmal an dem Abend die gerösteten Brote zurückbrachte, aber leider hat man noch immer so seine kleinen Hemmungen.
Dafür begann ich zu sabotieren, Kopfschmerzen vorzuschützen, als ob ich eine vornehme Dame wäre. Ich hatte wenig Lust, bis zum Saisonende zu bleiben. Ich wollte etwas mehr von Palm Beach sehen. Es war noch eine Wienerin da, aus Mödling, mit den gleichen Absichten, und wir beschlossen jenen statistischen Prozentsatz der Kellnerinnen voll zu machen, die jedes Jahr vor Saisonende ausrücken.
106 Wir wollten uns Palm Beach richtig ansehen, jene Teile, die wir als »Personal« nie betreten konnten, denn Palm Beach ist nicht für arme Schlucker geschaffen. Nicht eine einzige Bank gibt es, wo man sich hinsetzen könnte. Sogar der Ozean wird eifersüchtig den Passanten verschlossen. Die Parkanlagen, die die maurischen Paläste, die spanischen Renaissanceschlösser umschließen, laufen von Wasser zu Wasser, von dem Lake Worth zu dem Ozean. Hier blühen alle exotischen Blüten Floridas, deren Namen ich noch nie gehört habe, die rotgeflammten Pagnonias, die purpurfarbenen Poincianas, die amethystenen Bouganvilias, die einen so schweren betäubenden Duft ausatmen, daß neben ihnen alle europäischen Blumen wie Küchenkraut erscheinen.
In der Geschäftsstraße von Palm Beach haben alle großen New-Yorker Modegeschäfte, Juweliere, Kunsthandlungen ihre Niederlassungen. Bei Bradley speist man unter zarten Seidenschirmen phantastische spanische Gerichte.
Der Badestrand der »guten Gesellschaft« befindet sich im Tennis- und Badeklub. Leute, die nicht im Blaubuch stehen, dürfen sich die Badenden zwar mit einer teuren Eintrittskarte ansehen, aber nur ein beglaubigter Millionär kann sich hier im Badeanzug zeigen. Die Damen sitzen in den verblüffendsten Badeanzügen und Pyjamas im Sand. Sie rauchen und lassen sich bewundern. Angeblich wird auch gebadet, aber sicher geschieht das nur selten. Das Wasser schadet den handgemalten Badeanzügen und Gesichtern.
Wenn es aber zu dunkeln beginnt, wird Palm Beach die Stadt der künstlichen Monde. Die Hotelterrassen erscheinen wie weite Wiesen, umrieselt vom blaßblauen Licht eines riesigen, über ihnen schwebenden elektrischen Mondes. Auch die Patios, die ausgedehnten Veranden der Privatpaläste, besitzen ihr eigenes Firmament. Jeder, der nicht direkt arm erscheinen will, hat seinen eigenen Mond, manchmal umglitzert von elektrischen Sternen.
In dem »Orangenhain« des Everglades Club, der in Wirklichkeit ein Palmenhain ist, wo Goldorangen elektrisch beleuchtet zwischen den Palmen blinken, tanzt man zur Jazzmusik.
Einen halben Tag lang stand uns der Mund offen. Nur einen halben Tag lang, denn in Palm Beach kostet ein halber Tag genau soviel, wie die zwei Mumien in zwei Wochen eingebracht haben. So mußten wir schon nach einem halben Tag nach dem »armen« West Palm Beach flüchten. 107
Die Neger beten
In West Palm Beach kann man wieder aufatmen. Hier gibt es Fünf- und Zehncent-Geschäfte, billige Lunchrooms, Kinos. In der Ferne sieht man die wirkliche Landschaft Floridas. Sümpfe, Stumpfpalmen und den charakteristischen Baum des amerikanischen Südens, die immergrüne Eiche mit dem langen, wehenden Spanischen Moos.
Hier gibt es kleine Kirchen, wo Neger noch ihre Spirituals singen. Schneeweißgekleidete Negerinnen, Kinder mit unwahrscheinlich großen Augen, zerlumpte Männer. Man bekommt am Eingang Fächer, sie knistern in allen Händen leise, während der Raum von jammerndem Gesang erfüllt wird. »Die schwere Bürde, o Herr.« Endlich bricht der Satz in allen Tonarten aus allen Mündern.
Dann kommt fragend anklagend der dramatische Gesang. »Warst du dort? Warst du dort, als man ihn kreuzigte? Bruder. Manchmal überfällt mich ein Beben. Du warst dort, als man ihn kreuzigte. Du warst dort, als man ihn kreuzigte. Du warst dort, als man ihn zu Grabe legte. Manchmal überfällt mich Beben.«
Im Stellenvermittlungsbüro
Vor allem gibt es in West Palm Beach auch Stellenvermittlungsbüros. Wir suchten eins auf, dessen Besitzer den Namen eines römischen Gottes trug. Nennen wir ihn Jupiter.
Die Gesellschaft bei ihm war nicht wenig interessant. Hier gab es, wenn man allen Angaben, die von den Stellungsuchenden gemacht wurden, Glauben schenken wollte, mehrere gewesene Millionäre. Sie behaupteten, durch unglückliche Grundstücksspekulationen in so schlechte Verhältnisse geraten zu sein, daß es ihnen sogar an Reisegeld mangelte, das gelobte Land ihrer einstigen Hoffnungen wieder zu verlassen. Sie ließen sich jetzt von Herrn Jupiter überreden, einen Posten als Geschirrwäscher in einem nicht ganz erstklassigen Hotel anzunehmen.
Eine Gesellschaft von jungen Mädchen war da, die in ihrem Auto allein aus Kalifornien nach Florida fuhren, und da ihnen das Geld ausging, jetzt Stellung suchten. Zwei Berlinerinnen waren 108 aus Bermuda ausgerückt, wo sie Stellung als Hotelstubenmädchen angenommen hatten. Eine Schwäbin kam soeben aus Chicago an.
Herr Jupiter machte mir nur wenig Hoffnung, eine Stellung als Kammerzofe zu bekommen. »Sind Sie Französin?« fragte er mich, »und haben Sie Referenzen von bekannten Persönlichkeiten? Wir sind in Palm Beach und nicht in New York.« Da ich weder Französin war, noch Referenzen bekannter Persönlichkeiten aufweisen konnte, ließ ich mich von Herrn Jupiter bewegen, eine Stellung als dritte Küchenhilfe anzunehmen. Herr Jupiter erklärte mir, daß dies das feinste Haus sei, das ich in meinem Leben jemals gesehen haben würde. »Diese Leute essen von goldenen Tellern, und ihre Hausschwelle hat noch nie eine Negerin betreten«, fügte er erläuternd hinzu.
Es war ein Palast, in den wirklich nicht mehr Marmor hätte hineingebaut werden können. Es gab einen bläulichschwarzen marmornen Speisesaal mit offenen Bogengängen und einen maurischen Hof mit marmornem Springbrunnen. Die Portieren waren aus schweren, brokatenen, alten Altardecken zusammengesetzt. Dieser Speisesaal wurde allerdings nur bei festlichen Gelegenheiten benutzt, und ich habe ihn nur einmal durchschritten, als ich zur Haushälterin ging, mich vorzustellen.
Die Dame des Hauses habe ich während meiner ganzen Dienstzeit überhaupt nicht zu sehen bekommen.
Wie in einem Theater die Kulissenarbeiter nur einzelne Wortfetzen des Stückes auffangen, so drangen in die Küche nur einzelne Szenen von dem, was sich im Hause abspielte. Während ich in der Küche »Quawquaw« zerschnitt, Mangofrüchte und Alligatorbirnen, die Avocados schälte oder auch nur, was noch öfter vorkam, ganz prosaische Zwiebeln, hörte ich nur von Zofen und Dienern, was sich vorn auf der Schaubühne ereignete.
In der Küche empörte man sich am meisten über die Pyjamafeste. Die Diener prusteten vor Lachen, wenn sie wieder in die Küche kamen. »Eine Schande ist es«, sagte die aus Paris frisch importierte Zofe. »Ganze Zimmer haben sie voll Kleider und laufen in Schlafanzügen herum, wenn sie Gesellschaft haben. Und dann sagen sie noch, Paris sei unmoralisch.«
Champagnerflaschen wurden entkorkt, Kognak und Rum. Der Kellermeister wachte eifersüchtig, daß Unbefugte nicht den Keller betraten. Goldene Teller gab es tatsächlich, die vom 109 Stubenmädchen unter Aufsicht eines Detektivs gewaschen wurden. Der Koch betrat nur selten die Küche, er war ein Künstler ersten Ranges, der höchstens die Soßen rührte, den Speisen noch den letzten Schliff gab und die Dekorationen der Schüsseln bei festlichen Gelegenheiten besorgte. In seiner freien Zeit war er Amateurboxer.
Einmal durfte ich selbst einen Schauplatz solcher Feste sehen. Bei einem für das Personal veranstalteten Fest an Bord eines der größten Hausboote auf dem Lake Worth. Im Everglades Club wurde ein Maskenfest der Millionäre veranstaltet, vor dem Ball gab man große Diners, die dem Personal furchtbar zu tun gaben. Als Belohnung nun wurde ihnen, da man sie während des Maskenfestes doch nicht brauchte, ein Hausboot zur Verfügung gestellt.
Das schneeweiße Schiff war ganz bedeckt mit Perserteppichen und erleuchtet von goldfarbigen Lampions. Es gab ein großartiges Büfett, wo auch »booze«, Alkohol, nicht fehlte. Den Gästen konnte man anmerken, was sie in der Nähe der großen Herrschaften gelernt hatten. Die Damen für eine Nacht trugen abgelegte, tief ausgeschnittene Kleider und riesige falsche Perlen. Man trank, soviel man konnte, und schrie nach mehr. Es wurde sehr handgreiflich geflirtet.
Dann wurde eine Kabarettvorstellung veranstaltet, wobei ein Boxkampf zwischen zwei japanischen Dienern großen Anklang fand, aber der Gipfel war die Szene dreier Kammerzofen, die mit viel Geschick die Toilettenvorbereitungen ihrer Herrinnen zu dem Maskenball nachahmten.
Die Stimmung wurde dann gedämpft, als bekannt wurde, daß mehrere Detektive zur Beobachtung auf das Schiff kommandiert waren. So begnügte man sich mit Tanz, wobei man den altmodischen Walzer bevorzugte. In den Pausen verzogen sich dann die Pärchen »auf Deck«, man verstand darunter den dunkelgelassenen Teil der Deckpromenade.
Auf dem Lake Worth leuchteten die Hausboote, die künstlichen Monde spiegelten sich im Wasser, und hoch oben im Firmament leuchtete das Kirchenkreuz . . . 110
Wovon das Kreuz leuchtet
Die beglaubigte Geschichte des elektrisch beleuchteten Kreuzes, das auf dem hohen Glockenturm der (im spanischen Renaissancestil gebauten) Kirche steht, ist folgende: Die Kirchenbehörde war der Ansicht, daß diese Reklame zu Ehren Gottes, die bedeutende Auslagen verursachte, von den kapitalkräftigen Gläubigen ohne weiteres bezahlt werden würde. Denn jene Damen der Gesellschaft, die Wert auf tadellosen Ruf legen, besuchen regelmäßig die Kirche. Doch zur Enttäuschung der Kirchenbehörden gelangten die Andeutungen, die über die hohen Kosten des elektrisch beleuchteten Kreuzes gemacht wurden, nur in taube Ohren – die künstlichen Monde verschlangen ohnehin außerordentliche Summen für elektrischen Strom.
Und da die Kirchengemeinde den nötigen Betrag nicht aufbringen konnte, erlosch das Kreuz wieder.
Eines Tages aber erschien bei dem Seelsorger ein elegant gekleideter Fremder, erkundigte sich, welchen Betrag die Beleuchtung des elektrischen Kreuzes monatlich kosten würde, entnahm dann seiner geschwollenen Brieftasche die genannte Summe und verschwand. Wieder leuchtete das Kreuz.
Am Ende des Monats erschien der Fremde und wollte noch einmal ohne weiteres die elektrische Rechnung bezahlen.
Der Seelsorger floß vor Dankbarkeit über, wünschte aber Näheres über den Fremden zu erfahren, um ihm von der Kanzel gebührenden Dank für seine gottesfürchtige Tat zu sagen.
Der Fremde besann sich ein wenig und erwiderte dann: »Ich will die Wahrheit gern sagen, ich bin ein Bootlegger (ein Schnapsschmuggler), es wird Ihnen nicht unbekannt sein, daß wir hier ein blühendes Geschäft und jetzt die Hauptsaison haben. Das elektrisch beleuchtete Kreuz war meinen Schiffen ein ausgezeichneter Wegweiser auf dem dunklen Meer nach der schwierigen Küste. Wir würden keine weiteren Kosten scheuen, um dieses Leuchtfeuer zu behalten.«
Der Seelsorger machte erst ein finsteres Gesicht, dann aber heiterten sich seine Züge auf, und er sagte: »Wahrlich, ich glaube, nur wenige folgen so genau jenen Worten der Schrift wie Sie, mein Herr: Sei sanft wie eine Taube und schlau wie ein Fuchs.«
Und so leuchtet das Kreuz weiter in der Finsternis. 111