Maria Leitner
Eine Frau reist durch die Welt
Maria Leitner

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Automat unter Automaten

Eine der größten über ganz New York verstreuten Massenabfütterungsanstalten ist das Automatenrestaurant Horn & Hardart. Hier versuchte ich, Arbeit zu erhalten.

Die Zentrale für Angestellten-Beschaffung

Warteräume. Für Männer und für Frauen. Der Warteraum für Männer erinnert an ein Schulzimmer. Die Stühle alle nach einer Richtung gestellt. Auf einer Erhöhung, wie der Herr Lehrer, sitzt der Mächtige, der den Angestelltenstab zusammenstellt. Die Männer sitzen da, lesen Zeitungen und warten anscheinend auf etwas. Man kann nicht gleich herausbekommen, worauf.

Der Mächtige hält einen Telephonhörer in der Hand und ruft zwischendurch etwas ins Zimmer hinein: »Ein Salatmann! Kein Sandwichmann hier?« Da sich niemand meldet, ärgert er sich. »Nie kommen solche, die man brauchen kann.«

Nachdem ich vergeblich versuche, mich irgendwie bemerkbar zu machen, gehe ich in das Wartezimmer für Frauen.

Hier ähnelt es mehr dem Warteraum eines Zahnarztes, mit dem Unterschied, daß die Wartenden zahlreicher sind und daß sich die Lektüre nicht auf den Tischen, sondern an den Wänden befindet.

Goldene Sprüche an der Wand

Wohin man blickt, überall Weisheit. Man kann sich die Zeit auf die nützlichste Art und Weise vertreiben. So kann man z. B. lesen: »Eine Dummheit ist nur dann wirklich eine, wenn man sie zum 17 zweitenmal begeht.« (Dieser Spruch stammt, wie mitgeteilt wird, von Lincoln.) Nicht weniger beherzenswert scheint ein anderer: »Wenn du erregt bist, zähle bis zehn und dann schweige.«

Ich konnte aber nur wenig in dieser kleinen Weisheitsschule profitieren, ja nicht einmal recht meine mitwartenden Genossinnen betrachten, denn der Allmächtige stieg von seinem Thronsessel und begab sich in unser Zimmer. Diesmal bin ich es, die er aus der Menge herauspikt. Er fragt mich nur nach meiner Adresse, dann gibt er mir einen Zettel für die Filiale in der 14. Straße.

Erst in der 14. Straße, wo ich sofort eine Nummer, diesmal bin ich nur Nummer zwölf, und eine Uniform, die mir zweimal zu groß ist, erhalte, erfahre ich, daß ich angestellt wurde.

Ein ganzer Schwarm Mädchen umgibt mich, die mein Kleid mit Hilfe von Stecknadeln zurechtmachen, eine drückt mir eine weiße Haube auf den Kopf, eine andere zupft an meiner Schürze. Dann werde ich in den Saal geschoben, und man drückt mir ein Tablett in die Hand. Ich weiß nun, daß ich ein »busgirl« bin, d. h. ein Omnibus, der mit Geschirr vollgepackt hin- und herrollt; ganz einfach ausgedrückt, ist meine Lebensaufgabe von nun an, Geschirr abzuräumen.

Ich stehe da mit einem Tablett, und draußen lärmt, schreit, rast die 14. Straße, mit ihrem Dutzend Kinos, mit ihren Vaudeville-Theatern, Dancings und Schießgalerien, mit Radios, Grammophonen, Pianolas, mit Dutzenden Lunchrooms, Coffee Pots, mit Fünf- und Zehncent-Geschäften und »noch nie dagewesenen Gelegenheitsverkäufen«. Aber auch mit besonderen Überraschungen: einer laut spielenden Jazzband im Schaufenster eines Herrenbekleidungsgeschäftes oder einem anderen Schaufenster, in dem ein schwarzmaskierter Mann erscheint und auf eine schwarze Tafel schreibt: »Wollen Sie Erfolg haben? Wollen Sie eine gut bezahlte Arbeit? Dann müssen Sie sich gut kleiden. Gut kleiden können Sie sich nur bei uns. Kommen Sie herein. Überzeugen Sie sich.«

Und die Menge der Straßenverkäufer. Der Muskelmensch mit dem leberkranken Gesicht, der auch bei schlechtestem Wetter, nur mit einem Trikot angetan, seine einzig erfolgreiche Gesundheitsmethode demonstriert und gleichzeitig seine eigenen Werke über gesunde Lebensweise verkauft. Und der Mann mit wallendem Haar bis auf die Schultern, der unfehlbare Haarwuchsmittel 18 feilbietet. Und da sind eine Unmenge Bettlerinnen, Blinde und Straßenredner. Die Menge, die hier auf und ab flutet, besteht aus allen Nationen der Welt. Sie alle aber jagen im gleichen Tempo den gleichen Vergnügungen, den gleichen Erfolgen nach.

Die Roboter

Die ganze Straße strömt in das Automatenrestaurant hinein, von früh morgens bis spät in die Nacht. Aber hier wird nicht zum Vergnügen gegessen. Hier essen die Roboter, Deutsche, Amerikaner, Juden, Chinesen, Ungarn, Italiener, Neger.

Jede Rasse ist vertreten. Man hört alle Sprachen der Welt, es bleiben Zeitungen liegen mit hebräischen und chinesischen, mit armenischen und griechischen Zeichen und in exotischen Sprachen, die man gar nicht erraten kann. Man wird durch unverfälschte sächsische und bayerische Dialekte überrascht, und man sieht Leute Tee schlürfen, wie nur russische Bauern ihren Tee trinken.

Und doch sind sie sich alle so ähnlich, wie zwei Brüder sich ähnlich sein können. Sie tragen alle die gleichen billigen Kleider, die gleichen Hemden, die gleichen Ausverkaufsschuhe, sie essen alle jeden Tag die gleiche Tomatensuppe, die gleichen Sandwiches: Schinken mit Salat, Ei mit Salat, Käse mit Salat, Sardinen mit Salat, sie verdienen den gleichen Wochenlohn, sie arbeiten alle gleich schwer, gleich lang.

Die Roboter essen meist stehend, oder sie sitzen nur gerade so lange, bis sie die nötigen Kalorien und Vitaminmengen zur Instandhaltung der Maschine zu sich genommen haben.

Sie werden von klein auf zu dem Tempo erzogen, das sie, wenn sie in dieser Welt vorwärtskommen wollen, einhalten müssen.

»Hurry up« (schnell, schnell), mahnen die sorgfältigen Eltern ihre Kinder, die Kuchen essen und Milch trinken.

Die halberwachsenen Roboter sorgen schon selbst für sich. Sie tragen Western-Union-Uniformen oder die von Banken, Kaufhäusern, Hotels. Oft stehen sie lange vor den Automaten. Wozu sollen sie sich entschließen: Milchspeise oder Eiscreme? Meist siegt doch die Liebe über den Verstand. Sie essen Eiscreme. 19

Automaten, Automaten

Die Automaten sind Glasschränkchen, die prahlerisch ihren Inhalt zeigen. Sie bleiben kühl verschlossen, auch vor dem hungrigsten Magen, lassen sich aber mit einem kleinen, leichten Griff öffnen, wenn man die ihrem Inhalt entsprechende Anzahl von Nickeln entrichtet.

Aber auch hinter den Automaten stehen unsichtbar in dem schmalen, heißen Gang Automaten. Sie legen Sandwiches auf Teller, immer wieder neue, sie verteilen Kuchen und Kompott. Sie füllen die Samoware mit Tee und Kaffee, sie verteilen Suppe, Gemüse und Fleisch.

Wir anderen Automaten tragen die schweren Tablette, räumen immer wieder das schmutzige Geschirr ab, das sich alle fünf Minuten auf jedem Tisch von neuem auftürmt.

Automaten stehen ganz unten in der Tiefe, Negerautomaten, und waschen Geschirr, den ganzen Tag, die ganze Nacht.

Automaten sitzen an der Kasse und wechseln Fünfundzwanzig-, Fünfzigcentstücke, Dollars in Nickel um. Sie geben Nickel aus, den ganzen Tag, den ganzen Abend, immer Nickel, Nickel.

Und Automaten gehen auf und ab zwischen den Tischen und geben acht, den ganzen Tag, den ganzen Abend, ob die Eßautomaten auch ihre Pflicht erfüllen, den ganzen Tag, den ganzen Abend, und essen, schnell essen.

Manchmal bekommen die Automaten so etwas wie ein Gesicht

Ein besonders fleißiger Automat, er ist eine Frau, fiel mir auf, der immer mit hochgetürmtem Tablett hin- und hergeht. Nicht spricht. Immer nur Geschirr schleppt. Vollkommenster Automat. Und plötzlich erblickt man hinter dem Automaten ein menschliches Gesicht. Ein ganz und gar nicht merkwürdiges, ganz gewöhnliches, sächsisches; das Gesicht einer deutschen Kleinbürgerin. Sie ist seit zwei Jahren in Amerika. Sie hat bisher als Dienstmädchen gearbeitet, wie vier Pferdeknechte, versichert sie. Und sie hat viel geweint in Amerika, wo man nur Arbeit und den Dollar kennt. Aber hier, meint sie, sind wir im Paradies. Sie gibt natürlich zu, daß es nur ein verhältnismäßig schlichtes Paradies sei. 20 Aber wir haben vierzehn Dollar Wochenlohn und können essen, soviel wir wollen und was wir uns aussuchen, meint sie. Und man sagt zu ihr Lady. Und wenn die Uhr geschlagen hat, ist Schluß. Sie ist sehr fleißig, denn sie möchte nicht, daß man sie wegschickt.

Eine Russin ist da, die kein Wort Englisch kann. Sie nimmt immer, wenn sie eine Minute Arbeitspause macht, einen Zeitungsausschnitt hervor. Es ist die Photographie einer Frau. Sie besieht sie immer lange, dann arbeitet sie weiter.

Eine kleine Spanierin hat sich von ihrem Wochenlohn lange Ohrgehänge gekauft. Es war eine Sensation. Einmal kam sie fünf Minuten zu spät. Man hat sie mit einem Mann vor dem Geschäft gesehen. Das war eine noch größere Sensation.

Später bekommen auch manche Gäste ein Gesicht. Es gibt sogar einige, die sich nicht zu dem üblichen Tempo zwingen lassen. Sie sitzen ruhig zur größten Empörung des Managers stundenlang vor einer Tasse Kaffee, bringen Bücher mit und sprechen über die überflüssigsten Sachen. Nicht über den Wochenlohn und über den »job«, den sie haben, sondern über Politik und neue Literatur. Aber man sieht ihnen auch an, daß sie zu ihrem eigenen Schaden die amerikanische Lebensweisheit ignorieren. Einmal geschah es, daß die ganze Gesellschaft bei einer einzigen Tasse Kaffee saß.

Der Manager duldete eine Zeitlang, wenn auch mit sichtlich unzufriedener Miene, den Unfug. Endlich konnte er nicht länger an sich halten, er ging zu der Gesellschaft und hielt ihr folgende Rede: »Meine Herren, Sie scheinen den übrigens respektablen und ehrlichen Beruf der Hungerkünstler auszuüben. Es wundert uns nur, warum sie dann unser Restaurant mit Ihrer Gegenwart beehren. Sollten Sie aber das Hungern nicht aus Beruf, sondern aus Notwendigkeit ausüben, befolgen Sie meinen Rat, lassen Sie Ihre Bücher im Stich und suchen Sie sich bessere Arbeit.«

Da ist noch ein junger Mann, der immer liest, während die Kaffeetasse halbvoll vor ihm steht. Bevor er das, was er bezahlte, nicht verzehrt hat, ist es sein gutes Recht, zu sitzen, und kein Manager kann ihn aus dem Paradies vertreiben. Einmal aber passierte es ihm, daß er aus Zerstreutheit den Kaffee austrank bis zum unwiederbringlich letzten Tropfen. Und er mußte nun gegen uns alle, die seine Tasse fortnehmen wollten, einen harten Kampf führen. Während er krampfhaft die leere Tasse festhielt, las er mit größtem Eifer den »Bürgerkrieg in Frankreich« von Karl Marx. 21 Manchmal saßen auch Liebespaare da. Sie saßen und sprachen und sprachen und saßen.

Sie alle waren mir sympathisch. Ich mochte es gern, wenn sie sich an meine Tische setzten. Sie haben nicht viel Geschirr schmutzig gemacht.

Neger und Negerinnen

Man ist bei Horn & Hardart liberal den Negern gegenüber. Man sieht sich die Nickel, die die Automaten füllen, nicht danach an, ob sie von weißen oder schwarzen Händen entrichtet wurden.

Es arbeiten viele Neger hier. Sie sind gute Arbeiter. Es ist vorteilhaft, vorurteilslos zu sein.

Manchmal sieht man reizende Negerinnen. Ich sah hier einmal eine in schreiend buntem Kleid mit einem in allen Farben schillernden Hut. In dieser für eine Europäerin unmöglichen Aufmachung sah sie wie eine richtige Urwaldschönheit aus.

Zwischen einer Kreolin und einer schönen Negerin kann man kaum noch Unterschiede entdecken. Aber die Neger haben eine untrügliche Probe dafür, wer Negerblut in den Adern hat.

Da hat auch eine kleine Kreolin aus Westindien gearbeitet. Sie war sehr hübsch, aber so dunkel, daß man sie spaßeshalber verdächtigte, nicht rasserein zu sein. Man vollzog an ihr die Negerprobe. Die besteht darin, daß man die Halshaut zu ziehen versucht. Gibt sie nicht nach, ist die der Probe Unterworfene nicht rasserein. Die Negerinnen zeigten dann, wie es bei einer richtigen Negerin sein muß. Sie können die Halshaut wie Gummi ziehen. Die kleine Kreolin, deren Haut fest blieb, sah diesen Kunststücken mit aufrichtigem Neid zu.

Ein Neger, der viele Negerlieder sang, philosophierte auch gerne. Er sprach lange und oft darüber, daß den großen Unterschied zwischen Mensch und Mensch nicht die Hautfarbe, sondern nur das Geld ausmacht. Und er konnte seine Behauptungen immer mit guten, dem Leben entnommenen Beispielen belegen. »Ein Neger kann nicht in ein jedes Restaurant essen gehen, das ist wahr«, sagte er, »aber können Sie vielleicht essen, wo Sie wollen? Versuchen Sie es doch, gehen Sie zu Ritz; oder machen Sie eine Reise, oder setzen Sie sich in eine Theaterloge. Freiheit ist, wo Geld ist. Zwischen denjenigen, die einige Dollars haben, und 22 zwischen mir, der keine hat, ist der Unterschied nur winzig«, sagte er. »Ist vielleicht der Manager ein freier Mann, weil er mir befehlen kann? Er darf mir ja nur das befehlen, was man ihm befiehlt, mir zu befehlen. Ist es nicht so? Und wie klein ist der Unterschied zwischen den Dollars, die er verdient, die ich verdiene, wenn man sie mit dem Dollargewinn der Gesellschaft vergleicht. Ist es nicht so?« Und wir alle mußten zugeben, daß an dem, was er sagte, etwas Wahres sei.

Die Organisation der Massenabfütterungsgesellschaft

Man muß bekennen, sie ist bewunderungswert. Allein in der Filiale der 14. Straße speisen täglich Zehntausende. Man kann jederzeit warm essen. Alles funktioniert auf die Minute. Dabei ist der Raum, wo die Speisen verteilt werden, unglaublich klein. Eine Küche existiert in den Filialen überhaupt nicht. Es wird alles in einer Zentralküche hergestellt, die Suppen und das Gemüse gekocht, das Fleisch zerschnitten und bratfertig hergestellt. Dort werden die verschiedenen Brotsorten und Kuchen gebacken. Dort ist die Zentraleinkaufsstelle, von dort wird der Bedarf aller Filialen, es gibt ihrer in New York zweiundvierzig, gedeckt. Alles, was gebraucht wird, kommt in Kisten an, auch die Suppen in hermetisch verschlossenen Behältern. Die Speisen werden nur aufgewärmt.

Dabei ist der Betrieb denkbar unbürokratisch. Es wird nur wenig gezählt und aufgeschrieben. Es gibt nicht einmal Karten für Arbeitszeitkontrolle, aber man wird »gewatscht«, wie mir die eine deutsche Frau sagte. Eine philologische Erklärung ist hier nötig. »Watschen« stammt von »watch«, beobachten. Und man wird sehr scharf beobachtet. Ein wahrer Ring von Aufsehern umgibt uns. Es ist unmöglich, auch nur eine Minute die Arbeit stehenzulassen, und ich glaube kaum, daß es jemandem gelingen könnte, etwas wegzutragen.

Die Fünfcentstücke werden von einer Zählmaschine gezählt, die mit einer Fleischhackmaschine Ähnlichkeit hat. Wenn die Automaten geleert werden, erfüllt der Klang der rieselnden Nickel den ganzen Raum. Hier wird erst recht »gewatscht«. 23

Die endlose Zeit

Wenn man mit einem schweren Tablett auf und ab geht, immer auf und ab, wie endlos wird dann die Zeit. Die Minuten dehnen sich, das Ende der Stunden ist nicht abzusehen. Teller, Tassen, Schüsseln abräumen, immer von neuem abräumen. Ich nehme mir vor, nicht eher auf die Uhr zu schauen, als bis ich das Tablett zehnmal zum Abwaschen befördert habe. Ich mache meine Arbeit absichtlich langsam, bleibe manchmal träumerisch stehen. Die Füße tun verdammt weh, und erst der linke Arm. Die zehnte Runde. Sicher ist schon mindestens eine halbe Stunde vergangen. Man blickt auf die Uhr und sieht, es sind erst fünf Minuten vorbei. Das ist hoffnungslos.

Manchmal hat man eine kleine Zerstreuung. Man zerbricht Geschirr. Tassen fliegen hin vor die Füße eines ohnehin schon feindlichen Managers, oder man läßt ein ganzes mit Geschirr vollgepacktes Tablett fallen. Darüber wird nie eine Silbe verloren. Man darf nicht einmal stehenbleiben, um den Scherben nachzutrauern, ebensowenig darf die Schuldfrage erörtert werden.

Manchmal denkt man, ich kann unmöglich weiter stehen. Ich werde einfach einen Nickel in den Automaten werfen, mir eine Tasse Kaffee holen und mich niedersetzen. Niedersetzen. Es ist gar nicht auszudenken, was dann geschehen würde. Was für vermessene Phantasien man nur hat, wenn man müde ist.

Nachts verfolgen mich die Teller und Tassen, und ich träume oft, ich räume immerfort Tische ab, ohne Unterlaß.

Erst dachte ich, daß nur ich das so empfinde, aber ich hörte auch von den anderen: »Heute will der Tag überhaupt nicht vergehen.« Wenn Schichtwechsel war, zählten sie alle schon vorher die Minuten. Und wie glücklich sie das sagten: »Nur noch zehn Minuten.« Wenn einer einen freien Tag hatte, wunderte er sich, wie schnell dann die Zeit verfliegt und wie furchtbar langsam die Arbeitstage weiterschleichen.

Einmal begann der eine Mann, der den Boden fegt, zu sprechen: »Hier ist es nicht schön. Ich kann's kaum noch weitermachen. Jeden Tag arbeite ich zwölf Stunden, dazu kommen anderthalb Stunden Arbeitspause, eine halbe Stunde zum Umkleiden, eine Stunde Hin- und Rückfahrt. Das sind fünfzehn Stunden täglich. Nie nehme ich mir Sonntage frei. Das geht so seit anderthalb 24 Jahren, ohne Unterbrechung. Aber wenn ich mir einen Tag freinehme, verdiene ich weniger. Und wenn man frei ist, gibt man doch nur Geld aus, und dann muß man sich auch noch das Essen kaufen. Warum ich so arbeite? Weil ich sparen will. Wie könnte ich das sonst. Und warum ich spare? Weil ich selbständig werden will. Aber es ist nicht schön hier. Immer fegen, immer den Boden, immer den Schmutz. Etwas anderes sieht man nicht mehr von der Welt. Ich weiß nicht, ob ich noch lange so weiter kann.« Armer Automat, armer Roboter.

Es war ein schöner Augenblick, als ich nach heftigen Kämpfen meinen restlichen Lohn geholt habe. Man fand, es sei nicht »fair«, eine Stellung von einem Tag zum andern ohne Grund aufzugeben, und man wollte auch mir gegenüber nicht »fair« sein.

Jetzt aber war ich frei. Jedenfalls für den Augenblick. Sonst pflegte ich um diese Zeit mit dem schmutzigen Geschirr herumzuspazieren. Nun aber . . . Ich nahm einen Nickel und holte mir einen Kaffee und setzte mich. Und trank Kaffee und saß. So erfüllten sich Träume. Aber ich weiß nicht, ich habe es mir doch noch schöner vorgestellt.

 


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