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Neunzehntes Kapitel.
Verhalten der polirenden Societät


Die Anstalten der Oppositionsparthey, ich meyne der polirenden Societät, waren, wie leicht zu denken ist, von den eben beschriebnen himmelweit verschieden.

Kein Mitglied durfte nur Einen Rock haben: wer nicht wenigstens drey Kleider hatte, durfte nicht erscheinen, und wurde, wenn er sich nicht immer anders anziehen konnte, exkludirt. Es war daher ein gewisses Mitglied angestellt, welches genau aufschreiben mußte, wie dieser oder jener das vorige mal angekleidet gewesen war. Kam er eben so gekleidet wieder: so wies man ihm ohne Umstände die Thüre, und sagte ihm, er mögte sich erst umkleiden, und dann erscheinen.

Bey jeder Zusammenkunft wurde zuförderst das Modejournal des Herrn Bertuchs vorgenommen, abgelesen, bekritisirt, und dann wurde vorgeschrieben, in wie fern die Vorschriften des Journals sollten befolgt werden. Ueberhaupt nannten sie dieses unsterbliche Journal ihren Codex. Ich habe auch in Erfahrung gebracht, daß von jener Zeit an, diese Schrift mit vielen von Schilda aus geschickten Beyträgen sey bereichert worden; und obgleich die Artikel oft Paris, Berlin u. s. w. überschrieben sind: so wollen doch kritische Leute anmerken, daß viele derselben eigentlich sich aus der polirenden Societät zu Schilda herschreiben. Dem sey aber wie ihm wolle, so lange wir Deutsche noch Leute unter uns zählen, die es nicht unter ihrer Würde finden, sich vom Bären- und Affenwesen zu bereichern, so lange wird das Modejournal Cours haben, die Artikel mögen übrigens von Schilda oder von Corinth kommen.

Nach der Ablesung des Modejournals kam der Thee, und es wurde erlaubt zu sprechen, doch durften diese Gespräche weder etwas Gelehrtes noch Politisches zum Gegenstande haben. Ersteres hieß Pedanterey, und das andere nannte man Kanngießern. Also sprach man vom Wetter, vom Promeniren, von Assambleen, Bällen und Komödien. Beyher war es aber doch erlaubt, über jeden Abwesenden loszuziehen und jeden zu lästern. Skandalöse Stadtmährchen waren jedesmal willkommen, und endlich wurde gar ein Gesetz gemacht: daß jedes Mitglied allemal ein neues Stadthistörchen erzählen sollte. Wer nun gern brillirte, rüstete seinen Vortrag mit mehrern aus, und erhielt dann von der ganzen Gesellschaft das ehrenvolle Zeugniß, daß er ganz vortrefflich zu unterhalten wisse. Hiebey fragte man nun gar nicht, ob diese Histörchen wahr wären, oder nicht, genug, wenn sie nur gut erzählt wurden.

Endlich wurde Musik gemacht, das heißt, einige Dilettanten, die etwan ein bissel auf dem Klavier klimpern oder die Violine bekratzen, oder die Flöte beflüstern konnten, stellten sich auf das Orchester und verhunzten die besten Symphonien von Mozart, Pleyel, Edelmann, Reichard und andern aufs erbärmlichste. Andere blökten die Arien dazu, und das Auditorium klatschte den lautesten Beyfall.

Dann und wann las auch ein Mitglied etwas von seinem Gemächsel vor, zum Beyspiel eine Idylle von der Grasmücke und dem Heimchen, oder einen Dialog über die Vorzüge des Stadtlebens vor dem Landleben. Am meisten kamen Gedichte zum Vorschein, alle im süßesten Geschmack, aber so Mannasüß und dabey so fade, daß man sie, ohne einzuschlummern oder übel zu werden, nicht anhören konnte.

Nachher ging die Theegesellschaft auseinander, und die Initiaten sezten sich zur Tafel.

Hier ging es freilich nicht so modest her, als beym Thee. Das machte aber der Wein und die Freiheit, die man sich überhaupt in Schilda bey Tisch zu nehmen gewohnt war. Zudem mußten ja die Tischgesellschafter schwer Geld bezahlen, und konnten also schon auf größere Nachsicht Anspruch machen. Daher wurde dann auch, wie Bürger sagt,

Von süßkandirten Zoten
Gar öfters was geboten.

Und keiner lachte mehr Beifall dazu, als Madam und Demoiselles Fünfkäs. Freilich waren diese Leckerbissen nicht so derb gepfeffert, als die, welche man in Herrn Simons Nomenclator fand: sie waren feiner, aber auch, weil sie ohne Witz waren, so erbärmlich fade, daß sogar eine Guvernante sie in Beyseyn der gnädigen Frau und Dero gnädigen Fräulein Töchter ganz füglich zur Unterhaltung hätte preisgeben können.

Allen Mitgliedern der polirenden Societät war aufgegeben, zu Hause auch zu beweisen, daß sie abgehobelte Leute wären: daher mußte jeder seine Stube mit niedlichen Bildchen aus Taschenkalendern, Werthers Leiden und dergleichen behängen, sie parfumiren, keinen Tabaksraucher darauf dulden, und alle Tage wenigstens dreimal auskehren und mit Sand bestreuen lassen, der dann in ganz artige Figuren gekräuselt seyn mußte.

Verstand gleich der Herr Socius keine einzige Note in der Musik, so gehörte es doch zum Ton, daß er ein Klavier hinstellte, oder eine Violine, auch wohl eine Flöte auf den Pult legte. Die Instrumente waren daher auch damals sehr theuer und selten zu Schilda. Mit dem Stubengeräthe verhielt es sich eben so. Da mußte ein Sopha, Polsterstühle, Schreibepult, Kommode, großer Spiegel, poliertes Büchergestelle und was der Art Putzerey mehr ist, in der besten Form paradiren.

Die Herren von der Societät waren auch, abgesehen von ihren Kleidern und ihren dünnen oder kurzen Rohrstöckchen, leicht am Gange zu erkennen. Sie hüpften auf den Straßen hin, wie Bologneser Hündchen, hatten die Augen stäts nach den Fenstern, vigilirten und glimmerten und drehten die Köpfe troz einem aus Kartenblättern geschnizten Hanswurst. Guckte hier und da ein Frauenzimmergesicht heraus, wäre es auch das Gesicht einer Aufwärterin oder gefälligen Schwester gewesen, fluchs flog der Hut vom Kopfe, und der Leichnam des süßen Herrn machte so neben nach der Seite eine halbschiefe Linie, deren abscissas et parametrum selbst Leonhard Euler schwerlich würde haben finden können.

Damals kamen die sogenannten Joujous auf, das heißt, jenes hölzerne, an einem Bindfaden auf- und ablaufende Rädchen, welches auf die verdienstvolle Beschreibung, die der rühmlichst- und Weltbekannte Affen-Präsident zu Weimar in dem Modenjournal davon gemacht hatte, noch vor wenig Jahren unsern müssigen Herren und Damen die Zeit verkürzen half. Das war nun ein gefundener Zeitvertreib für die Herren der Societät. Jeder schaffte sich ein Joujou an; und wo er ging oder stand, da ließ er es an der Schnur auf- und abfahren. Bald gefiel das Ding so sehr, daß durch ein Gesetz verordnet wurde, daß jeder ein Joujou tragen sollte.

Die Brüder von der Fidelität ärgerten sich, daß die Petimäter so viel Aufsehen machten, und sogar ein distinktives Zeichen, nämlich einen Joujou, führten. Sie wollten auch eins führen, und dieses sollte in einer allmächtigen über die Schulter nach Art der Roßkäufer hängenden Hetzpeitsche, und einem gewaltigen Dornknüttel bestehen. Beyher sollte das Haar zur Seite wild und lang herumfliegen, der Backenbart stark und gräßlich stehen bleiben, und der Zopf tiefgebunden, doch kurz und dick herabhängen. Auch sollte der Hut verkehrt oder der hintere Theil nach vorne getragen werden.

Nun konnte man beyde Partheien gut von einander unterscheiden. Da stand ein süßes Herrchen mit seidnen Strümpfen und gepudertem Kopfe, und spielte mit seinem Joujou: das war ein Societäter. Dort knallte einer mit der Hetzpeitsche, hatte den Hut auf'm Ohr, und stampfte mit seinen großen mit Eisen beschlagnen Stiefeln auf dem Pflaster herum, als wenn seine Beine Jungfern Jungfer heißt bey den Steinpflasterern die Stampfkeule, französisch la demoiselle. L. wären: das war ein Kränzianer.

Die Kränzianer und Societäter geriethen sehr oft an einander, und leztere zogen, wie natürlich, fast allemal den Kürzern. Aber ich habe bald den großen Krieg beyder Partheien anzuführen, und verspare daher die Erzählung ihrer Balgereyen bis auf jenes Kapitel.

Niemand befand sich bey der Uneinigkeit beyder Theile besser, als der Todtengräber und der Marktkehrer zu Schilda. Die Kränzianer, um die von der Societät lächerlich zu machen, kamen auf den Einfall, den Todtengräber als einen Societäter kleiden zu lassen. Der Kerl war es zufrieden: denn er hatte gerade einen neuen Rock nöthig, und konnte nun das Geld, welches er sonst dafür hätte geben müssen, in Branntewein versaufen. Die Kränzianer schossen also Geld zusammen, und zogen ihm einen Rock von couleur de puce, die damals sehr Mode war, eine gelbe Weste und schwarze Hosen an, und sezten ihm einen nach Societäterstuz geformten Hut, mit einer roth und grünen Kokarde auf. Der Rock war besonders modisch gemacht, mit lächerlich langer Taille, ellenweiten Schößen und ganz kleinen weißen Knöpfen.

Als der Kerl in diesem Anzuge das erste Mal ausging, verfolgten ihn alle Jungen, groß und klein, und schrieen ihm nach: ein Fünfkäser, ein Fünfkäser! Da erst erfuhren die Kränzianer, daß die süßen Herren von Gnoten und Philistern Fünfkäser genannt wurden, freuten sich außerordentlich, einen artigen Unnamen ihrer Gegner zu wissen, und nannten von nun an die Societäter nicht anders als Fünfkäser. Sogar ihr Gesezbuch wurde mit einem neuen Titel: »von Fünfkäsern« vermehrt.

Ganz Schilda sprach jezt von nichts, als von der Metamorphose des Todtengräbers, und bald kam es zu den Ohren der ganzen polirenden Societät. Die Leute ärgerten sich mächtig über den Schimpf, den man ihnen angethan hatte, und beschlossen, eklatante Satisfaktion zu nehmen. Aber welche? Das war eine andere Frage. Sich mit Leuten herumzuschlagen, welche mit Dornknütteln und Hetzpeitschen als mit ihren Unterscheidungszeichen, immer versehen waren, schien ihnen nicht rathsam und sicher. Also par pari referto, sagt Terentius im Verschnittenen. Es wurde daher einhellig beschlossen, den Marktkehrer als Kränzianer zu kleiden.

Dieser war ein eingemachter Schweinpelz, war tagtäglich besoffen, und trieb sich in allen Gassen und Rinnsteinen herum. Er wurde als Renommist gekleidet, bekam einen langen grauen Flausch, übergroße Steifstiefeln, und einen fürchterlichen Hut mit einer weißen Reuter-Kokarde. In der Hand trug er einen Knüttel, als wollte er Hunde todtschlagen; und über der Schulter hieng ihm eine große Fuhrmannspeitsche. So erschien er auf der Straße, und die Jungens rannten hinter ihm her und schrieen: Bierhengst, Bierhengst! Da denn wurden auch die Societäter inne, daß der Name ihrer Antagonisten Bierhengst sey, und hießen dieselben auch fernerhin nicht anders.

Anfänglich freuten sich die beiden Thorheits-Repräsentanten der Studenten, der Todtengräber und der Marktkehrer, bas über ihre Kleidung und lachten, in den Kneipen beym Schnappsglas, über die Dummheit ihrer Garderobisten: als sie aber von derjenigen Parthey, deren Uniform sie trugen, bald insultirt, und einige Mal mit Prügeln unsanft empfangen wurden, da zogen sie ihre modischen Kleider aus, verkauften sie, und ließen sich andere machen, die sich für ihren Stand besser schickten, als die Uniformen der Fünfkäser und Bierhengste.

Ich habe kaum nothwendig, zu erinnern, daß von beyden Partheien nichts weniger getrieben wurde, als die Wissenschaften. Sie hatten zu viel mit ihren Privatangelegenheiten zu thun, als daß sie an das ohnehin immer mehr außer Mode kommende Studieren hätten denken können. Die Kollegien überließen sie den armen Teufeln, welche nicht Geld genug hatten, der Fidelität oder der Politur nachzurennen. Diese armen Teufel erhielten gar den Namen Pflastertreter, weil sie immer nach ihren Lektionen liefen, obgleich anderswo der Name Pflastertreter einen Petimäter bedeutet.

Doch lasen beyde Theile in müssigen Stunden Bücher, nämlich Romane und Komödien, wovon damals die Lesebibliotheken in Schilda voll waren. In einer einzigen fand man zwar auch viele wissenschaftliche Werke, aber diese blieben ungelesen, oder wenn ja dann und wann ein Herr ein Buch von der Art holte, so geschah es, um es beym Antiquar zu verkeilen, und die davon gelößten paar Groschen zu Eau de Lavende, zu Chocolade, zu Zucker, oder zu Tabak, Bier und Schnapps oder zu andern Bedürfnissen anzuwenden.

Die Lesebibliotheken in Schilda hatten überhaupt eben das Schicksal, was die Lesebibliotheken in den meisten Städten haben. An ihrer Spitze standen Leute, von denen nichts weniger Wahrheit war, als daß jeder Kaufmann seine Waare kennen müsse. Es fehlte ihnen an litterärischer Einsicht ganz und gar, und waren folglich außer Stande, das Bücherwesen gehörig zu beurtheilen und für ihr Publikum das auszuwählen, was ihren Kenntnissen und ihrem Geschmacke hätte Ehre bringen können, wie ihren Lesern Nutzen und Vergnügen. Sie wählten daher qui pro quo, und ihre Anstalten glichen, wie D. Jenisch sagt, einer Krippe mit Heu und Stroh für – Ochsen und Esel. Indeß für Schilda war dieß schon recht. Warum waren die Schildaer selbst so geschmacklos, mit qui pro quo für lieb zu nehmen! Sie hatten nicht einmal die Klugheit, ihren Seelen-Proviant da zu holen, wo sie hätten versichert seyn können, daß der Proviantmeister seine Waare kannte, und eine Ehre darin suchte, als Sachverständiger die beßte zu führen. Krippenthiere machen es aber einmal so, es sey in Schilda oder anderwärts.


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