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Sechszehntes Kapitel.
Eine Gesellschaft anderer Art


Der Student Marefitz, welchen wir schon kennen, ärgerte sich bas über die polirende Societät, und über den superfeinen Ton, welcher dadurch eingeführt wurde, und beschloß dem Uebel, oder, wie er es nannte, der theekesselischen Petimäterey entgegen zu arbeiten, es koste auch was es wolle. Um sie zu stürzen, beschloß er, seinen Mitburschen den nahen Untergang des ganzen Burschenkomments recht ans Herz zu legen, und gemeinschaftlich mit den bravsten unter ihnen dem Verderben entgegen zu streben.

Zu dem Ende versammelte er ohngefähr Hundert der Derbsten in einem Garten, bey Bier und Schnapps, und hielt, nachdem er sich ein geneigtes Gehör ausgebeten hatte, folgende Anrede:

Meine Herren und Brüder,

Ich bin überzeugt, daß jeder von Euch mit mir einig ist, daß Ausübung der akademischen Freyheit zur Erhaltung derselben unumgänglich nothwendig sey: denn was ist ein Privilegium, das man nicht benuzt? was ist ein Vorzug, dessen man sich nicht bedient? Unsere braven Vorfahren, ich meyne die Studenten der vorigen Zeit, sahen dieses sehr richtig ein, und übten, als erzhonorige Burschen, troz aller Strafen, troz Carcer, Consilium und Relegation ihre Rechte; und kein Prorektor, keine Commission ist bisher im Stande gewesen, das zu unterdrücken und abzubringen, was der Edelmuth unserer Vorfahren verfocht. Schilda hat bisher mit allen deutschen Universitäten gewetteifert; Schilda war im Punkt des ächten Kommangs so celeber, so berühmt, als irgend eine Akademie des Vaterlands. Wo hat man sonst sich mehr geschlagen, als in Schilda? Wo hat man mehr kommersirt, wo mehr gesoffen, als in Schilda, und wo ist mehr Jux getrieben worden, als wieder in Schilda? –

Aber leider – meine Herren und Freunde, was Macht, Gewalt und Strafen nicht auszurichten vermogten, das richtet jetzt Petimäterey aus; wenigstens bestrebt sich die hier zum Schaden des ächten Kommangs errichtete sogenannte polirende Societät, den alten graden Burschenton ganz zu verdrängen. Da werden lauter süße Herren gebildet; da lernt der Student Thee und Wasser trinken, statt Bier und Schnapps; da verlernt er unsre edle Sprache, und schnattert Floskeln aus Komödien und Romanen. O tempora, o mores! Ich habe es Euch gesagt, meine Herren und Brüder: wenn wir nicht selbst Hand ans Werk legen, wenn wir nicht selbst gegen das Uebel arbeiten: so geht unser akademischer Kommang zu Grunde. Dixi et salvavi animam meam!

Als Marefitz ausgeredet hatte, entstand ein großes Geräusch in der ganzen Versammlung: jeder gab Vorschläge, und die meisten stimmten dahin: daß man einen Hunzfott drauf setzen wollte, wer die polirende Societät in Zukunft besuchen würde. Andere wollten, daß man das nächste Mal, wenn jene Gesellschaft zusammen käme, des Abends hingehen, und alle Fenster in dem Hause des Professors Fünfkäs einwerfen sollte.

Eure Anschläge sind gut gemeint, sagte Marefitz, aber auch weiter nichts. Ihr wollt einen Hunzfott drauf setzen: bene! aber glaubt Ihr denn, daß die süßen Mucker sich um so einen Trumpf kümmern werden? Ihr kennt die Petimäter schlecht, wenn Ihr denkt, daß so was bey ihnen anschlage. Sie machens, wie alle Esel, denen man immerhin sagen kann, daß sie Esel sind. Sie sprechen: Wir verachten großmüthig das Schimpfen der Lästerer, und sie rennen ihren Gang fort. Und wenn wir auch dem Professor Fünfkäs die Fenster alle einwerfen, so haben wir nichts weiter davon, als daß wir sie wieder machen lassen und ins Carcer kriechen müssen. Das ist also alles nichts! Wollen wir aber etwas thun, das gewiß fruchten wird, so lasset uns eine Gesellschaft stiften, deren Zweck die Aufrechthaltung der akademischen Freyheit ist, und die einen ganz andern Zweck hat, als die beym Fünfkäs. Solch eine Gesellschaft ächter Verbündeter, eine Societas nobilium fratrum wird die Einflüsse vereiteln, die jene Aftersocietät haben könnte; wird den Kommang aufrecht erhalten, und wird ein Pflanzschule seyn, woraus in Zukunft noch mancher ächter Bursche entstehen wird. Wollt Ihr hiezu Eure Hand biethen?

Wir wollen herzlich gern, schrieen alle einhellig: ein Hunzfott, der nicht will! Mache Du nur Vorschläge, Bruder Marefitz: richte Du alles ein, und verlasse Dich auf uns!

Marefitz bath, daß sechs Deputirte aus sechs verschiednen Landsmannschaften mit ihm zugleich den Plan zur neuen Gesellschaft überlegen und einrichten sollten; und diese sechs fanden sich bald, indem man nur solche wählte, welche den Ruf hatten, daß sie den Komment vollkommen verständen.

Gleich den andern Tag wurde von diesem Committee ein kurzes provisorisches Regulativ entworfen, und Subscription gesammelt für das Kränzchen der Fidelität: denn diesen Namen sollte die neue Gesellschaft führen: und in weniger als drey Tagen zählte man schon mehr als sechszig würdige Mitglieder.

Ich finde es überflüssig, alle Gesetze aus dem Codex dieser fidelen Gesellschaft hier anzuführen: denn meine Leser würden bey den unendlichen Lappereien gewiß mehr gähnen als lachen. Doch um sie in den Stand zu setzen, über das Betragen dieser Herren selbst zu entscheiden, muß ich schon einige Hauptvorschriften anführen, um so eher, da ich versichern kann, daß die Gesetze dieser Gesellschaft sehr ordentlich befolgt wurden.

Das Gesetzbuch, woran Herr Marefitz und seine sechs Gehülfen über vier Wochen nach Errichtung des Kränzchens schwizten und schanzten, enthielt sechs und vierzig Titel, und führte folgende Aufschrift: Codex constitutionis Coronae Fidelitatis, das ist: Allgemeines Gesetzbuch für die löbliche Gesellschaft oder das preiswürdige Kränzchen der Fidelität, verfasset und approbirt von den ersten Mitgliedern der Gesellschaft, unter dem Seniorate des lieben Bruders C. L. Marefitz.

Die vornehmsten Titel hatten folgende Ueberschriften: Von den allgemeinen Pflichten der Mitglieder: von Philistern und Gnoten: Handwerksburschen. von Schlägereien: von der Burschensprache: von Liebschaften: von Kommersen: von extraordinären Saufgelagen: von Schulden und vom Bezahlen u. s. w.

Man denkt leicht, daß sehr merkwürdige Vorschriften unter diesen Titeln vorkommen mußten. Hier sind einige zur Probe!

»Kein Mitglied soll mehr, als einen Rock haben: denn es steht einem fidelen Bruder schlecht an, sich zu putzen wie eine Puppe.«

»Jeder soll sich einen plumpen derben Schritt auf der Straße angewöhnen, weil es für einen Burschen schimpflich ist, einherzutreten, wie etwan ein Tanzmeister.«

»Keiner soll auf der Gasse den Hut abziehen, es sey vor wem es wolle; doch soll jeder die Vorbeygehenden dreist anglotzen, vorzüglich das Frauenzimmer.«

»Noch weniger soll jemand irgend einem Philister, Professor, Gnoten oder Frauenzimmer ausweichen: man soll vielmehr diejenigen, so nicht weichen wollen, mit dem Ellenbogen so schuppsen, daß sie wegfahren, wer weiß wie weit.«

»Lieder mögen sie auf den Gassen singen, aber keine andern, als approbirte Burschenlieder, welche nächstens in einer Sammlung erscheinen werden.«

»Kommen sie in eine Gesellschaft, worin Nichtstudenten sind: so sollen sie ihre Superiorität durch ein imposantes Betragen zu behaupten suchen.«

»Sie sollen eine eigne Sprache reden, eine derbe Burschensprache, wovon nächstens ein Lexikon herauskommen soll.«

»Gegen Philister und Gnoten soll ewige Feindschaft seyn.«

»Nur dann ist es erlaubt, einem Philister oder Gnoten zu schmeicheln, wenn man ihn prellen will.«

»Liebschaften werden keine andere geduldet, als mit niedrigen Frauenzimmern, Aufwärtermädchen, Wäscherinnen, Obstmädchen und solchen.«

»Wer eine vornehme Liebschaft anzettelt, soll sie geheim halten: denn kömmt es heraus: so wird er geschaßt.«

»Schießen oder Promoviren soll keine Schande seyn.«

»Eben so wenig soll es Schande seyn, Philister zu prellen und Professores zu schwänzen.«

»Schlägereien ohne Noth anfangen, sie aber auch richtig ausführen, soll eine große Ehre seyn.«

»Wer sich sechsmal geschlagen hat, soll von allen Kränzlichen Abgaben frey seyn.«

»Arme sollen nicht aufgenommen werden, es sey denn, daß sie durch Muth und strenge Befolgung der Gesetze der Gesellschaft Ehre machen.«

»Wer sich nicht selbst schlagen will, soll einen andern für sich einstellen, ihn bezahlen, und noch extra vier Thaler in die Kasse abgeben.«

»Wer beleidigt wird, muß, ehe er sich schlägt, erst seinen Gegner mit der Hetzpeitsche begrüßen, um sich in Avantage zu setzen.« –

Von diesem Schlage waren alle Gesetze und Verordnungen des löblichen Kränzchens der Fidelität, von welchen ich hier noch mehrere anführen könnte, wenn ich nicht befürchten müßte, die Geduld der Leser zu ermüden. Indessen darf man mir aufs Wort glauben, daß viele von den eben angeführten Vorschriften, auch außer Schilda, auf Universitäten in gewissen Gesellschaften, die man Orden nennet, Mode gewesen sind. So z. B. war das Gesetz von der Befreyung der Abgaben nach sechs Duellen ein Gesetz der Herren Amicisten. Wer also ein Raufbold war, durfte sich nur sechs Mal in Händel mischen, und hernach auf Regimentsunkosten fressen und saufen.


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