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Der Vater Seiner Magnificenz, des Herrn Prorektors, war ein ehrsamer Schulmeister auf einem Dorfe wohl zwanzig Meilen von Schilda. Er hatte seinen einzigen Sohn studiren lassen, und alles an ihn gewendet, was er nur, wie man sagt, hatte auf und los bringen können. Der Sohn war auch gut eingeschlagen, das heißt, er hatte sich bey einem Professor Juris in Schilda eingeschmeichelt, war dessen Famulus, oder wie man in Halle sehr possierlich sagt, Fiskal Vielleicht hat man das Wort Fiskal statt Famulus erfunden; ut verbum tristitiam rei mitigaret, wie Cicero von hostis und inimicus anmerkt. geworden, war fleißig den Abiturienten nachgelaufen, um die rückständigen Kollegiengelder einzukassiren, hatte endlich pro gradu Doctoris in utroque jure disputirt. Darauf heirathete er seines Gönners Tochter, las dessen Hefte über Hellfelds Pandekten ab, amüsirte seine Zuhörer mit Zoten und Wachtstubenmäßigen Unflätereyen, und ward am Ende durch den Vorspruch eines Kammerdieners Professor Juris und Beysitzer der Juristen-Fakultät zu Schilda.
Herr Stax – so hieß der Ehrenmann – mit dem Titel eines Professoris ordinarii, vergaß nun seinen Vater Schulmeister völlig, dessen er ohnehin vorher nur gedacht hatte, wenn er Geld brauchte, und bewies dadurch: daß Leute niedrigen Standes meistentheils unrecht thun, wenn sie ihren Söhnen Gelegenheit geben, sich höher zu schwingen. Die Bengel werden gewöhnlich nur stolz, und vergessen ihre niedrigen armen Eltern. Doch giebt der Autor diese Anmerkung nicht für allgemeine Regel aus: er selbst kennt große, ehrwürdige Gelehrte, welche diese erste aller Pflichten, die Ehrfurcht gegen ihre Eltern, so erfüllen, daß man sie im alten Rom und im alten Lacedämon gewiß belobt hätte.
Der alte Schulmeister erfuhr aus Briefen, nicht von seinem Sohne, sondern von Andern: dieser sey ein angesehner Mann geworden, und freute sich fürbaß darüber. Das Stillschweigen ihres Sohnes konnte das alte Schulmütterchen nicht begreifen, aber der Herr Schulmeister sagte immer: Närrchen, das verstehst du nicht! Die Gelehrten haben alle Hände voll zu thun: die müssen Kollegien lesen, müssen Bücher schreiben, und finden nicht einen Augenblick Zeit, einen Brief an ihre Verwandten zu schreiben.
Der gute Schulmeister kannte die Herren Gelehrten, zumal die Besoldeten, zu wenig, als daß er hätte wissen sollen, daß diesen Herren Zeit genug übrig bleibt, L'Hombre zu spielen, Bälle zu besuchen und in Klatsch- und Trinkgelagen ganze Abende hinzubringen.
Endlich hörten die alten Eltern des Herrn Stax, daß ihr Sohn etwas recht Großes, gar Prorektor geworden sey, und Frau Anna Orschel drang heftig in ihren Mann, nach Schilda zu reisen, um zu sehen, was der Herr Sohn Gutes machte.
Ja, sagte Bakelar Stax, das will ich auch thun, Mütterchen: meinen Herrn Sohn will ich besuchen, und dann mag Gott über mich gebieten, wenn es ihm beliebt.
Er zog also seine schwarze lederne Hosen und seine schwarze Kamaschen mit den glänzenden Glasknöpfen von gleicher Farbe an, warf sich in seinen braunen Rock, sezte seine schwarze Atzel und seinen großen dreyeckigen Hut auf, nahm seinen Wander-Stab zur Hand, und begann die Reise unter dem Schutz des Allmächtigen. In allen Kneipen unterwegs erzählte er den Bauern, daß er hinreise, seinen Sohn, den Herrn Prorektor in Schilda heimzusuchen, und erklärte, wie das ein gewaltig großer Herr sey. Die Bauern fügten jedesmal die Anmerkung hinzu, daß so ein Vater ein glücklicher Mann seyn müsse: was denn der Alte bestätigte mit einem: das sollt' ich meynen!
Endlich kam der Herr Schulmeister in Schilda an, und erkundigte sich nach dem Hause seines Sohnes, des Herrn Prorektors. Man zeigte es ihm.
Furchtsam trat er in das Haus seiner Magnificenz, und erkundigte sich bey dem im Vorsaal stehenden Pedell: Ob der Herr zu sprechen wären.
Wer ist Er? schnurrte ihn der Pedell an.
Hochzugebietender Herr, entgegnete der Schulmeister, ich bin der Schuldiener Stax von Dambach, und habe die Ehre, des Herrn Magnificenz Herr Vater zu seyn.
Ah, so, so! Nun, will Ihn melden.
Der Pedell trat ins Zimmer: Ew. Magnificenz, sagte er, es ist ein Fremder draußen, der Sie gern sprechen mögte.
Prorektor: Wer ist's?
Pedell: Er sagt, er sey der Schulmeister von Dambach, Ew. Magnificenz Vater.
Prorektor: Wer weiß auch, ob das wahr ist! Ihm sey aber, wie ihm wolle, ich kann den Mann nicht sprechen. Ich habe zu thun. Hier, ( er greift in den Pult, und giebt dem Pedell Geld) geben Sie ihm das, und sagen Sie ihm, er solle nur in Gottes Namen wieder abreisen.
Der Pedell kam heraus, und richtete den Auftrag des Prorektors noch zehnmal impertinenter aus, als er war gegeben worden, so recht nach Pedellen-Mode.
Der alte Stax stand da und zitterte vor Schreck und Bosheit. Lange konnte er kein Wort herausbringen. Als ihm aber der Pedell das Geld hinreichte, welches ihm sein Sohn wollte geben lassen, fand er die Sprache, und mit jener Energie, womit er sonst seine Schüler herzunehmen gewohnt war, sagte er:
Geh er nur hin, Herr, und sag' er meinem Büffel von Sohn, ich brauchte sein Geld nicht, wollte ihn aber auch nicht mehr sehen, in meinem Leben nicht mehr. Wenn er, mein Schlingel, so ein Röckel ist, daß er seinen alten, betagten Vater, der den Buben groß gezogen hat, nicht mehr kennen will: so mag auch ich nichts mehr mit ihm zu thun haben. Das sag' er ihm nur, Herr, und damit Adjöh!
Der Pedell berichtete alles, was der Schulmeister gesagt hatte, dem Prorektor haarklein; und dieser wollte eben die Häscher aufbieten lassen, um den Alten ins Carcer zu werfen, als die Frau Magnificenzin, welche im Nebenzimmer alles gehört hatte, hereinstürzte und mit gebieterischer Stimme rief: Mann, ei Mann, bist du denn ganz und gar verrückt? Willst dich wohl vor der ganzen Welt blamiren! Soll's denn recht in der Leute Mäuler herumkommen, daß du von geringer Herkunft bist? Wie würde die Frau Inspektorin Tiefenthal, die Strumpffabrikantin Oberoh, und vorzüglich die langbeinige Kammerräthin Hosius sich über mich erheben, wenn sie wüßten, daß mein Schwiegervater ein armer Dorfschulmeister ist! Es wird mir grün und gelb, wenn ich nur dran denke! Laß immer den Alten gehen, wo er hergekommen ist. Hast du's gehört, Mann?«
Der Herr Prorektor hatte nichts gegen die Vorstellungen seiner Frau einzuwenden, und bestellte die Häscher nicht, um seinen Vater aufs Carcer einzusperren.