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Zu Schilda gings, wie in ganz Deutschland, daß nämlich jeder Mediciner, Philosoph oder Jurist, der die Erlaubniß zum Prakticiren oder Dociren erhalten wollte, disputiren mußte. Man weiß recht gut, daß diese Mode noch ein Ueberbleibsel jener Zeiten ist, wo man glaubte, es sey etwas recht Großes, seine Behauptungen in lateinischer Sprache öffentlich zu verfechten, und wo man noch stolz und kurzsichtig genug war, anzunehmen: durchs Disputiren könne wohl gar eine Wahrheit gefunden oder bestätiget werden. Zu unserer Zeit weiß man das freilich besser, lernt darum auch blutwenig Latein, und achtet es der Mühe nicht einmal werth, eine Disputation selbst zu elukubriren, oder einer von den gewöhnlichen nur zuzuhören, es sey denn, um den Unsinn noch höhnischer zu verachten oder zu bespotten. Und doch hält man die Disputationen noch immer hübsch bey, nicht, weil sie Nutzen stiften – denn wie könnten das Wische, die von Barbarismen strotzen und gewöhnlich aus neun und neunzig Büchern zusammengeschmiert werden! – sondern weil sie dem Beutel der Fakultäts-Herren frommen, und auch noch nebenbey manches abwerfen, nach dem Grundsatz von Leben und Lebenlassen. Und nur von daher kann man es erklären, warum die Herren oft die schofelsten Wichte zu Doktoren und Magistern kreiren. Sie wollen ihrem Privatinteresse nichts vergeben; und das würden sie doch müssen, wenn sie ihre Pflicht gegen das gemeine Beßte beobachten, und nur gelehrte, würdige Männer promoviren wollten.
Freilich liegt im Grunde wenig daran, ob der Titel: Doktor, Magister, einem Ochsen oder einem Esel gegeben wird: es ist akademischer Schnickschnack und weiter nichts, den ein kluger, selbstständiger Mann so wenig sucht, als jeden andern Titel. Doch wozu das Moralisiren über eine Sache, die, so lange Universitäten existiren werden, nicht eher abkommen wird – bis sie kein Geld mehr einbringt. Denn das Geldgeben läßt man nirgends ungerner eingehen, als auf Universitäten.
In Schilda waren die Studenten Sünder, wie meist aller Orten, das heißt, sie verstanden blutwenig Latein, und befanden sich allemal in großer Verlegenheit, wenn die Zeit heran kam, daß dieser oder jener disputiren sollte. Da gab es aber einige dienstbare Geister, welche aus der Noth halfen, und den traurigen Sudel irgend eines, der Doktor oder Magister werden wollte, aus dem Deutschen ins Lateinische so übersezten, daß es konnte gelesen werden. Zwar waren die Herren oft selbst in Schnitzer gefallen, und mußten hernach sich auf den Pontius und den Pilatus berufen, wenn ein Anderer sie deshalb koramirte. So was aber geschieht auf andern Universitäten auch!
Der vierte Professor der Medicin, und der sechste in der philosophischen Fakultät gingen einst spaziren, und klagten einander ihre Noth, wie daß sie zu wenig Besoldung hätten, und daß auch mit dem Kollegienlesen wenig oder nichts zu verdienen sey.
Ja, sagte der Doktor Pillendrechsler, ich habe mir alle Mühe gegeben, Zuhörer zu bekommen: ich habe lauter neue Theorien, zum Beyspiel, die Theorie, alle Krankheiten durch Windtreibende Mittel, welche ich methodum pedatoriam oder crepitatoriam nenne, zu heilen: und troz diesen trefflichen neuen Geheimnissen sind meine subsellia dennoch immer leer.
Gerade so geht mirs auch, Herr Collega, erwiderte Herr Calamister: ich habe die herrlichsten neuen Wahrheiten entdeckt; ich lehre die Logik nach den Grundsätzen der alten Aegypter; in der Metaphysik folge ich den Persischen Magiern und in der Moral dem Confucius: und doch sind und bleiben meine subsellia leer, wie die Ihrigen.
Ich wüßte wohl, fuhr D. Pillendrechsler fort, wie uns könnte geholfen werden.
Ja, das wüßte ich auch, wenn uns der Fürst nur Zulage geben wollte. Ich hatte schon im Sinn, deswegen ad Serenissimum mich zu wenden.
Thun Sie das nicht, Herr Collega! es ist verboten worden, um Zulage anzuhalten.
Was Sie sagen, Herr Collega!
Ja, ja: hier mögen Sie es lesen.
Der Doktor und Professor Pillendrechsler zog ein Schreiben aus der Tasche, und las seinem Collegen, dem Herrn Calamister, folgendes vor:
An die Hochfürstliche Universität zu Schilda:
Wir von Gottes Gnaden u. s. w.
Es ist uns recht verdrüßlich gewesen, zu vernehmen, daß einige Professores zu Schilda unverschämt genug gewesen sind, Uns um Zulage zu ihrer Besoldung anzusprechen, gerade, als wenn Wir Geld genug hätten, um es den Pedanten zu Schilda ins Maul zu stecken. Wir haben wichtigere und nothwendigere Ausgaben: für die Aufrechterhaltung der reinen Lehre, für das Einzäunen des Fasanengehegs, für die Mitunterhaltung der armen französischen Prinzen, Grafen und Edelleute, für unsere Stuterey im Großen und Kleinen, für unsern Geisterbanner, für die Parforcejagd und für unsre Soldaten. Wir befehlen also, daß in Zukunft kein Professor in Schilda mehr um Zulage ansuchen soll, bey Vermeidung des Verlustes seines Amtes: Wornach sich jeder zu richten hat. Gegeben Colchis u. s. w.
Friedrich Carl, Mp.
Ei, ei, das ist schlimm, versezte Herr Calamister: ich hatte diese Hoffnung nur noch, und auch die ist jezt dahin!
Hören Sie, Herr Collega, ich will Ihnen etwas rathen! Sie stehen gut beym Kanzler: gehn Sie zu ihm, und halten Sie für uns beyde um das Monopol aller Dissertationen an. Die medicinischen, die doch die mehrsten sind, schriebe alsdann ich, und Sie die übrigen: und dadurch wäre uns beyden geholfen. Wollen Sie, so überlasse ich Ihnen auch noch die Anfertigungen aller Vorreden, Anreden und anderer lateinischen Komplimente, so wie sie beym Disputiren üblich sind.
Herr Calamister fand das Projekt unvergleichlich, und hinterbrachte es sofort seiner Excellenz, dem Herrn Kanzler, welcher entzückt war, eine Gelegenheit zu haben, zwey brave Männer zu protegiren und ihnen ihren Sold vergrößern zu helfen, ohne das Geld seines Fürsten, oder sein eignes in Kontribution sezen zu müssen.
Die Sache wurde vom Sekretär aufgesezt und nach Colchis an den Hof geschickt; und nach Verlauf von einigen Wochen erhielten die Herren zu Schilda den Befehl: daß forthin keiner, der Doktor oder Magister werden wollte, seine Dissertation bey jemandem anders sollte machen lassen, als bey den erwähnten Supplikanten, welchen denn auch erlaubt wurde, über ihrer Hausthüre ein Schild zu führen, mit der Aufschrift: Akademische Dissertationsfabrik. Um Unterschleife zu verhüten, durfte auch keine Disputation gedruckt werden, worauf einer von den beyden Herren sein vidi nicht geschrieben hatte: denn ob man gleich freygelassen hatte, daß die jungen Leute ihr Werkchen selbst schreiben konnten: so wurde doch den beyden Herren noch eine Gebühr fürs vidi ausgesezt. Aber sie verdienten mit ihrem vidi oft ganze Jahre lang keinen Heller, weil kein Student selbst was schrieb.
Professor Calamister verfertigte also von da an alle Reden für die Disputanten, schrieb die lateinischen Briefe, welche die Opponenten und andre Gratulanten hinten an die Dissertationen des viri clarissimi, doctissimi sibique amicissimi andrucken liessen, und übersezte die Argumente utriusque partis gegen einander, welche die Disputirenden vom Papier ablasen: und so war für beyde Herren gesorgt! Professor und Doctor Pillendrechsler verdiente indeß das meiste, weil er sich allemal für eine Disputation nach dem gewöhnlichen Leisten – eine nach einem besondern kam weit höher – vier bis sechs Schild-Luidor, woran auch kein Quäntchen fehlen durfte, bezahlen ließ; und da er Jahr aus Jahr ein wenigstens an die dreyßig Stück für Mediciner zu fabriciren hatte: so war das Sümmchen seines Verdienstes recht hübsch.
Um nun bey diesem Verdienste sich an Arbeit nicht zu übernehmen, hatten beyde Herren eine ganze Menge ihres Gemaches vorräthig, nebst einem Verzeichniß, welches sie jedem zur beliebigen Auswahl mittheilten, sich bezahlen ließen, und dann frischweg halfen, daß auch ein Herr ohne Kopf und Herz das Privilegium erfechten konnte, die liebe blinde Welt mit einem Titel zu täuschen, oder den Gottesacker mit Leichen reichlich zu düngen.