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Siebzehntes Kapitel.
Weitere Geschichte des Kränzchens


Nun war die Burschenschaft zu Schilda in zwey große Haufen getheilt, wovon einer der Politur, der andre aber der Fidelität nachjagte, und zwar so unsinnig nachjagte, daß man sehen konnte, wie recht Horatius redet, wenn er sagt: Stulti, dum vitant vitia, in contraria currunt.

Der eine Theil sah ein, daß es eine große Einfalt sey, den Petimäter zu spielen, verfiel aber auf das entgegengesetzte Extrem, und fing ein Sauleben an, welches nicht einmal Soldaten und Häschern, geschweige litterärischen Studenten ansteht. Die Herren von der polirenden Societät verachteten mit Recht den rüden, wüsten Ton ihrer Comilitonen, machten es aber noch abgeschmackter, da sie sich parfümirten, modisch kleideten, den Mädchen und Weibern die dürren Pfoten beleckten, und selbst dadurch ein Ansehen gewannen, wie es abgelebte Hagestolze zu haben pflegen.

Kaum war das Kränzchen der Fidelität zu seiner vollen Existenz gekommen, so nahmen auch die Herren von der Universität Notiz davon, besonders Herr Fünfkäs, als Direktor der polirenden Societät. Er erfuhr bald, daß das neue Komplott sich blos vereiniget habe, um seinem Institut Abbruch zu thun, und befürchtete nicht ohne Grund, daß seine Absicht, auf Unkosten der Studenten zu Nacht zu essen, u. s. w. in Zukunft vereitelt werden mögte: denn wegen der zur Unterhaltung der Gesellschaft ausgesezten Zulage durfte ihm nicht bange seyn. Man gab zwar in Colchis nicht gern Zulage, was aber einmal einer hatte, das behielt er, er mogte es übrigens verdienen, oder nicht. Die Herren Collegen waren selbst zu klug, als daß sie den Fürsten auf jemanden hätten merken machen sollen, der sein Brodt mit Sünden aß: sie riskirten zu viel dabey meist alle.

Herr Fünfkäs entschloß sich also, der neuen Gesellschaft entgegen zu arbeiten, und zwar bey dem nächsten Consilium. Aber die übrigen Professoren hatten schon lange zu den Vortheilen scheel gesehen, welche Fünfkäs von der polirenden Societät zog; und als er daher mit einer Vorstellung gegen dieselbe einkam, fiel Professor Schnutenius ein, schlug auf den Tisch, und sagte:

»Was dem einen recht ist, ist dem andern billig: Tros Rutulusve fuat, nullo discrimine habetor! Wenn ein Theil der Studiosen ein jus hat, secedendi a turba, und sich in societatem clausam zu congregiren, so muß dieses dem andern Theil auch permittirt und gestattet werden. Bey dem Herrn Collega versammelt sich auch eine societas clausa im Hause, ich will sagen, daß die polirende Societät sub directorio des Herrn Collegae eine geschlossene Gesellschaft ausmacht, und diese darf sich doch nicht mehr Recht vindiciren, als die übrigen Studiosi, welchen es auch frey stehen muß, sich in quam vis formam und sub quavis forma zu uniren und zu versammeln, dummodo respublica nil detrimenti capiat.«

Diese Rede des Herrn Schnutenius hatte ihre gute Wirkung auf alle andere Herren, sogar auf den Prorektor und auf den Kanzler.

Na, fing dieser an, Herr Professor Fünfkäs, was haben Sie gegen diese Gründe einzuwenden?

Sehr viel, erwiderte der: erstlich ist die polirende Societät von seiner Durchlaucht approbirt; das Kränzchen der Fidelität aber nicht; darf folglich auch nicht geduldet werden.

Schnutenius: Vego consequentiam, Herr Collega, daß das, was nicht approbirt ist von Seiner Durchlaucht, auch nicht dürfte geduldet werden. Quae, qualis, quanta! Die Bordelle sind auch nicht approbirt, und doch duldet man sie; und mancher Herr beehrt sie sogar mit seiner Präsenz! Bitte nichts übel zu nehmen! Ergo apage hoc tuum primum argumentum!

Fünfkäs: Fürs andere ist die neue Verbindung der Universität schädlich.

Schnutenius: Praevideo, quae dicturus fis. Aber wir wollen erst warten, was kommt. Wer weiß, wer die Universität mehr blamiren wird, die Politur oder die Fidelität. Man merkts ja schon, daß Empfindeley, Liebschaften, Luxus, Schuldenhäufen, Roman-Lectüre, Schauspielsucht, fades Wesen, nebst Abscheu vor anhaltendem ernsthaften Studium, und Balsucht seit kurzem sehr eingerissen ist, ohne daß man das alles der Fidelität zuschreiben kann. Doch, ich wiederhole es: Man muß warten!

Kanzler: Na, wir wollen warten! Aber alles muß seine Ordnung haben; also soll auch dem Kränzchen der Fidelität anbefohlen werden, sich einen Vorsteher oder Praesenz (Präses) aus den Professoren zu wählen, der sie direktirt, damit alles ehrbar und honett zugehe.

Die Herren machten alle große Augen über den lezten Vorschlag des Kanzlers, und versicherten einmüthig, daß keiner von ihnen das Präsidium über das Kränzchen der Fidelität führen wolle. Na, na, sagte der Kanzler, das ist meine Sorge! Und damit hatte die Session ein Ende.

Die Kränzianer von der Fidelität hatten gehört, daß man von ihrem Institut auf dem Concilium reden und darüber debattiren würde. Um nun nicht durchzufallen oder aufgehoben zu werden, beschlossen sie, sich einen Patron an dem Herrn Sekretär Schneller zu wählen; und dieses sollte durch ein hübsches Präsent bewirkt werden. Sie wußten, daß Herr Schneller den Rauchtabak über alles liebte und, sobald es anging, von früh an bis in die Nacht qualmte. Nun hatte ein gewisser Jude einen meerschaumnen, schön mit Silber beschlagnen Pfeifenkopf, den Großvater aller Pfeifenköpfe in ganz Schilda, der beynahe ein Viertelpfund Knaster faßte, und über eine Stunde vorhielt. Dieser allmächtige Pfeifenkopf wurde gekauft, mit einem gewaltig-dicken langen Rohre und einer schweren silbernen Kette versehen, und dem Senior Marefitz übergeben, daß er ihn, nebst einer prächtigen Repetier-Uhr, dem Herrn Universitäts-Sekretär überbringen mußte.

Der Sekretär empfing den Senior sehr freundlich, noch freundlicher das Geschenk, und erklärte, daß er der Schutzengel des Kränzchens der Fidelität seyn wolle: er selbst habe an der Fidelität seine Freude, sey ehedem auch ein honoriger Bursche gewesen, und werde immer ein Freund solcher Herren seyn, welche als Studenten, und nicht als Petimäter sich zeigten. Nur, sagte er zu Marefitz, müssen Sie zusehen, daß Sie einen Professor zum Vorsteher bekommen, ich meyne nur so zum Popanz: denn der muß durchaus nicht wissen, was Sie treiben; aber der Kanzler will einmal, daß ein Professor ihre Gesellschaft, wie er sagt, rektiren soll. Sehen Sie also zu, daß einer der Professoren das Oberdirektorium über Sie annehme, und machen Sie übrigens Ihre Sache klug: dann wird kein Henker Ihre Verbindung stören können.

Marefitz wußte recht gut, daß von den Ordinarien zu Schilda keiner das Präsidium ihres Kränzchens übernehmen würde, aber er fand bald anderwärts Rath.

Zu Schilda lebte ein gewisser Simon, beyder Rechte Doktor und Professor extraordinarius bey der Juristen-Fakultät. Dieser Mann war strohdumm und blutarm, so daß er größtentheils von der Freygebigkeit der Studenten und vom Hefteschreiben leben mußte. Wer aber von der Freygebigkeit der Studenten lebt, der muß sich auch alles von ihnen gefallen lassen; und deswegen war Meister Simon auch der Gegenstand aller nur möglichen Neckereien und das wahre Hänschen der Studenten. Oft nahmen sie ihn mit zu ihren Gelagen, ließen ihn sogar bey Kommersen präsidiren, machten ihn zum Papste Papst machen heißt auf Universitäten einen Studenten mit einem Bettuche überhängen, und auf einen Tisch mit einem Stuhl setzen. Wenn dieses geschehen ist, so treten die übrigen, die an der Ceremonie Theil nehmen, um ihn herum, qualmen ihm unter dem Bettuche mit Gewalt den Tabaksdampf unter die Nase, und thun lateinische Fragen an ihn, welche er vorschriftsmäßig lateinisch beantworten muß. Der Fragen sind zwölfe, und bey jeder Antwort muß der Papst ein Glas Bier oder Breuhan austrinken, auch oft ein Glas Schnapps. Endlich übergiebt sich der heilige Vater, bespeiet die umstehenden Qualmer, und fällt ohne Besinnung von Stuhl und Tisch. Dieses geschieht gewöhnlich, noch ehe er die zehnte Frage beantwortet hat. Die Umstehenden brüllen jedesmal die Antworten des Papstes nach, und wiederholen immer die vorhergehenden bis auf die erste zurück. Z. E. Septem sunt artes, sex, sex, sex hydriae; quinque libri Mosis; quatuor Evangelistae; tres Patriarchae; duae tabulae Mosis, unus est oeconomus; qui regnat in culina super ancilla nostra. Ich kenne mehrere Verordnungen wider die Kommerse, aber daß das noch weit schändlichere Papstmachen verboten worden sey, erinnere ich mich nicht. Erst noch neuerlich haben einige Hallenser diesen mortalen Unsinn in Riedeburg getrieben. Und so ist es gut, daß auf Betrieb des preußischen Hofes alle Wirthe in den sächsischen Dörfern um Halle, jetzt den Befehl haben, alle Studenten, die sich gegen die Gebühr toll aufführen, gleich einzuziehen, und sie dem Universitäts-Gericht zu überliefern. und hingen ihm Schimpfnamen an. Dieser allgemeine Scherwenzel der Schildaischen Studenten sollte denn der Präses des Kränzchens der Fidelität werden. Simon freute sich ungemein über die Ehre, und noch mehr darüber, daß ihm Marefitz versprach, ihn jedesmal recht satt zu füttern, so oft das Kränzchen zusammen kommen würde, und ihm noch obendrein wöchentlich sechszehn Groschen für Bier und Tabak reichen zu lassen. Nun war Herr Simon in der Wolle, und dem Kränzchen war auch geholfen.

Der neue Kränzchens-Direktor meldete sich bey dem Kanzler, und zeigte ihm an, daß er durch die einhellige Stimme der Kränzianer von der Fidelität zum Vorsteher sey erwählt worden.

Na, sagte der Kanzler, das ist ja recht scharmant! Die Parückenhänse da auf dem Concilium wollten alle nicht dran; und doch ist's gangen, wie ich es wollte. Es mag auch nicht so recht wahr seyn, was man mir gesagt hat, ich meyne nur so, daß der Herr Professor Simon ein dummer Teufel und ein unwissender Ochs wäre, denn wenn was an dem wäre: so würden die Studenten den Herrn Professor gewiß nicht zum Präsenz gewählt haben. Nicht wahr, Herr Professor?

Simon machte einen tiefen Bückling, betheuerte, daß er das Seine gelernt habe, führte zum Beweis seiner Gelehrsamkeit sein Doktordiplom an; und der Kanzler, der es nicht besser verstand, hielt ihn von da an für einen Matador unter den Gelehrten zu Schilda, und versicherte ihn, daß er bald Ordinarius werden, und Besoldung bekommen sollte.

Das Kränzchen brachte am Abend dem neuen Präses eine Serenade, nach deren Endigung Herr Marefitz das Vivat folgendermaßen ausrief: Es leben Ihr Wohlgeboren, der Herr Hans Nickel Simon, der Rechte Doktor und Professor, wie auch Obervorsteher des löblichen Kränzchens der Fidelität hoch, und abermal hoch! Hierauf zog der ganze Haufen nach dem großen Keller; und ein Kommers wurde aufgeführt, wobey Herr Professor Simon präsidirte.


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