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Grades Mesdag schritt seiner Wohnung zu. Gleich nach dem Hochamt hatte er den Pastor wegen seiner maßlosen Angriffe zur Rede gestellt, allein die Trümpfe, die Hochwürden ihm ruhigen Blutes aufkartete, waren so stichhaltig und gewichtiger Natur, daß auch der Bas sich ihnen nicht verschließen konnte. Er gedachte einen Pfahl aus seinem Fleisch zu ziehen und hatte ihn infolge der überzeugenden Rücksprache nur noch tiefer in die Wunde getrieben. Der ehemals stolz und aufrecht einherschreitende Mann schlich jetzt vorgebeugten Leibes von dannen. Die Schande nagte wie ein unbarmherziger Wurm an seinem Herzen und fraß sich tiefer und tiefer. Er wagte nicht aufzuschauen, weil er glaubte, die Kinder wiesen mit Fingern auf ihn. Stieren Blickes zählte er die Pflastersteine, die verschwommen unter seinen Holzschuhen fortkrochen. Ihr Geklapper schien ihm wie das Geräusch der Holzrasseln zu sein, wenn diese in der Karwoche zur Totenmesse riefen. Ja, ja – seiner Ehre wurde die Totenmesse gelesen, sie war eingesargt und begraben worden, und rohe Füße trampelten 298 pietätlos auf der frischaufgeworfenen und wieder zugeschütteten Grube.
»Und alle Welt soll's wissen,« knirschte der Bas im Weitergehen, »was sie hier mit ihren rohen Fäusten verscharrten. Ein schwarzes Kreuzchen muß drauf sein, und auf dem Querholz muß geschrieben stehen: Hier liegt die Ehre von Grades Mesdag bestattet, denn alle Welt soll wissen, was der Bas für'n Lumpenkerl gewesen ist im Leben und Sterben. Das gehört sich so, das muß so sein, das gibt dem Ganzen erst so 'nen richtigen Anstrich und ist nötig wie das Beglaubigungssiegel unter einem notariellen Akt. Herr Jeses, noch mal . . .«
Mit einem bitteren Lachen verschluckte er die letzten Worte. Die schwarzen Köpfe des Basaltpflasters strahlten eine betäubende Hitze aus. Die Sonne stand scheitelrecht, und unter ihrem versengenden Hauch schlurfte der heimgesuchte Mann weiter und weiter. Nur mühselig schleppte er sich über das glühende Pflaster – dann kam die staubige Chaussee, die am Ravelin vorbeiführte. An den Zweigen der Obstbäume hingen schon verkrumpelte und gelb angelaufene Blätter. Der weiße Straßenmulm hatte sie wie mit einem staubigen Schimmelpilz überzogen. Freche Spatzen lungerten und schilpten in dem tiefhängenden Astwerk und stäubten, wenn sie abflogen, den weißen Chausseestaub zu Boden. Nur die Pappelblätter am Ravelin hatten noch ihr frisches und leuchtendes Grün behalten und lispelten gesprächig über das säuselnde Rohr hin.
299 Als der Bas die leuchtenden Ziegelpfannen seines Hauses bemerkte, fühlte er den alten, beängstigenden Herzdruck. Er hielt den Fuß an und schnappte krampfhaft nach Atem. Gleichzeitig streckte er beide Arme empor, sein Mund öffnete sich, aber der Schrei, der sich von seinem verzweifelten Gemüt ringen wollte, erstarb ihm auf der Zunge. Nur ein dumpfes Stöhnen rang sich von den blutleeren Lippen.
»Da sitzt die Schande unterm Dach,« knirschte der Bas, »und stiert aus der Bodenluke heraus und spuckt mich an. – Herr Jeses, noch mal! – Aber nur Ruhe da drinnen – Ruhe, Ruhe, Ruhe . . .«
Mit beiden Händen drückte er die linke Brustseite, als müßte er dort etwas gewaltsam niederhalten; wegemüde schleppte er sich weiter durch den Chausseestaub. Jetzt hatte er das Vorgärtchen erreicht. Neben dem Lattentore lag ein umgeworfener Sägeklotz, der seine birkenen Knüppelbeine gen Himmel reckte. Eines saß locker in seinem Gefüge. Instinktiv riß der Bas diesen Knüppel heraus, wuchtete ihn und stöhnte zur Bodenluke gewendet: »Mit diesem hier könnte ich der da den Schädel eintreiben. Die hundsmiserable Schande! – Na – pfui Teufel noch mal! – Ruhe da drinnen . . .«
Mit einem heftigen Fluch schleuderte der Bas die Waffe von sich, daß sie weit in die Bohnenstangen hineinflog. Grades Mesdag hatte die schwere Kunst gelernt, inmitten der wildesten Drangsale seine Leidenschaften im Zaume zu halten. Das sollte anders kommen. Schwer 300 legte sich seine rauhe Hand auf die Türklinke. Jetzt reckte sich der gebeugte Mann mit Aufbietung seiner ganzen Willenskraft in die Höhe. Noch einmal prallte er zurück und murmelte: »Sonst war mein Anwesen wie klares Brunnenwasser; jetzt ist geronnen Blut dazwischen gelaufen . . .«
Dann trat er ein und schritt der Küche zu.
»Sacré nom de dieu!« – Eine krähende Stimme schlug ihm bei seinem Eintritt entgegen.
»Grades!«
Frau Mesdag hatte sich in einen Lehnstuhl geworfen. Hannecke kauerte am Boden, während Wilm Verhage, in eine Ecke gelehnt, sich mit seinen Blicken in den Boden hineinbohrte. Funkelnden Auges stand der alte Jakob Verhage mit seinem Raubvogelgesicht und seinem eisgrauen Geißbart mitten in der Küche. Die verbeulte Reitertrompete von Smolensk und Borodino trug er an einem Lederbandelier um die Schulter gehängt und umkrampfte mit seiner Rechten das angelaufene Mundstück. Er mußte gewettert und geflucht haben, denn seine borstigen Brauen waren grimmig in die Höhe gezogen, und über seine ins Grünliche spielenden Gesichtszüge lief noch eine nervöse Bewegung. Beim Eintritt vom Bas drehte er hastig den Kopf um.
»Grades!« rief Frau Mesdag mit tränenerstickter Stimme.
»Erst kommt meine Sach' an die Reihe!« schrie Jakob Verhage dazwischen und humpelte unter heftigen 301 Gestikulationen auf den Bas zu. »Serviteur, cousin, aber daß ich's nur gerade heraussage: hier hat die verfluchte Liebeskampagne angefangen, und ich will nicht Jakob Verhage heißen, wenn ich Euch den roten Hahn nicht aufs Dach setze. Das will meine Soldatenehre so. Sacré nom de dieu!«
»Mit Deiner Soldatenehre zum Teufel!« legte der Bas los. »Jeder hat seinen Span zu schnipfen; ich schnipfe den meinen, und hier ist mein Haus, und wer da nicht Ruhe beobachtet – draußen habe ich einen handfesten Knüppel zwischen die Bohnen geworfen . . . Hannecke!«
»Parbleu!« fauchte der Alte. »Erst kommt meine Sach' an die Reihe – und da noch Ruhe behalten?! – Ruhe behalten, wo die ganze Welt auf einen eindringt und losbellt?! Ich schreie Feurio! – 'ne Hundewirtschaft ist hier unter den Pfannen. Ich schreie Feurio! – Hier wurde mir die Ehre vom Leibe gerissen – hier wurde mir mein Bestes gestohlen – hier wurde meine schönste Hoffnung begraben, denn der da hat der heiligen Kirche gekündigt, denn der da will wo anders hinaus und hat sich an ein Fraumensch gehängt . . .«
»Jakob!« zitterte der Bas an allen Gliedern. Mit beiden Händen griff er nach einer Stuhllehne und wuchtete das gebrechliche Hausgerät.
Wilm Verhage war zwischen die beiden Männer gesprungen.
302 »Ich weiß schon,« stöhnte der Bas. Er warf den Stuhl in eine Ecke des Zimmers, daß er krachend zusammenbrach. Grades Mesdag hatte seine Fassung verloren; ihm war's, als hätte ihn ein plötzlicher Schwindel ergriffen. Fröstelnd rieb er die trocken- und kaltgewordenen Hände zusammen.
Wilm trat auf seinen Vater zu.
»Wilm, Wilm, Wilm!« keuchte der alte Verhage. »Das da, was der Herr Pastor von der Kanzel . . . Ach, was! – Solche Menschen gibt's ja gar nicht. Ich habe mich ja nach Deiner Primiz gesehnt, wie der Todkranke nach der letzten heiligen Zehrung. Mille tonnerres! – Aber wenn's doch wahr wäre – Mensch, Herzensjunge, ich bliese die große Retraite und ginge ins Wasser.«
Mit einem häßlichen Lachen drang der Alte gegen seinen Sohn vor und schlug grimmig auf die Reitertrompete.
Wilm stand unbeweglich.
»Heraus mit der Sprache! – Du bist ja vermauert bis in die Zunge hinein. Du hast die Sache verzwirnt, jetzt hab' auch die Courage, sie auseinander zu zwirnen. Sieh mal, mein Junge! Ich habe unter dem kleinen Korporal die Reitertrompete geblasen – er hat mir auf die Schulter geklopft und gesagt: So was gibt's nicht wieder – denn um uns lagen die toten Kürassiere und Grenadiere gehäuft wie die Kleereiter. Die Wölfe heulten durch die grimmige Kälte, und ich hab' dennoch geblasen, um die Überlebenden bei der Brücke zu sammeln. Meine 303 rechte Faust war blutleer und tot – an der Beresina sind meine Finger erfroren. Sieh mal – stocksteif und krummgezogen, aber halte là, mein Junge, diese tote Faust ist noch immer lebendig genug, die Finger zu strecken und Dich in die Verdammnis zu fluchen, wenn's wahr ist, was der Pastor von der Kanzel geschrieen hat. Heraus mit der Sprache!«
Drohend hob der Alte die Hand mit den verklammten Fingern empor.
Alles Blut war dem jungen Verhage aus dem Gesicht getreten, aber seine Stimme klang fest und bestimmt, als er seinem Vater begegnete: »Vater, was mal geschehen ist, ist geschehen, und kein Titelchen mehr wird von meinem Vorhaben abgezwickt. Dem Regens hab' ich aufgekündigt, und mit den Leuten, die mir Guttaten erwiesen haben, will ich schon durch ehrliche Arbeit ins Reine kommen. Es hat lange gedauert, bis ich einsehen lernte, daß mir's gegen den Strich ging, und als ich's einsah, fehlte mir der Mut, es einzugestehen. Jetzt ist mir das Selbstbewußtsein gekommen, und der da hab' ich's zu danken – ich werde kein Heerohme . . .«
Mit einem raschen Satz war er zu Hannecke gesprungen und hatte das schluchzende Mädchen an sich gerissen.
»Aber auf Händen will ich Dich tragen, Vater; ich will schaffen für Dich, und Hannecke wird Dir Deinen Lebensabend verschönen. Doch Geistlicher werden – niemals! Und mit der Welt, mit den katholischen 304 Glaubenseiferern und den sonstigen Zeloten will ich schon fertig werden. Ein neues Leben beginnt, eine frische Scholle liegt geworfen, und ich will säen und ernten. Mit Hannecke vereint will ich mir das Glück erzwingen – und was ich gefehlt habe, will ich abverdienen auf französischer Erde. Eine neue Zeit bricht an, gebt uns zusammen – und dann will ich mit den marschierenden Truppen nach Frankreich. – So, nun habe ich mir alles vom Herzen gesprochen. Her zu mir, Hannecke . . .!«
Mit wilder Inbrunst schlang er die Arme um die Geliebte – dann war's, als wäre der Tod durch die Leute gegangen, die sich sprachlos gegenüberstanden.
Jakob Verhage hatte sich auf die Tischplatte gestützt. Mit der verklammten Hand wischte er sich die Schweißtropfen von der Stirn. Immer mehr schrumpfte er in sich zusammen. Plötzlich schnellte er auf und stieß einen Schrei aus, der wie ein scharfes Messer in die Nervenstränge der Hörer hineinfuhr.
»Du da!« stieß er hervor. »Also doch ein Ketzer! – Der russische Winter bricht an: Schnee, Wölfe, Kosaken und die krachende Kälte . . .! – Sacré nom de dieu! – und die Primiz ist zum Teufel – alles zum Henker . . . durch die da . . . durch die da . . .! – Die hat meine Lebenskerze ausgepustet – ich erfriere – zu Hilfe . . .! – Könnt' ich Euch doch in die Erde hineinbeten. – Dores, 'ne Bouteille mit Rotspon . . .!« –
Grinsend war er seinem Sohn an die Gurgel gefahren.
305 »Du willst nicht?! – Du willst nicht . . .?!«
»Vater, laß los, oder ich kenne mich nicht mehr!«
»Ins Geckenhaus mit mir!« brüllte der Alte. »Die Primiz ist zum Teufel – zu Hilfe . . .! Il faut préparer la retraite! – Kosaken . . .! – Wölfe . . .! – Wilm, Mensch, mein Herzensjunge, mein Söhnchen . . . .«
Grades Mesdag hatte sich ins Mittel gelegt.
»Herr Jeses, noch mal! – ich habe noch schwerer zu tragen. – Ruhe im Hause. – Ich habe noch schwerer zu tragen . . .«
»Du?«
Stumpfen Blickes war Jakob Verhage in eine Ecke getaumelt. Dort kauerte er auf einen Stuhl nieder, lachte und knirschte unverständliche Worte zwischen den Zähnen. Grades aber trat auf Wilm und Hannecke zu.
»Fort von dem da . . .«
Er umspannte das Handgelenk des zitternden Mädchens und zischte tonlos: »Dort in die Kammer – folge, ich habe allein mit Dir zu sprechen. Wir müssen allein sein – Vater und Tochter.«
»Vater, was willst Du?«
»Wir müssen allein sein.«
Hannecke machte sich frei und schmiegte sich verzweifelt an Wilm Verhage. Hilfesuchend klammerten sich ihre Arme um seinen Hals. Die Muskeln in ihrem Gesicht zuckten krampfhaft auf . . .
»Tu mir nichts,« flehte sie ihren Vater an.
Er sah ihr ins Auge.
306 »Wo hast Du unsere Ehre gelassen?« ächzte der Bas. »Ich tu Dir nichts – aber, Himmel-Sakrament, wo ist meine Ehre geblieben?!«
Der Bas hob die Faust.
»Vater, sei doch vernünftig,« flehte Frau Mesdag, die seither, keines Wortes mächtig und wie vor den Kopf geschlagen, ins Leere gestiert hatte.
»Mutter, schweige – ich habe zu sprechen. Du weißt doch – der Pastor hat mich mit meiner eigenen Schande ums Maul gehauen vor der ganzen Gemeinde. Meine Ehre ist zerfetzt wie'n Lappen Papier – das bricht mir das Herz ab. – Das Gerede, das verfluchte Gerede! – Fort – dort in die Kammer!«
»Vater, Vater!« stammelte Hannecke.
»Nichts da! – Was hast Du mit dem angehenden Pfaffen gehabt? – Beichte, bekenne unter vier Augen – sonst: es geschieht ein Unglück hier unter den Pfannen . . .«
»Tu mir nichts,« wimmerte die Ärmste.
»Pfui Teufel! – heraus mit der Sprache.«
»Sie ist mein geworden vor Gott und den Menschen!« schrie Wilm Verhage auf, »und den will ich sehen, der es wagt, sie von mir zu reißen. Im Leben und Tod – wir gehören zusammen!«
Große Tränen standen in seinen Augen.
»Ohm Mesdag, ich flehe Dich an . . .«
»Da soll doch, Herr Jeses! – Ich danke! – Ich verbiet's! – Mein Kind an einen gewesenen Pfaffen 307 verhandeln . . . Oho! – 'raus jetzt! – Wilm Verhage, da ist die Tür – ich übe mein Hausrecht, und mit der da: komm, Hannecke, wir tragen unsere Schande zum Kirchhof.«
Schwer legte sich die Hand des Vaters auf Hanneckes Schulter.
»Jetzt komm, oder Du kannst mich begraben. – Lieber 'ne Schaufel voll Erde ins Maul, als das verfluchte Gerede: Hannecke Mesdag ist das Weib eines Seminaristen geworden. – 'raus jetzt . . .«
Die Brust vom Bas stöhnte und ächzte. Eine düstere Wildheit flammte unter den buschigen Brauen.
»Entweder – oder . . .!«
Mit Gewalt suchte er seine Tochter an sich zu reißen.
»Du schändest mich, Vater, Du schändest mich! – Zu Hilfe, Wilm . . .!«
»Und wenn alles zum Henker geht,« schrie der junge Verhage, »wir gehören zusammen . . .«
Beide Arme schlangen sich um das geliebte Mädchen. Wilm Verhage sah wie ein Mann aus, der sein heiligstes Gut mit dem Leben zu verteidigen gedachte.
»Ohm Mesdag, erbarme Dich unser . . .«
»So 'n Kerl ist zu schlecht . . .« schäumte der Bas.
»Sacré nom de dieu!«
Der alte Verhage war vorwärts gehumpelt.
»Schnee und Kosaken . . .!«
Er griff mit beiden Händen in die Luft.
»Vater, es muß, es muß sein!« wimmerte Hannecke.
308 »Was muß sein?«
»Die Heirat . . .«
»Warum das?«
»Ich sag' es nicht und kann es nicht sagen – aber es muß sein . . .«
Der ganze Körper von Hannecke Mesdag dehnte und streckte sich – dann kam eine Totenstarre über ihn.
»Antworte, antworte,« drängte der Bas.
»Nein – nein – nein . . .!«
Grades Mesdag prallte zurück. Eine entsetzliche Ahnung schlug ihm die Klauen tief in die Seele und machte ihm den Gaumen knochentrocken.
»Wo?« schrie er mit heiserer Stimme.
»Am Ravelin.«
»Wann?«
»Im Juni.«
»Und da hast Du . . . da hast Du . . .?«
»Erbarme Dich unser . . .!«
Wilm stand gerade wie ein Kerzenschaft, aber Hannecke war in die Kniee gesunken.
»Die Schande!« ächzte der Bas, »auch das noch. Großer Gott, schmiede mir einen eisernen Ring um die Brust. Schmiede, schmiede – mir reißt das Herz auseinander!«
Er schlug sich beide Fäuste vors Gesicht. Der starkknochige Mann schluchzte und weinte wie ein Kind – dann riß er sich auf.
309 »Hurra, Jakob! – Hörst Du das, Jakob?! – Was nun?! – Also doch?! – Hurra, Jakob! – Das Lilienhannecke, mein Kind . . . ein junger Pfaffe . . . ein Ketzer . . . der Pastor hat recht . . . Sakrileg und Gemeinheit . . .!«
Mutter Mesdag schlug die Hände zusammen.
»Hörst Du das, Jakob?! – Hurra, Jakob . . .!«
»Ins Ravelin, in die Beresina mit beiden!« schäumte Jakob Verhage. Er drang auf seinen Sohn ein. »Sacré nom de dieu!«
»Halt!« donnerte Grades Mesdag, »ich habe zu richten. Mir ist die Rache ins Handgelenk gefahren.«
Er bückte sich und riß sich den linken Holzschuh vom Fuß.
»Jakob! – Dein Sohn, der Wilm, hat eine zweite Sünde auf die erste geklebt. – Himmel-Sakrament! – Ich will Dich! – Ein angehender Pfaffe hat meine Tochter zur Dirne gemacht. – Ich will Dich . . . meinetwegen vor die Assisen nach Kleve. Hurra, Jakob . . .!«
Mutter Mesdag und Hannecke waren dem Bas in die Arme gefallen. Es war zu spät. Grades Mesdag hatte mit aller Kraft zugeschlagen.
Ein gellender Schrei – und der Bas sah noch, wie der junge Verhage rücklings taumelte. Der schwere Holzschuh hatte die Stirn getroffen – dann war es Nacht um den Alten geworden. Der Holzschuh entsank seiner Hand.
Er tastete in die leere Luft.
310 »Mir reißt das Herz auseinander . . .!« rief er noch einmal mit heiserer Stimme. »Hannecke . . .! – Mutter . . .! – Ich sehe den Himmel offen . . .! – Da – da – da . . .«
Das Trauerspiel war zu Ende.
Von draußen her kamen hastige Schritte. Sie knisterten über den Kiesweg des Vorgärtchens. Jetzt hielten die Schritte an. Ein sehr ernstes Gesicht, das durch die Krempe eines Zylinders beschattet war, sah durch das niedrige Fenster in die Küche.
Es war Pittje Pittjewitt.