Joseph von Lauff
Kärrekiek
Joseph von Lauff

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135 IX Die Komödie geht weiter und wird zu Ende gespielt

»Habemus tumultum!« stöhnte der lateinische Heinrich. Kreidebleich und noch im Besitze seiner weidmännischen Attribute hatte er sich in den Regiesessel geworfen. Er sah zum Erbarmen aus.

Das Gelächter im Publikum flutete und ebbte noch immer auf und nieder.

»Habemus tumultum!«

Donna Elvira hatte den Kopf durch den Vorhang gesteckt und suchte die Zuschauer durch eine wohlgesetzte Entschuldigungsrede zu beschwichtigen. Endlich kam Dores-Elvira zurück.

»Gerettet,« klang es von seinen Lippen, »mit Mühe gerettet! – Sie bleiben sitzen – sie wollen weiter hören . . . Aber noch 'mal so 'ne Affäre, und ich schlage Euch die Knochen zusammen.«

Donna Elvira fiel vollständig aus ihrer Rolle. Ich warf alle Schuld auf den lateinischen Heinrich, der noch immer wie ein Häufchen Elend auf dem Regiesessel hockte. Er war ganz in sich zusammengekrochen.

136 »Leporello, ermanne Dich,« rüttelte ich ihn auf. »Aber was ich Dir sage: die ganze Falknerei wird gestrichen. Jagdtasche und Schrotbeutel müssen zum Teufel – und dann: in der Verkörperung Deiner Rolle mehr Forsche und Spucke. Mumm, mein Junge! – Mumm, Mumm!«

Er raffte sich auf.

»Ich will,« sagte mein Freund.

Der alte Geist war wieder über ihn gekommen.

»An die Gewehre!« kommandierte Donna Elvira.

Die ersten Klingelzeichen ertönten. Tiefes Schweigen im Zuschauerraum, der Vorhang rauschte empor – und jetzt an die Ramme! – Wir wollten kein zweites theatralisches Jena erleben. Mit Todesverachtung legten wir uns an den belebenden Busen der dramatischen Muse – und spielten hinreißend. Leporello übertraf sich und – Herrgott im Himmel! – wie agierte und tragierte Donna Elvira! – Ich warf einen Blick in die profane Menge der Zuschauer, um daselbst die wachsende Stimmung zu konstatieren. Ich war zufrieden. Alles schwamm in Rührung und Wonne. Pittje Pittjewitt war aufgesprungen und verfolgte den Gang der Handlung mit leuchtenden Blicken.

»O Gott, o Gott!« stöhnte Heinrich Hübbers, als er die schaudervollen Taten des spanischen Granden in dieser Naturwahrheit von den Brettern miterlebte. Hannecke wischte sich die nassen Augen und schluchzte leise vor sich hin. Ich fühlte, wie die Stimmung wuchs und sich lawinenartig steigerte. Mir war es, als ob aus allen 137 Fugen und Ecken der Bühne schwanke Lorbeerzweige hervorsprössen, als ob geheimnisvolle Hände sie brächen, zu Ruhmeskränzen verbänden, um sie später um unsere Stirne zu flechten. Ha! – und wir verdienten sie ehrlich. – Unsere pantomimische und deklamatorische Kunst verstieg sich zu ungeahnten Höhen, und siegreich behaupteten wir diese Regionen, wie ein edler Falke sich mit seinen ausgebreiteten Schwingen im blauen Äther behauptet. Ein Platzregen von Beifallsbezeugungen prasselte auf uns nieder. Das Haus zitterte. Hervorrufe auf offener Szene. Der Bas zog einen horizontalen Strich über den anderen. Die Jubelwogen schienen uns verschlingen zu wollen.

Auch der technische Apparat lief wie geschmiert und arbeitete wie das Getriebe eines mechanischen Webstuhls. Mondschein von rechts und links, je nach Vorschrift – lobenswert. Die gebotenen Turmuhrschläge vom Kloster San Franzesko in Sevilla um Mitternacht – keine wirkliche Uhr hätte tadelloser funktionieren können. Und die Kolophoniumblitze, die schwefligen Flammen, die zuckenden Lichter auf den Gräbern des Kirchhofs – alle bekannten pyrotechnischen Bravourstücke waren Stümpereien dagegen. Mumm, Forsche, Spucke – auch in szenischer Hinsicht, und mit Mumm, Forsche und Spucke zitierte auch der lateinische Heinrich seinen Schlußsatz, als ich von diabolischen Kräften unter Kolophoniumblitzen und Ofenblechgerassel von der Bühne geschleift wurde. »Ha!« so begann er:

138 »Was ich gesagt, und was ich prophezeite,
Kam über ihn wie eine große Pleite.
Die Geister alle dieses Weltenalls,
Die er verführte, brachen ihm den Hals.
Er mußte fort von Weibern, Wein und Sekten
Die rabenschwarz die Seele ihm befleckten;
Umhegt von Glut, von bläulich-schwefelgelber,
Hat ihn geholt der Fürst der Hölle selber. –
Herr, wenn's noch möglich ist in Deiner Allmacht Rahmen,
So rette seine Seele noch – und damit: Amen.«

Jan ließ den Vorhang 'runter – und dann immer 'rauf und 'runter. Immer neue Beifallssalven erschütterten Bühne und Alkoven – immer wieder mußten wir vor Lichter und Rampe. Großartig und erhebend! – Der lange Dores fiel mir um den Hals, Franz Dewers schlug einen Purzelbaum in seinem Komturgewand und schluchzte nach jedem Salto mortale: »Ach, wenn das meine Großmutter erlebt hätte, wenn das meine Großmutter erlebt hätte! – Mich bringen die Ehrungen um!« – und dann purzelte er noch geraume Zeit von einem Ende der Bühne zum anderen, ohne vor Rührung weiter sprechen zu können.

Nur Leporello pfiff auf einer anderen Pfeife. Er war zum Berserker geworden. Gleich nach Beilegung des Beifallsturmes war er auf den unglückseligen Billetteur und Vorhangmeister zugestürmt, hatte ihn beim Kragen gepackt und donnerte ihm die vernichtenden Worte entgegen: »Sohn der Hölle, verfluchter! – Oleum et triumphum perdidi! – Satansknecht, Du hast mir meinen Abgang und somit meine heiligsten Güter verdorben. Sohn 139 der Hölle, verfluchter! – ich hatte noch die Worte zu sagen:

Ich aber selber will schon dafür sorgen,
Daß meine Seele künftig wird geborgen.
Ich laß von nun das Schlemmen und das Schlecken
Und nähre mich von Roggenbrot und Schnecken.
Und daß mein Leben nur dem Himmel nutze,
Such' ich mein Heil fortan in der Kapuze.

Und diese erhebenden Worte sind ungesprochen geblieben, weil Du den Vorhang zu frühzeitig fallen ließest – und ohne diese Worte ist meine ganze Rolle keinen Pfifferling wert mehr gewesen. – Meine Ehre – meine dramatische Ehre . . .!«

»Ich täte denken . . .,« wagte der Billetteur schüchtern einzuwerfen, aber der Lateiner unterbrach ihn: »Was tätest Du denken, Elender?! – Aber ich sage Dir, Deine Tätigkeit am Vorhang wird hiermit gestrichen. – Aus! – Du bist zu dumm; selbst für diese Sache bist Du zu dumm.«

»Was wäre ich?« patzte der seiner Würde Entkleidete mit einem Putergesicht auf.

»Zu dumm,« sagte der lateinische Heinrich.

Es war ein großer Moment.

Die anderen Akteure hatten sich inzwischen um die beiden versammelt. Ein Donnerwetter war im Aufstieg begriffen.

»Also doch noch eine Katastrophe,« schrie es in mir auf, »und das nach allen Erfolgen!«

140 In einer Viertelstunde sollte das zweite Stück zur Darstellung kommen.

Jan Höfkens machte in diesem Augenblick vielleicht das dämlichste Gesicht seines Lebens. Er wollte sich verteidigen und setzte auch an, seinem gepreßten Herzen Luft zu machen. Er sprach vergebens; schon seine ersten Worte wurden von einem ungeheuren Schluchzen verschlungen – aber niemand ahnte, daß seine schwarze Seele sich anschickte, ein unheilbergendes Drachenei auszuhecken.

Plötzlich sprang er aus seinem dumpfen Brüten und Schluchzen auf. Mit einem Wuppdich war der Semmelfuchs in der Garderobe, mit Gedankenschnelle hatte er die Husarenjacke vom Nagel gerissen und sauste mit diesem unschätzbaren Wertobjekt über Bühne und Treppe der unteren Tür zu.

»Wäre ich zu dumm,« schrie er im Abgehen, »so wäre meine Husarenjacke auch zu dumm!« – und fort war der Kerl, verschwunden, als hätte ihn die Erde gefressen.

»Oleum et Attilam perdidi!« stöhnte der Lateiner. Wieder war er stocksteif in den Regiesessel gefallen und streckte die Storchenbeine betrüblich von sich.

Niemand dachte an Verfolgung; der Schreck war uns allen in die Glieder gefahren. Und dennoch – wo war Dores-Elvira?!

Kein Zweifel, er hatte den bitteren Ernst der verzweifelten Situation zuerst richtig erfaßt. Mit riesigen Sätzen galoppierte der dünndarmige Schlingel hinter dem Ausreißer her.

141 Ich war ans Fenster gesprungen.

Jetzt kam der erste Schatten aus der Türe meines Elternhauses gezappelt. In langen Sprüngen suchte er den Markt zu erreichen. Wie das gerettete Palladium der Ehre flatterte die Husarenjacke im Wind. Ein zweiter Schatten folgte dem ersten. Mit der Gelenkigkeit eines Parterre-Akrobaten nahm er die Jagd auf. Der trübe Schein der Straßenlaterne erhellte den Schauplatz. Himmel – das waren Sätze und Sprünge! – In grotesken Formen schlugen Röcke und Kleider über dem Lockenhaar von Dores-Elvira zusammen. Bei der großen Linde, die schwarz und düster in den nächtigen Himmel hineinwuchs, mußte er das Wild zur Strecke bringen. Hier war das Halali zu blasen. – Weidmannsheil, Dores-Elvira! –

Inzwischen war Leporello aus seinem lethargischen Dusel erwacht, hatte sich auf den Sessel geschwungen und schickte sich an, eine geharnischte Philippika dem Ausreißer mit auf den Weg zu geben. In flammenden Worten begann er: »Was will dieser Bannerträger der Dummheit?! – Wir können keinen Esel als Vorspann am Thespiskarren gebrauchen! – In seines Vaters Mühle gehört er, aber nicht auf die Bretter der Kunst – ja, ich sage, nicht einmal am Vorhang ist dieser profane Sterbliche von Nutzen. Johannes, was hast Du uns angetan?! – Du verdientest mit dem Küchenquirl gezüchtigt zu werden, der an diesem sonst so weihevollen Abend den Donner im Ofenblech geweckt hat. – Zwar können wir Dir Deine Lammeseinfalt verzeihen, aber mit den 142 diabolischen Rachegedanken Deiner angeschwärzten Seele dürften wir uns nicht so ohne weiteres abfinden lassen. Sie sind die traurigen Zeugen einer gefährlichen und verdammenswerten Gesinnung. Wir hielten Dich bislang für unseren zwar etwas einfältigen, aber doch immerhin herzlieben Genossen und Bruder – und müssen nun zu unserem Leidwesen in den Abgrund Deiner Verderbtheit hinabsehen und die giftige Rachepille verschlucken, die uns Deine schwarze Seele gedreht hat. Daher, bei allen neun Vätern der heiligen Kirche – ich wollte sagen – der Musen, verfluche ich Dich . . .«

Der Lateiner streckte hierbei die rechte Hand aus.

»Ja, ich verfluche Dich, ungetreuer Johannes! Schon Cornelius Nepos und Marcus Tullius Cicero in seiner katilinarischen Rede . . .«

In diesem Augenblick wurde der ungetreue Johannes auf die Bühne und vor das grelle Licht der Lampen gezogen. Dores-Elvira hatte ihn mit dem bekannten Rinaldinigriff beim Wamskragen gepackt, und wie sich der Delinquent auch drehen und wenden mochte, es half ihm nichts, er mußte Order parieren.

»Johannes, ungetreuer Johannes,« fuhr ihn der Lateiner an, »ich habe Dich bereits in contumaciam verurteilt und bin willens, obiges Urteil in seinem ganzen Umfange bestehen zu lassen.«

»Das wäre mir egal,« murrte Jan Höfkens.

»Zur Begründung desselben,« fuhr der Lateiner fort, »sind mir die nachstehenden Erwägungen maßgebend 143 gewesen. Schon Cornelius Nepos und Marcus Tullius Cicero in seiner katilinarischen Rede . . .«

»Um tausend Gottes willen!« unterbrach ich den Redestrom meines braven Freundes, »hier handelt es sich nicht um Cicero und Cornelius Nepos. – Wir müssen weiterspielen. – Jan,« wandte ich mich an den sommersprossigen Ausreißer, »willst Du uns die Husarenjacke überlassen oder nicht?«

»'raus mit der Jacke!« donnerte Heinrich.

Wie die Tigermutter ihr Junges, so bewachte Jan Höfkens die grüne Husarenmontur. Dann wurde er krötig.

»Das täte ich nich.«

»Unter keiner Bedingung?!« suchte ich einzulenken.

»Wenn ich den Polizeidiener Brill spielen könnte – dann ja.«

»Nicht in die Hand!« entsetzte sich der lateinische Heinrich. »Ich will zwar ein übriges tun und den Fluch zurücknehmen – aber den Polizeidiener spielen zu wollen, und das bei der bösen Erfahrung, die wir als Tragöde mit Dir gemacht haben: niemals, lieber Johannes. »Incidit in Scyllam, qui vult vitare Charybdim.«

»Aber das müßte ich,« revoltierte der Semmelkopf, »und ich könnte nich anders.«

Ich legte mich ins Mittel. Die Zeit drängte. Die gesetzte Viertelstunde war längst vorüber, und das Publikum schien ungeduldig zu werden. Ich suchte den Lateiner umzustimmen, was mir auch endlich gelang – und siehe: er stieg vom Regiestuhl, trat auf Jan zu, 144 legte ihm die Hand auf den Kopf und sagte im Tone tiefster Betrübnis: »Lieber Johannes, könntest Du gegebenen Falles Deine fünf Sinne zusammennehmen?«

»Das könnte ich.«

»Lieber Johannes, würdest Du mit Aufbietung aller Deiner zwar etwas minderwertigen Kräfte die Rolle zu verkörpern suchen?«

»Das würde ich,« echote Jan.

»Lieber Johannes, bist Du Mannes genug, nicht mehr an Stelle des wichtigen Wortes ›arretieren‹ das verfluchte ›gratulieren‹ zu setzen?«

»Das wäre ich.«

»So spiele,« sagte der lateinische Heinrich.

»Umkleiden!« kommandierte Dores-Elvira nach Beilegung des unseligen Kampfes. Wie aufgestöberte Bienen hasteten wir durcheinander. 'raus aus der Rittergewandung – 'rin in das moderne Kostüm! Ich fuhr in die Malerhosen, Leporello in die Kommerzienratsweste, vergaß aber in der Eile die Plüschpantoffeln auszuziehen, während Jan Höfkens in die Husarenjacke schlüpfte und sich malerisch mit dem Füsiliersäbel von Langensalza drapierte. Franz Dewers waltete des Amtes am Vorhang.

Schon lief ein bedrohliches Trampeln durch den Zuschauerraum.

Erstes, zweites, drittes Klingelzeichen – dann Vorhang. Dores-Elvira erschien als Prolog. Er hatte ein Ziegenfell um die Hüften gelegt und trug den Thyrsusstab der Bacchantinnen in der Rechten. In dieser Erscheinung 145 lag ihm ob, die heitere Muse des Lustspiels und der bukolischen Poesie glaublich zu machen. Mit langsam anschwellender Stimme begann er den Prologus zu sprechen:

»Dahin der Schritt der tragischen Kamöne! –
Im Höllenpfuhl, der ewig brennt und raucht,
Büßt nun der schlimmste aller Erdensöhne
Mit jenen Teilen, die er oft mißbraucht. –
Jedoch ins Licht vom strahlenden Azur
Flog glücklich der gemeuchelte Komtur.
Wir stiegen ab vom tragischen Kothurne,
Vom fernen Spanien kehrten wir zurück
Und zogen keck aus unsrer Dramenurne
Ein funkelnagelneues Bühnenstück,
Das sich betitelt, wie Ihr alle wißt,
Gemäß Programm: Jan Klaas als Porträtist.
Denn nach der tränenreichen Melpomene
Tanzt jetzt Thalia aufs Gerüst der Szene. –
Drum hört uns an, und freut Euch, lacht und grunzt –
Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst!«

»Bravo, bravo, bravo!«

»Da capo!« schrie und trommelte Dores Küppers. Pittje Pittjewitt, Heinrich Hübbers und Grades Mesdag stimmten ein, und unter atemloser Spannung rezitierte Dores-Elvira den Prologus noch einmal. Er wuchs sichtlich mit seinen höheren Zwecken, und wie eine Siegesfanfare schmetterte er die letzten Verse in den Zuschauerraum. Es klang gewaltig, wie er sie wachsen ließ und durch den Brustton der Überzeugung belebte:

»Drum hört uns an, und freut Euch, lacht und grunzt –
Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst!«

146 Doktor Horré wälzte sich auf seinem Honoratiorenstuhl. Seine Heiterkeit steckte an wie Masern und Röteln. Das ganze Publikum stand unter dem Zauberstab von Momus und Jokus, so daß die Aussichten für das nunmehr folgende Lustspiel die denkbar günstigsten waren. Wie am Schnürchen reihte sich Szene an Szene. Die Verse liefen wie geschmolzene Butter herunter. Der Lateiner als Kommerzienrat hatte, trotz seiner Plüschpantoffeln, mehrere Hervorrufe auf offener Szene zu verzeichnen. Unser Zusammenspiel bewegte sich auf einer flott gezogenen dramatischen Linie. Schlager auf Schlager – und als der Kommerzienrat nach einem heftigen Streite, den er mit mir auszufechten hatte, in die geharnischte Tirade ausbrach:

»Was?! – hier für die gesudelte Schmierage
Verlangst Du fünfundzwanzig Taler Gage! –
So was ist mir im Leben nie passiert. –
Anstatt gemalt – hast Du mich angeschmiert.
Zwar ist das Geld mir gänzlich einerlei;
Doch Recht bleibt Recht – ich ruf' die Polizei . . .«

hatte er einen glänzenden Abgang.

Hierauf Säbelgerassel, kräftige Schritte und Augenblitzen. Jan war erschienen mit einem alten Infanteriehelm auf dem Kopf, mit Säbel und Attila. Äußerlich machte sich der Kerl ganz passabel. Schnurrbart à la Sergeant oder Steuerempfänger, Hose in den Stiefeln und Spucklocke – alles nach Vorschrift. Und dann die Augen – diese Polizeidieneraugen! Stielartig wuchsen sie 147 aus ihren Höhlen und suchten mich in Grund und Boden zu blitzen. Der Kerl war famos! – Ich hatte den Dialog zu eröffnen, in dem zuvörderst, und zwar im Interesse des Publikums, eine kurze Begründung über die Herkunft des unmöglichen Polizeidienerrockes zu geben war.

Jan blitzte und ließ seine Stielaugen rollen.

Ich machte ein möglichst überlegenes Gesicht.

Er trat auf mich zu.

Ich wich hinter meine Staffelei und herrschte ihn an:

»Was willst Du hier, Gesetzeskreatur?!
Vom Polizisten hast Du keine Spur,
Dieweil Dir fehlt die übliche Montur! –
Gewiß hast Du sie wieder wie zuletzt
Bei Meyer Pinkus ganz geheim versetzt,
Um mit dem Gelde Dich herum zu lümmeln
Und in den Kneipen alles zu verkümmeln.
Ich seh's Dir an – Du saßest oft beim Glase,
Denn rot und schnäpsern funkelt Deine Nase.
Und nunmehr, um die Blöße zu bedecken,
Tätst Du Dich jetzt in fremde Federn stecken. –
Was willst Du hier – was soll mir denn passieren?«

Die Jacke war motiviert. Das Stichwort war heraus – jetzt mußte Jan sagen:

»Ich bin gekommen, Sie zu arretieren.«

Ja woll – und daneben geschossen! – Zwei Schritte, drei Schritte näher – bleischwer legte sich die Hand des Gesetzes auf meine Schulter, der Sergeantenschnurrbart sträubte sich igelartig, die Augen leuchteten wie Drumondsches Kalklicht – und, wie aus der Pistole geschossen, 148 mit tödlicher Sicherheit, schicksalswuchtig und niederschmetternd zitierte der Lümmel:

»Ich bin gekommen, Sie zu gratulieren.«

Tableau . . .! –

Ein dumpfes Stöhnen kam hinter den Kulissen her. Dann ein verhaltener Wutschrei, ein Sprung – und der Lateiner wie ›Zieten aus dem Busch‹ auf die Bretter . . . verfing sich aber, stolperte nieder, riß sich den linken Pantoffel an einem vorspringenden Nagel entzwei, daß das Plüschverdeck auseinanderklaffte, sprang wieder auf und versetzte dem gratulierenden Polizeidiener eine derart wohlgezielte Ohrfeige, daß man's knallen hörte bis in die entlegensten Winkel.

Das jubelnde und wiehernde Publikum schien dieses unbeabsichtigte Intermezzo für bare Münze zu halten – und in der Tat, es wurde hierdurch ein theatralischer Knalleffekt erzielt, um den uns jeder Schmierendirektor beneidet hätte.

Selbstverständlich ein unvorhergesehenes, aber wirksames Ende! – und da es sich natürlich gab, war ein unbestrittener Erfolg zu verzeichnen.

Vorhang.

Schluß. – – –

Als sich Publikum, Schauspieler und Komparsen verlaufen hatten, musterte ich noch einmal die verlassene Bühne. Die Lichter waren niedergebrannt – und verloschen. Nur eine einzige Stearinkerze fristete noch ein kümmerliches und betrübliches Dasein. Ihr mattes 149 Flämmchen umschien die Pantoffeln vom lateinischen Heinrich. Friedlich standen sie nebeneinander – der gesunde dicht bei seinem schwerkranken Bruder, dessen Wunde auch dem geschicktesten Operateur zu denken gegeben hätte. Sie war eben unheilbar.

Der Kommerzienrat hatte sich auf schnell requirierten Stiefeln nach Hause gemacht.

Durch die weitgeöffneten Fensterflügel kam die Nachtluft gefahren.

Es summelte und raunte in den Kulissen. Ein scharfer Windhauch löschte die Kerze.

Es war stockfinster um mich – und keine Seele war bei mir. Nur die Theatergeister wurden lebendig und flüsterten mit neckischen Stimmchen:

»Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst!«


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