Joseph von Lauff
Kärrekiek
Joseph von Lauff

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207 XIV Kärrekiek

Noch lange flatterte, gestikulierte und wehte die Parlamentärflagge des lateinischen Heinrich durch Weiden- und Wiesengründe. Wie die weiße Blume eines flüchtigen Rammlers hoppelte und stoppelte sie durch das rötliche Blütenmeer der Kuckucksblumen, tauchte zeitweilig unter und hob sich wieder empor, um schließlich den Landweg zu erklimmen, der, mit steifen Pappelbäumen besetzt, in das Kesseltor einlief. Noch einmal blitzte sie auf im Strahl der untergehenden Sonne – dann schien sie verschwunden. Der Lateiner war in Sicherheit, aber seine pastorale Würde hatte bei mir eine vollständige Niederlage erlitten.

Von meiner gesicherten Stelle aus hob ich ingrimmig die geballte Rechte empor und tat einen fürchterlichen Fluch gegen die verwünschte Mühle und den Müllergesellen, der noch immer, die klobigen Hände in den verstäubten Hosentaschen geborgen, meine Spur mit seinen Blicken verfolgte. Der lendenlahme Esel humpelte im Grase herum, das schwere Segelleinen schwabbte gegen die Windruten, und die Flügel haspelten durch die Luft, als ob sie mir sagen 208 wollten: »Mach, daß Du fortkommst!« und ich wandte mich und verließ die Stätte, wo ich eine so unliebsame Bekanntschaft mit rohen Müllerfäusten gemacht hatte.

Mein Ingrimm legte sich. Langsam schlenderte ich über den hohen Deich, der die kleine Stadt bei Überschwemmungsgefahr gegen die von Westen her andringenden Wasser zu schützen hatte. Ein Goldnetz flimmerte über die niederrheinische Fläche. Leise bewegte sich das Rutenhaar der gekappten Weidenbäume im Wind, und gravitätisch hoben sich bläuliche Distelstauden seitlich der Böschungen über Deichhöhe empor, um sich hier oben die frische Abendluft um die noch geschlossenen Karden fächeln zu lassen. Zierlich schmiegten sich die dachziegelartig übereinander liegenden, mit Stacheln versehenen Schuppen um die strotzenden Distelköpfe, die geradezu jeden aufforderten, an ihnen das Amt des Henkerknechtes zu üben. Der lange Stengelhals stand hiebgerecht über dem Blättergehäuse. Die Karde mußte herunter.

Schon wollte die frischgeschnittene Weidengerte durch die Luft pfeifen, als ich anhielt – und das mitten im Schlage.

»Erbärmlich!«

Mein besseres Ich bäumte sich gegen den Frevel auf. Der Distelkopf blieb stehen.

»Leben sollst Du, blühen und ins Gesäme schießen,« meditierte ich, »damit Dich im Spätjahr der Distelfink ausklauben kann. Er wird es zu danken wissen. Stieglitt!«

Ich ging weiter. Zur Rechten standen die 209 Weizenfelder in üppigen Halmen. Mit roten, violetten und blauen Flecken waren die mattgrünen Decken gesprenkelt. Über die nickenden Ähren wehte der Blütenstaub dahin. Das Korn rauchte. Jenseits der wogenden Flächen dehnten sich feurige Streifen, die, ohne einen verbindenden Übergang aufzuweisen, eine Farbenskala vom gesättigten Purpur bis zum kalten Ultramarin durchliefen. Der Westen flammte, und ein laulicher Wind blies die Kornwellen gegen den Abendhimmel. Die Ähren erschauerten unter dem befruchtenden Hauch, die Spelze öffneten sich in bräutlicher Regung, denn auch über sie ging das Geheimnis und der Zauber der ewigen Liebe. Zur Linken ruhte die kleine Stadt in der abendlichen Dämmerung; nur der Schieferhelm der Sankt Nikolaikirche und die höchsten Giebeldächer waren noch rosig umleuchtet. Iris- und hyazinthfarbene Schatten lagerten sich um den Fuß der kleinen Stadtsilhouette, vor der das saftige Grün einer langen Pappelreihe hin und wieder zitterte. Darüber spannte sich der Himmel klar, durchsichtig und so duftig abgetönt, wie die zarte Färbung eines Wasserblattes. Schweigend und ruhigen Flügelschlages zogen einige Krähen gen Westen.

Da – was war das . . .?!

Ohne daß ich mir über den einzuschlagenden Weg Rechenschaft gegeben hätte, war ich in die Nähe des Ravelins gekommen. Scharf und weithin tönend kam der Lockruf der Schilfdrossel herüber. Sonst war keine Vogelstimme vernehmbar.

210 »Kärre-kärrekiek!«

Wie ein Zauber lockte mich dieser Ruf näher und näher. Ich durchquerte das Wiesenland und ruhte alsbald zwischen Binsen und Wasserhanf dicht am Ufer der ruhigen Fläche, auf der noch einige verspätete Libellen ihr unstetes Wesen trieben. Den Kopf auf die Hände gestützt, sah ich auf das stille Wasser, aus dem vereinzelte Blasen aufstiegen. Mit kaum hörbarem Gurgeln zerplatzten sie an der Oberfläche. Leise wiegten sich die gefiederten, silberglänzenden Büschel des Teichrohrs auf ihren schwanken Halmen, die wie denkende Wesen sich näherten und liebend umfaßten. Heimliche, flüsternde Stimmen liefen von Halm zu Halm, von Blatt zu Blatt, um an der gegenüber gelegenen Böschung allgemach zu verklingen.

Ein Liebesrausch lag über dem Wasser und über der Erde. Eine warme Aussaat von Blütenstaub, keimenden Sporen und Düften wehte wie eine verliebte Welle hierhin und dorthin. Heiße, trunkene Liebesfunken zitterten von Blume zu Blume, von Rispe zu Rispe, um in seliger Berührung ein heiliges Nehmen und Geben zu tauschen. Auf der Flut schwimmend, im Ried versteckt und zwischen Gras und Binsen geduckt, nahmen die Lebewesen den süßen Schauer des Genießens in sich auf.

Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne waren von den höchsten Baumspitzen gewichen, aber noch tummelten sich zwei zierliche Perlmutterfalter in wechselvollem Liebesspiel um die blühenden Kräuter des Uferrandes. Erst jetzt 211 hatten sie sich gefunden. Und sie näherten sich bis zur Berührung; ihre sammetweichen Körperchen ruhten zusammen, und ihre schillernden Flügel fanden sich mit dem feinen Gewirr von Netzwerk und Augen und den winzigen Partikeln des flimmernden und blitzenden Staubes. Es war das Sichaneinanderschmiegen zweier Geschöpfchen und der verzehrende Kuß zweier Flügel.

»Kärre-kärrekiek!«

Wieder hub die Rohrdrossel an. Sie sang feuriger und tiefer denn vorhin, und wie eine Offenbarung tönte der Ruf durch die große Stille. Durch das Zittern und Biegen des Rohres gewahrte ich ihr Näherkommen. Jetzt saß sie in schräger Stellung auf einem umgebogenen Schilfhalm. Mit hängenden Schwingen, den Schwanz gefächert und die olivenfarbigen Kopffedern zu einer Holle aufgerichtet, konzertierte der Sänger mit wachsender Beharrlichkeit und schickte seine immer wiederkehrende Knarre weit über die bewachsene Fläche des Ravelins.

»Karre-karre-karre, kärre-kärrekiek!«

Atemlos und mit klopfendem Herzen lauschte ich den wechselvollen Strophen, den scharfen Silben und Lauten, den krausen und kunterbunten Leiertönen des Vogels, der mir so nahe gekommen war, daß ich ihn mit den Händen hätte greifen können. Jetzt flog er auf die Planken eines morschen Kahns, der halb verborgen im Schilf ruhte und, an einer vorhängenden Weide befestigt, ein beschauliches Dasein führte. Er war das Eigentum des Teich- und Reusenmeisters, der die Nutzung des Wieswuchses auf 212 dem gegenüberliegenden Bollwerk in Pachtung genommen hatte.

Über dem Wasser begann es zu dunkeln. Ein Bläßhühnchen ruderte auf dem ruhigen Spiegel. Unter stetem Nicken führte es die zierlichsten Schwenkungen aus. Hinter ihm glitzerte die Fahrrinne in zwei silberlichten Streifen, die sich allgemach im dichten Gewirr der Schachtelhalme verloren. Schon huschten einige Abendspanner vorüber. Aus den umliegenden Wiesen stiegen die Nebel empor. In langen, weißen Schleiern häkelten sie sich um Rispen und Halme und flatterten wie schmale Bänder durch die Binsen des Ufers, die ihre zarten Blütenfähnchen wechselseitig berührten. Mit dem Steigen des Nebels senkte sich die Nacht immer tiefer und tiefer.

Eine taufrische Kühle rang sich vom Boden auf, der jetzt einen betäubenden Erdgeruch ausströmte.

Schon wollte ich mich erheben, als ich ein leises Flüstern zu hören vermeinte. Die Rohrdrossel hatte für eine kurze Spanne ihr Lied ausgesetzt. Nicht der leiseste Ton konnte mir entgehen, denn es war eine Stille geworden, die das Fallen eines Blattes kenntlich gemacht hätte. Auch glaubte ich gedämpfte Schritte zu hören. Jetzt schwiegen die Stimmen.

Wie ein Hase lag ich geduckt in meinem Lager. Von Sahlweiden, Wasserhanf und Brombeergestrüpp umgeben, fühlte ich mich so sicher und unauffindlich in meinem Versteck, wie ein Bläßhuhn im Röhricht.

Meine nächste Umgebung war noch nicht dunkel 213 geworden. Das intensive Licht der Sommertage hat etwas Beständiges und Dauerhaftes, das gleichsam in der langen Abenddämmerung ausharrt und nur ganz allmählich abstirbt. Über mir zwinkerten nur wenige Sterne auf; sie hoben sich kaum merklich von dem fahlbläulichen Licht des Himmels ab, das scheinbar noch kein anderes Flimmern und Blinzeln neben sich dulden wollte. Nur ein mattes Zucken, ein weißliches Aufleuchten, ein unbestimmtes Etwas stand im weiten Raum, dessen Licht noch immer genügte, die Gegenstände kenntlich zu machen.

Immer stärker fiel der Tau. Silberglänzend perlte er von den schwanken Gräsern und den Schößlingen der Erlenstrünke. Der modrige Holzgeruch einte sich mit dem süßlichen Duft des Holunders, dessen weiße Scheindolden matt und nebelig vom jenseitigen Bollwerk herüberdämmerten.

Nichts regte sich – und doch ein schwüles Verlangen, ein heißes Begehren, ein Keimen und Sprießen und eine verzehrende Sehnsucht in den ersten Stunden der Sommernacht!

Jetzt wieder die flüsternden Stimmen von vorhin! Heiße, raunende Worte! – Zwei Schatten heben sich scharfumrissen gegen den matten Wasserspiegel und das Rohrgebüsch ab. Sie stehen still und küssen sich; schauernd schmiegen sich die beiden Gestalten fest aneinander.

Ein Johanniswürmchen irrte vorüber. Taumelnd zitterte der grüngoldige Schein durch die säuselnden Stengel, und wie er verlosch, tauchten andere auf und 214 trugen ihr Phosphorlicht zu den glühenden Punkten, die überall in dem feuchten Grase aufblitzten. Jetzt flimmerten die beiden Laternchen zusammen. Auch hier das Suchen und Finden, die verschwiegene Hochzeitsfeier und das große Wunder der Liebe! –

Und wieder die flüsternden Stimmen – aber lauter und deutlicher.

»Hannecke . . .!«

Aus tiefster Seele drang der halb unterdrückte Ruf durch die große Stille des Abends.

»Wenn jemand käme . . .«

»Sorge Dich nicht.«

»Und weiß Dein Vater von Deinem Hiersein?«

»Noch nicht – morgen.«

»Und die da in Münster?«

»Ich habe einen Vorwand ersonnen, um herzukommen.«

»Um meinetwillen?«

»Um Deinetwillen.«

Mit einem leisen Freudenschrei warf sie beide Arme um seinen Nacken, zog ihn nieder, preßte ihren Mund auf seine Lippen und küßte ihn mit wütiger Inbrunst.

»Hannecke! – Hannecke!« –

Ich hätte aufschreien mögen. Das Herz wollte mir zerspringen. Ich hörte deutlich, wie es gegen den Erdboden pochte und hämmerte. Die Blicke wie Raubtieraugen auf die beiden gerichtet, lag ich im Grase. Das Dunkel wich vor diesen Blicken, und ich gewahrte das 215 Madonnengesicht und das kastanienbraune Haar des lieblichen Mädchens. Hannecke preßte die Ellenbogen aneinander und wich mit dem Oberkörper zurück.

»Du wirst Dich verderben – und mich.«

»Nein, nein, nein!« knirschte der junge Cölibatär, wobei er die Arme breitete und die Zusammenschauernde an sich riß. Ersterbend ruhte das schöne Haupt an der schwarzen Soutane des Mannes, dessen bleiches Gesicht mit den glühenden Augen verzehrend in die Nacht hinausstierte.

»Laß mich los,« wehrte Hannecke. »Ich fürchte mich . . .«

»Was fürchtest Du?«

»Mir ist alles so seltsam . . . die Sünde!«

»Hat ihre Macht verloren,« raunte der junge Verhage, »denn die heilige Liebe ist in uns.«

»Wilm!« schrie Hannecke auf. »Aber Vater und Mutter . . .! – Und Du?«

»Das findet sich alles. Laß mir nur Zeit. Ich bin Manns genug, im gegebenen Augenblick den Schritt zu tun, der geschehen muß und soll. – Still!«

»Was hast Du?«

Ängstlich schmiegte sich Hannecke an die Brust des jungen Mannes.

Ein Lastwagen knarrte über die nicht fern gelegene Landstraße.

»Es ist nichts,« meinte der junge Verhage, und er beugte sich nieder, um ihren Mund zu berühren.

216 »Schließe die Augen. wenn Du mich küssest,« stammelte Hannecke.

»Warum?«

»Dann siehst Du nicht die Sünde, die in mir ist.«

»Himmlische!«

»Lästere nicht!«

»Du bist schön und groß und lieb,« hauchte der Cölibatär, »und Dein Mund ist wie eine leuchtende Flamme. Erquicke mich, labe mich, denn ich bin krank vor Liebe.«

Seine Augen flammten in die ihren hinüber.

»Du bist ein verschlossener Garten und ein versiegelter Born, aber ich will Dich besitzen.«

Der angehende Priester begann in den Bildern des Hohen Liedes zu sprechen. Seine in wilder Leidenschaft ausgestoßenen Worte ängstigten mich, und ich bemerkte, wie Hannecke sich wie eine Weidengerte bog und sich zu befreien versuchte. Aber ihr Widerstand brach sich an ihrem eigenen Verlangen, und sie beugte den Kopf zurück und bot ihm die Lippen.

»Aber schließe die Augen,« bat sie noch einmal.

Und sie küßten sich.

Als er die Augen wieder öffnete, straffte sich ihr geschmeidiger Körper, und sie wehrte mit beiden Armen den Geliebten von sich.

»Und was Du tust, das ist heilig, und das kannst Du später verantworten?«

»Ja.«

217 »Schwörst Du es?«

»Ich schwöre es.«

»Und Du nimmst den Kampf auf mit allen, die wider uns sind?«

»Ich nehme den Kampf auf,« beteuerte der junge Verhage.

Hannecke fuhr plötzlich zurück.

»Aber das ist ja doch alles ein Wahnsinn!« flüsterte sie mit verzweifelten Lauten. »Das geht ja nicht – sie werden uns ausstoßen aus der Gemeinschaft der Kirche und uns fluchen, denn sie sind hart und gewalttätig, die Männer in der Tonsur.«

»Und wenn sie es täten!« fuhr der junge Mensch auf. »Sie mögen es tun. Ich trotze ihnen – und noch bevor die Blätter fallen, werf' ich ihnen die Soutane zu Füßen. Glaubst Du mir, Hannecke?«

»Ich glaube.«

Dann ein verhaltenes Schluchzen – und wieder schmiegten sich ihre Körper zusammen. Er streckte die Arme vorwärts, nahm ihren kraftlosen Kopf zwischen seine Hände, streifte das Haar von ihrer Stirne zurück und küßte sie lange.

Die Sterne hatten an Glanz zugenommen. Fern über dem Ried stand ein schwacher Lichtnebel, der stetig an Helligkeit gewann. Die Johanniswürmchen leuchteten stärker. Unter fortgesetztem Aufblitzen zitterten sie grünlichgolden durch die taufeuchten Gräser.

In den nahegelegenen Gartenstiegen, die sich bis dicht 218 an das Ravelin hinzogen, schien es lebendig zu werden. Einige Burschen und Mädchen, die verspätet von der Feldarbeit kamen, gingen lachend vorüber.

Hannecke zuckte zusammen.

»Wenn die kämen . . .!« hauchte sie.

Auch der junge Verhage war aufmerksam geworden. Er hatte den Blick in Richtung des Geräusches gewendet.

Hannecke umschlang ihn mit verzweifelter Angst.

Die Stimmen waren näher gekommen.

»Die verderben uns,« zitterte Hannecke.

»Wir müssen hinüber,« meinte der Cölibatär, wobei er auf die dunklen Umrisse des Kahnes deutete, der plump im Wasser ruhte.

»Nein, nein, nein . . .«

»Du mußt.«

Die Stimme des jungen Verhage hatte einen befehlenden Ton angenommen. Sie war rauh und hart. Fast mit Gewalt drängte er die Widerstrebende ans Ufer.

»Es geht nicht anders.«

Der Ton war anders geworden. Er klang jetzt liebevoll und flehend – und Hannecke folgte willenlos.

Das morsche Ungetüm plätscherte langsam durch die ruhige Flut. Unter dem breiten Kiel rauschte und knisterte das Schilfrohr. Mit einem weithin vernehmbaren Schlurfen lief er am jenseitigen Ufer auf. – Die Mädchen und Burschen hatten einen anderen Weg eingeschlagen.

Die beiden Schatten stiegen aus. Noch einmal hoben 219 sie sich scharf von dem Lichtnebel ab, der fern über dem Ried sich ausbreitete, dann waren sie hinter dem Flieder und jenseits des Bollwerks verschwunden.

Der Mond war im Aufstieg begriffen. Die immer wachsende Helle zeigte schon den oberen Rand des einsamen Wallers. Jetzt blinzelte sein fahlbläuliches Auge über die sanftbewegten Fahnen des Schilfrohres, die so dicht gereiht standen, daß sie mit einem rotbräunlichen, silberglänzenden Teppich Ähnlichkeit hatten. Eine eigentümliche Musik, die über dem Wasserspiegel einherlief, einte sich dem erhabenen Schauspiel in der Natur. Unter ihren einschmeichelnden Klängen und dem weichen Gelispel stieg die weiße Scheibe stetig empor.

Trotz der großen Beklemmung, die sich meiner bemächtigt hatte, stand ich dennoch im Banne des Schönen, das um mich her lichterte. Selbst die beiden Gestalten, die hinter dem Bollwerk verschwunden waren, hatten für kurze Spanne mein Interesse verloren. Zudem begann die Schilfdrossel wieder zu singen. Diesmal ertönte ihr Lied in der Nähe des mächtigen Holunders, dessen Blüten im Mondlicht voller und schöner erstrahlten und fast betäubend herüberdufteten.

»Kärre-kärre-kärre!«

Die Mondstrahlen berührten das Wasser. Die Tiefen wurden lebendig, und ein Perlmutterglanz bewegte sich auf der leuchtenden Fläche. Die grünen Wasserlinsen hatten einen smaragdenen Schein angenommen, und um die Teichrosen flutete eine bläuliche Helle. Über alles 220 ging der schwüle Duft und der verzehrende Hauch der Juninacht.

Der silberschuppige Leib eines Fisches sprang aus dem Wasser. Plätschernd fiel er zurück. Weitgedehnte Kreise spannten sich aus, die sich erst am seichten Ufer verloren.

Von fern schlug ein Hund an.

Es mochte ungefähr eine halbe Stunde vergangen sein, als von drüben her das schwere Fahrzeug sich wieder in Bewegung setzte. Ein sanftes Plätschern fuhr gegen die morschen Planken des Kahnes. Hinten stand die hohe Gestalt des Cölibatärs. Mit einer langen Stange lenkte er den Nachen, der langsam näher schwankte.

Als die beiden ausgestiegen, fiel ein greller Strahl des Mondlichts auf das Gesicht von Hannecke. Es war totenbleich.

Sie wankte, sie war wie gelähmt, und nur mit großer Mühe hielt der junge Verhage sie aufrecht.

»Wilm, Wilm!« stieß sie hervor.

Er suchte sie zu beruhigen. Er sprach mit eindringlichen Worten. »Was auch immer geschehen ist . . . Nun wohl – wenn ich es getan habe, so war es, um Dich völlig und ganz an mich zu fesseln.«

Sie sah ihn mit weitaufgerissenen Augen an. Es lag etwas Dämonisches in ihren Zügen. Ihre Müdigkeit hatte sich verloren.

»Wilm,« sagte sie fast drohend, »wenn Du mich jetzt verließest, ich wüßte, was ich zu tun hätte.«

221 »Du Närrin.«

»Schlage mich, töte mich – aber liebe mich!« schrie sie auf, daß es vom anderen Ufer des Wassers widerhallte. »Du sollst mich lieben.«

Sie umschlang ihn so plötzlich und wild, daß ihm der Atem versagte.

»Ich liebe Dich,« hauchte er unter ihrer Umarmung. Was noch weiter gesprochen wurde, verstand ich nicht; es ging unter im Säuseln des Windes und im Gelispel der Halme.

Lange noch standen sie Körper an Körper geschmiegt. Sie sprachen kein Wort mehr. Eine große Stille, ein seliges Empfinden schien über sie gekommen zu sein.

Dann gingen sie. Lautlos bewegten sich ihre Schritte auf dem weichen Rasenteppich. Im Laubwerk der Espen- und Erlensträucher verschwanden sie.

Ich wußte nicht, wie mir geschehen war. Ich konnte mir keine Rechenschaft geben von dem, was jene Herzen bewegte. Aber das Gefühl des Verlassenseins bemächtigte sich meiner in so hohem Maße, daß ich kaum meiner Tränen Herr werden konnte.

Ich war aufgesprungen. Feuchte Halme klebten an meinen Kleidern. Wie ich aber so in das Mondlicht hinausstierte, fiel es mir wie eine schwere Last auf die Seele. Ich vermochte meine Regungen nicht mehr in Schranken zu halten. Mein Denken und Fühlen löste sich auf im Rinnen und Zerrinnen des Mondlichtes. – Da warf ich mich ins feuchte Gras und weinte bitterlich.

222 Und der Holunder duftete so lieblich wie nie zuvor, und die Teichrosen entschleierten ihren Reiz auf den Wassern, und der Mond stand über dem Ried, und feurig klang der Ruf der Schilfdrossel durch die verschwiegene Nacht hin.

»Kärre, kärre – kärrekärrekiek!«


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