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Die Tage der Komödie waren längst vorüber. Nur noch wie eine schöne Erinnerung, wie eine liebliche Sage aus verklungenen Zeiten zitterten sie, wenn auch mit etwas Wehmut gemischt, durch unsere Knabenherzen. Kulissen, Versatzstücke, Rockelors, Spenzer, Plüschpantoffeln und Vorhang, der Grenadiersäbel von Langensalza, Tapeten und Goldflitter, kurz der ganze theatralische Plunder war auf die Rumpelkammer gewandert, um vielleicht im kommenden Jahr eine fröhliche Auferstehung zu feiern. Über die vergängliche Herrlichkeit der Bretter und Lampen zog sich der Staub, zwischen dem Holzwerk der Kulissen strickte die Spinne ihr Netzwerk, der Geruch der Äpfelkiste und der Duft der hier aufbewahrten Speckseiten und westfälischen Mettwürste teilte sich den Bekleidungsstücken mit – und als ich eines Tages die verabsäumte Einfettung des hannöverschen Säbels nachholen wollte, hatte eine niedliche Hausmaus in dem verunglückten Leporelloplüschpantoffel ihr Wochenbett abgehalten. Sieben allerliebsten, durchsichtigen Zwitschermäuschen hatte sie in dem wohlausgepolsterten Fußbekleidungsstück meines Freundes 151 das Dasein gegeben. Wie rosarote Elfenprinzchen und Prinzessinnen schliefen, piepsten und träumten sie in dem behaglichen Lager. Ich ließ sie gewähren. –
Der Winter war streng und ausdauernd gewesen. Der Rhein, der bis tief in den Februar hinein von Wesel bis Grieth gestanden hatte, hatte seine Fessel gesprengt. Die stahlharte Fläche barst, und mit Knirschen und einem zermahlenden Geräusch trieben die Schollen, die wie Schlagsahnetorten auf der Oberfläche schwammen, der Betuwe entgegen. Ein lasurblauer Himmel spannte sich über das niederrheinische Land, und alsbald wehten die bunten Schiffswimpel wieder zu Tal und zu Berg.
Mit Macht hielt der Frühling seinen Einzug. Auf den Wiesen gurgelten und rumorten die Wässerchen. Schon streckte die Brunnenkresse ihre grünen Fühlerchen ans Tageslicht, die ersten Veilchen dufteten bereits unter den Hagedornhecken, die sich mit lichtgrünen Spitzen über und über bedeckt hatten, und Hungerblümchen und Goldenmilzkraut duckten und schmiegten sich an die sanftgedachten Ufer von Teichen und Kolken. Die Päonien stießen im Garten ihre dunkelgeröteten Köpfe durch das lauwarme Erdreich, die Blütenkolben der Hyazinthen wagten sich schüchtern aus der Rabatte – und als die liebe Sonne mehrere Tage hintereinander die weite Niederung mit ihren Strahlen durchwärmt hatte, war um die kleine Stadt ein mächtiger, schwefelgelber Teppich gebreitet. Mit ihren saftigen, nierenförmigen Blättern, mit ihren leuchtenden Kelchen drängte sich Dotterblume an Dotterblume. 152 Meilenweit, wohin das Auge reichte – eine gleichmäßige Fläche, ein einziger Farbenrausch! –
Die Weidenkätzchen, die an den braunen Ruten hafteten, hatten sich aufgetan und streuten verschwenderisch ihren Goldstaub umher. Allüberall Frühlingsfreude! – Wir Jungens gingen zu Holz und schnipfelten uns Weidenflöten.
»Fistula dulce canit,« meditierte der lateinische Heinrich und blies alsdann auf der grünen Pfeife, daß ihm die Backen zu springen drohten.
»Fein!« sagte Franz Dewers.
Er hatte kunstgerecht ein langes Rindenstück von einem Ast geschält, es gerollt und ihm die ungefähre Form eines Tutehorns gegeben. Wie ein Brummelochs grunzelte der Kerl durch die liebliche Frühlingslandschaft.
»Das könnte ich auch,« meinte Jan Höfkens, »aber das täte ich nich.«
»Piepe!« sagte der lateinische Heinrich.
Der Abgetrumpfte sah ihm patzig ins Gesicht.
»Johannes . . .« begann der Lateiner mit salbungsvoller Betonung, dann räusperte er sich und schickte sich an, eine lange Rede zu halten. »Johannes,« wiederholte er noch einmal, wobei er in unnachahmlicher Weise die Augendeckel fallen ließ, »vor Angst an den Fingernägeln knabbern, wenn Du die unregelmäßigen Verben hersagen sollst, das könntest Du – aber ein Tutehorn machen, das könntest Du nicht, lieber Johannes.«
153 »Und das könnte ich doch,« hielt ihm der sommersprossige Müllerjunge entgegen. In seinen Augen blitzte es auf. Er hatte noch von der Komödienzeit her einen gewissen Ingrimm auf den Lateiner, aber seine Wut prallte an dessen stoischer Ruhe ab wie Graupen an einer dicken Fensterscheibe.
»Nein, mein lieber Johannes, Du kannst keine Fiepen und Fuppen machen.«
Schon wollte er ihm mit einer pastoralen Bewegung die Hand auf den Kopf legen, als Jan Höfkens beiseite sprang und ihm die erregten Worte zudonnerte: »Und ich täte Dich für einen Schwinegel halten . . .«
Damit sprang er der Stadt zu. Aber hinter ihm her brummelte Franz Dewers mit seinem Tutehorn. Er tat es zum Hohn. Dabei tänzelte er in so komischer Weise über den Deich, daß der Lateiner sich zu Boden warf und vor lauter Wiehern zu bersten gedachte. Alsbald waren die zwei unserem Gesichtskreis entschwunden.
Mein Freund und ich setzten uns auf das Mauerwerk der Schleuse, die hier den mächtigen Rückdeich durchquerte, der sich in einem weitausgeholten Bogen von der kleinen Stadt bis an das linke Rheinufer erstreckte. Dieser Deich, der sich an einem Flüßchen hinzog, hatte das Binnenland gegen das zurückgestaute Wasser des Rheines zu schützen. Wie eine gewaltige Riesenschlange durchzog er die Landschaft.
Von der warmen Mittagssonne umschienen, saßen wir auf dem Ziegelgemäuer, bammelten mit den Beinen, spuckten 154 in das spiegelklare Wasser des ›Kalkflacks‹, in dem sich blitzende Karauschen tummelten, und sahen in das erwachende Grün des ›Bovenholtes‹ hinein. Nicht weit von uns schraubte ein Wiesenweih von einem Erlenstrunk in die ruhige Luft. In majestätischer Folge zog er hoch zu unseren Häupten Kreise um Kreise. Wir blinzelten ins Blaue, und Heinrich fiepte dazu. Wohlig rieselte die liebe Frühlingssonne an unserem Buckel herunter.
»Fiep, fiep, fiep!« machte das Pfeiflein.
Von der Rheinseite her bewegte sich ein knallroter Punkt auf der dottergelben Fläche des Deiches. Er kam geradeswegs auf uns zu und hatte eine kreisende Bewegung. Keine Frage, irgend ein länglicher Gegenstand mußte rotieren und zwar durch menschliche Kraft, denn hinter dem zinnoberroten, flirrenden Rad machte sich die Gestalt eines Männleins bemerkbar, das eiligst auf uns zutrottete.
»Das ist der Paraplü von Pittje Pittjewitt!« schrie der lateinische Heinrich.
Das Männlein wuchs, und von seiner Sammetkappe wehte eine Troddel im Wind. Es konnte kein Zweifel mehr obwalten – er war es.
»Pittje Pittjewitt!« rief ich aus Leibeskräften.
Die kreisende Bewegung des Paraplüs hörte auf. Pittje Pittjewitt legte die hohle Hand an den Mund und schrie uns von ferne entgegen: »Buschur! – Das Hochwasser kommt!« Dann marschierte er näher.
»Wie ein Triumphator,« bemerkte der lateinische Heinrich.
155 »Richtig,« ergänzte ich, »nur daß er an Stelle des goldenen Lorbeerkranzes 'ne Troddelmütze auf dem Kopfe trägt und statt mit dem Adlerstab mit 'nem ganz gewöhnlichen Schirm durch die Luft fuchtelt.«
»Gut,« meinte der Lateiner, »triumphus in monte Albano – oder zu deutsch: ein Triumph zweiter Klasse. – Jo triumphe!«
»Jo triumphe!« schrieen wir dann beide zusammen.
Pittje war da.
»Danke,« sagte Pittje Pittjewitt, stieß den Baumwollenen in die lockere Erde, setzte sich mit uns auf die Schleusenmauer, bammelte wie wir mit den Beinen, spuckte, wie wir es taten, in den Kalkflack hinein, schwieg eine Zeitlang, griff uns dann bei den Schultern und meinte: »Gottdomie! – das Wasser kommt. Morgen haben wir Stauflut.«
»Wer sagt das?« fragte der Lateiner mit einer etwas kalten Betonung. In kirchlichen und Glaubenssachen war er ein unbedingter Autoritätsmensch. Was der Kaplan sagte und aufstellte, und mochte es sich anlassen wie'n Stachelzaun, über den die menschliche Vernunft nicht hinwegturnen konnte, der Lateiner voltigierte ohne langes Besinnen hinüber, gleichwie ein sturer Leithammel, der über jede Barriere hinwegsetzt – im gewöhnlichen Leben aber und in weltlichen Dingen gefiel er sich gern in der Rolle des ungläubigen Thomas.
Pittje Pittjewitt sah ihn groß von der Seite an.
156 »Wer sagt das?« fragte er nun auch seinerseits und wippte dazu ärgerlich mit dem Kopf, daß die Seidentroddel erregt vor seiner Nase hin und wieder bammelte. »Ich,« setzte er scharfbetonend hinzu, »der Herr Bürgermeister von Grieth und der Herr Deichgraf von Wissel.«
Vor diesen Argumenten mußte ja nun die Ungläubigkeit und Zweifelsucht des Lateiners in die Brüche gehen. Er gab sich gefangen, und seine Blicke hingen gläubig an den Lippen von Pittje Pittjewitt.
»Jungs,« begann dieser, wobei er gleichzeitig einer fetten Karausche auf den Kopf spuckte, »ich komme von Grieth. Na – da geht alles drunter und drüber. Die Ruhr steigt, die Lippe steigt, und der Rhein ist eine einzige lehmige Masse, die den Entenbuscher Deich schon ordentlich mürbe und mulmig gemacht hat. Na, ich sage man bloß! – Der Kalkflack staut zurück, und die Deichgeschworenen haben schon die ›Nothilfe‹ ausschellen lassen. Alles muß 'ran an die Ramme. Und wißt Ihr, was mir der Deichgraf Elsken von Wissel gesagt hat?«
»Na, was denn!?« fragten wir gleichzeitig.
Pittje Pittjewitt zog die Augenbrauen in die Höhe und spuckte wiederum derselben fetten Karausche auf den Kopf. »Nehmt Ihr Euch da nur mit Eurem Stadtdeich in acht. Den haben die Mäuse und Ratten durchlöchert, und wenn da das Stauwasser einsetzt und frißt und nagt und abbröckelt – na, denn adjes! – dann gibt das 'nen Deichbruch, und Ihr bekommt in der Stadt die 157 feinste Hochwasserbescherung. Und dann habt Ihr die ganze Musik! – Und das hat Elsken von Wissel gesagt, und der kennt sich aus, und was der sagt – na, überhaupt so.«
»Das kann der Deichgraf nicht wissen,« warf der lateinische Heinrich dazwischen.
»Nicht?! – Warum nicht?! – Der Deichgraf weiß alles! – Und wenn ich Dir sage, daß er gestern abend, kurz vor Mitternacht, noch den Wasserreiter gesehen hat . . .«
»Wen hat er gesehen?« fragten wir ängstlich, sahen uns an und fühlten, daß wir beide von ein und demselben Schauer befallen wurden.
»Den Wasserreiter,« versetzte Pittje Pittjewitt mit erkünstelter Gleichgültigkeit und das nur zum Zweck, um unsere Neugierde auf die Folter zu spannen.
»Wer ist das?!« riefen wir wie aus einem Munde.
»Gottdomie!« entgegnete Pittje Pittjewitt, »das ist ein gespenstiger Reiter, der tausendjährige Deichvogt, der um die Hochwasserzeit auf den Dämmen und Deichen gesehen wird.«
Wir rissen die Augen auf und rückten näher zusammen.
»Er reitet auf einem Nebelpferd,« fuhr Pittje fort, »sein Bart ist so weiß und durchsichtig wie Wiesenschwaden, und sein Mantel bauscht sich wie Fledermausflügel im Wind. Er reitet ohne Zügel und Sattel, und wenn er daherkommt, dann beginnen die Wasser zu 158 rauschen, sie steigen und heben sich, und dann blenkert das in stockfinsterer Nacht über das überschwemmte Land, als wenn der Mond hineingrinste. Manchmal saust er in einem so schnellen Tempo vorbei, daß man nur die kleine Laterne wahrnimmt, die er auf der Brust trägt. Und ist irgendwo Gefahr im Verzuge, leckt der Damm, oder werden die Nachbardeiche in Mitleidenschaft gezogen, dann läßt er an derjenigen Stelle, wo ein Deichbruch eintreten soll, ein entsetzliches Pfeifen hören, daß den Wärtern die Haare zu Berge stehen. – So etwa . . .!« sagte Pittje Pittjewitt, brachte Zeige und Goldfinger in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus.
»Donnerwetter!« stieß ich heraus.
»Und das hat Elsken von Wissel mit seinen leiblichen Augen und Ohren gesehen und gehört?« fragte der ungläubige Thomas.
»Ja,« bestätigte Pittje Pittjewitt, und zur Bekräftigung dessen spie er zum dritten Male der vorwitzigen Karausche auf die geöffneten Kiemen.
»Gottdomie! – und hier, wo wir sitzen, hat der Wasserreiter dreimal gepfiffen. Dreimal hat er gepfiffen!«
Seine Augen weiteten sich gespensterhaft.
»Jungs!« rief er plötzlich, wobei er unsere Hände ergriff, »Jungs, wißt Ihr was?! – Wir machen flott und stechen in See.«
Mit einem triumphierenden Geheul begrüßten wir seine Worte.
159 »Wir machen flott!« schrieen der lateinische Heinrich und ich. Wir hatten ihn verstanden.
Dann gingen wir mit Pittje Pittjewitt gemeinsam der Stadt zu. Hinter uns verschwand das Bovenholt mit seiner leuchtenden Fläche, die noch kurz zuvor wie ein goldenes Wunder vor uns gelegen hatte. – – –
Des Nachmittags gegen vier Uhr stellten wir uns wieder bei Pittjewitt ein. Die Dohle war bei mir. Pittje empfing uns an seiner Haustür. Den zerbrechlichen Stiel seiner langen Tonpfeife umspannte er mit dem Zeigefinger der linken Hand; die rechte hielt er in der Hosentasche vergraben, während er mit seinem zugespitzten Mund den ›Admiral de Ruiter‹ in zierlichen Wölkchen in die Luft hineinblies.
Die blanken Barbierbecken klingelten uns einen hellen Willkomm entgegen.
»Buschur,« sagte Pittje Pittjewitt, »alles parat! – Wir wollen ins Dock gehen.«
›Dock‹ nannte Pittje seinen hinteren Hofraum, auf dem der Schweinetrog bereits von zwei quergestellten Sägeböcken getragen wurde.
»Das lecke Schiff ist kunstgerecht verstapelt,« meinte der Besitzer des hölzernen Schweinefutterals, das jetzt als solches außer Kurs gesetzt werden sollte, um in dieser Stunde als Kahn, Nachen oder Segelbarke auffrisiert zu werden. »Das Kalfatern kann losgehen.«
Neben den beiden Sägeböcken lag ein Haufen Werg. über den ich mich sofort hermachte. Mit einem langen, 160 rostigen Nagel bewaffnet, gedachte ich die einzelnen Strähnen in die klaffenden Plankennähte zu stopfen.
Allein der Lateiner stellte den Fuß auf den Werghaufen, schlug die Augendeckel nieder und meinte: »Bevor wir diese wichtige Arbeit in Angriff nehmen, möchte ich mir denn doch die Frage erlauben, woher der sonderbare und nicht gewöhnliche Ausdruck ›kalfatern‹ stammt?«
»Gottdomie!« sagte Pittje ärgerlich, »das ist doch piepe bei dieser Schose.«
»Nein,« versetzte der Lateiner mit einer klassischen Würde, »man soll auch in dieser Hinsicht profitieren im Leben. Das Wort ›kalfatern‹ war schon in grauen Zeitläuften gang und gäbe. Es ist arabischen Ursprungs und wurde im Mittelalter durch die Italiener in den Wortschatz der abendländischen Sprache aufgenommen.«
»Meinetwegen,« schmunzelte Pittje Pittjewitt, »dann steckt den arabischen Werg in die Ritzen.«
Nun ging's wirklich los.
Mit Kalfatereisen und Werg stopften und pichten wir, was das Zeug halten wollte. Die Dohle hatte sich auf die lange Kiste gesetzt und sah verständig und mit schlauem Augenblinzeln unserm Tagewerk zu. Dann begann auch sie das Werg zu rupfen und mit ihrem Schnabel in die Bretternähte zu zwängen.
»Brav so,« meinte Pittjewitt, dann stellte er drei Ziegelsteine auf die Schmalseite, legte Hobelspäne dazwischen und brachte ein mittelgroßes, gußeisernes Gefäß mit kurzer Tülle, in dem sich Pech und Teer befanden, 161 auf den so hergestellten Freiherd. Da solches geschehen war, griff er in die Westentasche, holte ein Schwefelholz hervor, strich den Phosphor an dem rauhen Buckskin des rechten Hosenbeines und entzündete mit der bläulichen Flamme die Hobelspäne. Es prasselte und zischte unter dem gußeisernen Topf, und sein bituminöser Inhalt kam in ein sanftes Gebrodel. Leichte Blasen spielten auf der dampfenden Oberfläche. Ein eindringlicher Asphaltgeruch qualmte und dunstete über den kleinen Hof von Pittje Pittjewitt.
»Ha,« machte der Lateiner, »wie am Toten Meer!« – und die ganze Geschichte von Sodom und Gomorrha trat ihm lebhaft vor die Seele, nur mit dem Unterschied, daß dort der Herrgott Pech und Schwefel über die sündigen Städte vom Himmel regnen ließ, und hier der ehrsame Barbier, Leichenbitter und Ferkelstecher Teer und Pech aus einem gußeisernen Topf in die bereits kalfaterten Ritzen der langen Kiste hineingoß. Aber sonst stimmte das Bildnis: dort die Schweinestätte und hier der Schweinetrog, und über dem Ganzen schwebte ein qualmiger Nebel.
So schafften wir mehrere Stunden. Wir stopften und pichten, und Pittje Pittjewitt goß aus seinem Hexenkessel die nötige Schmiere nach. Als dann noch eine Sitzgelegenheit eingezimmert war, konnte endlich die zur Jolle umgewandelte Kiste für see- und segeltüchtig erklärt werden.
»Nu noch den Namen,« meinte Pittje Pittjewitt.
162 ›Die lachende Möwe,‹ wagte ich schüchtern zu bemerken.
»Unsinn,« sagte mein Freund.
›Sturmvogel,‹ riet ich zum Zweiten.
»Nein,« meinte der Lateiner, »das Boot muß einen klassischen, einen lateinischen Namen am Bugsprit führen. Ich bin für – ›Nautilus.‹«
Dieser Vorschlag imponierte sowohl Pittje Pittjewitt wie mir, und ich hatte schon den Teerpinsel erwischt, um in lateinischen Lettern den Vorschlag in die Tat zu übersetzen.
»Halt!« schrie der Lateiner, »erst die Taufe. Pittje, haben Sie vielleicht eine Flasche mit Wein in Ihrem Keller?«
»Ne,« sagte Pittje Pittjewitt, »aber 'ne Pulle mit Bier.«
»Die tut's auch,« erwiderte der Fragesteller.
Pittje ging, und als die Flasche zur Stelle war, ergriff sie der lateinische Heinrich und sprach, zum ausgepichten Holztrog gewendet: »Wenn Du auch nicht das Meer der Achäer, das Tyrrhenische Meer oder den Pontus Euxinus durchschiffen wirst, so hast Du gewissermaßen doch den tückischen Fluten des ausgetretenen Kalkflacks zu trotzen. Bewähre Dich in Sturm und Gefahr, fliege vor dem Wind wie die Möwe des Meeres, und halte Dich brav an allen Küsten des Binnenlandes. Und somit taufe ich Dich . . .«
Bei den letzten Worten hatte er mit der gefüllten Flasche zum Wurfe ausgeholt.
163 Pittje Pittjewitt aber fiel ihm in den Arm und meinte: »Gottdomie! – was soll das?«
»Diese Flasche wird am Bug des Schiffes zerschmettert,« versetzte der Lateiner.
»Den Deuwel auch!« rief Pittje Pittjewitt entsetzt, ergriff die Flasche, entkorkte sie schnell und goß ihren schäumenden Inhalt hinter die Weste.
»So,« sagte er und gab die Geleerte dem Täufer wieder zurück.
»Die tut's auch,« tröstete sich der lateinische Heinrich; dann holte er zum Wurf aus.
»Und somit taufe ich Dich: ›Nautilus.‹«
»Bratsch! – Kling!«
In hundert Scherben splitterte die schwere Flasche auseinander.
»Heinrich,« sagte Pittje Pittjewitt, »reden kannst Du. Mein Kompliment. Gut so.«
Ich malte noch fix den Namen auf die verpichten Bretter der Jolle, dann trat ich einige Schritte zurück.
»Gut so,« wiederholte Pittje Pittjewitt.
Der Schweinetrog hatte seinen stolzen Namen erhalten. Wir aber hatten unser Tagewerk getan und waren zufrieden.