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»Max Mahon hat seine Sache verspielt – sagt Elkan Josephi – er hat sich übergeben; dreimal hat er sich übergeben . . .«
Ja woll!
Mac Mahon dachte noch gar nicht daran. Der Handelsmann Elkan Josephi in Kleve und sein Schwager Meyer Markus Spier hatten sich als unsichere, wenn auch äußerst begeisterte Berichterstatter erwiesen. Der Siegestaumel war verfrüht. Aber was verfing's?! – Schon nach vierzehn Tagen ließen die französischen Adler ihre Flügel hängen. Sie wurden zerzaust in den Schlachten von Weißenburg und Wörth, und der Ruf von den deutschen Siegen zog von Turm zu Turm mit ehernen Stimmen. – – –
Während draußen die gutgemeinten, aber etwas voreiligen Vivatrufe an Fenster und Türen pochten und die Herzen der Menschen höher schlagen ließen, ging der Herr Dechant van Bebber unruhig in seiner Stube auf und nieder. Es war kurz vor dem Hochamt. Seiner Gewohnheit gemäß paffte er bläuliche Rauchwölkchen gegen die Decke. Vor etlichen Tagen, bei Ankunft des Briefes 254 von seinem Konfrater, war Hochwürden verstimmt gewesen, sehr verstimmt – jetzt war er verstimmter. Die letzten Ereignisse verfehlten nicht, sich bedenklich in seine Gemütsverfassung zu drängen – aber wohlgemerkt, nur die auf kirchlichem Gebiet und diejenigen privater Natur. Von den gewaltigen Dingen, die sich inzwischen auf dem Schauplatz der Politik zu regen begannen, die sich stündlich immer mehr zuspitzten und mit furchtbarer Konsequenz den Weg der Entscheidung betreten hatten – davon war der geistliche Herr so gut wie unberührt geblieben. Was kümmerte ihn auch der Entrüstungsschrei, der infolge der angetanen Schmach durch die Nation zitterte, was scherte ihn die deutsche Frage und die Machtentfaltung in Preußen?! – Und nun erst dieser Herr von Bismarck?! Sein Wollen, seine Draufgängerei und seine einschneidende Tätigkeit?! – Utopisch und lachhaft! – Nein, seine Ideen- und Interessensphäre lag jenseits der Berge. Der geistliche Herr war trefflich geschult und wußte, was er dem Staat und was er der streitbaren Kirche schuldete. Er sah nur im Papalsystem das Heil der Welt. Er war für eine unumschränkte monarchische Gewalt der römischen Kurie und für die unbedingte Wiederherstellung der Bestimmungen des kanonischen Rechtes in der bürgerlichen Gesetzgebung. Er war unbedingt für eine streitbare und triumphierende Kirche. Mit wachsendem Interesse hatte er die Sitzungen des vatikanischen Konzils verfolgt. Die erste im Dezember vorigen Jahres war den Eröffnungsfeierlichkeiten 255 gewidmet, in der zweiten legten die einzelnen Bischöfe ihr Glaubensbekenntnis ab, in der dritten wurden die neuen Bestimmungen über den Glauben verhandelt und angenommen, und in der vierten spielte Pius den höchsten Trumpf aus, und die Karte schlug ihm zu gunsten. Diese Karte war am achtzehnten Juli gefallen. Das Papalsystem hatte über das des Episkopats den Sieg davongetragen – das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit drückte der katholischen Welt ein neues Gepräge auf, und mit herzinniger Seelenfreude war dieses Ergebnis von Hochwürden begrüßt worden. Mit einem behaglichen Schmunzeln schlürfte er dieses Tränklein der Erkenntnis hinunter, allein fast gleichzeitig mit diesem Genusse mußte er sich das Herbe und Bittere desselben eingestehen. Es konnte Hochwürden nicht fremd geblieben sein, daß ein großer Teil der einsichtsvollen Kirchenfürsten die Lehre der Infallibilität als eine Verkehrung der althergebrachten kirchlichen Doktrin ansehen mußte. Hervorragende Männer, wie die Bischöfe Stroßmayer und Ketteler, wie der mutige Sprecher Kardinal Rauscher und der achtzigjährige chaldäische Patriarch machten tapfere Vorstöße, um die Verkündigung des Ergebnisses zu hindern. Sie stürmten vergebens. Ihre südländischen Kollegen, die ihnen hinsichtlich ihrer theologischen und überhaupt wissenschaftlichen Bildung nicht bis an Brusthöhe reichten, hatten die Mehrheit. Was ist die Mehrheit . . .?! – Bischof Ketteler versuchte ein Letztes. Er warf sich dem unfehlbaren Papste zu Füßen und beschwor ihn, das drohende Unheil 256 abzuwenden. Er kniete umsonst – und die Minorität der Bischöfe sah sich nun vor die Frage gestellt, entweder das Dogma anzuerkennen oder das verderbliche Gespenst des Schismas und somit eine Sprengung des römisch-katholischen Universalstaates heraufzubeschwören. – Nach schweren inneren Kämpfen brachten sie das Opfer des Intellekts und wählten das erste. Sie hatten sich gezwungen gefügt – und diese Erkenntnis wirkte beunruhigend auf den Gemütszustand des streitbaren Dechanten van Bebber. Das Verhalten jener Bischöfe mußte auch auf viele Laien und Kleriker einen verhängnisvollen Schatten werfen. Der Geist der Aufsässigkeit wurde hierdurch gezeitigt, und die Möglichkeit war nicht ausgeschlossen, daß sogar in der eigenen Pfarrei sich recht unbequeme Erörterungen und Konsequenzen abspielen möchten. Möchten?! – Regte sich nicht schon der aufsässige Geist? – Blühte nicht schon das Unkraut zwischen dem Weizen? – Revoltierte es nicht bereits in den denkenden Köpfen? – Und dieser Wilm Verhage . . .
Der geistliche Herr hielt den Fuß an und lachte bitter auf.
»Aber die Sichel an die verderbliche Aussaat,« brummte er. »Energisches Auftreten ohne Ansehen der Person ist geboten. Auf die Kniee – und Fuß ins Genick.« –
Immer lauter wurde der Jubel da draußen. Mit brausender Stimme rüttelte die ›Wacht am Rhein‹ an 257 Fenster und Türen. Der greise König wurde mit seinen Paladinen in begeisterten Hochrufen gefeiert.
»Nieder mit Napoleon!«
»Nach Paris – nach Paris!«
»Dummköpfe,« meinte Hochwürden.
Aus einem Stoß Zeitungen, die auf dem Tisch lagen, zog er ein Blatt hervor, das als Titel den bezeichnenden Namen ›Das Vaterland‹ trug. Als Druckort war München angegeben. Der Hauptleitartikel hatte eine Blaustiftumrahmung. Gleichsam um den Enthusiasmus da draußen ein wenig zu dämpfen und ihn in die richtigen Schranken zurückzuweisen, überflog er noch einmal diesen Artikel, wobei er die markanten Stellen länger im Auge behielt und sie mit halblauter Stimme vorlas. »Zur Bekräftigung dessen, was wir niederlegten, möchten wir auf einen Ausspruch des Königsberger Stadtverordneten Johann Jakoby verweisen, der in richtiger Erkenntnis der Situation eine ihm zur Unterschrift vorgelegte Adresse mit den kräftigen und eines freidenkenden Mannes würdigen Sätzen zurückwies: In einem Lande, wo dem König das Recht zusteht, nach eigenem Belieben über Krieg und Frieden zu entscheiden, ohne das Volk zu befragen, ist dem König gegenüber Schweigen die allein richtige und sachliche Haltung . . . Na, ja! – Und hier, vom Herrn Herausgeber selbst geschrieben: Der Krieg ist fertig, Preußen will absolut seine Prügel haben, mit einer der besseren Sache würdigen Bockbeinigkeit weigert es sich, Frankreich die gewünschten und notwendigen Garantien zu geben . . . 258 Na, also! – hier das objektive Urteil ruhiger und denkender Männer, und draußen das künstliche und subjektive Sodawasser in den Köpfen lärmender Banausen. – Aber ich sehe, ich bin zu milde gewesen. Ich habe geschlafen. Die Schäflein wollen aufs Eis. – Qualis rex, talis grex. – Dem wird Wandel geschaffen.«
Es wurde an die Tür geklopft.
Hochwürden paffte noch etliche Wölkchen zur Decke.
»Qualiter, taliter. – Herein! – Non datur tertium. Herein . . .!«
Wilm Verhage war über die Schwelle getreten. Eine innere feste Entschlossenheit, fast Selbstbewußtsein, hatte ihm auch eine äußere straffe Haltung verliehen. Mit offener Stirn und freien Blicken stand er dem Pastor gegenüber.
»Herr Wilhelm Verhage,« begann dieser, nachdem er die Augen halb verkniffen und sich geräuspert hatte, »wir stehen Angesicht zu Angesicht, wir sind allein, und die Sache ist dringlich, die in gegenwärtiger Stunde der Erledigung harrt. Sie haben das vitalste Interesse daran, daß sobald wie möglich eine Bahn geschaffen wird, die Sie wieder in die Lage versetzt, mit sich und der heiligen Kirche Frieden zu schließen. Daher sei es mir vergönnt, die Dinge nicht ab ovo zu beleuchten, sondern ungesäumt und unverzüglich in medias res einzudringen.«
»Ich bitte darum.«
»Gut denn.«
259 Der geistliche Herr blies aus dem zugespitzten Munde eine kräftige Rauchwolke und schlug, wie er es bei jeder wichtigen Angelegenheit zu tun pflegte, mit dem Daumen der rechten Hand das Zeichen des Kreuzes in der Hosentasche.
»Mein Sohn,« begann er mit umschleierter Stimme, »wir sind alle irdischen Begierden und Leidenschaften unterworfen, und schon der heilige Jakobus weist auf die Gefahren hin, mit welchen dieselben verknüpft sind, indem er sagt: Ein Jeder, wenn er versucht wird, wird von seiner eigenen Begierlichkeit versucht; wenn aber die Begierlichkeit empfangen hat, gebiert sie die Sünde, die Sünde aber, wenn sie vollendet worden, gebiert den Tod. – Sie verstehen mich doch, Geliebter in Christo?«
»Vollkommen.«
»Inferner, mein Sohn, ist es eine feststehende Tatsache, daß der Schwäche unseres natürlichen Willens durch mannhafte Abtötung begegnet werden muß, um die Herrschaft über die niederen Triebe, die uns bewohnen, behaupten zu können. Halbes Werk ist hier vom Übel und sündlich. Man hat diese verwerflichen Triebe nicht als Karnickel anzusehen, denen man ungestört die Befriedigung ihrer sinnlichen Natur im Sandloch und unter Gottes freiem Himmel verstattet, sondern als bissige Ratten, die mit handfestem Knüppel zu traktieren sind. Ja, mein Sohn, in diesem Falle ist der Knüppel geboten. Heraus mit ihm aus der Ecke, herzhaft zugefaßt – und dann die Rattenköpfe verdroschen . . . Sie verstehen mich doch, Geliebter in Christo?«
260 »Vollkommen. – Ihre Worte lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.«
»Gut denn! – ich komme auf den heiligen Jakobus zurück. Offenbar unterscheidet dieser Apostel, nach den Auslassungen des Herrn Doktor Konrad Martin, drei Bewegungen der begehrlichen Triebe. Die erste Bewegung ist unfreiwillig, und somit noch keine Sünde, die zweite geriert sich zwar freiwillig, aber nicht vollkommen freiwillig und ist dieserhalb als Sünde anzusprechen, die dritte aber ist vollkommen freiwillig und gebiert somit den Tod. – Ich nehme zu Ihrem Besten an, daß Sie erst der zweiten Bewegung unterlegen sind und sich deshalb noch im Besitze einer lebenden Seele befinden. Aber auch hier ist geboten: heraus mit dem Knüppel, herzhaft zugefaßt – und die Rattenköpfe verdroschen . . . Sie verstehen mich doch, Geliebter in Christo?«
»Nicht ganz, Hochwürden.«
»Nicht?! – dann muß ich den Zirkel meiner Erwägungen enger umschließen.«
»Bitte.«
»Mir ist zu Ohren gekommen, daß Sie in letzter Zeit ein renitentes Verhalten Ihrer geistlichen Obrigkeit gegenüber beobachten, daß Sie Ihre Ansicht über die Encyklika und den Syllabus vom Jahre 64 allzusehr in den Vordergrund schieben und anstatt kräftig und sonder Umschweife zu glauben, den Beschlüssen des vatikanischen Konzils skeptisch begegnen.«
261 Um die Lippen des jungen Verhage spielte ein bitteres Lächeln.
»Allerdings – aber selbst hervorragende Theologen wie Kardinal Rauscher und Bischof von Ketteler . . .«
»Mit derlei Exempeln,« fiel der Pastor dazwischen, »wird keine räudige Seele geläutert, sie beweisen nichts und sind als antiquiert zu betrachten, zumal diese Hirten sich eines Besseren besonnen und vor der Allgewalt des heiligen Dekrets sich niederbeugten und sagten: Mea culpa mea culpa, mea maxima culpa.«
»Leider . . .«
Der geistliche Herr zuckte zusammen.
»Ich habe nichts gehört – und will nichts gehört haben, denn hätte ich es gehört . . . Ich ziehe den Schleier des Vergessens darüber, Geliebter in Christo, sintemal in den Brauseköpfen junger Theologen trübe Lachen sich finden, die bei ruhiger Prüfung zur späteren Klärung gelangen . . . Nein, hier liegt nicht der springende Punkt, Ihr Kardinalfehler, ich will sagen Vergehen, ist in der sündigen Liebe zum Weibe begründet. Meine Augen haben gesehen, und meine Ohren haben gehört . . .«
»Herr Pastor . . .«
»Ruhe, mein Söhnchen!«
Die Stimme des geistlichen Herrn nahm einen kalten und schneidenden Ton an. »Wissen Sie nicht, was Sie Ihrem hochbetagten Vater schuldig sind, was Sie denen schulden, die mit Aufbietung nicht geringer Opfer Ihr theologisches Studium möglich machten? Was wären Sie 262 ohne diese opferfreudigen Menschen geworden?! – Leineweber vielleicht, und wenn's hoch gekommen wäre, Subalternbeamter von Königs Gnaden, denn Sie scheinen dem König mehr zu geben, wie der alleinseligmachenden Kirche.«
»Ich muß mir verbitten . . .«
»Aufzutrotzen ist hier wenig am Platze,« entgegnete Hochwürden mit gequälter Ruhe, »hier heißt es bereuen, aus tiefster Seele bereuen, auf daß mir der Herr nicht gebietet, wie er vor Zeiten Isaias gebot: Rufe ohne Aufhören, wie eine Posaune erhebe Deine Stimme, und verkünde meinem Volke seine Laster, und dem Hause Jakobs seine Sünden! – und ich bin leider gezwungen zu rufen, falls Sie in diesem Trotze verharren sollten, denn Sie fügen der bereits bestehenden noch die höchste Stufe der habituellen Sünde, die Sünde gegen den heiligen Geist hinzu. Gegen heilsame Ermahnung ein verstocktes Herz haben – diese Sünde schreit zum Himmel auf und trägt schon ihre zeitlichen Folgen. – Doch zur Sache. – Was mir von meinem hochwürdigen Konfrater angedeutet wurde, habe ich leider Gottes bestätigt gefunden. Gewiß, wir sind alle vom Weibe geboren und haben dementsprechend unsere Schwächen und Fehler. Schon Thomas a Kempis sagt: Von Versuchungen ist der Mensch hier auf Erden niemals frei; ist die eine beseitigt, kehrt die andere wieder; des Menschen Leben ist ein steter Kampf, und soll ein steter Kampf sein. Aber selig preist auch die heilige Schrift den Reuigen, welcher die Versuchungen besteht, denn: Wenn er bewährt worden ist, wird er die Krone des Lebens 263 empfangen, welche Gott denen verheißen hat, die ihn lieben. Und Sie? – Ich wiederhole: ich habe mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört.«
»Na, denn . . .« stöhnte Wilm Verhage. Er verfärbte sich.
Der geistliche Herr schlug abermals ein Kreuz in der Hosentasche, dann rief er mit einer fast schreienden Stimme: »Na, denn . . .?! – Was denn . . .?! – Ruhe, mein Geliebter in Christo! – Ich habe Dich beim Weibe gesehen und habe Euer Liebesgestammel vernommen – und das geschah von Deiner Seite als Gottgeweihter, gewissermaßen in pontificalibus: in Tonsur und Soutane!«
Ein dumpfes Stöhnen rang sich aus der Brust des jungen Verhage.
»Jetzt ist die Reihe an mich gekommen, zu reden . . .«
»Aussprechen lassen, aussprechen lassen!« rief der Dechant flammenden Blickes dazwischen. »Ärgert Dich Dein Auge, so reiße es aus. – Ich will nichts mehr aus Deinem Munde vernehmen, als nur ein reumütig Stammeln. Flehe zu Gott und bitte ihn um Vorsicht und Wachsamkeit über die verderbten äußeren Sinne. Büße und knirsche in den Staub. Töte Dich ab – denn die Lilien der Keuschheit, also sagen die heiligen Väter, sprossen nur aus dem Berge der Myrrhen, und nur wo das Fleisch abgetötet wird, wachsen und blühen sie. Du hast Ärgernis mit dem Weibe gegeben – und weißt doch, daß Leib und Seele der Kirche gehören . . .«
»Und wenn's so wäre . . .« rief der Gequälte und 264 warf beide Arme gen Himmel, »so mag es auch so bleiben für immer! – Ja, es ist so, Du Gotteswort, und wisse: ich bin, der ich bin – und deshalb bin ich auch gewillt, nicht mehr von diesem Weibe zu lassen . . .«
»Sakrileg!«
Der Dechant trat etliche Schritte zurück. Das Gesicht wurde erdfahl und verzog sich zu einer Grimasse.
»Ja!« schrie der junge Verhage, »hinter mir sind die Schiffe verbrannt, es gibt nur ein Vorwärts für mich. Mit dem Regens ist bereits die Rechnung beglichen. Ich habe lange genug auf dem theologischen Seile getanzt. Die Erkenntnis ist mir gekommen – und mag alles splittern und brechen: den Staub des Seminars habe ich von den Füßen geschüttelt, der Sturm der Wiedergeburt umbraust mein Hirn; ich will in die Welt zurück und ins klingende Leben – und finde den Frieden am Herzen des Weibes!«
»Wehe Dir, dreimal Verderbter . . .!«
»Jetzt habe ich zu sprechen, Hochwürden! – Trotz Sommerszeit rüttelt der Frühlingssturm an die Herzen der Deutschen. Jenseits der Vogesen gellt das französische Kriegshorn. Große Dinge sind im Werden begriffen, und wie eine Posaune hallt die Stimme des Herrn: Aufgewacht, und tut, was Euch der Ruf des Herzens gebietet . . .!«
»Das ist für Dich die Stimme des Satans,« knirschte der Dechant – »aber das . . .«
Hochwürden streckte die Hand aus.
Voll und tönend riefen die Glocken von Sankt Nikolai 265 zum Hochamt. Die Scheiben zitterten, und der Boden bebte unter dem Brausen der Sprachgewaltigen.
»Hörst Du, hörst Du! – Das sind die Stimmen des Herrn, und sie mahnen zur Einkehr. Horch, wie sie rufen und klingen: Kehr um, kehr um! – Abtrünniger, beuge Dein Haupt, beuge die Kniee und bete um Gnade und Barmherzigkeit bei dem da, der da spricht durch die Glocken. Ich will Barmherzigkeit üben. – Meine Augen haben nichts gesehen, meine Ohren nichts gehört und meine Zunge ist stumm. Noch kann die Kirche vergeben. Mein Herzbruder bist Du, und ich will Dich läutern durch die Gnaden des Herrn. Willst Du Buße tun, willst Du lassen vom Weibe, willst Du reumütig zurückkehren zur Pflicht, die da gebietet, Dich vor Gott und den Menschen dem geistlichen Amte zu weihen?! – Abtrünniger, höre die Glocken . . .«
»Nein . . .!«
Der geistliche Herr reckte sich auf. Beide Hände streckte er von sich. »So fahre mit Deiner Buhle zur Hölle . . .! – Ich werde, werde, mein Söhnchen . . .!«
Eine gelle Lache folgte dem Ausruf.
Erhobenen Hauptes verließ der junge Verhage das Zimmer. – Draußen schlugen ihm wuchtige Glockenklänge entgegen.
Sie taten ihm wohl.