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Kanton Zürich

Kaiser Karl und die Schlange.

Kaiser Karl sitzt beim Mahl
Mit dem Ehegemahl,
Mit Töchtern und Söhnen,
Die Ruhe zu krönen,
Mit Herren und Damen
Von leuchtendem Namen.
Von der Jagd im Sihlwald
Geht die Rede alsbald ...
Da läutet's! Horch, horch ... »Auf, ihr Diener, hollah!
Die Glocke St. Felix und Regula!« –

»Gestrenger Herr Kaiser, ich forschte, ich sah!
Niemand war da,
Niemand war nah!
Der Wind zog die Glocke St. Regula!«

»Geht! Bedient ihr so schlecht,
Die mich anruft um Recht?
Die Glocke, die über
Der Märtyrer trüber
Grabstelle ich weihte
Dem Schiedspruch im Streite!
– Doch nur weiter, ihr Herrn,
Von der Jagd hör ich gern!« –
Da melden die Diener in fliegender Eil:
»Herr Kaiser, jetzt hängt eine Schlange am Seil!«

Aufsteht da der Kaiser und hinter ihm her,
Staunend gar sehr,
Sein Hofstaat, begierig so seltsamer Mähr.

»Fleht das Tier nicht genau
Mit dem Blick jener Frau?« ...
Durchschauert's den Kaiser.
Er folgt ihr in leiser
Verwirrung voll Gnade
Ans nahe Gestade:
Eine Kröte vertut
Sich im Nest ihrer Brut!
Der Kaiser alsbald spricht der Flehenden Recht,
Verbrannt wird der Unhold durch Henkersknecht.

Ganz Zürich strömt hinter dem Kaiser einher;
Aber der, der,
Sieht nur noch zwei Augen von Klagen schwer ...

Kaiser Karl sitzt beim Mahl
Mit dem Ehegemahl,
Mit Töchtern und Söhnen;
Horch! Wiederum tönen
St. Regulas bange
Bittklänge! Die Schlange
Gleitet langsam zum Saal:
In den Kaiserpokal
Versenkt sie – sich neigend – den edelsten Stein,
Taufrisch, wie geronnener Tränen Schein.

Sieht heimliches Unrecht der Kaiser da ein?
Wendet er's fein?
Gott weiß allein ...
St. Felix und Regula helf deiner Pein!

 

□ □ □ □

Im Wellenberg.

1489.

Im Wellenberg Hans Waldmann sinnt
Was ihm die Welt verbrach;
Vorüber Well um Welle rinnt
Am schaurigen Gemach.
Er grollt im Finstern, wägt und ringt,
Bis es ins Ohr ihm klingt und klingt:
Den Tod überwindet die Liebe! ...

Er wähnt ein Weib am Turm zu sehn,
Schön wie ein sündig Blut:
»Spring ein, spring ein! – heischt all ihr Flehn –
Mein Nachen birgt dich gut!« –
Er höhnt: »Phantom, die Pforte schließt!«
Bis sie wie Nebel ihm zerfließt
Mit gellem Wehgelächter.

Jetzt raunt sie ihm an Kerkerswand:
»Tu's um dein schluchzend Weib!« –
Er ballt im jähen Zorn die Hand,
Kein Krampf durchzuckt den Leib:
»Der ich die Treue brach und brach,
Werf ich mein Leben nimmer nach,
Weich, unseliges Trugbild, entweiche!«

Da springen Riegel auf! Es eilt,
Es naht in Fleisch und Blut:
»Tu's um dein Volk, das stumpf verweilt
Und harrt auf Waldmanns Mut!« –
»Das Volk, das mich nicht kennt noch mißt,
Und übermorgen schon vergißt?
Anna Göldli, zu spät kommt dein Werben!

So hoch des Münsters Türme dort
Ich euch ins Licht gebaut,
So hehr ragt bald mein Rat und Wort,
Und stolzre Zeit erbaut.
Stirb, Waldmann, daß du auferstehst,
Und groß vor deiner Schuld bestehst!« ...
Er ruft's und sie entschwindet.

Im Wellenberg Hans Waldmann sinnt
Was er der Welt verbrach;
Ein goldner Morgenschimmer spinnt
Ins schaurige Gemach.
Es klopft. »Scharfrichter, nur herein!
Hoch sollst du mir willkommen sein:
Den Tod überwindet die Liebe« ...

 

□ □ □ □

Vorrevolutiönchen.

1715-80.

Junker Grebel tänzelt die Wühre dahin
Mit funkelndem Degengehänge.
»Grüß Gott, Jungfer Bäschen, woher und wohin?
Doch nicht vors Gericht, das gestrenge?
Mich trieben sie fast in die Enge,
Die Herren der Reform mit dem Sermonieren
Ob meinen paar Fransen; zum genieren
Ist's, zum lamentieren,
Nicht mehr zu prestieren!« –

»Pha, Vetter, wir sind noch nicht
Ganz zu End mit den guten Gedanken!
Beherzt tret ich vor Gericht
Im Reifrock um den sie mich zanken.
Sechs Wochen lang – auf den Tag –
Trag daheim, was im Ausland ich trag,
Was Neugier und Klatschsucht zu nähren vermag;
Laut Gesetz trag ich straflos das, dies,
Zweiundvierzigmal trag ich's gewiß,
Trag's den Herren zum Tort von ... Paris!« –

»So heiraten? Nimmer! Wie schwer man uns büße,
Nur einmal im Leben ist Hochzeittag!
Mit fürnehmen Schuhen für Hände und Füße
– Wie's sonst nur die Herrin der Vrene vermag –
Mit Göller und Haube nur tanze die Vrene
Dem Hans in die Ehe, sonst nicht! Notabene:
Am Arme und Hals die verpönten Korallen.« –
»So woll auch der Hans seiner Vrene gefallen!
Nicht anders entführst du mich zum Altar,
Als im alamodischen Rock, in den prallen
Kniehosen, frisiert mit gepudertem Haar!
Jabot und Manschetten! Die Schuhe voll Schnallen!
Die Uhr pumpt das Leihhaus, den Ehring daneben ...
Uns pfändet man bloß bis ans leichte Leben!
Die Buße verlach ich! Was nähm man uns Armen?
Wo nichts mehr zu holen ist, schenkt man Erbarmen!« –

 

Landvogt Lochmann reitet die Brücke entlang;
Im güldnen Gerüst an den Rossen
Bespiegelt die Sonne sich wunder wie lang:
Lerr Landvogt, ich sinn Euch auf Possen
Für Herrn der Reform und Genossen,
Die alles was glänzt um den Lichtglanz büßen
Mit Pfunden, die sie nicht blechen müssen;
Eurer Ehfrau süßen
Goldschmuck laß ich grüßen! –

Der Vogt reitet heim. »Margret,
Seid gegrüßt von der lachenden Sonnen!
Sie ritt mir zur Seite stet,
Hat güldene List Euch ersonnen!
Sie sprach: meinen Sonnenschein
Laß geruhig Frau Margaret dein
– Und öffentlich – spiegeln im Edelgestein,
Bis die Richter sich eitel beschaun,
Wie ich selber, im Schmuck ihrer Fraun;
Euch zu büßen, bald lassen sie's, traun!« –

 

□ □ □ □

Am Uetliberg.

1812.

»Es dämmert, dämmert ... von Rapperswil
Her zieht ein Wetter mit brausendem Spiel ...
Bruder, kehr um!« ...

»Schwesterchen, bleib!
Das ist die gespenstische Stunde, da ballt
Aus Busch und Gewölk sich Gestalt um Gestalt,
Aus dem Felsen bricht
Gesicht um Gesicht!« –

»Es saust und braust die Faletsch entlang,
Daß keine Sünde zur Tiefe uns lang,
Bruder, bet, bet!« ...

»Grüblerin, pha!
Sünd her, Sünde hin! In der Stunde erbaut
Die Burg sich aus Trümmern; die Wächterschar schaut
Nach den Zürchern aus,
Freut sich weidlich auf Strauß!« –

»Die Luft steht still und der Odem steht,
Ein Unheil brütet, ein Zwiespalt gerät ...
Bruder, gemach!« ...

»Schwätzerin, schweig!
Die Mannschaft der Burg zieht auf Raub aus zur Stell,
Der Boden erzittert ... fort! Hundegebell ...
Weiß wie Schnee im Troß
Jagen Reiter und Roß!« –

»Mein Fuß verfängt sich in Ast und Wurz,
Die Angst behext mich, behext mich zum Sturz,
Bruder, sei gut!« ...

»Törin, werd klug!
Zwölf Rosse wie Schnee und zwölf weißere Hund,
Zwölf Reiter – zuvörderst der Habsburg – zur Stund,
Ist die Mannschaft fort,
Ziehe zur Uetliburg dort!« –

»Es wetterleuchtet! Der Habsburg? Ich seh
Nicht Roß noch Reiter ... bald donnert's, o weh
Meinem Gesicht« ...

»Närrin, bei Gott!
Der Schein, der die dräuenden Tannen durchfährt,
Erglänzt von des Habsburg gezogenem Schwert,
Der beschirmet hat
Unsre liebliche Stadt.« –

»Schwör nicht bei Gott, den dein Herz verlacht!
Es donnert ... Gnade, urewige Macht,
Gnade uns Zwein!« ...

»Feiglingin, flieh!
Der Graf – von den Zürchern verfolgt bloß zum Schein –
Der Graf, nur der Graf donnert listig burgein,
Der Besatzung gleich
Weiß verkleidet zum Streich!« –

»Es blitzt, es zündet ... die Tanne dort brennt!
Daß keine Flamme uns nachrennt, uns trennt,
Fürchte die Glut!

Bruder, ich seh:
Zwölf Rosse wie Blut und zwölf rötere Hund,
Zwölf Reiter als Werwölf ... die Burglohe, und ...
Unsrer Zwietracht Brand,
Eine feurige Hand!« ...

 

□ □ □ □

Ein Sechseläuten.

18 ...

Sie reiten am Sechseläuten
– Als Herzog und Herzogin
Von Burgund – zwischen gaffenden Leuten
Im geschichtlichen Festzug dahin,
Die Liebe, ihr Lieben im Sinn.

Sie sahen sich lang schon gerne ...
Stumm wirbt er um ihren Blick;
Doch sie richtet ihn streng in die Ferne,
Vom verlockenden Augenblick
Auf sein rückwärts liegend Geschick –
Recht als schaute sie auf den Grund
Seinem Herzogtum Burgund.

»Frau Herzogin, wir verbrennen
Den Winter, seid fröhlich, traun!
Laßt noch heut Euren Sinn mich erkennen!
Euer Königreich Liebe zu schaun,
Laßt die Augen, die Augen mir blaun!« –

»Ich seh deine Jahre alle,
Ich seh deiner Väter Au,
Sehe stehen und gehn in der Halle
Deine erste geliebte Frau ...
Ich wäge, ob fest ich vertrau,
Daß ein königlich Reich noch schafft
Unsrer späten Liebe Kraft?

Ich frag: was zum Königsrange
In unserer Liebe Reich
Uns erhebt? Und das Herz pocht mir bange,
Und die Wange durchrieselt es bleich;
Herr Herzog antworte mir gleich!« ...

»Frau Herzogin, wir verbrennen
Heut Winters- und Zweifelspein!
Seht die Puppe dort baumeln und brennen,
Werft die Eifersucht hinterdrein,
Hinein in den flammenden Schein!
Werft die Hexe dem Unhold nach,
Seid mir stolz!« – der Herzog sprach.

»Ich seh wie durch Glas durch Herzen ...
Ich sehe dein tot Gemahl,
Seh's vom Alptraum bedrückt: zu verscherzen
Deine Liebe ... ich seh sie in Qual ...
Herr Herzog, antworte zumal!« ...

»Frau Herzogin, lauscht den Glocken,
Den Glocken voll Frühlingssang,
Lauscht der sprossenden Liebe Frohlocken,
Die den Lenz uns so selig bang
Einläuten die Äser entlang ...
Schaut der Liebe ins Auge klar,
Die da liebt: liebt was ist und war!« –

Herr Herzog, so darf ich küren,
Dich küren zum König mein!
Dein verblichen Gemahl soll verspüren
Unsrer Liebe alplösenden Schein
Tief ins Traumland, ins Traumland hinein!« ...

 

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Sylvester.

1832.

Auf der Helmhausbrücke, der Helmhausbrück,
Da jubeln die Jungen entgegen dem Glück
– Trotz starrendem Eis, trotz flockendem Schnee –
Wenn die Glocken der Stadt, wenn die Glocken vom See
Ums sterbende Jahr ihren Frieden weben,
Rein versöhnend Tod und Leben.

Wenn bei offenem Fenster und glühendem Wein
Die Alten toasten auf »leidlich Gedeihn«,
Glückwünschen die Jungen – noch grün überaus –
Und wünschen sich »goldene Berge« ins Haus;
Auf einmal hallts dumpf durch der Glocken Beben:
»Auch die Toten sollen leben!«

Ist's ein Mahnruf von Geistern, aus menschlichem Mund?
Kein Kelchglas zersplittert mit Klirren im Rund ...
Kein Luftzug haucht ähnliche Töne, und doch
Vernahm's jedes Ohr, und: »Den Toten ein Hoch!«
Schallt's wieder – »den Toten, die viel vergeben ...
Toten, euch, durch die wir leben!«

Was der Ahn ihnen baut, stecken Enkel in Brand!
Ihr Sehnen befiehlt ihnen anderes Land;
Schallt Pfahldorf um Pfahldorf in flammender Glut!
Ihr Widerschein zuckt um die Berge wie Blut;
Doch Männer und Wagen voll Fraun entschweben:
Seht die Toten, wie sie leben!

Dreh dich um! Blick mir über die Limmat hin schräg
Zum Lindenhof, hoch ob unheimlichem Steg.
Dort türmt uns der Römer die Zwingburg! Verdruß
Und Schande! verdoppelt vom spiegelnden Fluß,
Bis Enkel Geknechteter frei sich heben:
Bis die Toten wieder leben!

Sag, was träumt dort am Münster der Kaiser von Stein,
Das Schwert auf den Knieen nach Sachsen hinein?
Der Große, der gnädig uns Frieden gewährt,
Was wischt er für Schatten vom blinkenden Schwert?
Sind's Schatten Erschlagner, die kleben, kleben? ...
Weh uns, daß die Toten leben!

Dreh ich wieder! Doch nicht nach der Wasser Gefahr!
– Am Ende du nähmest den Wellenberg wahr –
Grüß lieber hinüber wo Zwingli noch steht,
Die eigene Seele nimm ernst ins Gebet!
Frag nicht, was für Opfer sich türmen neben
Unsrer großen Toten Leben.

Wer getraut sich Lavater ins Auge zu sehn?
Gesicht um Gesicht kann's die Seelen ausspähn ...
Freund Bodmer »im Berg« schwört dem Ungeschmack Tod;
Pestalozzi und Geßner ... mehr tut uns nicht not!
Denk jeder des eignen Geschlechtes Streben:
Heil den Toten, die uns leben!

Was umgeistert die Toten vom See her leis, leis,
Wie schwebender Schlittschuh auf knisterndem Eis?
Ist's Klopstock, der fernhin im Nebelduft bleicht?
Wer schreitet vom Schwert her hochwüchsig und leicht,
Das Glühen der Alpen im Aug? Schon schweben
Lieder ihm ins ewge Leben! –

Auf der Helmhausbrücke, der Helmhausbrück,
Da kreuzen sich schwesterlich Unglück und Glück,
– Trotz starrendem Eis, trotz flockendem Schnee –
Wenn die Glocken der Stadt, wenn die Glocken vom See
Posaunen mit eherner Stimme Beben:
»Unsre Toten leben, sie leben!«

 

□ □ □ □


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