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Kanton Wallis

Im Bann der Berge.

1888.

»Ich anerkenne kein Beschränken!
Frei will sich mein verwegner Mut
Der lockenden Gefahr verschenken,
Als flöß in mir kein Menschenblut;
Mich bindet weder Pflicht noch Sippe!« –
Er ruft es mit vermeßner Lippe,
Und schweigend steigt vor ihm die Klippe.

Er eilt mit Freunden im Geleite,
Die Gletscherspalte gähnt herauf
Und schnappt den Jüngsten ihm zur Seite,
Die Andren hemmen ihren Lauf:
»Laß ab! Verrucht wär dein Beginnen!« –
Wegstürmt er ob Geröll und Rinnen,
Bleich stehn die ewgen Bergeszinnen.

Zwei Führer gehn mit Beil und Eisen
Ihm keck zur Hand; da rollt ein Stein
Und lockt den Schnee aus sichren Gleisen;
Weh! die Lawine bricht herein
Und schmettert talwärts eine Leiche.
Der andre Führer ruft: »Ich weiche!« –
Er jauchzt: »Natur, wie ich dir gleiche!

Die blöden Menschen laß ich fahren!
Hoch klettr ich übers Alltagsjoch
– Wie unter Brüdern mit Gefahren –
Das Höchste gilt mir nicht zu hoch,
Erhöb es mich zu den Gestirnen!« –
Kalt starrt ein Meer von eisgen Firnen
Ihn an mit kraus zerrissnen Stirnen.

Erschöpft grüßt er die Herrn der Stärke,
Grüßt der Giganten wirre Zahl,
Halb Form, halb Fratze, halb die Werke
Der Sehnsucht, halb zerrißner Qual.
Die Sonne langt um alle Ecken
Des Abgrunds, lächelt allen Schrecken,
Und weiß kein Leben draus zu wecken.

Ein Schauder nebelt ums Geklüfte:
»Ist dies Gerippe Gottes Brust?«
– Wehklagt er in die fahlen Lüfte –
»Birgt's des Vernichters öde Lust?« –
Entlang die odemlosen Weiten,
Entlang die toten Einsamkeiten
Hört er sein Wort gespenstisch gleiten.

»Wird auch die Stimme hier vernichtet,
Entstellt wie Alles? Sich zum Hohn
Ins wild Verzerrte umgedichtet?
He, he ... ho ho!« ... Er zwingt den Ton
Aus sich heraus mit irrem Lachen,
Und hört's, entmenscht, vertausendfachen
Vom aufgesperrten Felsenrachen.

Er singt – das Grausen zu beschwören –
Singt, singt in den Gespensterkreis:
Holdselge, der ich zu gehören
Im Tal verschmäht, im ewgen Eis
Erglüh ich dir, im haßumdrohten!
Verzeih, errett, erhör den« ... »To...ten« ...
Hallt dumpf des Echos grimmes Spotten.

Fort schwebt ihr Bild, das rettungsüße ...
Er legt sich mit erloschnem Blick
Den Ungeheuern vor die Füße;
's braucht keinen jäh zerrissnen Strick,
Braucht keinen Stoß von Dämonshänden,
Braucht keinen Sturz von Felsenwänden:
Verzweiflung läßt ihn ruhmlos enden.

 

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