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Eine unbewohnte Insel im weiten Ozean war der Ort, nach dem van Guden sich begeben hatte.
Es gab nur einen einzigen, bequemen Zugang zu diesem Eiland. Tief genug war zwar das Wasser, daß selbst ein großes Schiff bequem heranfahren und anlegen konnte, aber die Ufer waren zu hoch, als daß sie ein Aussteigen aus dem Boote gestatteten. Das Schiff mußte entweder sehr hoch sein, etwa wie ein Kriegsschiff, oder man mußte erst eine Art von Gerüst aus Brettern bauen, um das Ufer gewinnen zu können.
Dagegen war jener einzige Zugang zu der Insel ein so vorzüglicher, daß er von einem Baumeister nicht besser hätte geschaffen werden können. An der Nordseite vertiefte sich an der sonst rundgestalteten Küste ein Einschnitt, eben breit genug, um ein Schiff durchzulassen, und schien ins Innere der Insel hineinzuführen. Hatte man aber diesen etwa hundert Meter langen Kanal passiert, so befand man sich in einem Becken, dessen niedriges Ufer das Aussteigen aus dem Boote bequem erlaubte, auch hier war das Wasser noch so tief, daß selbst ein Schiff anlegen konnte.
Die Wände waren von oben bis unten glatt und fielen jäh ab, als hätte sie ein Steinhauer bearbeitet.
In diesem Becken lagen acht große Dschunken, deren Besatzungen, fast zweihundert Menschen, das Land betreten hatten und eben dem Wortwechsel zweier Männer lauschten, die über etwas verschiedener Meinung waren.
Der eine war van Guden, der als Oberhaupt der chinesischen Piraten in diesen Gewässern galt, und der andere war ein kleiner, mißgestalteter Chinese, eher ein Zwerg zu nennen, mit gekrümmtem Rücken und schiefen Schultern, seinem Gesicht nach schon sehr alt, aber noch immer rüstig und behend, wie er auch seine Lebhaftigkeit trotz des hohen Alters in den Gestikulationen zeigte, mit denen er seine heftige Rede fortwährend begleitete.
Um sie herum standen die übrigen Mannschaften der Dschunken, ebenso, wie diese beiden, mit Dolchen und Pistolen bewaffnet, nur daß van Guden und der Kleine noch ein langes, kostbar gearbeitetes Schwert von chinesischer Arbeit an der Seite hängen hatten.
Man hätte jenem kleinen Manne gar nicht zugetraut, daß er dieses große Schwert, welches ihm fast bis zur Brust reichte, zu regieren vermochte.
Der Wortwechsel wurde in chinesischer Sprache geführt. Der Holländer bewahrte seine Ruhe; aus seiner Stimme klang oft Bitterkeit, und nur ab und zu blitzte sein blaues Auge wild auf. Der Chinese dagegen sprach erregt und leidenschaftlich, fortwährend fuhr er mit den Händen in der Luft herum, dann wieder legte er etwas Bittendes in den Ton seiner Rede, um gleich darauf ein höhnisches Gelächter auszustoßen.
Die Umstehenden zogen finstere Gesichter. Man konnte ihnen unverkennbar anmerken, daß sie mit verhaltenem Ingrimm auf den ruhig dastehenden Holländer blickten, der ihren Zorn wohl bemerkte, aber nicht beachtete, und daß sie dagegen der Rede ihres Stammesgenossen Beifall zollten. Gewöhnlich nickten sie ihm, wenn er etwas gerufen hatte, beistimmend zu.
Eben wies der kleine Chinese nach den im Becken ankernden Schiffen und rief in pathetischem Tone:
»Acht Dschunken sind dir nur noch treu geblieben. Sie waren einst der Kern jener Macht, welche ich dir überlieferte, hoffend, sie werde unter deiner starken Hand zu einem Ungeheuer anwachsen, das alle uns verhaßten Fremdlinge verschlinge. Meine Hoffnung war, daß es einst in unserer Hand läge, das Reich der Mitte wieder zu dem zu machen, was es früher war, zu einem Ganzen für sich, einer Weltherrschaft. Und nun? Deiner Unentschlossenheit, deiner Zaghaftigkeit und deinen sonderbaren Ansichten haben wir es zuzuschreiben, daß uns eine Dschunke nach der anderen verlassen hat, und nicht lange wird es dauern, so fahren auch diese acht Dschunken noch davon, und wir haben nicht einmal eine Planke, auf der wir diese Insel verlassen können. Sieh nur die unzufriedenen Gesichter um dich herum, sie werden dir sagen, was du von ihnen zu erwarten hast.«
»Es ist so,« rief eine murrende Stimme aus dem Hintergrunde, »wir wollen Freiheit, völlige Freiheit haben, oder wir schlagen uns auf die Seite jener Piraten, denen es gleich gilt, welches Schiff man plündert. Die Beute ist bei uns die Hauptsache.«
Geduldig hatte der Holländer diese Rede angehört, keine Muskel zuckte in seinem braunen Gesicht.
Jetzt wandte er sich nach der Richtung, aus welcher die Stimme erschollen war.
»Habe ich euch nicht immer zum Sieg geführt?« rief er. »Ist der Name »Würgengel« nicht überall an der Küste von China bekannt, als der eines Mannes, der noch nie eine Schlappe erlitten hat, dem noch kein Kriegsschiff, weder ein chinesisches, noch ein englisches, hat Schaden können, und der sich rühmt, daß sein Aussehen niemand beschreiben kann, mit dem er sich im Kampfe gemessen hat?«
»Würgengel?« wiederholte der Kleine spöttisch. »Wenn es jemanden gibt, der diesen Namen verdiente, so bin ich es, denn ich habe dafür gesorgt, daß die Mannschaften der genommenen Schiffe den Haifischen als Futter dienten. Allerdings warst du es, der immer die Enterung leitete, der als erster über die Bordwand sprang, mit dem Säbel in der Faust, und nie ist dir ein Angriff mißglückt, das muß man dir lassen. Aber warum schließest du dich uns nicht völlig an? Warum beharrst du auf deinem eigensinnigen Willen, nur englische Schiffe und nicht auch die anderer Nationen zu plündern? Laß ab von diesem Vorurteil, schlage deine Enterhaken nur ein einziges Mal in ein französisches oder deutsches Schiff, und, bei allen Göttern, in einigen Tagen hast du wieder alle jene Hunderte von Dschunken mit ihrer ganzen Bemannung um dich versammelt, die dich einst als meinen Sohn, den Fürsten der Piraten, feierten.«
»Als deinen Sohn?« echote es aus dem Munde des Piraten. »Mein Unglück war es, daß du, mich damals verschontest. Hättest du, Scheusal, doch lieber kein Erbarmen gehabt und mich, gleich meinen Schiffskameraden, den Meeresfluten übergeben. Wahrhaftig, zwischen den Hyänen des Meeres wäre ich besser aufgehoben gewesen, als unter euch.«
»Sprich nicht so,« und die Stimme des kleinen Chinesen nahm plötzlich einen weichen Klang an, »auch in meinem versteinerten Herzen gibt es noch Flecken, welche empfindsam sind. Als ich dich kleinen, vierzehnjährigen Jungen mit dem Lockenkopf und den Pausbacken, so trotzig den Entersäbel schwingen sah, als du mit deiner schwachen Kraft so geschickt den Hieben meines Säbels zu begegnen wußtest, welcher das Leben des Kapitäns bedrohte, da fühlte ich plötzlich ein Verlangen, dich zu besitzen. Ich wand dir den Entersäbel aus der Hand, und statt dich den Haifischen hinabzuschleudern, nahm ich dich auf wie einen Sohn, du wurdest einer der Unsrigen, und meine Freude wuchs von Tag zu Tag, als du mit Leichtigkeit meine Kunstfertigkeit im Handhaben des Enterhakens und des schweren Säbels lerntest; ich selbst war dein Lehrmeister, ich erzog dich mit einer Aufmerksamkeit und Sorgfalt, gegen welche die einer Mutter nichts ist, und ich konnte den Erfolg von Tag zu Tag beobachten. Du erbtest meine Gewandtheit, das krumme Schwert zu regieren, aber die dir angeborene Kraft machte dich in dieser Kunst bald zu einem Meister, gegen den ich nicht mehr fechten konnte. Schon als Jüngling von siebzehn Jahren schlugst du mir die Waffe aus der Hand, mir, der bisher als unbesiegbarer Fechter galt, aber ich empfand keinen Neid darüber, nein, ein unsagbarer Stolz erfüllte immer mein Herz, sah ich dich mit blitzenden Augen dastehen, das Schwert in der emporgestreckten Hand, jedem meiner zahllosen Kunsthiebe begegnend, bis du selbst ausfielst und ich im nächsten Augenblick entwaffnet vor dir stand.«
Der kleine Chinese hielt einen Augenblick in seiner lebhaften Rede inne, das beifällige Gemurmel der Umstehenden hatte sich in Rasen verwandelt, jetzt jubelten sie wieder dem Holländer zu, den sie noch eben mit grimmigen Augen angesehen hatten.
Aber der Redner hatte sich getäuscht, wenn er glaubte, die Ehrsucht des Holländers erweckt zu haben. Nichts verriet an ihm, daß die eben gehörten Schmeicheleien irgendwelchen Eindruck auf ihn gemacht hätten, finster wie vorher betrachtete er stumm den Chinesen, welcher sich von jeher angemaßt hatte, sich als seinen Vater zu betrachten.
»Du warst fast noch ein Knabe,« fuhr der Chinese fort, als sich der Beifallssturm seiner Landsleute gelegt hatte, »da trat ich dir schon freiwillig die Herrschaft über die Piraten ab, du wurdest Fürst, und fürwahr, sie hatten es anfangs nicht zu bereuen. Unsere Gewässer wurden seiner Zeit fast nur von englischen Schiffen belebt, und keines derselben, nach welchem du die Segel richten ließest, entging deinem Enterhaken. Unsere Beute war unermeßlich, unser Reichtum wuchs von Tag zu Tag, und außerdem hatten wir die Genugtuung, uns fast jeden Tag im Blute der verhaßten Engländer baden zu können. Nie zuvor hatten die Piraten ein ähnliches Glück gehabt, sie verehrten dich wie ihren Gott, und wirklich glichest du einem Racheengel, wenn du in mächtigem Sprunge an Deck des feindlichen Schiffes hinübersetztest und dein Schwert wie eine Sense die Feinde niedermähte; da kam deine erste Weigerung, eine sichere Beute zu nehmen. Wir verziehen damals, denn es war ein holländisches Schiff, und wir rechneten es deinem jugendlichen Herzen zu gute, daß du Mitleid mit deinen Landsleuten empfandest, ich selbst gab deinem Befehl, dieses Schiff in Frieden zu lassen, Nachdruck. Wehe mir, daß ich es tat; diese Gefühle hätten schon damals bei dir ausgerottet werden müssen! Bald darauf weigertest du dich abermals, ein italienisches Schiff anzugreifen, dann ein französisches, dann ein amerikanisches und so weiter. Die Leute wurden schon unwillig über deine Saumseligkeit, als dir einige englische Schiffe in Sicht kamen und du wieder dem Namen »Würgengel«, den du von mir erbtest, Ehre machtest. So schwankte es Jahre hin und her, einmal jubelten dir die Piraten zu, dann wieder grollten sie dir, weil du ihnen die sichere Beute entgehen ließest. Du ließest nicht mit dir spaßen, wer gegen deinen Befehl nur muckte, dessen Kopf rollte im nächsten Augenblick über Deck, und einmal hast du sogar die ganze Mannschaft deines Schiffes, welches sich gegen dich empörte, mit eigener Hand zur Hölle geschickt. Und was war die Folge davon? Heimlich haben uns die Dschunken verlassen, eine nach der anderen, als du einmal bestimmt erklärtest, keine anderen, als nur englische Schiffe zu entern – einen solchen Anführer wollten sie nicht mehr haben, sie waren Piraten und mußten alles nehmen, was ihnen vor die Zähne kam.
»Sieh hier diese Männer,« fuhr der kleine Chinese fort und deutete mit der Hand im Kreise ringsum, »sie sind die einzigen, welche dir noch treu geblieben sind, und noch einmal lassen sie dich durch mich fragen, ob du gewillt bist, den ›Amor‹, den du hierher bestellt hast, mit Gewalt oder mit List zu nehmen. Bedenke, er führt jedenfalls unermeßliche Schätze, außerdem Revolver, Flinten und Säbel mit sich, alles Dinge, die für uns größten Wert besitzen. Also nochmals, willst du oder nicht?« »Nein,« erklang es fest aus dem Munde des Holländers, »ich werde es nicht tun!«
»Warum nicht?«
»Van Guden hat sein Wort gegeben, und noch niemals hat er es gebrochen.«
»Was für ein Wort?«
»Ich habe es dir schon einmal gesagt. Ich erklärte diesen Engländern, deren einen Freund ich in Scha-tou rauben ließ, daß sie den Entführten nur unter folgenden Bedingungen zurückerhalten würden: sie sollten nach dieser Insel kommen, alle siebenundzwanzig Mann, ich würde mit jedem einzelnen von ihnen mich im Schwertkampf messen, und gelänge es auch nur einem von ihnen, mich zu töten, zu entwaffnen oder mir nur die Haut zu ritzen, so wäre der geraubte Herzog, wie auch sie alle selbst frei, sie könnten mit ihrer Brigg zurückkehren. Ich gab ihnen meinen Wort, daß nicht eine Stecknadel von ihrem Schiff angetastet werden würde. Besiege ich sie dagegen, alle ohne Ausnahme, so gehört ihr Leben mir, den, ›Amor‹ dagegen würde ich zurückschicken, nur einen einzigen würde ich an Bord am Leben lassen, damit er die Kunde von meiner Rache den Eltern der Toten brächte.«
»Törichte Bedingungen,« brauste der Chinese auf, »die erste gefällt uns ja ganz gut; keiner von uns zweifelt daran, daß du sie alle besiegst, denn im Schwertkampf bist du unverwundbar, dank meiner Lehre, aber die letzte billigen wir nicht. Fällst du oder siegst du, der ›Amor‹ mit seinen Schätzen gehört uns.«
»Wagt es, meinem Befehle zu trotzen!« fuhr jetzt auch der Holländer auf, und sein Auge begann plötzlich unheimlich zu glühen. »Bei Gottes Tod, dessen Körper spalte ich in zwei Hälften, der es unternimmt, auch nur seinen Fuß an Bord des ››Amor‹ zu setzen! Ihr wißt, ich halte mein Wort, hütet euch!«
»Wir werden sehen,« lachte der Chinese heiser auf, »ob du diesmal deine Bande im Zaume halten kannst. Du hast lange genug schon mit ihrer Langmut gespielt. dieser Streich würde sie aber erschöpfen. Es genügt ein Wink von mir, um sie auf meine Seite zu bringen.«
»Dann bist du der erste, der unter meinem Schwerte fällt, wenigstens, wenn du sie zum Angriff gegen den ›Amor‹ führst. Er steht unter meinem Schutze.«
»Ich, dein Vater?«
»Mein Vater?« wiederholte der Holländer bitter. »Ich kenne nichts, was mich an dich fesselt. Ich verfluche dich, weil du mich in eure Kreise zogst.«
»Sagtest du nicht selbst, du trügest einen unauslöschlichen Haß gegen die Engländer in deinem Herzen? Wo konntest du diesen besser stillen, als hier, unter uns?«
»Es gibt noch andere Waffen, um einen Feind zu vernichten,« entgegnete der Holländer.
»Aber wer kann seinen Zorn, seine Rache besser kühlen, als ein freier Pirat?«
»Unser Kampf ist ein unerlaubter, wir werden als der Abschaum der Menschheit bezeichnet.«
Die umstehenden Chinesen brachen bei dieser Bemerkung in ein lautes Gelächter aus, sie verstanden ihren Anführer nicht, und dieser, welcher die Gefühllosigkeit seiner Leute kannte, versuchte nicht, sie über seine Meinung aufzuklären.
»Der ›Amor‹!« rief plötzlich ein am äußersten Rand der Einfahrt postierter Chinese, und aller Augen wandten sich der kleinen Brigg zu, die am Horizont unter vollem Dampf auftauchte und gerade auf die Insel zuhielt.
»Sagte ich es nicht?« rief van Guden. »Diese Engländer sind wenigstens Ehrenmänner, die ihren Freund um keinen Preis der Welt im Stich lassen! Und so sollen sie sich auch in mir nicht täuschen. So lange ich noch die Hand mit dem Schwert rühren kann, sind sie und ihr Schiff unantastbar, und habe ich sie einen nach dem anderen besiegt, dann erst gehört ihr Leben mir, der ›Amor‹ selbst aber kehrt nach Scha-tou zurück. Es soll van Guden nicht nachgesagt werden, daß er in diesem Kampfe seine verhaßten Feinde nur besiegt habe, um sie zu berauben, es handelt sich jetzt darum, Englands Stolz zu vernichten, nicht aber Beute zu machen.«
Der alte Chinese drehte sich bei diesen Worten herum und lachte heiser auf, er schien anderen Willens zu sein, desgleichen die übrigen, welche unter sich flüsterten.
»Führt den Gefangenen vor!« rief van Guden, sich an seine Leute wendend.
Aus einer Dschunke ward der gefesselte Marquis Chaushilm an Land gebracht.
Er sah bleich aus, und sein Haar hing wirr um den Kopf, aber kein Zucken seiner Gesichtsmuskeln verriet, daß er sich fürchte, sein Auge war nicht getrübt, und als er jetzt, durch das Benehmen der Chinesen aufmerksam gemacht, den Horizont musterte, da blitzte es plötzlich freudig auf, er hatte den andampfenden ›Amor‹ bemerkt.
Er wußte wohl, um was es sich handelte, wovon seine Rettung abhing.
Kamen seine Freunde der Aufforderung van Gudens nach, fuhren sie nach dieser Insel und nahmen sie zur bestimmten Zeit einzeln den Schwertkampf mit ihm auf, so war sein Leben, vorläufig wenigstens, gesichert. Wurde der Holländer besiegt, so waren sie alle frei, wurde er ihrer Meister, hatte er sie alle entwaffnet, dann lag ihr Leben in seiner Hand.
Vorläufig hatte er also noch Hoffnung; daß seine Freunde ihn nicht im Stiche ließen, das hatte er bestimmt erwartet, nur zitterte er dafür, daß sie nicht zur rechten Zeit kämen, denn schon begann die Sonne zu sinken, und noch vor Sonnenuntergang sollten sie hier sein, sonst war das Leben des Herzogs verwirkt.
Er wußte noch nicht, daß dieser Holländer ein so guter Fechter war, er kannte nur das Schicksal von dessen Vater, und hatte erfahren, daß van Guden unter den chinesischen Piraten einen unaufhörlichen Krieg gegen die Engländer führte. Als er von der Herausforderung und den Bedingungen, welche sich an die Erhaltung seines Lebens knüpften, erfuhr, atmete er erleichtert auf, er schöpfte neuen Mut.
Mochte der Holländer auch ein guter Fechter sein, vielleicht gab es unter seinen Freunden noch bessere, denn er wußte zum Beispiel von Lord Harrlington und Lord Hastings, daß beide in dieser Kunst ihres Gleichen suchten.
Es kam nur darauf an, mit welchen Waffen der Kampf stattfinden sollte. Konnte Lord Harrlington sich diese wählen, dann zweifelte Chaushilm nicht daran, daß sein Freund, der aus allen Sportskämpfen zu England, welcher Art sie auch sein mochten, als Sieger hervorgegangen war, auch diesmal seinem Gegner überlegen sein würde.
Marquis Chaushilm wurde vor van Guden geführt.
»Wer hat Sie gebunden?« fragte der Holländer auf englisch.
Chaushilm deutete mit dem Kopf auf den kleinen Chinesen, der neben dem Holländer stand.
Van Guden warf diesem einen finsteren Blick zu, zog seinen Dolch aus dem Gürtel und durchschnitt die Bande, die des Herzogs Hände auf dem Rücken fesselten.
»Freuen sie sich,« fuhr er dann fort, »daß Sie solche Freunde besitzen, die Sie in der Gefahr nicht verlassen! Es sind Ehrenmänner, ich will den Haß, den ich gegen Euch Engländer trage, nicht durch feige Rachsucht kühlen. In offenem Kampfe, Mann gegen Mann, will ich mich mit ihnen messen und mich ebenfalls als Ehrenmann erweisen.
Unterdes war der ›Amor‹ herangekommen. Langsam fuhr er durch den natürlichen Kanal in das Becken, die Herren standen an Deck und betrachteten mißtrauisch die acht Dschunken und die vielen Menschen an Land. Aber jetzt war es zu spät, umzukehren, sahen sie doch auch ihren Freund ungefesselt zwischen den Chinesen stehen, sie wußten wohl, daß, wenn sie der durch van Guden an sie ergangenen Herausforderung nicht nachkamen, das Leben des Herzogs verwirkt war.
Sie zögerten nicht, der ›Amor‹ wurde an eine freie Stelle des Hafens gesteuert, die Anker rasselten herab, die Herren sprangen ans Land und wurden sofort von den Chinesen umringt, welche einen Halbkreis bildeten.
In diesen trat jetzt van Guden.
»So seid ihr also meiner Einladung gefolgt,« begann er, »ich habe es nicht anders von euch erwartet.«
Aus der Schar der 26 Herren trat Lord Harrlington, maß den vor ihm stehenden Holländer, von dem er schon so vieles Seltsame hatte erzählen hören, mit scharfen Blicken und nahm für seine Gefährten das Wort.
»Wohl sind wir deiner Aufforderung, für das Leben unseres Freundes mit dir einen Zweikampf aufzunehmen, nachgekommen, und damit du siehst, daß wir durchaus ehrliche Menschen sind, so teilen wir dir offen vorher mit: Wir sind nicht alle, die sich sonst an Bord des ›Amor‹ befanden.«
Des Holländers Augenbrauen zogen sich finster zusammen.
»Nur ein einziger fehlt, Mister John Davids.«
Schon bei Nennung dieses Namens klärte sich die Stirn des Piraten, und als er erfuhr, daß die übrigen Engländer selbst äußerst bestürzt über das Fernbleiben dieses Herrn waren, gab er sich zufrieden.
»So seid ihr gewillt, euch mit mir im Zweikampf mit dem Schwert zu messen, einer nach dem anderen?« fragte der Pirat.
»Wir sind es,« riefen die Herren, die dem entfernt stehenden Marquis freundliche Grüße zugewinkt hatten.
»Seid ihr mit den euch gestellten Bedingungen zufrieden? Nehmt ihr sie an?«
»Auch das!«
»Versprecht ihr, im Falle, daß ich euch alle besiege, keine verborgenen Waffen zu gebrauchen, um euch euren Verpflichtungen zu entziehen, das heißt, um euch zu befreien und so den Vertrag zu verletzen?«
»Wir tun es,« versicherte Lord Harrlington bestimmt.
»Gut, so wählt unter euch einen Mann, der in der Führung des Schwertes am besten bewandert ist, er soll mit mir den Kampf beginnen.«
»Noch eins!« unterbrach ihn Lord Harrlington. »Noch hast du uns nicht mitgeteilt, mit welcher Waffe der Zweikampf stattfinden soll.«
»Mit dem Schwert, ich habe es schon gesagt.«
»Es gibt aber verschiedene Arten von Schwertern und Säbeln, ihre Handhabung ist eine verschiedene.«
»Natürlich mit diesem hier!« rief der Holländer und schlug dabei kräftig an sein Schwert.
»Natürlich? Ich wußte nicht, daß diese Sorte Schwerter oder Säbel bestimmt werden sollte. Wir sind nicht mit der Führung des krummen, chinesischen Schwertes bekannt. Aber damit du siehst, daß wir selbst mit einer Waffe, die wir noch gar nicht in der Hand gehabt haben, unseren Mann stellen können, so nehmen wir die Bedingungen an.«
»Tun Sie es nicht,« flüsterte Lord Hastings seinem Freunde zu, »dieser Holländer ist jedenfalls von Jugend auf darin geübt, er ist sehr stark gebaut, und die Fechtart mit dieser Waffe ist jedenfalls eine ganz andere, als die mit dem Rapier oder Degen, worin wir Uebung besitzen.«
»Lassen Sie mich!« lächelte Harrlington. »Sie wird nicht viel anders sein, als die mit dem Palasch, und den weiß ich zu führen. Sollte dieser Holländer auch ein besserer Fechter sein, als ich, er wird mir nicht viel tun können.«
»Wer will sich zuerst mit mir im Zweikampf mit dieser Waffe messen?« fragte der Holländer und ließ seine Augen im Kreise herumwandern.
»Ich selbst,« antwortete Harrlington.
Van Guden maß mit langen Blicken die schlanke, fast zierliche Gestalt des Lords, und er konnte ein spöttisches Lächeln kaum verbergen, das um seine Mundwinkel zuckte.
»Gut,« sagte er dann, »so sind Sie der erste. Wir brauchen keine Vorbereitungen zu treffen oder uns gegenseitige Versprechen abzunehmen. Alle Hiebe, alle Finten sind erlaubt, es gilt, den Gegner kampfunfähig zu machen oder ihn zu entwaffnen. Wen dieses Geschick trifft, der gibt sich verloren und läßt sich willig von meinen Leuten binden, ohne daß die anderen Herren dagegen Einspruch erheben. Sind die Herren damit einverstanden?«
»Wir sind es,« antworteten alle einstimmig, aber aus den Mienen einiger konnte man lesen, daß sie um den Ausgang eines solchen Zweikampfes Besorgnis hegten. Niemand von ihnen hatte jemals ein chinesisches, sehr stark gekrümmtes Schwert geschwungen, und dieser Holländer mußte darin jedenfalls außerordentlich geübt sein, denn er trat mit großer Sicherheit auf, und die umstehenden Chinesen zogen spöttische Gesichter.
»So laßt uns den Kampf beginnen!« sagte der Holländer. »Werde ich besiegt, so seid ihr alle frei, ihr könnt auf dem ›Amor‹ fortfahren. Ich schwöre euch dies bei meiner Ehre, Bezwinge ich euch alle, einen nach dem anderen, so ist euer Leben mir verfallen. Nur einen, den ich auswähle, schicke ich mit dem ›Amor‹ nach Scha-tou, damit er von dem Tode seiner Freunde erzählen kann.«
Die Engländer zogen sich etwas zurück und bildeten einen Halbkreis um die beiden, welche ihre Kunstfertigkeit im Fechten messen wollten, während die Chinesen, auch der kleine, sich sonderbarerweise gar nicht um den interessanten Zweikampf kümmerten, sondern sich dicht am Uferrand hielten, eifrig miteinander sprachen und dabei bald nach den Engländern, bald nach dem ›Amor‹ blickten, auf welchem sich nur noch Hannibal, der erkrankte Snatcher und die sechs Heizer befanden.
Van Guden hatte zwei gleiche Schwerter bei sich, sein eigenes und das dem kleinen Chinesen gehörige. Er bat Lord Harrlington, eins zu wählen, und dieser ergriff das erste beste, er mißtraute dem Holländer nicht, entledigte sich seines Ueberrockes und nahm mit ruhiger Miene seinen Platz ein, im Gegensatz zu den übrigen, die vor Aufregung zitterten und mit besorgten Augen diesen Vorbereitungen ihres Freundes zusahen.
Eine Minute später klirrten die Schwerter zusammen, der Zweikampf hatte begonnen.
Mit Entsetzen bemerkten die Engländer sofort, daß der Holländer ihrem Freunde weit überlegen war, sein Schwert sauste fort und fort in allen Richtungen nach dem Kopf des Gegners. Doch wunderbarerweise war es allen erst vorgekommen, als hätte er anfangs nur versucht, dem Gegner die Waffe durch eine geschickte Bewegung aus der Hand zu schlagen, da ihm dies aber nach wiederholten Bemühungen nicht gelungen war, versuchte er jetzt, diesen ausgezeichneten Fechter schnell zu töten. Van Guden hatte allerdings nicht geglaubt, in dieser zierlichen Gestalt einen so guten Fechter zu finden, der allen seinen Kniffen geschickt zu begegnen im stande war. Aber es war natürlich, daß die Herren selbstverständlich unter sich den ausgesucht hatten, der den Säbel am besten zu führen verstand.
Doch Harrlington war ihm auch an Geschicklichkeit gewachsen, nur an Kraft konnte er ihm nicht gleichen, und so änderte der Holländer schon nach der ersten Minute seine Fechtweise. Statt geschickte Hiebe und Finten anzuwenden, um jenem die Waffe aus der Hand zu schleudern, ging er jetzt zum heftigsten Angriff über, ohne sich aber selbst eine Blöße zu geben.
Aber Harrlington hätte auch gar keine Gelegenheit gefunden, selbst zum Angriff überzugehen, er hatte genug zu tun, die furchtbar kräftigen Hiebe dieses starken Mannes aufzufangen, die wie Hagel so dicht auf ihn herabregneten. Er mußte seine ganze Kraft aufbieten, sich die Parade, das heißt das zum Schutz über den Kopf gehaltene Schwert nicht durchschlagen zu lassen, und mußte außerdem noch fortwährend die schwere Waffe hin- und herschwingen, um die Seitenhiebe aufzufangen.
Van Guden wurde immer heftiger, es war das erste Mal, daß ihm ein Gegner so lange standhielt. Diesem wenigstens wollte er den tödlichen Streich versetzen, mit den anderen, dachte er, leichtes Spiel zu haben.
Harrlington dagegen bewahrte seine Ruhe vollkommen; stets klirrte das Schwert des Holländers gegen das seine, doch bemerkten seine Freunde immer mehr, daß sich seine Bewegungen verlangsamten, sein Arm ermüdete unter der Last des mächtigen Stahles, ohne daß er nur die geringste Gelegenheit fand, selbst einmal angreifend vorzugehen.
Endlich mußte er doch so ermattet sein, daß er den wuchtigen Schlägen nicht mehr standhalten konnte, ein mächtiger Schlag schien ihm die Klinge aus der Hand zu schleudern, die rechte war plötzlich leer, und doch wurde dem Schwerte des Holländers begegnet.
Lord Harrlington hatte die Waffe gewechselt, er focht mit der linken Hand weiter und zwar ebenso geschickt, wie mit der rechten, jetzt sogar mit erneuter Kraft, denn diese war vollständig ausgeruht.
Ein Jubelschrei erhob sich unter den Engländern, als sie merkten, daß ihr Freund mit der linken Hand ebensogut, wie mit der rechten, zu fechten verstand, eine Kunst, die sich viele anzueignen suchen, und jetzt erinnerten sie sich auch, daß Lord Harrlington gewöhnt war, beide Hände ohne Vorzug zu gebrauchen. Er konnte ebenso links schreiben, Billard spielen und so weiter, wie rechts.
So war neue Hoffnung, daß er den Kampf gewann, denn er konnte ja abwechselnd fechten und den einen Arm immer ausruhen lassen, des Holländers Kraft mußte doch einmal bei diesen wuchtigen Hieben nachlassen, und dann konnte der Lord zum Angriff übergehen.
Der Holländer war erst vollständig verblüfft über dieses Manöver, es war das erste Mal, daß er eine solche Geschicklichkeit an jemandem wahrnahm, und fast wäre es Harrlington gelungen, ihm eine Wunde beizubringen, hätte er sich nicht schnell wieder aufgerafft und die Verteidigung aufgenommen.
Aber mit der ersten Fechtart war es jetzt vorbei.
Van Guden war nicht gewohnt, mit einem Gegner zu fechten, der die Waffe links führte, Lord Harrlington war es dagegen vollständig gleichgültig, ob der Holländer links oder rechts focht, und so war er bedeutend im Vorteil.
Jetzt wendete sich das Blatt, nun war es Harrlington, welcher angriff, und der Holländer, welcher sich nur mit Mühe decken konnte.
Immer schneller und geschickter wußte der Lord seine Waffe zu führen, bald holte er zum gewaltigen Schlage aus, um das Schwert dann schnell von der Seite zu schwingen, und plötzlich unterbrach er sich mitten im Schlag und suchte dem Holländer einen Stich beizubringen.
Die Engländer frohlockten. Nicht lange konnte es mehr dauern, und Lord Harrlington hatte den Holländer ermüdet, denn dieser konnte sich seines Angreifers kaum noch erwehren, umso weniger, als der Lord jetzt fortwährend seine Waffe aus einer Hand in die andere spielen ließ.
Kein Zuschauer des Kampfes hatte darauf geachtet, was während dieser Zeit die Chinesen am Ufer getrieben hatten, sie alle trauten dem Worte des Holländers, daß der ›Amor‹ sicher sei.
Da plötzlich erscholl von der der Einfahrt gegenüberliegenden Seite eine helle Frauenstimme. Aller Augen wandten sich dorthin, und mit Erstaunen erkannten sie Miß Petersen, die sich mit allen ihren Freundinnen der Gruppe näherte.
Niemand hatte bemerkt, wenigstens keiner der Engländer, daß die ›Vesta‹ an die Insel gesegelt und an der südlichen Seite vor Anker gegangen war. Mittels einiger Bretter war es den Damen gelungen, das Land zu betreten, und groß war ihre Verwunderung, hier alle Herren des ›Amor‹ zu finden, und noch dazu Lord Harrlington im Zweikampfe mit einem Chinesen!
Auch van Guden hatte gestutzt, als der Ruf einer Frauenstimme an sein Ohr schlug, er vergaß einen Augenblick seine Vorsicht, schnell wollte er das Versäumte nachholen, aber es war zu spät – wie eine Schlange wand sich das krumme Schwert des Lord um das seine, und ehe der Holländer es hindern konnte, war es aus seiner Hand gerissen und flog in großem Bogen über die Köpfe der Engländer durch die Luft.