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Kehren wir nun noch einmal zu dem Augenblick zurück, als Jessy, von heftigem Durst gequält, sich dem Ort näherte, von wo sie das Murmeln der Quelle vernahm!
Wie freute sie sich, als sie auf der Anhöhe angekommen war und nun zu ihren Füßen einen kleinen Wasserfall sah!
Sie kletterte hinab, hielt sich an den Zweigen eines Busches fest und bog sich weit vor, um die Flasche mit dem erquickenden Naß zu füllen, als sich plötzlich ein Arm um ihre Taille legte.
»Unverschämt,« rief das Mädchen unwillig und wandte sich um.
Sie hatte nicht anders geglaubt, als daß der kräftige Arm, der sie umschlang und emporhob, der eines Herrn war, welcher vielleicht erwacht, ihr nachgeschlichen war und sich nun diesen Spaß mit ihr erlaubte; aber ihr Antlitz erstarrte vor Schreck, als sie in das häßliche Gesicht eines Australnegers blickte.
Sie fand fast keine Zeit, um Hilfe zu schreien, denn mit flüchtigen Sätzen, das Mädchen wie eine Feder auf dem Arme tragend, sprang der Neger so schnell wie das Känguruh seiner Heimat davon, ohne nach Atem zu ringen, als wenn er keine Bürde trüge.
Aber in der nächsten Minute hatte sich Jessy von ihrem Schreck erholt, sie stemmte beide Arme gegen die Brust des Mannes, und suchte sich von diesem zu befreien, dabei laut um Hilfe rufend; aber der Neger schlang den freien Arm um sie und drückte sie fest an seine Brust, und, obgleich er sich Mühe zu geben schien, ihr nicht wehe zu tun, besaß er doch eine so furchtbare Stärke, daß sich Jessy nicht rühren und auch nicht nach ihrem Revolver greifen konnte.
Ihre einzige Hoffnung war, daß ihre Gefährten das Hilferufen gehört hatten, und wenn sie den Neger auch nicht gleich einholen könnten, so doch hinfort auf seiner Spur bleiben würden.
Der Eingeborene rannte, daß dem Mädchen fast der Atem verging, und dabei bemerkte es doch, daß er von Stein zu Stein sprang, nie aber den Lehmboden berührte. Erst war ihr unklar, warum, dann aber fiel ihr ein, daß er keine Spur hinterlassen wollte, und eine neue Sorge beschlich ihr Herz.
Jessy besaß ein mutiges und unverzagtes Herz, und so vermochte auch diese Entführung nicht, sie niederzuschlagen. Sie war ja auf Abenteuer ausgegangen, als sie New-York verließ, nicht um eine Vergnügungsfahrt zu machen.
Wollte der Wilde sie auffressen?
Sie wußte es nicht.
Himmel, wie konnte dieser Kerl laufen!
Das alles schoß blitzartig durch Jessys Kopf, und sie beschloß, sich vorläufig ruhig zu verhalten, um kein Mißtrauen zu erwecken. Dann gab der Mann vielleicht ihren Arm frei, und sie konnte versuchen, Zweige abzupflücken oder ab und zu etwas fallen zu lassen, damit die Freunde auf ihrer Spur bleiben konnten.
Zehn Minuten wohl mochte der Schwarze durch das Hügeltal gerannt sein, durch welches der Bach floß, als er den Ausgang erreichte und zugleich auf einen Fluß traf, in den die Quelle mündete. Er war ziemlich breit und äußerst reißend.
An einer Stelle des Ufers erblickte Jessy etwa acht bis zehn halbnackte, schwarze Gestalten, welche eben einige Gegenstände ins Wasser schoben.
Der Eingeborene lief mit dem Mädchen auf diese Gruppe zu, und ein Freudengeheul erhob sich, als die beiden erblickt wurden. Die Leute hoben die Arme zum Himmel und tanzten mit seltsamen Sprüngen um Jessy herum, die noch immer auf dem Arme ihres Entführers saß.
Ihre Vermutung bestätigte sich, die dunklen Gegenstände, die da im Wasser lagen, waren Boote, aus Rinde gefertigt, wie die der Indianer, nur noch viel leichter und zerbrechlicher als deren Kanus.
Ohne weiteres trat der Eingeborene in eines dieser Fahrzeuge und ließ Jessy zu Boden gleiten. Sie stieß einen schwachen Schrei aus, denn das Boot wollte bei jeder Bewegung des Negers umschlagen, und das Wasser war nur einen Finger breit unter dem Rande, aber da es dennoch nicht umstürzte, so beruhigte sie sich wieder.
Ein anderer Neger warf dem ersteren einen Baumast zu, den er geschickt auffing, löste dann das Bastseil am Ufer, und wie ein Pfeil schoß das Boot den Bach hinab, gefolgt von den anderen vier, in denen je zwei und drei Eingeborene saßen. Der Steurer saß hinten, hielt den Baumast ins Wasser und lenkte das Boot so geschickt den reißenden Bach hinab, daß das Fahrzeug niemals das Ufer berührte, was gleichbedeutend mit einem Zertrümmern desselben gewesen wäre.
Nur einmal, als der Bach eine scharfe Wendung machte, wodurch das Wasser sich sehr staute, sprangen alle ans Ufer und trugen die Boote über die Strömung hinweg mit Ausnahme desjenigen, der im Boote Jessys gesessen und sie entführt hatte, denn dieser nahm das Mädchen sofort wieder auf den Arm.
Die Gefühle, welche Jessy durchbebten, als sie weiter und weiter von ihren Freunden entfernt wurde, lassen sich nicht beschreiben, aber sie besaß doch noch Fassung genug, ihre Räuber aufmerksam zu betrachten.
Ihre Gestalten waren hoch und wohlgebaut, aber sehr mager, die Haut war ganz schwarz, und die Kleidung bestand nur aus einem Stück Leder, das sie sich um die Hüften gewunden hatten. Die Gesichtszüge waren abstoßend häßlich, die Backenknochen traten stark hervor, die Nasen waren platt gedrückt und die Augen tiefliegend. Das Haar war nicht schlicht, aber auch nicht wollig, wie bei den Negern Afrikas, sie trugen es hoch aufgesteckt und schienen dasselbe mit großer Sorgfalt zu pflegen. Einige hatten Glasschmuck darin angebracht.
Ein besseres, ja einnehmenderes Aeußere hatte der Eingeborene, der Jessy geraubt.
Sein Wuchs war bedeutend kräftiger, Arme und Beine strotzten von Muskeln, und das Gesicht besaß wohl auch den Charakter der übrigen, aber es zeigte auffallend gutherzige Züge, es ließ auf einen milden Sinn schließen. Sein Schurz war von sorgfältig gegerbtem Leder gearbeitet und mit bunten Muscheln über und über bedeckt, wie auch das Haar mit einer Kette von kleinen Goldkugeln durchflochten war. Jedenfalls war er ein Häuptling.
Alle waren mit Speeren, Keulen und Bumerangs bewaffnet, und Jessy glaubte bestimmt, es seien dieselben Eingeborenen, welche sie vorhin beobachtet hatten, nur war der Anführer jener ein riesiger Mann gewesen, eine Kopflänge über die anderen hervorragend, während dieser wohl auch, aber nicht so auffallend groß war. Außerdem war jener jedenfalls ein noch junger Mann gewesen, während sie diesen auf vierzig bis fünfzig Jahre schätzte.
Als der Häuptling bemerkte, daß Jessy den Goldschmuck in seinem Haar bewunderte, ließ er die eine Hand von dem steuernden Baumast los, löste die Kette aus den dichten Flechten und warf sie lächelnd dem Mädchen in den Schoß, dabei einige unartikulierte Laute ausstoßend.
Verwundert blickte Jessy den Schwarzen an. Wollte er die Kette ihr zeigen? Sie besah sie sich und reichte sie dem Schwarzen hin, aber dieser schüttelte abwehrend den Kopf und deutete mit der Hand, immer freundlich lächelnd, auf ihr Haar.
Was sollte das bedeuten?
Jessy sann hin und her, aber sie fand keine Erklärung für diese Freundlichkeit des Negers, der sie geraubt und jetzt mit dem Goldschmuck beschenken wollte.
Oder halt! Sollte der Schwarze darauf sinnen, durch Geschenke ihr Wohlwollen zu gewinnen, sollte er sie nicht nur geraubt haben, um eine Gefangene zu besitzen, für welche er Lösegeld bezahlt bekäme?
Erregt wollte Jessy aufspringen, aber bei der ersten Bewegung schwankte das Boot so stark, daß sie schnell wieder niederkniete und fortan regungslos verharrte.
Noch besaß sie ihren Revolver, sie fühlte ihn in der Tasche, und sie wollte schon dafür sorgen, daß er ihr nicht abhanden käme. Ehe sie das Weib eines dieser Männer würde, ehe sie irgend eine Handlung duldete, bei deren bloßem Gedanken das Blut ihr in den Kopf schoß, nahm sie sich lieber selbst das Leben. Der Eingeborene, der sie berührte, fand den Tod – das stand fest bei ihr.
An Flucht war nicht zu denken, vorläufig war sie unmöglich, und später? Wer weiß, wohin sie gebracht wurde! In wüste, wasserarme Gegenden, in denen sie sich verirrte und dann verschmachtete! Aber immer besser, einen solchen Tod zu sterben, als das Weib eines dieser Eingeborenen zu werden, deren Berührung ihr schon ein Grauen einflößte.
Eine Stunde mochten sie so den Bach blitzschnell hinabgefahren sein, zehn Meilen mochten schon hinter ihnen liegen, als die Eingeborenen die Boote ans Ufer trieben und ausstiegen, die Fahrzeuge einfach weiter schwimmen lassend.
Auch Jessy war ausgestiegen, als der Häuptling sie aber durch Zeichen nötigte, in der angedeuteten Richtung weiterzugehen, blieb sie entschlossen stehen, die Hand in der Tasche am Revolver.
»Wohin wollt Ihr gehen?« rief sie auf englisch, hoffend, daß einer der Leute diese Sprache verstehe.
Aber der Häuptling schüttelte lächelnd den Kopf, zeigte nach Westen und sagte etwas zu ihr, was sie natürlich ebensowenig verstand. Als sie immer noch stehen blieb, streckte der Eingeborene die Hand aus, als wolle er des Mädchens Wange streicheln, aber es sprang zurück und hielt ihm den Revolver entgegen.
»Zurück!« rief es. »Rühre mich nicht an!«
Da aber wurde ihr schon die Waffe von einem hinter ihr stehenden Neger aus der Hand gewunden, und so war sie nun wehrlos geworden.
Ohne erzürnt zu sein, trat der Häuptling auf sie zu, faßte ihre Hand, hielt sie fest, trotzdem sie sich losreißen wollte, und zeigte fortwährend nach Westen, dabei immer freundlich zu ihr sprechend.
»Fort, Ungeheuer!« schrie Jessy, und es gelang ihr, sich durch eine gewaltsame Bewegung freizumachen. »Ich will nicht weitergehen.«
Sie konnte nicht fliehen, diese Leute liefen schneller als das Wild, daher warf sie sich zu Boden und verhüllte das Gesicht mit den Händen. Zum ersten Male kam ihr zum Bewußtsein, in welcher Lage sie sich befand, und eine trostlose Verzweiflung bemächtigte sich ihrer.
»Verloren!« stöhnte sie.
Ein krampfhaftes Schluchzen machte ihren zarten Körper erbeben.
Der Häuptling kniete neben ihr nieder und richtete sie auf, redete sie mit zärtlichen Worten an und streichelte ihre Wangen. Sie war so niedergeschlagen, daß sie seine Liebkosungen jetzt widerstandslos duldete, als er aber gar sein Gesicht dem ihren näherte und Anstalten machte, sie zu küssen, da stieß sie ihn mit Abscheu zurück.
Sie sprang auf und wollte entfliehen, aber im nächsten Augenblick stand der Häuptling neben ihr und nahm sie auf den Arm, so behutsam und sorglich, wie nur eine Mutter ihr Kind behandelt.
Weiter ging es, Meile nach Meile wurde zurückgelegt, jetzt aber der Häuptling zuletzt und vor ihm die zehn Gefährten.
Hätte Jessy sich nicht mit anderen, traurigen Gedanken beschäftigt, so würde sie sich sehr über das Verhalten der Eingeborenen gewundert haben.
Das ganze Trachten der Australneger geht nur darauf hinaus, wie sie sich ernähren können, denn ihre Heimat bietet ihnen nur wenige Mittel zum Lebensunterhalt. Jeder fremde Gegenstand, den sie in die Hand bekommen, wird untersucht, ob er eßbar ist, von jedem Pflänzchen, von jeder Wurzel können sie sagen, ob sie vom Magen verdaut werden kann, wo ein Europäer verhungern muß, weiß sich der Australneger auch in der ödesten Gegend Nahrung zu verschaffen.
Unstet schweiften die Augen umher, schnobernd hoben sie die Nasen und sogen die Luft ein, als wollten sie Wild wittern, und in der Tat glich dieser Marsch, der in der größten Schnelligkeit zurückgelegt wurde, eher einem Jagdzug.
Ununterbrochen flogen die hölzernen Wurfspieße in die Büsche, bald rechts, bald links, bald voraus, wo nur ein Blatt geraschelt hatte, da saß schon ein spitzer Stock, und stets war an diesen ein Frosch, eine Eidechse, eine Schlange oder eine Ratte gespießt, welche alle in Netze wanderten, die die Männer auf dem Rücken hängen hatten.
Schwirrte eine Biene durch die Luft, so berechneten sie schon ihren Flug oder gingen ihr nach und kamen kurze Zeit darauf mit Honig aus dem Walde zurück; sahen sie ein Stückchen Harz am Baum kleben, so wurde es samt der Rinde abgelöst und verschwand im Netz. Als auf einmal ein starkes Rascheln im Laube hörbar ward, flogen alle Speere gleichzeitig nach dem Orte und zum Vorschein kam ein Opossum, eine große Ratte, jetzt mit Speeren bespickt, wie ein Stachelschwein aussehend.
Zwitscherte ein Vogel, so hörten sie sofort an seiner Stimme, ob er Junge oder Eier habe oder nicht, und war es der Fall, so saß im Nu einer von ihnen in den Zweigen des Baumes und nahm die Jungen als zarte Leckerbissen aus dem Nest.
Und dies alles geschah, ohne der Schnelligkeit des Marsches Abbruch zu tun; blieb jemand einmal zurück, so kam er in der nächsten Minute wieder vorgerannt, und mit Schrecken bemerkte Jessy, wie die Sonne sich bereits dem Horizonte näherte, und dieser Eilschritt dennoch nicht gemäßigt wurde, der sie Meile um Meile von ihren Freunden entfernte.
Als der Zug eine Grasfläche erreichte, machte ein Eingeborener Gebrauch von seinem Bumerang, und der truthahnähnliche Vogel, der in den Lüften wie eine Taube ausgesehen hatte, so hoch hatte er geschwebt, stürzte mit zerschmettertem Flügelknochen auf die Erde herab.
Der Bumerang ist die seltsamste Jagdwaffe der Welt und den Australnegern eigentümlich.
Es ist ein einfaches Stück hartes Holz, etwa einen Meter lang und fünf Zentimeter breit, aber fast rechtwinklig gebogen und zwar so, daß der eine Schenkel dieses Winkels um etwas länger ist als der andere. Wird der Bumerang geschlendert, so dreht er sich in der Luft, bis er das Ziel erreicht hat. Trifft er dieses, so fällt er zu Boden; verfehlt er es aber, so beschreibt er einen oder mehrere große Bogen in der Luft und kehrt an den Ort zurück, von wo aus er geworfen worden ist.
Ein jeder kann den Bumerang schleudern, aber nicht so, daß er nach dem Wurf zurückkommt, oder, wie es die Eingeborenen machen, wieder in ihre Hand zurückkehrt, dazu ist nicht nur eine jahrelange Uebung, sondern ein angeborenes Talent nötig. Der Australneger ist in der Handhabung dieser Waffe Meister. Er schleudert den Bumerang mit einer Kraft, die man dem mageren Arme nie zutrauen würde; das hölzerne Werkzeug steigt hoch in die Luft, immer höher, bis man es kaum mehr sehen kann, dann biegt es von seiner Richtung ab, macht zwei, drei, vier Bogen von einem Durchmesser von mehreren hundert Metern und fällt schließlich wieder in die ausgestreckte Hand des Werfers, ohne daß dieser seinen Standpunkt verändert.
Aber wie im Werfen, so ist der Australneger auch im Treffen geübt. Dieses erfordert eine Berechnung, über die man beim Beobachten wieder und wieder staunen muß, denn der Bumerang fliegt nicht so schnell wie eine Kugel, nicht einmal so schnell wie ein Pfeil, und doch geschieht es selten, daß der Eingeborene, der das Holz nach einem durch die Luft fliegenden Vogel schleudert, diesen verfehlt.
Wie ihr Waddie, das heißt die Keule, so ist auch ihr Bumerang fast unfehlbar.
Obgleich derselbe nur ein einfaches Stück Holz ist, so ist der Winkel, in dem er gebogen ist, doch ein Wunder der Rechenkunst, wie es kein anderes Volk aufweisen kann. Wäre der Winkel auch nur eine Kleinigkeit größer oder kleiner, so würde der Bumerang nicht mehr zurückkehren, ein Professor der Mathematik könnte ihn nicht genauer berechnen, als diese Eingeborenen ihn nach freiem Augenmaß biegen.
Und doch sind es gerade die Australneger, welche das schlechteste Rechensystem der Welt haben, denn ihre Zahlen erstrecken sich nur auf eins und zwei; wollen sie größere ausdrücken, so müssen sie die Einheiten so lange zusammensetzen, bis die betreffende Zahl erreicht ist. Das Bedürfnis allein, eine Waffe zu finden, mit der sie das flüchtige Känguruh jagen können, hat ihren Instinkt geleitet, diesen Winkel auszufinden. Jahrhunderte, vielleicht auch gar Jahrtausende mögen vergangen sein, ehe der Bumerang die Form angenommen hat, welche er jetzt zeigt, obgleich es noch derselbe Baum ist, aus dessen Holz sie ihn fertigen – nur der Winkel wird sich nach und nach geändert haben.
Endlich hatte ihr Marsch ein Ziel erreicht.
Jessy sah eine Gruppe von Männern, Weibern und Kindern lagern, die beim Anblick der Ankommenden aufsprangen und sie umringten, sich aber in scheuer Entfernung von dem weißen Mädchen hielten, das von dem Arme des Häuptlings ins Gras glitt und teilnahmlos sitzen blieb.
Die Weiber hatten ebenfalls nur einen Lederschurz um die Hüften gewunden, aber er war etwas länger als der der Männer, der Oberkörper war nackt. Die jüngeren hatten einnehmende Gesichtszüge, waren sogar hübsch zu nennen, dagegen waren die älteren von abschreckender Häßlichkeit. Die mageren, aber dickbäuchigen Kinder liefen vollkommen nackt umher.
Jessys Festigkeit war verschwunden, sie fühlte sich erschöpft und schwach, sie merkte gar nicht mehr, daß ein nagender Hunger ihre Kräfte erschöpft hatte. War es doch heute morgen das letzte Mal gewesen, daß sie etwas genossen hatte, und jetzt neigte sich schon die Sonne dem Untergange zu.
Aber auch der Häuptling dachte daran, und auf seinen Wink kam ein Eingeborener von einem der Feuer, an einem Stöckchen etwas Braunes und Rauchendes tragend. Der Häuptling nahm ihm den Stock aus der Hand und hielt den Braten mit einladender Bewegung dem Mädchen hin, aber Jessy dachte vor Ekel vergehen zu müssen, als sie in dem braunen Gegenstande eine gebratene Eidechse erkannte, für die Eingeborenen eine große Leckerei.
»Mein Gott,« stöhnte sie, »ist es denn nur möglich? Träume ich oder wache ich?«
Weinend warf sie sich ins Gras und verhüllte das Gesicht mit den Händen.
Der Häuptling zeigte großes Bedauern in seinen Zügen, als er das Mädchen die Delikatesse ausschlagen und weinen sah, er setzte sich neben Jessy ins Gras, richtete sie auf und liebkoste sie.
Sie ließ es willenlos geschehen.
Ein anderer Eingeborener kam auf den Zehenspitzen zu ihr heran und reichte ihr, den Oberkörper vorbiegend, und den Arm weit ausstreckend, im Gesicht die entsetzlichste Angst vor dem weißen Mädchen verratend, ein Rindenstück, auf dem eine Quantität Honig lag. Kaum hatte es ihm Jessy aus der Hand genommen, als er eiligst in den Kreis der Zuschauer zurückrannte.
Des Häuptlings Augen strahlten vor Entzücken, als er das Mädchen den Honig mit Heißhunger essen sah, und als sie die leere Rinde dann wegwarf, hob er sie auf und sog mit den Lippen das poröse Holz aus. Dann stand er auf, holte ein altes Weib herbei, das sich mit allen Zeichen der Furchtsamkeit widersetzte, und führte es an der Hand zu Jessy. Er sprach lange zu ihr, machte lebhafte Gestikulationen, wies bald auf sich, auf das Weib und dann auf Jessy, legte beteuernd die Hand aufs Herz, tat, als ob er weine, und dann als ob er überglücklich sei, fiel auf die Kniee und hob die Hände empor, tanzte herum, aber dies alles blieb Jessy unverständlich.
Noch immer war sie der Meinung, er habe sie geraubt, um sie zu seinem Weibe zu machen, und das Blut stockte ihr in den Adern, wenn sie nur daran dachte, welche Schicksale ihrer noch warteten.
Jetzt faßte der Häuptling das alte Weib am Arm, sprach eindringlich zu ihm und schob es mit Gewalt nahe an das Mädchen. Die Frau stürzte auf die Kniee, rutschte langsam auf Jessy zu, streckte die Hand aus und machte dabei eine so traurige und zugleich bittende Miene, daß Jessy plötzlich von Mitleid ergriffen wurde und ihr die Hand reichte.
Da warf sich das Weib ihr zu Füßen, küßte ihre Hände, den Saum ihres Kleides wieder und wieder, und gebärdete sich, als wäre sie vor Freude außer sich. Kaum hatten dies die anderen Eingeborenen gesehen, als sie ein Jubelgeschrei ausstießen und mit wilden Sprüngen zu tanzen begannen, allen voran der Häuptling.
Was hatten diese Leute nur? Jessy marterte ihr Gehirn, sie fand keine Erklärung für diese Frage. Das einzige war, daß sie vielleicht für ein übernatürliches Wesen gehalten wurde.
Ein Eingeborener kam mit müden Schritten aus dem Walde und gesellte sich dem Kreise der Umstehenden bei. Sofort besprach sich der Häuptling mit diesem, öfters auf Jessy deutend, und der Mann kam auf sie zu, ebenfalls große Ehrfurcht zeigend.
Ein Freudenschrei entschlüpfte Jessys Munde, als der Eingeborene, ein alter Mann, zwar sehr unverständlich, aber doch auf englisch sagte:
»Du uns wieder erkennen?«
Jessy hatte ihn zwar verstanden, aber nicht den Sinn dieser Worte. Als sie ihn fragend anschaute, fuhr er fort, dabei auf das Weib deutend, das noch immer zu ihren Füßen saß, einmal lachend und dann wieder weinend.
»Du deine Mutter wieder erkennen?«
»Meine Mutter?« fragte Jessy vollkommen bestürzt.
Der Schwarze nickte eifrig mit dem Kopfe, und auf den Häuptling zeigend, sagte er:
»Balkuriri, dein Vater.«
Immer noch starrte ihn das Mädchen sprachlos an.
»Du ein Jahr tot gewesen, Balkuriri Dich wiedergefunden,« fuhr der Schwarze fort.
Da schoß ihr blitzähnlich eine Erinnerung durch den Kopf, sie hatte die Lösung des Rätsels gefunden.
Die Eingeborenen Australiens sind das einzige Volk der Erde, welches keine Religion besitzt, das heißt, sie kennen kein übernatürliches Wesen, beten nichts an, aber auch sie halten die Seele für unsterblich, und zwar glauben sie, daß nur der Leib stirbt, aber die Seele in einen anderen lebenden Körper übergeht. Je nachdem der Verstorbene gewesen, ob klein oder groß, stark oder schwach, schön oder häßlich nach ihren Begriffen, so sehen sie ein Tier oder auch einen anderen Menschen, den sie vorher nicht gekannt, als die Hülle der Seele eines Verstorbenen an. Oft kommt es vor, daß sie auch in Europäern ihre Angehörigen wiedererkennen wollen, besonders, wenn der Verstorbene große Vorzüge vor den anderen besessen und einen Rang unter ihnen eingenommen hat.
Jessy zweifelte nicht mehr daran, sie wurde für die verstorbene Tochter des Häuptlings gehalten.
Eben noch von den traurigsten Gedanken gequält und schon an ihrem Leben verzweifelnd, wurde sie plötzlich wunderbar ermutigt, sie hatte eine Gelegenheit gefunden, wieder einmal eine Rolle zu spielen, die so recht nach ihrem Geschmack war.
Miß Jessy Murray, Besitzerin von einigen Millionen Dollars, derentwillen so mancher amerikanische Dandy um die Hand des schönen Mädchens angehalten hatte – jetzt Tochter eines Häuptlings von Australnegern, die nichts besaßen, als was sie auf dem Leibe und in ihren Händen trugen!
Laut lachend sprang sie auf, die heitersten Bilder zogen blitzartig an ihren Augen vorüber.
Ja, sie wollte in diese Adoptierung einwilligen, wenn auch nur für kurze Zeit. Ein Glück war es, daß einer der Eingeborenen etwas Englisch verstand, so war es ihr möglich, sich mit ihnen verständigen zu können, und Jessy war entschlossen, als Tochter des Häuptlings keine passive Rolle zu spielen, nein, im Gegenteil, sie wollte versuchen, wirklich die Leitung dieses Stammes in die Hand zu nehmen, sie zur Rückkehr zu bewegen und an ihrer Spitze in das Geschick der Herren und Damen, welche die Geraubte jedenfalls mit Aufbietung aller Hilfsmittel suchten, einzugreifen.
Der Wald hallte wieder von dem Jubelgeschrei, welches die schwarzen Gestalten ausstießen, als sie das erst so niedergeschlagene Mädchen fröhlich lachen hörten, und als sie nun gar das alte Weib vom Boden aufhob und zärtlich behandelte, dem Häuptling freundlich die Hand streichelte, da kannte das Entzücken keine Grenzen mehr. Mit wilden Sprüngen tanzten die Männer um die Gruppe herum, schwangen die Speere in den Händen und stießen ein Freudengeheul aus, welches Jessy sonst mit Schrecken vernommen hätte, das sie jetzt aber mit innerlichem Ergötzen erfüllte.
Wie bedauerte sie, den Häuptling, der fortwährend auf sie einsprach, nicht verstehen zu können! Sie mußte ihre Zuflucht zu dem Dolmetscher nehmen.
»Also Balkuriri recht gehabt, du bist Akkaramumanibo?« fragte der Schwarze freudig.
Jessy bestätigte es, fand aber ihren Namen etwas sehr lang.
»Und du in einem Jahre unsere Sprache vergessen?«
Die Frage klang aus dem Munde des Negers, der den staunenden Zuhörern die Unterredung übersetzte, sehr zweifelnd.
»Dort, wo ich gewesen bin, wird nur englisch gesprochen,« entgegnete Jessy, »euere Sprache habe ich zwar verlernt, aber dafür vieles, vieles andere gelernt, womit ich euch nützlich werden kann. Wie hat mich Balkuriri wiedergefunden?«
»Er hat dich mit anderen weißen Männern und Frauen im Walde gesehen. Wir sind euch nachgeschlichen. Als du trinken am Wasser, er hat dich genommen und fortgelaufen.«
»So habt ihr uns immer beobachtet?«
»Balkuriri immer bei dir!«
»Waren es deine Männer, welche über die Wiese schlichen und sich dann verteilten? Wenn du immer bei mir warst, so mußt du auch gesehen haben, wie wir oben auf einem Hügel lagen und deine Leute beobachteten.«
Der Häuptling schüttelte, als er die Frage durch den Dolmetscher erfuhr, geringschätzend den Kopf.
»Balkuriri sagt,« erklärte der Dolmetscher, »seine Leute niemals gesehen werden, wenn sie im Walde schleichen. Haliwawa war es, der dort wohnt.«
Der Neger deutete dabei nach Süden.
»Was macht er im Walde? Befand er sich auf dem Kriegspfade?«
»Haliwawa wohnt in den Bergen, er kommt her, weil er Waffen haben will.«
»Will er sie eintauschen oder rauben? Ich verstehe dich nicht,« sagte Jessy.
»Im Walde sind viele, viele böse weiße Menschen, so viele,« der Neger spreizte mehrmals die Finger beider Hände aus, und Jessy zählte acht mal zehn, »die haben viel von dem harten Stein, der in der Sonne strahlt und so fest ist, daß er ins Holz schneidet.«
Jessy wußte nicht, was der Neger mit diesem harten Steine meinte, sie dachte erst an Gold und Edelstein und mußte noch mehrere Fragen stellen, ehe sie erfuhr, daß der Eingeborene dabei an Stahl dachte. Sie brachte ferner aus ihm heraus, daß in dieser Gegend seit einiger Zeit eine große Bande von Buschrähndschern ihr Wesen trieb, sogar schon eine Farm ausgeraubt und Kolonisten gemordet hätte, und daß bereits eine Abteilung Militär hinter ihnen her wäre. Die hier herumwohnenden Eingeborenen hatten davon erfahren, und wenn sie auch geistig auf einer sehr niedrigen Stufe stehen, dumm waren sie nicht zu nennen. Die Buschrähndscher waren vogelfrei, das wußten sie, und sofort hatten sich die Häuptlinge einiger Stämme, darunter auch Balkuriri, zusammengetan, um auf diese Leute Jagd zu machen.
In einen Kampf konnten sie sich natürlich nicht einlassen, ein einzelner der wohlbewaffneten Räuber wog zehn der Eingeborenen auf, aber sie blieben ihnen auf der Fährte, suchten sie durch List zu versprengen, führten sie in die Irre und warteten, bis einer oder einige von ihnen durch Mangel an Wasser und Nahrung erschöpft niedersanken. Oder auch, sie schleuderten aus sicherem Hinterhalte ihre Speere, die Verwundeten erlagen bald dem heißen Klima, und wie die Hyänen stürzten sich dann die Schwarzen auf ihr Opfer, schlugen dem Verschmachteten mit der Keule den Kopf ein und beraubten ihn, hauptsächlich darauf achtend, in den Besitz von Stahl, das heißt der Messer, zu kommen. Die Gewehre nahmen sie nicht, sie kannten wohl die furchtbare Wirkung der Feuerwaffen, aber sie getrauten sich nicht, sie sich selbst zu nutze zu machen. Die Eingeborenen zertrümmerten die Gewehre und begnügten sich, die Eisenteile mitzunehmen.
Bei diesem Streifzuge durch die Wildnis war Balkuriri der kleinen Gesellschaft begegnet, er hatte Jessy erblickt und, weil das Mädchen vielleicht an Größe und Gestalt etwas seiner verstorbenen Tochter ähnelte, war plötzlich in dem Kopf des Schwarzen der Gedanke entstanden, daß Jessy seine Tochter sei.
Jetzt hatte er Jessy nur nach dem Platz gebracht, wo die Weiber und Kinder des wandernden Negerstammes versteckt lagen und wollte dann gleich wieder zu seinen übrigen Männern stoßen, die noch immer die Buschrähndscher wie hungrige Wölfe umschwärmten, aber Jessy war nicht willens, hier untätig liegen zu bleiben, sondern wollte als Tochter des Häuptlings selbst an der Verfolgung teilnehmen und einmal den Schwarzen zeigen, was ein weißes Mädchen leisten konnte, oder, wie die Eingeborenen glaubten, was sie während des einen Jahres, seit welchem sie von ihnen getrennt war, alles gelernt hatte.
Erst aber mußte sie sich noch orientieren, wer eigentlich die Tochter des Häuptlings gewesen und ob es ihr überhaupt gestattet sei, eine Rolle zu spielen.
»Sehe ich denn noch aus wie früher, als ich unter euch wohnte?« fragte sie den Dolmetscher.
Der Eingeborene nickte bestätigend mit dem Kopfe.
»Ja, aber du viel, viel schöner geworden.«
»Aber fällt es denn euch nicht auf, daß ich früher schwarz gewesen bin und jetzt weiß?«
»O, nicht traurig deswegen sein,« ermutigte sie der Neger, »du ein Jahr unter uns, du auch wieder schwarz werden.«
Jessy brauchte sich hier nicht zu bemühen, das Lachen zu unterdrücken. Die Eingeborenen freuten sich ja darüber, und so lachte sie denn nach Herzenslust über den seltsamen Trost, den ihr der Eingeborene wegen ihrer weißen Hautfarbe zukommen ließ.
»Ihr wollt mich nun bei euch behalten?« fragte sie dann wieder.
»Immer, du es hier sehr gut haben, du hier nicht arbeiten müssen, wie weiße Ladies auf Farm, du hier den ganzen Tag essen und schlafen können.«
Diese Versicherung ward ihr von ihrem Vater zu teil.
»Damit bin ich aber nicht einverstanden, ich bin nicht mehr das schwarze Mädchen, als welches ich euch verlassen habe. Während des Jahres, da ich nicht bei euch war, war ich in einem Lande, welches weit von hier entfernt liegt, und ich war eine mächtige Person, die viele Diener, Arbeiter und Sklaven befehligte. Aber ich erinnerte mich dunkel, daß ich eigentlich in einem fremden Lande war, daß hier meine Heimat sein müsse, doch konnte ich nicht bestimmt sagen, wo dieses Land lag, denn der Tod hatte diese Erinnerungen verwischt. Ich kam hierher, von einem unbestimmten Gefühl getrieben, und gleich der erste schwarze Mann, den ich traf, war mein Vater. Damals an der Quelle erkannte ich ihn nicht, auch noch nicht auf der Flußfahrt, hier aber tauchten mir plötzlich Erinnerungen auf, ich erkannte die Gesichtszüge meiner Mutter und auch die meines Vaters wieder.«
Satz für Satz hatte der Dolmetscher diese Rede den erstaunten Eingeborenen übersetzt, und ihren Mienen konnte Jessy ansehen, daß sie nicht an der Wahrheit zweifelten. Sie hätte diesen armen Schwarzen noch viel unglaublichere Sachen erzählen können.
»Aber ich bin nicht hierher zurückgekommen,« fuhr Jessy fort, »um zu schlafen und mich von euch mit Eidechsen und Honig füttern zu lassen, nein, ich will mich an eure Spitze stellen und euch reich und mächtig machen. Ich weiß jetzt, wie man das werden kann, denn ich selbst bin reich und mächtig; nur dadurch, daß ihr mich mit Gewalt geraubt habt, sind euch die Geschenke entgangen, die ich euch mitgebracht hatte.«
»Geschenke?« fragte der Dolmetscher aus eigenem Antriebe, und sein Gesicht leuchtete wunderbar auf. »Was hast du uns mitbringen?«
Jessy kannte die Wünsche dieser Australneger nicht und sagte daher:
»Alles, was ihr euch nur wünschen könnt.«
»Tabak?« fragte der Schwarze.
»So viel Tabak, daß ihr Tag und Nacht rauchen könnt,« lächelte Jessy.
Sie hatte erst sagen wollen, »daß ihr für viele Jahre genug habt,« aber sie erinnerte sich, daß die Australneger überhaupt keine Zeitrechnung haben. Es ist bekannt, daß wilde Völker fast nur der Gegenwart leben, aber nirgends findet man das so ausgeprägt, wie bei den Eingeborenen Australiens, selbst der Begriff ›morgen‹ fehlt ihnen schon, sie haben keine Bezeichnung für dieses Wort.
»Hast du auch Mehl und Zucker und Spitzen für unsere Speere mitbringen?« forschte der Dolmetscher weiter, und als Jessy immer bejahte, heiterten sich die Gesichter der Umstehenden immer mehr auf, bis sie ihr Entzücken nicht mehr bemeistern konnten und in laute Jubelrufe ausbrachen.
»Wo hast du dies alles?«
»Kennt ihr die Farm von Graves? Dort liegt alles für euch bereit,« entgegnete Jessy.
Die Neger besprachen sich.
»Balkuriri sie nicht kennen, aber ich,« sagte der Dolmetscher, »ich lange hier gewesen. Wir die Geschenke holen sollen?«
»Nein, ich selbst werde euch hinführen, denn wenn ihr hinkommt, so werdet ihr sie nicht ausgeliefert bekommen.«
Wieder besprachen sich die Eingeborenen, und Jessy sah an den Mienen des Häuptlings, daß dieser in ihren Vorschlag nicht einwilligen wollte.
»Balkuriri will nicht, daß du auf die Farm gehen,« wandte sich der Dolmetscher wieder an das Mädchen, »du dann dort bleiben. Ich hingehen und die Geschenke holen.«
»Dann wird man dich festnehmen und schlagen, weil man mich geraubt hat,« unterbrach ihn Jessy, »wenn ich aber mit euch auf die Farm komme, so wird man euch wie Freunde behandeln, ihr werdet zu essen und zu trinken und zu rauchen erhalten, so viel ihr haben wollt.«
»Balkuriri glauben, du nicht bei uns bleiben,« antwortete der Dolmetscher zweifelnd.
Jessy ging auf den Häuptling zu und nahm mit freundlichem Lächeln seine Hand.
»Ich bin die Tochter des Häuptlings, und ich werde bei euch bleiben, aber ich bin nicht mehr gewohnt, wie eure schwarzen Mädchen, euch das Essen zu bereiten und euch zu gehorchen, sondern ich bin gewohnt, zu befehlen, und ich wünsche, daß ihr mir gehorcht.«
Sie richtete sich bei diesen Worten hoch auf und sah sich im Kreise der Schwarzen um, und an deren Mienen erkannte sie, daß ihre Worte die gewünschte Wirkung hervorgebracht hatten.
Der Häuptling, überglücklich, eine solche Tochter zu haben, die in der Versammlung von Männern besser sprach, als ein mächtiger Häuptling, war selbst der erste, der jetzt ihrem Vorschlag beistimmte.
Noch einige Zeit gingen so Fragen und Antworten hin und her, bis Jessy ihre neuen Brüder soweit hatte, wie sie sie haben wollte. Die Eingeborenen waren willens, das Mädchen auf die Farm zurückzubegleiten, aber natürlich nicht gleich, denn der Abend brach schon an, und die schwarzen Bewohner Australiens unternehmen nichts des Nachts, weil sie während der Finsternis die Luft von bösen Geistern bevölkert glauben, die sich auf diejenigen, welche sich von den Feuern entfernen, werfen, ihnen Krankheiten anhängen oder gar den Tod bringen.
Die Frauen hatten unterdes Rinden von Bäumen gelöst und aus den Stücken kunstvoll eine kleine Hütte zusammengesetzt, in welcher die Tochter des Häuptlings die taukalte Nacht verbringen sollte, während die abgehärteten Eingeborenen schutzlos im Freien um das Feuer schliefen.
Jessy lag in dem niedrigen, engen Raume auf einer Schütte von duftendem Gras und ließ die Erlebnisse dieses Tages noch einmal vor ihren Augen vorübergehen; sie freute sich schon auf den Moment, da sie mit ihren schwarzen Brüdern im Triumph auf der Farm ankommen würde, und hoffte nur, daß die Herren und ihre Freundinnen gerade auf derselben anwesend wären.
Daß sie den Eingeborenen das Versprechen, bei ihnen zu bleiben, nicht halten konnte, belästigte sie nicht weiter. Not bricht Eisen; um ihre Freiheit wieder zu erlangen, würde sie noch zu anderem Zuflucht genommen haben.
»Bin ich dann mit den Negern auf der Farm,« dachte Jessy, »so führe ich sie gegen die Buschrähndscher an, als würdige Tochter des Häuptlings Balkuriri. Schade, daß ich meinen eigenen Namen vergessen habe, ich glaube, er fing mit Akka an. Ist uns dann der Sieg gelungen, so beschenke ich die armen Schwarzen so reichlich, daß sie gar nicht mehr an mich denken; aber eine meiner schönsten Erinnerungen au unsere Weltreise soll doch die sein, daß ich als Häuptlingstochter von Australnegern verehrt worden bin.«
Jessy sann vor sich hin, und es mußte ein sehr lustiger Gedanke sein, der sich ihrer bemächtigt hatte, denn plötzlich brach sie in ein Gelächter aus, das nicht enden wollte.
»So geht es,« rief sie, »meine Rolle hier will ich nicht sogleich aufgeben. Auf die Gesichter meiner Freunde bin ich aber gespannt.«
Der Eingang zur Hütte verdunkelte sich, Balkuriri war es, der den Kopf durch die Oeffnung steckte, um sich an der Lustigkeit seiner wiedergefundenen Tochter zu erfreuen. Er lag nicht wie die übrigen am Feuer, sondern hatte sich quer vor dem Eingange des Zeltes auf dem Boden ausgestreckt, um über seine Tochter zu wachen.