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»Eine sonnige Gegend,« sagte die Kapitänin der ›Vesta‹ zu einem neben ihr auf der Kommandobrücke stehenden Mädchen, »das blaue Meer so spiegelglatt, als wäre Windstille, obgleich wir eine ganz günstige Brise haben und über uns das lachende Himmelsgestirn – wer könnte glauben, daß einige Stunden genügen, um den frischen Wind in einen furchtbaren Taifun und die glatte See in ein brausendes Ungetüm zu verwandeln?«
»Wir sind im Lande der Gegensätze,« erwiderte das Mädchen, »wie die Natur bald friedlich schlummert, dann wieder entsetzlich wüten kann, wie man es nie in den gemäßigten Breiten beobachtet, so find auch hier die Menschen, Wer sucht wohl in dem faulen Malayen, der stundenlang phlegmatisch auf einem Platze hocken kann, ohne eine Hand zu regen, ja, selbst ohne etwas zu denken, einen Menschen, der durch eine Kleinigkeit, durch ein mißverstandenes Wort plötzlich zur furchtbarsten, wildesten Wut gereizt wird? Ohne die Folgen zu berechnen, mordet er alles, was ihm in den Weg kommt, und ist sein Zorn verraucht, so sinkt er wieder in seine alte Apathie zurück und weiß nicht einmal recht, was er eigentlich alles angerichtet hat. Zwischen Süd und Nord ist ein ebenso großer Unterschied, wie die Entfernung.«
Die Sprecherin blickte träumerisch auf das blaue Meer hinaus; auch sie mußte eine Südländerin sein; das rabenschwarze Haar und der brünette Teint verrieten es, auch das feuchtglänzende Auge, welches von langen seidenweichen Wimpern beschattet wurde. Alles an dieser Gestalt war üppig, ohne unharmonisch zu sein, der Wuchs, die Haare, die vollen Lippen, alles stempelte sie zum Kinde des Südens, und was sie vorhin von der Natur und den Menschen in diesen Gegenden gesagt, das hätte man wohl auch auf sie beziehen können; dieses jetzt so träumerisch blickende Auge war wohl befähigt, in wilder Leidenschaft heiß aufzublitzen, und unter dem vollen Busen schlug, wenn er sich stürmisch hob und senkte, sicher ein Herz, welches entweder in glühendem Haß oder heißer Liebe bebte.
Es war Miß Sarah Morgan, die neue Vestalin, welche in Batavia aufgenommen worden war.
Sie hatte sich auf einer Vergnügungsreise gerade in Batavia befunden, als auch die ›Vesta‹ dort ankerte, und kaum war zu ihren Ohren gekommen, daß eine der Damen das Schiff verlassen wollte, also ein Platz frei sei, so bemühte sie sich mit allem Eifer darum, die freigewordene Stelle einzunehmen.
Sie gab sich für eine Nordamerikanerin aus, allerdings in Mexiko geboren, und nannte einen nördlichen Teil der Vereinigten Staaten ihre Heimat. Niemand kannte sie, mit Ausnahme von Johanna Lind, und zwar hatte sich beim Begegnen mit dieser in den Zügen der Miß Morgan ein unangenehmes Erstaunen abgespiegelt, jedoch so unmerklich, daß es niemand wahrgenommen hatte, als Johanna selbst.
Hatte Miß Morgan übrigens erwartet, Johanna würde ihr bei der Abstimmung zur Aufnahme Schwierigkeiten bereiten, so war sie im Irrtum gewesen. Gerade Johanna war es, welche mit all ihrer Beredsamkeit die übrigen Damen zu bestimmen gewußt hatte, das Mädchen als eine Gefährtin aufzunehmen, denn, sagte sie, sie kenne Miß Morgan von früher her und wisse nur Gutes über sie zu berichten.
Es hatte viele Schwierigkeiten gekostet, die Vestalinnen zur Aufnahme der Miß Morgan zu bewegen. Alle hegten gegen den Charakter des so sonderbar schwärmerisch blickenden Mädchens mit der schmeichelnden Stimme ein gewisses Mißtrauen, es war ihnen allen, als ob diese Person nicht in ihre Gesellschaft, nicht zwischen junge Mädchen passe, der seine weibliche Instinkt verriet in ihr einen unbändigen sinnlichen Charakter, aber, wie gewöhnlich, trug Johannas Beredsamkeit und noch mehr ihr ruhiges, sicheres Auftreten den Sieg davon. – Miß Morgan wurde als Vestalin aufgenommen.
Man konnte noch nicht viel über sie sagen; acht Tage waren sie in Batavia und jetzt einen Tag auf See mit ihr zusammen gewesen, aber die Vestalinnen hatten bisher noch keinen Grund gehabt, mit ihrer neuen Gefährtin unzufrieden zu sein. Sie war immer liebenswürdig und zuvorkommend, tat ihr möglichstes, um sowohl den praktischen Schiffsdienst zu erlernen, als auch Kenntnisse in der Nautik zu erwerben, und kam, wenn die Sonne golden am Horizonte untertauchte und die Stunde herannahte, in der das Gemüt des Menschen am meisten empfänglich gestimmt ist, immer gern der Aufforderung nach, durch den Zauber ihrer wunderbar schönen Altstimme die Herzen der Zuhörer in träumerisches Nachdenken zu wiegen.
Der Argwohn, den man anfangs gegen sie hegte, war bald geschwunden, sie wurde als Freundin behandelt und ihr Tun und Treiben nicht mehr beobachtet. Wie schon gesagt, gab sich Miß Morgan völlig dem Erlernen der neuen Arbeit hin, und keine der Vestalinnen hatte auch nur eine Ahnung, wie scharf sie von ihr beobachtet wurden, am allermeisten Johanna; nur schade, daß ihr diese weit in der Kunst überlegen war und wohl merkte, wie Miß Morgan auf jede ihrer Bewegungen achtete, ohne nur im geringsten selbst zu verraten, daß sie wiederum die neue Vestalin nicht aus den Augen ließ.
»Werden wir noch andere Häfen anlaufen, ehe wir direkten Kurs nach Hongkong nehmen?« fragte Miß Morgan die Kapitänin. »Haben wir günstigen Wind, so werden wir noch Singapur, vielleicht auch Saigun in Cochinchina einen kurzen Besuch abstatten.«
»Und wohin geht dann die Fahrt?«
»Ich weiß noch nicht,« antwortete Ellen zerstreut und richtete das Fernrohr nach Nordosten, wo sie eine Menge kleiner Segel wahrgenommen hatte.
»Wo befinden wir uns jetzt, daß wir hier mit einem Male einer so großen Anzahl von Fahrzeugen begegnen?« fragte Miß Morgan.
Ellen wandte sich erst zurück, so daß sie im Süden die eben auftauchende Mastspitze des ›Amor‹ erkennen konnte, dann antwortete sie:
»Gerade zwischen Biliton und Banka«, zwei Inseln östlich von Sumatra.«
Ellen ward unruhig, sie beachtete die Fragen des Mädchens, welches auf die Kommandobrücke gekommen war, gar nicht mehr, sondern richtete das Fernrohr fortgesetzt auf die schnell näherkommenden Segel.
Die ›Vesta‹ fuhr mit dem Südwind, die sich nähernden Fahrzeuge hatten ihn in der Seite, und es war bestimmt zu erwarten, daß sie noch an dem Vollschiff vorbeisegeln würden.
Ein Ruf Ellens brachte die beiden Mädchen, welche zur Zeit die Dienste der Steuerleute versahen, auf die Kommandobrücke, ebenso wie ihre näheren Freundinnen, auf deren Rat sie hörte. Dann erging an Miß Morgan die Bitte, die Brücke zu verlassen, aber das Mädchen schien keine Lust zu haben, der Aufforderung Folge zu leisten – sie tat, als hätte sie nichts gehört.
»Miß Morgan, ich bitte Sie, die Brücke zu verlassen,« sagte Ellen noch einmal höflich.
»Aber warum denn?« entgegnete das Mädchen lächelnd. »Darf ich nicht dabei sein, wenn zwischen den Vestalinnen eine Beratung abgehalten wird?«
Unter den Mädchen entstand eine allgemeine Verlegenheit; es war das erste Mal, daß ein von der Kapitänin in Form einer Bitte gegebener Befehl nicht sogleich befolgt wurde. Entweder mußte jetzt Ellen nachgeben, und das wäre zu ihrem Nachteil gewesen, oder sie mußte ernstlich befehlen, und ein solcher Befehl unter Freundinnen hätte wie eine Beleidigung geklungen.
Alle auf der Kommandobrücke Stehenden waren bestürzt, sie kannten Ellens energisches Wesen und fürchteten, daß sie jetzt die ihr zuerkannte Autorität zur Geltung bringen würde.
Glücklicherweise hatte aber Miß Morgan sofort aus den Gesichtern erkannt, wie es stand, und so sagte sie lächelnd, ehe noch Ellen die Aufforderung wiederholen konnte:
»Wenn Sie es aber wünschen, gewiß; verzeihen Sie meine neugierige Frage!«
Alle waren froh, als Miß Morgan, immer noch lächelnd, die Treppe hinabstieg, sie hielten ihre Frage nur für eine gewohnheitsmäßige Entgegnung und die Sache für beigelegt – nur Johanna nicht. Diese hatte wohl, so unmerklich es auch geschehen war, das plötzliche, heiße Aufzucken der schwarzen Augen und in dem Lächeln der Abgehenden etwas Erzwungenes bemerkt.
Die Fahrzeuge hatten sich unterdessen bedeutend genähert, und jetzt erst konnte man erkennen, welch eine große Zahl sie ausmachten. Es mochten wohl über hundert sein.
»Ich habe Sie gerufen, um mit Ihnen über jene Fahrzeuge zu sprechen,« begann Ellen, »es sind malayische Prauen, eine ganze Flotte, und ich fürchte, alle sind als Kriegsfahrzeuge ausgerüstet.«
»Glauben Sie, daß sie uns bedrohen können?« fragte Miß Murray.
»Sie nehmen den Kurs auf Sumatra zu,« entgegnete Ellen, »also gehören Sie unbedingt zur Flotte der Atchinesen, denn die Holländer haben keine Malayen im Solde, welche gegen jene den Seekampf aufnehmen. Ich fürchte, wir werden mit ihnen eine unangenehme Begegnung haben.«
»Warum sollten sie aber mit einem friedfertigen
Schiff anbinden? Die ›Vesta‹ macht doch den Eindruck eines Handelsschiffes.«
»Die Malayen treiben immer Seeräuberei, wenn sie können, schon das Schiff an sich hat Wert genug für sie.«
»Können wir nicht an ihnen vorbei?«
»Das ist unmöglich,« erklärte Ellen bestimmt, »wir fahren schon mit allen Segeln, sie sperren uns aber dennoch den Weg. Zurück können wir nicht, nach links oder rechts auch nicht, denn dort liegen große Inseln.«
Den Mädchen bebte doch etwas das Herz, wie sie die große Flotte immer näher kommen sahen und keinen Ausweg wußten, um eine Begegnung mit ihr zu vermeiden.
Es wurde hin- und hergeraten, und schließlich ward man darüber einig, alle Segel einzuziehen und still liegen zu bleiben. Dadurch wurde einmal das Zusammentreffen mit den malayischen Prauen verzögert, und dann war unterdes der ›Amor‹ nähergekommen, wenigstens so weit, daß man ihn durch Signale auffordern konnte, seine Schnelligkeit mit Hilfe der Maschine zu vermehren.
Einige Minuten später waren alle Segel der ›Vesta‹ an den Raaen festgemacht, das Schiff wurde nur noch ganz wenig von dem schwachen Winde vorwärtsgetrieben.
Aller Augen waren auf die ansegelnden Fahrzeuge gerichtet, jetzt mußte es sich entscheiden, mit wem man es zu tun hatte. Behielten sie ihren Kurs, so kamen sie noch weit vor der ›Vesta‹ vorbei, hielten sie auf diese zu, so hatten sie eine böse Absicht.
Eine große Aufregung hatte sich der Mädchen bemächtigt, es war keine Kleinigkeit, wenn sie etwa den Kampf mit all diesen Prauen aufnehmen sollten, die sie durch ihre Anzahl erdrückt hätten, und die aufgeregteste von allen war Ellen.
Ihr Gesicht war dunkelrot geworden, das Fernrohr, mit dem sie das nächste zu erwartende Segelmanöver beobachtete, zitterte heftig in ihrer Hand, plötzlich aber wich die Röte einer Blässe, der noch eben zitternde Arm ward mit einem Male so fest, als wäre er aus Marmor gemeißelt, und als sie ihr Gesicht den Freundinnen zuwandte, blickten diese in ein paar entschlossene Augen.
»Sie haben ihren Kurs geändert und halten auf uns zu. In einer halben Stunde werden wir sie mit Granaten begrüßen können,« sagte sie völlig ruhig, »denn ich bin nicht gewillt, sie so weit herankommen zu lassen, daß wir Zielpunkte für ihre Gewehre abgeben.«
Hell und deutlich erschollen ihre Kommandos von der Brücke, und auf dem Schiffe, wo eben das heitere Lachen der Mädchen erklungen war, herrschte plötzlich eine fieberhafte Tätigkeit.
Das Deck der ›Vesta‹ war zwar nur mit einem kupfernen Geländer umgeben, welches natürlich gegen Kugeln keinen Schutz gewährte, jetzt aber zeigte sich, daß Ellen nicht so leichtsinnig gewesen war, nicht auch für den Fall der Gefahr einen Kugelschutz zu schaffen.
Die Winde hob eine Menge starker Planken aus dem Zwischendeck heraus, welche an der Außenseite noch mit dicken Sandpolstern versehen waren, und die ein sehr gutes Mittel bildeten, das Durchschlagen einer Kugel zu verhindern – denn bekanntlich dringt eine Gewehrkugel weit tiefer in Holz, als in einen Sandhaufen – die geschäftigen Hände der Vestalinnen befestigten die Planken in Vertiefungen an der Bordwand, die sechs Revolverkanonen wurden in Bereitschaft gesetzt, zwei an jeder Seite, je eine vorn und hinten, die schweren Büchsen herbeigeholt und nachgesehen, die Munition an verschiedenen sicheren Orten aufgespeichert, das Steuerrad festgebunden, damit sich alle Mädchen vor den feindlichen Kugeln decken konnten, kurz, alles wurde vorbereitet und nichts unterlassen, um den Prauen, sollten sie eine feindliche Absicht haben, einen warmen Empfang bereiten zu können, ohne sich selbst zu sehr einer Gefahr auszusetzen.
Ellen war überall, sie leitete alles, nichts entging ihrer Aufmerksamkeit an Bord der ›Vesta‹, und dabei ließ sie auch den ›Amor‹ nicht aus den Augen, dessen Masten jetzt schnell aus dem Wasser wuchsen.
Als sie aus der Berechnung fand, daß er in Hörweite war, ließ sie schnell hintereinander einige Schüsse aus den Revolverkanonen abfeuern, und bald merkte das Mädchen zu ihrer unaussprechlichen Freude, wie aus dem Schornstein des ›Amor‹ eine dunkle Wolke emporstieg – er begann zu dampfen, jedenfalls hatten die englischen Herren die Anzahl von Prauen bemerkt, denn die Rauchwolke ward immer stärker, trotz des hellen Tageslichts konnte man die Funken sehen, welche aus dem Schlot geschleudert wurden. Der ›Amor‹ dampfte mit voller Kraft, er mußte jetzt wie ein Pfeil durchs Wasser schießen.
»Vielleicht erreicht er uns noch eher, als die Prauen,« rief Ellen freudig, »dann kann er sich uns zur Seite legen, und wir geben den Malayen gleichzeitig vier Granaten auf einmal zu kosten. Aber hoffentlich werden die Piraten durch den Anblick des Dampfers eingeschüchtert.«
Man brauchte jetzt nicht mehr das Fernrohr zur Hand zu nehmen, um das Treiben der Besatzung auf den Prauen erkennen zu können; schon mit den bloßen Augen sah man, daß die Malayen sich wirklich zu einem Kampfe rüsteten, natürlich nach Art dieser südlichen Völkerschaften.
Alle Prauen waren dicht mit Menschen besetzt, die jedenfalls einen Truppentransport der Atchinesen bildeten, und auf ihnen herrschte ein buntes Durcheinanderlaufen und Gewühle, ein wüstes Schnattern und Schreien, jeder wollte sprechen, alles zeigte nach der ›Vesta‹ und dem ankommenden Dampfer, und Ellen konnte schon deutlich sehen, wie die Männer ihre langen Flinten alten Systems untersuchten, Kugeln in den Lauf stießen, Pulver auf die Pfanne schütteten, und wie andere große, eiserne Haken an der Bordwand bereitlegten.
»Sie wollen die ›Vesta‹ entern,« rief Ellen, »jetzt ist kein Zweifel mehr möglich. Nun, laßt sie kommen, wir werden sie wenigstens abzuhalten wissen, bis der ›Amor‹ bei uns ist. Ihre alten Büchsen brauchen wir nicht sehr zu fürchten.«
Ellen sprach diese Worte weniger aus Ueberzeugung, als um ihre Freundinnen nicht mutlos zu machen, sie selbst sah ein, daß sie sich in einer großen Gefahr befanden.
Die Kapitäne der Prauen hatten sich jedenfalls vorher besprochen. Das ganze Unternehmen mußte von einem einzigen geleitet werden, denn die Prauen manövrierten regelrecht.
Ein Teil von ihnen zog plötzlich die Segel ein und blieb liegen, während die anderen etwas gegen den Wind kreuzten, bis sie sich hinter der ›Vesta‹ befanden, worauf abermals ein Teil liegen blieb und nur der andere weiterfuhr, bis die letzteren Prauen plötzlich alle wendeten – die ›Vesta‹ war umzingelt, aber noch hielten sich die Fahrzeuge außer Schußweite der Gewehre, und Ellen zögerte doch, ihre Revolverkanonen schon jetzt spielen zu lassen, deren Granaten Tod und Verderben zwischen die Malayen gespieen hätten.
Unterdessen war aber auch der ›Amor‹ angekommen und lag dicht an Backbord der ›Vesta‹.
»Wollen Sie uns den Kampf überlassen und sich zurückziehen?« fragte Harrlington nach der ›Vesta‹ hinüber, ohne eine Dame direkt anzusprechen.
»Ich dächte doch, Sie sollten uns nun besser kennen, um solch eine Frage an uns stellen zu können,« entgegnete Ellen.
»Ich bin nur der Pflicht der Höflichkeit gefolgt,« antwortete Harrlington und wandte sich den Herren zu, welche ebenfalls ihr Schiff zu einem Verteidigungskampf ausrüsteten.
»Aber wir können die ›Vesta‹ doch schleppen,« rief Williams, »dann sind wir ihnen bald entschlüpft.«
Wirklich, daran hatte noch niemand gedacht, aber es war schon zu spät, um es auszuführen, denn die ›Vesta‹ mittelst Tauen an den ›Amor‹ zu befestigen, kostete Arbeit, welche die Betreffenden an unbeschützte Stellen des Schiffes brachte, und Menschenleben mußten geschont werden, und es war besser, alle fielen im Kampfe gegen die Piraten als daß sie nach gelungener Flucht den Verlust einiger Freunde zu beklagen gehabt hätten.
Kaum hatte Williams den Vorschlag gemacht, als aus dem Munde Ellens, welche die jetzt von allen Seiten ansegelnden Prauen nicht außer acht gelassen hatte, der laute Ruf erscholl:
»Deckt euch!«
Und es war die höchste Zeit gewesen, daß alle sich hinter der Brüstung gedeckt hatten, denn in demselben Moment knallten zahlreiche Schüsse, aber die Kugeln schlugen in die Planken, in die Masten oder verfehlten sogar ganz das Zielobjekt, Schaden richtete keine an.
»An die Geschütze!« rief Ellen. »Wir wollen ihnen die erste Lektion geben. Halten Sie dicht über die Wasserlinie, sodaß die Prauen durch die Schußlöcher Wasser schöpfen und langsam sinken müssen. Schonen Sie vorläufig die Menschen – Feuer!«
Die nachträglich hergestellte Brustwehr der ›Vesta‹ war so hoch, daß nur die Köpfe der Damen darüber sichtbar wurden, in den Planken befanden sich Schießscharten zum Durchstecken der Gewehre, und nur, wo die Revolverkanonen aufgestellt waren, hatten diese Löcher größere Dimensionen, somit wäre die Position der Vestalinnen eine völlig gesicherte gewesen bis auf diejenigen, welche die Kanonen zu bedienen hatten. Durch die großen Oeffnungen konnte sich leicht eine Kugel verirren und den Mädchen an den Kanonen verderblich werden.
Sobald der ›Amor‹ angelegt hatte, also somit die eine Seite des Schiffes einer Verteidigung nicht bedurfte, wurden auch noch die beiden anderen Geschütze nach Steuerbord geschafft, so daß nun die vier Mündungen die Prauen bedrohten.
»Feuer!« erscholl Ellens Kommando; vier feurige Strahlen fuhren aus den Löchern der Verschanzung, und andere folgten ihnen. Die Schüsse waren nicht vergeblich, jede Granate schlug dicht über der Wasserlinie in eine Prau ein, krepierte und riß ein großes Loch, durch welches das Wasser ins Innere strömte und das Fahrzeug langsam zum Sinken brachte.
Ein hundertstimmiges Wutgeschrei erhob sich, als eine Prau nach der anderen versank, als das Meer bald mit schwimmenden Menschen, Fässern und Brettern bedeckt war, aber das konnte die übrigen Prauen nicht abschrecken, den Kampf fortzusetzen, die Malayen hatten nicht geahnt, daß an Bord dieses einfach aussehenden Schiffes Geschütze vorhanden waren, und als sie bemerkten, welche furchtbare Wirkung die kleinen Granaten hervorbrachten, stieg ihre Wut ins Grenzenlose.
Die schon halbgesunkenen Prauen wurden von den nachfolgenden vorwärtsgedrängt, und nur diesem Umstände hatten sie es zu verdanken, daß sie nicht mehr in den Grund geschossen wurden, denn dadurch boten die versteckten Prauen kein günstiges Zielobjekt.
Ellen wurde bestürzt, als sie sah, wie die feindlichen Schiffe immer näher und näher rückten, als das Geschrei der Malayen immer deutlicher an ihre Ohren schlug. Sie gab den Befehl, zunächst nur darauf bedacht zu sein, die noch nicht ganz versunkenen Prauen in den Grund zu schießen, um dann auf die nachrückenden halten zu können – das geschah doch nicht schnell genug.
Jetzt knallten auch auf dem ›Amor‹ die ersten Schüsse – die Prauen griffen von der anderen Seite an, und ebenso näherten sie sich rasch von hinten, wo sie nur von einer Kanone bedroht wurden.
Ein unbestimmtes Gefühl hielt Ellen zurück, auf die an Bord befindlichen Menschen feuern zu lassen, die Wirkung der krepierenden Granaten mußte eine furchtbare sein. Noch war es ja Zeit; kamen die Prauen so nahe heran, daß eine Enterung zu befürchten war, dann konnte man immer noch zu diesem Mittel greifen.
Die Malayen machten eifrigen Gebrauch von ihren Flinten, sie versuchten hauptsächlich in die größeren Oeffnungen zu schießen, wo sie undeutlich die Gestalten der Mädchen an den Revolvergeschützen, hauptsächlich deren Köpfe, sehen konnten, aber glücklicherweise waren die Flinten sehr schlechte, und die Malayen in ihrer Wut fast blind, so daß sich selten einmal eine Kugel durch die Schießscharte verirrte, ohne Schaden dabei anzurichten.
Ellen ging von Scharte zu Scharte und beobachtete den Erfolg ihrer Geschütze. Vor ihren Augen entwickelte sich eine richtige Seeschlacht. Die Luft wurde erschüttert von dem Geheul der Seeräuber, von dem donnernden Krachen der alten Vorderlader und dem scharfen Knall der Revolverkanonen; Pulverdampf verdunkelte die Atmosphäre; die Meeresoberfläche wimmelte von den Trümmern der zerschossenen Prauen, zwischen denen sich die Malayen, die sich auf diesen befanden, nach anderen Fahrzeugen durcharbeiteten und dort wieder an Bord genommen wurden.
Jetzt begann auch die Revolverkanone am Heck zu spielen, die von hinten mit dem Winde ansegelnden Prauen waren in Schußweite.
Ellen wandte ihre Aufmerksamkeit den Erfolgen des ›Amor‹ zu. Die englischen Herren kannten keine Schonung, ihre Granaten fegten die Decks der feindlichen Schiffe leer; Jammergeheul erscholl, vermischt mit Wutgeschrei; das Meer hatte auf dieser Seite eine rötliche Färbung vom Blute der Verwundeten angenommen, aber dennoch ließen die Malayen nicht nach; immer näher rückten die Prauen; nicht lange mehr, und auch hier fielen die Enterhaken über die Brüstung des ›Amor‹, wilde Gestalten, den Dolch zwischen den Zähnen, schwangen sich an Bord und badeten sich im Blute der Engländer – die Zeit war nicht mehr fern.
Eben stand Ellen an einem Revolvergeschütz und spähte durch die Oeffnung hinaus, als eine Kugel an ihren Ohren vorbeipfiff. Gleichzeitig ertönte neben ihr ein lauter Schrei – das Mädchen am Geschütz, Miß Nikkerson war zu Boden gestürzt – aus dem Kopf strömendes Blut färbte das Deck.
Im nächsten Moment stand Ellen an der Kanone, augenblicklich drehte sie das Rad, Schuß krachte auf Schuß, aber die Granaten brachten keine Prau mehr zum Sinken; ein entsetzliches Wehgeheul erscholl, die zerfetzten Leichen der Malayen jener Prau, auf welcher der Schuß gefallen war, lagen auf dem Deck zerstreut oder stürzten ins Wasser.
»Keine Schonung mehr!« überschrie Ellen den Tumult; noch einen Blick warf sie auf die Freundin, die von einigen Mädchen nach der Kajüte getragen wurde, dann ließ sie ihre Kanone den Tod in die dichtgedrängte Besatzung der Prau tragen, und die übrigen folgten ihrem Beispiel. Wer nicht ein Geschütz zu bedienen hatte, der handhabte die Büchse.
Da stieß die erste Prau an die ›Vesta‹; sie konnte nicht mehr zum Sinken gebracht werden, denn das niedrige Fahrzeug wurde nicht mehr von den Granaten erreicht und auf die Besatzung zu schießen, hätte auch keinen Zweck gehabt, denn die Prauen waren alle so dicht zusammengeschoben, daß die Malayen von Deck zu Deck springen und wie auf einer Brücke nach der›Vesta‹ gehen konnten.
Die Enterhaken schlugen in die Bordwand ein – sie wären gar nicht nötig gewesen – und die Malayen schritten zum Sturm, das Schicksal der Vestalinnen schien besiegelt zu sein.
Die Mädchen hatten sich auf den Ruf Ellens nach der anderen Seite begeben und erwarteten, das Gewehr im Anschlag, die ersten sich über die Bordwand schwingenden Piraten, um sie mit ihren Kugeln begrüßen zu können.
Hastig ordnete Ellen an, daß jedes Mädchen nur eine bestimmte Stelle der Brüstung im Auge behalten sollte, damit keiner die ›Vesta‹ beträte, sie hörte noch, wie sich die englischen Herren zuriefen, welche Gefahr den Mädchen drohe, wie sie sich fertig machten, ihnen beizustehen, denn die Prauen auf ihrer Seite waren nicht so weit vorgedrungen, dann knallte ein Schuß aus ihrem Gewehr, und der erste über die Bordwand erscheinende Kopf sank mit einem Loch in der Stirn wieder zurück.
Auch die anderen Mädchen begannen das Feuern, und sie mußten alle ihre Gewandtheit aufbieten, um die Malayen nicht über die Bordwand kommen zu lassen; heulend vor Wut sahen die Nachrückenden, wie Mann nach Mann mit durchschossenem Kopf zurückfiel, aber sie ließen in ihren Bemühungen nicht nach, die Unzahl von Menschen mußte sich ja schließlich den Zutritt erzwingen, und wenn es auch so lange gedauert hätte, bis sie über die aufgetürmten Leichen, wie über einen Hügel, stürmen konnten.
Schon gelang es ab und zu einem der Malayen, das Deck zu erreichen; er wurde zwar immer sofort von einer Kugel niedergestreckt, aber die Zahl dieser Eindringlinge mehrte sich, und nun waren auch noch auf der anderen Seite die Prauen an den ›Amor‹ gestoßen, so daß die Engländer selbst genug zu tun hatten, sich die Piraten vom Leibe zu halten.
Verzweiflung bemächtigte sich der Herzen aller, sie sahen keine Rettung mehr, nur mechanisch handhabten sie noch die Büchsen – sie gaben sich verloren.
Da plötzlich verstummte das Geschrei der Malayen, wie auf Kommando, mit einem Mal, im nächsten Augenblick aber erhob sich ein Geschnatter auf den Prauen, Angstrufe wurden hörbar, und ehe sich die Mädchen noch erklären konnten, was die Ursache hierzu war, warum die Malayen den Sturm nicht fortsetzten, ertönte plötzlich wie aus einem Munde ein entsetzliches Angstgeschrei, und im nächsten Augenblick sahen die Mädchen, welche nicht über die Brüstung blicken konnten, weil sie auf der anderen Seite standen, die Masten eines mächtigen Vollschiffes blitzschnell und dicht an ihnen vorbeifahren.
»Das Geisterschiff!« rief ein Mädchen, da erhielt schon die ›Vesta‹ einen Ruck, daß alle fast zu Boden geschleudert wurden, und als sie an die Schießscharten sprangen, bemerkten sie, daß die ›Vesta‹ mit großer Schnelligkeit durch das Wasser schoß, hinter sich die Trümmer der Prauen zurücklassend, durch welche das Geisterschiff gefahren war. Was war das? Teilte ihnen das Schiff seine Zauberkraft mit, daß auch sie ohne Segel beliebig fahren konnten?
Doch nein, vor ihnen her glitt das graue Fahrzeug, ohne ein Segel beigesetzt zu haben; aus einer Oeffnung an dem runden Heck lief ein Stahltau, und als Ellen die Back betrat, überzeugte sie sich zu ihrem grenzenlosen Erstaunen, daß die in einer Schlinge endende Stahltrosse sich um einen Voller schlang, daß die ›Vesta‹ von dem rätselhaften Schiff geschleppt wurde.
Wie das Tau plötzlich dorthin kam, auf welche Weise es um den Voller geschlungen war, niemand konnte es erklären. Dieses seltsame Schiff mußte auch über unsichtbare Hände verfügen.
Kaum einige Minuten waren vergangen, so sahen sich die vor Staunen noch ganz starr dastehenden Mädchen schon außer Schußweite der Prauen, aus dem Schlote des ›Amor‹ stieg Rauch auf, er begann zu dampfen und war also in Sicherheit, aber die Piraten machten auch keinen Versuch mehr, das Schiff zu stürmen, die meisten lagen an Deck und verhüllten sich die Gesichter, andere schrieen Allah und seinen Propheten an – niemand dachte mehr an den ›Amor‹, und als der erste Schrecken vor dem gespenstischen Schiff überwunden, da winkten ihnen die Engländer ein Lebewohl zu.
Nur einmal noch ließ sich Lord Hastings Büchse hören.
Einige der Prauen waren vom Winde vorausgetrieben worden, und als der ›Amor‹ an einer derselben vorüberdampfte und der Lord das Deck musterte, da funkelten plötzlich seine Augen auf, er hatte ein bekanntes Gesicht gefunden.
»Sardal,« rief seine mächtige Stimme einem reich gekleideten Malayen zu, der ebenso, wie die übrigen, den beiden Schiffen, sprachlos vor Staunen, nachsah.
Der Angerufene fuhr zusammen, er sah, wie der Lord den Kolben an die Wange legte, es war, als wolle er sich mit einem Sprunge in ein sicheres Versteck stürzen, da aber krachte schon der Schuß, Sardal griff mit der Hand nach dem Herzen und fiel leblos nieder.
Dieser letzte Schuß fand keine Erwiderung, die sonst so verwegenen Malayen hatten den Kopf verloren, mit Menschen wollten sie jeden Kampf aufnehmen, aber nicht mit Geistern; – zähneknirschend gaben die Anführer den Befehl, die Segel westwärts zu richten.
»Es ist nicht anders,« rief Harrlington, »die ›Vesta‹ wird von dem Geisterschiff geschleppt. Wer mag nur dieser unbekannte Helfer sein?«
»Das Geisterschiff fährt allein weiter,« sagte einige Zeit später ein anderer Engländer, »die ›Vesta‹ bleibt jetzt bedeutend zurück! Da, die Damen setzen schon wieder Segel, bald werden wir sie eingeholt haben.«
Ellen stand noch immer auf der Back und betrachtete das Stahltau, welches an Bord ihres Schiffes lag. Es war abgeschnitten worden, nur noch ein kleines Stück davon und die Schlinge war um den Poller geblieben.
Plötzlich warf sie das Tau weg und sprang die Treppe hinunter, welche von der Back auf Deck führte.
»Wo ist Miß Nikkerson?« rief sie, es überkam sie eine schreckliche Angst, sie hatte über dem seltsamen Schiff das Schicksal ihrer Freundin ganz vergessen.
»In ihrer Kabine,« antwortete ein Mädchen. »Seien Sie unbesorgt, Miß Petersen, Sie hat nur einen leichten Streifschuß am Kopf davongetragen.«
Ein Seufzer der Erleichterung stieg aus Ellens tiefstem Inneren zum Himmel empor.