Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 2
Robert Kraft

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27.

Der allwissende Götze.

Tschung-kue, Reich der Mitte; Thai-tsching-kue, Reich der großen Reinen; Tschung-Hua, Blume der Mitte; Thien-Hin, Himmelsunterlage – fürwahr, bescheiden ist der Chinese bei der Wahl des Namens für sein Vaterland nicht gewesen, und wenn sich ihr Kaiser als Sohn des Himmels bezeichnet, so kann man dies auch nicht von ihm behaupten.

Was für eine Stellung könnten diese geistig hochbegabten, tatkräftigen, unermüdlich fleißigen, mäßigen, in jeder Art von Kunst und Handwerk geschickten Chinesen, das einzige Volk, welches jedes Klima verträgt, im politischen Leben auf der Erde einnehmen, wenn sie keinen Zopf im Nacken hängen hätten?

Wirklich, nur der Zopf ist daran schuld, daß dieses Volk noch auf derselben Stufe steht, wie vor Tausenden von Jahren; der Zopf, den sie noch immer tragen, charakterisiert sie vollkommen, und so lange sie den nicht abschneiden, dürfen sie nicht hoffen – wenn sie es auch glauben – in der heutigen Weltgeschichte eine wichtige Rolle zu spielen; hätten sie keinen Zopf getragen, dann wäre es kaum dem kleinen Japan gelungen, seine Truppen im Sturmschritt siegreich gegen China zu führen; schon allein die ungeheure Ueberzahl hätte die wenigen Soldaten erdrücken müssen – aber sie trugen den Zopf, und der hinderte sie überall und immer.

Der liebe Leser versteht wohl, daß hier nicht der aus Haaren geflochtene Zopf gemeint ist, der Stolz der Chinesen, aber dieser charakterisiert auch schon den, welcher hier zu verstehen ist, den unermeßlichen Eigendünkel des Chinesen, und sein zähes Festhalten am Ueberlieferten, welches er nicht aufgibt, und sollte auch das ganze Reich darüber zu Grunde gehen.

Was nützt es dem Chinesen, daß schon sechshundert Jahre vor Christi Geburt in seinem Lande die Buchdruckerkunst erfunden wurde – das System, dessen er sich jetzt bedient, ist fast noch dasselbe wie damals; was nützt es ihm, daß seine Vorfahren sogar schon vierhundert Jahre vor unserer Zeitrechnung das Schießpulver gekannt haben, als unsere Vorväter noch in den Urwäldern den Bären und den Auerochsen mit dem Spieß jagten – der Chinese zieht noch heute Bogen und Pfeil dem Schnellfeuergewehr vor, der letzte Krieg mit Deutschland hat es bewiesen. Mit derselben Kriegstaktik, die sie vor tausend Jahren gegen die wilden Tartaren und andere asiatische Völkerschaften angewandt haben, wollten sie gegen die beste europäische Armee vorgehen.

Und so ist es mit allem und überall in China. Wie es sich mit aller Macht gesträubt hat, den Handelsschiffen seine Häfen zu öffnen, so ist es auch im Kleinen, es verschmäht jeden ihm gebotenen Vorteil, der aus anderen Ländern kommt, es will überhaupt nichts mit fremden Völkern zu tun haben, sondern sich völlig abschließen, und durch nichts geben dies die Chinesen deutlicher zu verstehen als durch die große Mauer, welche sich rings um ihr Reich zieht.

Wie vor Tausenden von Jahren, so sieht es auch noch jetzt in einer chinesischen Stadt aus, in der die Europäer sich noch nicht festgesetzt haben. Dieselbe weite, bunte Kleidung mit langen Aermeln, in denen die Hände verschwinden, die spitzen, breitrandigen Strohhüte, die gelben, vorn aufgebogenen Schuhe, dieselben Karren mit Kulis davor, und schließlich die Stadt selbst noch von demselben spielzeugartigen Aussehen, mit den hölzernen Häuschen, welche bei einer Feuersbrunst wie Papier in Flammen aufgehen, mit den Türmchen, sogar solchen aus Porzellan, an deren aufgebogenen Dachecken Glöckchen hängen, und mit den allerdings großen und schönen öffentlichen Gebäuden, an denen aber der bizarre Geschmack der Urvorfahren Drachen und Fratzen angebracht hat, und welche daher auch jetzt noch beim Bau eines Hauses angebracht werden, wenn sie das Gebäude auch noch so sehr verunzieren oder vielmehr lächerlich machen.

Das Alter wird oft kindisch, sagt man, und wer beim Alten verharrt, ohne das Neue anzunehmen, der ist kindisch, und daher ist es auch der Chinese, so lange er sich nicht entschließen kann, seinen Zopf abzuschneiden, mit dem Alten zu brechen und der Zivilisation und Kultur den Eingang in sein Reich zu gestatten. –

Auch Scha-tou oder britisch Swatow, ist eine solche Stadt, welche, wenn man sie von einem Luftballon in den Wolken aus betrachtet, den Eindruck machen müßte, als Ware der Inhalt einer Spielzeugschachtel von Kinderhänden aufgebaut worden.

Die Glöckchen an den Türmen erklangen, vom Winde bewegt, die dicken, reichen Kaufleute wackelten durch die Straßen ihrem Geschäfte nach, die Handwerker saßen in der geöffneten Haustür und hämmerten, klopften, stichelten und schnitzten, und in den von zwei Kulis getragenen Sänften hockten die Mädchen, deren verkrüppelte Füße das Gehen nicht erlaubten, und machten einen Teebesuch.

Das Einschnüren des Fußes, damit er klein bleibt, ist übrigens nicht, wie man oft annimmt, allgemein in China gebräuchlich, sondern nur adelige und reiche Leute pflegen diese Sitte, und – wie man es überall auf der Erde, also auch bei uns findet, daß eine gewisse Sorte von Frauen es gern äußerlich der besseren Klasse gleichtun will, so auch in China – nämlich auch die zu der Kaste der Mon, auf deutsch, der Herumtreiber, gehörigen Mädchen bemühen sich, ihren Kindern der Liebe die Füße möglichst klein zu erhalten, damit sie später einmal viele Bewunderer haben möchten.

Es war den eingetroffenen Engländern und Amerikanerinnen nicht schwer geworden, sich den Eintritt in einen Tempel zu verschaffen; der Chinese ist ungeheuer geldgierig, und so war der Liang, der Priester des Tempels, für einige in die Hand gedrückte Goldstücke sofort bereit, den Fremden das ihm anvertraute Heiligtum zu zeigen.

Diesmal hatte man nicht nötig gehabt, sich unter den Eingeborenen nach einem Dolmetscher umzusehen, Chinesen sind über die ganze Welt verstreut, und Hannibal, der weitgereiste Diener Lord Harrlingtons, war oft genug mit ihnen zusammengetroffen, um ihre Sprache vollständig zu verstehen.

Mit äußerst wichtiger Miene übernahm der kleine, weißhaarige Neger die Aufgabe, die Worte des erklärenden Priesters zu verdolmetschen.

Man ging von Postament zu Postament, überall saßen die aus Porzellan oder Erz gefertigten Götzen mit untergeschlagenen Beinen da, ihre Gesichter waren zu einem heiteren Lachen verzogen – es war, als ob sie sich mit den Händen, wie man sagt, vor Lachen den dicken Bauch halten müßten. Beides, das Lachen und der dicke Bauch, sind eine Eigentümlichkeit vieler chinesischer Götzen.

Diese Gestalten, welche aus allen Ecken und von allen Postamenten herab die fremden Gäste anlachten, übten bald eine ansteckende Wirkung auf diese aus, es dauerte nicht lange, so kamen ihre Heiterkeit und ihr Uebermut zum Vorschein, und schließlich, als die Ermahnungen einiger Besonnenen, in diesem Tempel ernst zu bleiben, unbeachtet vorübergingen, brachen sie unaufhaltsam hervor.

»Weiß Gott, dieses Lachen steckt an,« meinte Chaushilm zu seinem Freunde Hendricks, »ich könnte hier nicht Priester sein und beten, die Götzen ziehen zu komische Gesichter.«

»Die müssen natürlich lachen, wenn sie die dummen Chinesen sehen,« entgegnete Hendricks, »setzen Sie sich einmal auf so ein Postament und bleiben Sie ernst, wenn Ihnen der Priester Weihrauch vor der Nase anzündet und auf dem Bauche Ihnen zu Füßen liegt.«

»Warum sind sie nur alle so dick?« fragte Miß Staunton.

»Das will ich Ihnen erklären, liebe Miß,« antwortete Charles. »Sehen Sie, wer reich ist, muß auch dick sein, sagt der Chinese. Der Arme dagegen ist mager. Wäre nun solch ein Götze knochendürr, so müßte er ja arm sein und könnte also den ihn um Reichtum Bittenden nichts schenken. Nur immer recht dick, sagt also der Götze, und ißt alles ihm geopferte Fleisch, Früchte und so weiter, wenn es manchmal auch nicht genießbar ist, und je dicker er dadurch wird, desto angesehener wird er, bekommt immer mehr zu essen, und schließlich nimmt er eben einen solchen Körperumfang an, wie Sie ihn hier bewundern können. Und soll er da vielleicht ein trauriges Gesicht ziehen, wenn er ein so behagliches Leben hat? Nein, er strahlt natürlich vor Entzücken und freut sich schon auf die Mahlzeit, wenn wir erst fort sind.«

»Daß er sich nur nicht einmal Magenbeschwerden oder eine Verdauungsstörung holt,« lachte Hope.

»Dafür hat der allmächtige Götze natürlich gesorgt,« versicherte Charles lebhaft, »es ist nämlich so eingerichtet, daß der Priester um so weniger essen darf, je mehr jener zu sich nimmt, und hat er sich einmal den Magen überladen, so muß der Priester dafür büßen, das heißt, er bekommt Leibschneiden.«

Diejenigen, welche die Worte gehört hatten, blickten lachend nach dem Priester, der in der Tat äußerst mager war, und somit die Behauptung Williams' zu bestätigen schien. Sie bemerkten dabei in ihrem Frohsinn gar nicht, mit welch finsteren Blicken der Priester die lachende Gesellschaft ab und zu betrachtete, ohne aber im Erklären aufzuhören.

»Waren Sie selbst schon einmal ein chinesischer Götze, daß Sie so genau über das tiefe Seelenleben dieser Geister orientiert sind?« fragte Miß Thomson Sir Williams.

»Das nicht, aber beinahe,« antwortete der Gefragte, »ich schloß in England einmal Bekanntschaft mit einem äußerst gebildeten Chinesen, der den Leierkasten auf der Straße spielte und dabei großes, musikalisches Talent entwickelte. Der Vater dieses Chinesen besaß in China einen Freund, dessen Bruder eine Schwester hatte, die sich einmal beinahe mit einem Priester verlobt hätte, und dieser chinesische Leierkastenmann hat mich tief in die religiösen Mysterien seines Vaterlandes eingeweiht.«

»Um Gottes willen,« lachte Miß Thomson laut auf, »diesen Ausführungen kann ich nicht folgen.«

»Hannes, treiben Sie den Spaß nicht zu weit,« rief Charles dem Matrosen zu, welcher neben Hope Staunton vor einem Götzen stand. Hannes erzählte seiner Begleiterin etwas, klopfte dem dicken Götzen freundlich auf die Schulter, und beide wollten sich bald totlachen.

Auch der Priester hatte das Treiben des Matrosen bemerkt, und ihn traf ein so finsterer Blick, daß selbst Charles, der ihn aufgefangen hatte, plötzlich stutzte und seinem Diener die Bemerkung zurief.

»Ach was,« rief Hendricks, »wir sind Engländer und wollen den Chinesen zeigen, mit was für Albernheiten sie sich abgeben. Wir haben nichts zu fürchten, sie müssen doch auf unseren Pfiff tanzen.«

»Aber wir sind in ihrem Lande und müssen ihre Sitten respektieren und am meisten das, was ihnen heilig ist. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn sie unser Lachen beleidigend finden,« sagte Harrlington ernst.

»Gegen die Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens,« entgegnete Chaushilm für seinen Freund. »Wir wollen den Kampf aufnehmen und werden ihn doch schließlich einmal zu Ende führen. Nur immer tüchtig drauf, Zartgefühl hilft hier nichts, sie müssen sehen, daß ihre Götzen ganz ohnmächtige Kreaturen aus Porzellan und Erz sind.«

Die Ermahnung Harrlingtons vermochte nichts, die Heiterkeit wurde immer größer, die Augen des Priesters, der im Erklären fortfuhr, wurden immer drohender, aber schließlich war man mit der Besichtigung des Tempels zu Ende. Nur noch ein kleines Gemach war zu betreten, dann wollte man den Tempel wieder verlassen.

Vor der von einem Vorhang verhüllten Tür zu diesem Gemach blieb der Priester plötzlich zögernd stehen, überlegte und wandte sich dann um.

»Will er uns den Eingang verwehren?« fragte Harrlington seinen Diener.

Dieser sprach mit dem Chinesen und teilte der Gesellschaft mit, daß der Priester allerdings nicht gewillt sei, den in diesem Gemach aufgestellten Götzen, einen sehr heiligen, den frivolen Augen der Fremden und deren Gelächter auszusetzen. Dies reizte gerade die Neugierde der Gesellschaft.

»Da müssen wir uns den Eingang mit Gewalt erzwingen,« sagte Charles, als der Priester durchaus nicht den Vorhang lüften wollte, sprach mit seinen Freunden und drückte dem Priester etwas in die Hand, was dieser in seinen Aermel verschwinden ließ.

Jetzt zögerte er nicht mehr, er gestattete den Fremden den Eintritt, sagte zu Hannibal einige Worte und blieb dann im Innern des Gemaches an dem Vorhang stehen, argwöhnisch die Fremden betrachtend.

Diese waren sehr enttäuscht. Aus dem Zögern des Priesters hatten sie geschlossen, in dieser Abteilung etwas Außergewöhnliches zu finden, es war aber nichts dergleichen vorhanden. In diesem Gemache war nur ein einziger Götze aufgestellt, aber von riesigen Verhältnissen, er war ungeheuer dick und lachte so unbändig, daß man alle Zähne in seinem weitgeöffneten Mund sah.

Leider kam gerade in diesem Raume, welchen der Priester nur ungern den Augen Ungläubiger zeigte, die Lachlust der Herren und Damen zum vollsten Durchbruch und zwar durch einen Witz, den Hannes, wie unbeabsichtigt, gleich am Anfang machte.

Der Priester hatte dem Neger nur gesagt, wie der Götze hieß, und so nannte auch Hannibal, dabei eine theatralische Handbewegung nach der Figur machend, seinen Namen;

»Lao-Tssy.«

»Sehr angenehm; Hannes Vogel,« erwiderte sofort trocken der Matrose und grüßte mit der Mütze.

Diese Vorstellung war in einer solchen Weise geschehen, daß alle in ein schallendes Gelächter ausbrachen, das gar nicht enden wollte. Selbst die Ernsteren konnten sich nicht davon ausschließen, die Worte, die Verbeugungen und das Mützeabnehmen waren von Hannes in einer zu komischen Weise karrikiert worden.

Als sich die Heiterkeit etwas gelegt hatte, fragte eines der Mädchen den Neger:

»Hat dir der Priester sonst nichts über diesen Götzen mitgeteilt?«

»Nein.«

»So will ich etwas von ihm erzählen,« sagte das Mädchen, welches mit den Sitten und Verhältnissen der Chinesen bewandert war. »Lao-Tssy ist ein Mensch gewesen, und gerade er hat den Menschen eine neue Religion zugebracht oder doch die ältere wesentlich verändert. Die meisten dieser Götzen sind ja früher nur Menschen gewesen, die auf Erden gewandelt, große Taten vollführt oder sich dem Vaterlande nützlich gemacht haben und daher später vom Volke zu Göttern erhoben und als solche verehrt werden. Dieser Lao-Tssy nun ist der erste aller Götzen, und ihm wird eine besondere Verehrung gezollt.«

»Daher ist er auch so groß und dick,« sagte ein Herr.

»Und lacht so schrecklich,« ergänzte ein Mädchen.

»Ist Lao-Tssy nicht der sogenannte allwissende Götze?« fragte Charles die erklärende Dame, und ein sehr scharfer Beobachter hätte merken können, wie seine Mundwinkel zuckten.

»Er ist nicht allwissender, als die anderen Götter, so genau kann ich Ihnen darüber keine Auskunft geben,« war die Antwort.

»Ich habe von Lao-Tssy schon öfters erzählen hören,« fuhr Charles fort, »er soll doch sogar sprechen können.«

»Daß ich nicht wüßte,« sagte das Mädchen, »möglich, daß er Selbstgespräche führt.«

»Oder vielleicht unterhält er sich unter vier Augen mit dem Priester über die Neuigkeiten von Scha-tou,« meinte Hope.

»Nein, nein,« entgegnete Charles, immer ernsthaft, »dieser Mister Lao-Tssy soll wirklich sehr gewandt im Sprechen und nebenbei allwissend sein. Hannibal, frage einmal den Priester, ob es sich wirklich so verhält.«

Der Chinese war am Vorhang stehen geblieben, die Gesellschaft nicht aus den Augen lassend, und als gleich zuerst das Gelächter erscholl, zog sich seine Stirn in drohende Falten zusammen. Ein Glück war es, daß seine Hände in den langen Aermeln verschwanden, sonst hätte man sehen können, wie sie sich krampfhaft ballten.

Auf die Frage Hannibals, ob dieser Götze wirklich sprechen könnte, fürchtete er eine neue Beleidigung des Heiligen, er trat wie schützend vor ihn hin und erklärte, daß dies nicht der Fall wäre.

»Und ich glaube es doch,« rief Charles, »er soll sogar alle Zungen reden können. Nun, wir werden es ja erfahren.«

Die Herren und Damen standen um das Postament herum, Charles ließ von ihnen, die von seinem Vorhaben noch keine Ahnung hatten, einen Halbkreis schließen, in den er trat, daß er dem Götzen das Gesicht zuwendete.

Alle waren gespannt auf das, was der immer humoristische Williams jetzt wieder vorhatte.

»Eigentlich ist es notwendig, daß ich vorher die Stiefeln ausziehe,« sagte er, »denn der Götze will mit Ehrfurcht behandelt sein, und das mit Recht, da aber Damen zugegen sind und ich ungeheuer schamhaft bin, so werde ich das unterlassen, und der Götze wird meine Ungezogenheit entschuldigen.«

Nach diesen einleitenden Worten wandte sich Charles wieder der Statue zu, nahm den Hut vom Kopfe und fragte laut und deutlich:

»Wie heißt du?«

Es erfolgte natürlich keine Antwort, die Herren und Damen sahen sich an, sie konnten sich das Benehmen Williams' nicht erklären.

Charles blickte sich im Kreise um.

»Haben Sie etwas gehört?« fragte er.

Alle schüttelten lächelnd den Kopf.

»Dann muß ich ihn auf andere Weise zum Sprechen bringen. Passen Sie auf, wenn er antwortet.«

»Lao-Tssy,« rief er abermals laut.

Ein paar Sekunden verstrichen, dann aber erklang eine dumpfe Grabesstimme, die direkt aus dem Munde des Götzen zu kommen schien.

»Was willst du von mir, Erdenwurm?«

Im ersten Moment waren alle erschrocken zurückgefahren, so deutlich kamen die Worte aus dem lachenden Munde der Statue hervor, man glaubte ordentlich, seine Lippen bewegten sich, und am allermeisten entsetzt war der chinesische Priester. Er prallte förmlich zurück, bis er mit dem Rücken an die Wand stieß, wo er, an allen Gliedern zitternd, auf die Kniee sank.

Der einzige, der seine Ruhe behielt, war Charles.

»Sagte ich es nicht,« frohlockte er, »Lao-Tssy spricht ganz perfekt englisch! Nun will ich dem alten Burschen aber einmal auf den Zahn fühlen. Wenn er allwissend ist, dann werden wir manches Interessante zu hören bekommen.

»Ich habe Sie doch nicht in der Arbeit oder im Schlaf gestört, Mister Lao-Tssy?« fragte Charles zum Götzen gewendet.

»Ich habe immer Zeit für Sir Williams, deine Unterhaltung ist mir stets angenehm,« klang es wieder deutlich mit dumpfer Stimme aus dem Munde des Götzen.

Jetzt hatten sich alle, mit Ausnahme des Priesters, von ihrem ersten Schrecken erholt, sie wußten nun, daß Williams einen Scherz machte, daß er den Götzen durch irgend etwas zum Sprechen brachte, auf welche Weise, war allerdings völlig unbekannt, den Damen wenigstens.

»Sagte ich nicht, daß er allwissend ist?« triumphierte Charles. »Und kennen tut er mich auch, da muß ich ja ordentlich stolz werden.

»Kennen Sie mich, Mister Lao-Tssy?« fragte er.

»Wer sollte dich nicht kennen, Sir Charles Williams, deinen berühmten Namen führen wir Götter täglich in unserem heiligen Munde.«

Die Umstehenden brachen in Lachen aus.

»Was haben Sie eben gemacht, als ich Sie rief, Mister Lao-Tssy?«

»Ich habe Wolken geschoben.«

»Und da habe ich Sie gewiß gestört, Mister Lao-Tssy. Das sollte mir wirklich sehr leid tun.«

»Durchaus nicht, ich schiebe nachher etwas schneller. Aber sage einfach lieber Lao-Tssy zu mir, du bist mein Freund, du darfst später auch mit Wolken schieben helfen.«

Ein unauslöschliches Gelächter folgte, die Situation war zu komisch. Williams nahm sich vor der riesigen Statue wie ein Zwerg aus, und dazu glaubte man wirklich, der Götze rede, man sah förmlich Lippen und Zunge sich bewegen, so deutlich erklangen die Worte aus seinem Munde. Williams, den Hut in der Hand, der lachende Götze und diese komischen Fragen und Antworten – den Umstehenden taten die Kinnbacken vor Lachen weh.

»Jetzt muß ich ihm eine Frage vorlegen, über deren Beantwortung ich oft gegrübelt habe,« sagte Charles, und laut fragte er:

»Wer ist die Schönste unter allen diesen Damen?«

Er machte dabei eine kreisförmige Bewegung mit der Hand.

Die Antwort ließ lange auf sich warten.

»Verstecken Sie jetzt nicht so Ihr Antlitz, meine Damen,« flüsterte Charles, »Lao-Tssy unterwirft Sie erst einer gründlichen Besichtigung, ehe er sein Urteil abgiebt.«

Die Mädchen kicherten.

»Sie sind alle gleich schön,« klang es dann.

»Aha, mein lieber Lao-Tssy ist ein Schlaumeier, er will es mit keiner der Damen verderben. Nun aber eine andere, auch sehr wichtige Frage.«

»Wer ist der schönste unter den Herren?«

Diesmal ließ die Antwort nicht so lange auf sich warten, sondern sofort ertönte es:

»Unbedingt du, Sir Williams, Baronet von England.«

Wieder brach ein allgemeines Halloh aus.

»Danke, mein lieber Lao-Tssy,« sagte Charles und machte eine Verbeugung, »ich war allerdings immer davon überzeugt.

»Nun aber eine sehr kitzelige Frage, meine Herren und Damen, aber ich muß sie stellen, weil ich mich bis jetzt noch nicht richtig von der Allwissenheit dieses Götzens überzeugt habe. Jetzt werde ich es tun.

»Wer ist die jüngste der Damen?«

»Miß Hope Staunton.«

»Richtig. Und wer ist die älteste?«

»Miß Sarah Morgan,« war abermals die prompte Antwort.

»Ja, ja, meine Damen,« lachte Charles, »hier hilft es Ihnen nichts, ein falsches Alter anzugeben; mein lieber Lao-Tssy weiß alles und kennt keine Rücksichten. Doch diese Antworten genügen mir noch nicht als Beweis seiner Allwissenheit, Lao-Tssy kann ein großer Frauenkenner sein. Wie soll ich ihn einmal prüfen?« und Charles blickte nachdenkend vor sich hin, »ja, so geht es:

»Was hat Sir Hendricks heute morgen zuerst gemacht, als er aufstand?«

»Er hat seine Backen mit Bartwuchstinktur eingerieben,« erklang es sofort.

Aller Augen wandten sich auf Sir Hendricks, der ärgerlich wurde, aber doch lachen mußte. Es war bekannt, daß er seit Antritt der Reise bemüht war, sich einen Backenbart großzuziehen, nur hatte leider der Anfang des Bartes ein sehr kümmerliches Aussehen.

»Und was hat er dann getan?«

»Dann hat er sich Sporen angeschnallt und ist auf einem Stuhle in der Kabine herumgeritten.«

Das war natürlich nicht wahr, aber wie schon früher mitgeteilt wurde, war Sir Hendricks ein passionierter Pferdeliebhaber.

»Hören Sie endlich mit Ihrem Unsinn auf,« rief der Ausgelachte, »die Sache wird langweilig.«

»Einen Moment,« entgegnete Charles, »noch eine Frage muß ich an meinen Freund stellen. Kann er diese beantworten, so ist er allwissend, und ich selber, so wahr ich hier stehe, will ihn anbeten.

»Also, mein lieber Lao-Tssy, kannst du mir sagen, welche Dame gerade jetzt zur Zeit von Marquis Chaushilm geliebt wird?«

Die Antwort blieb lange aus.

»Da muß ich erst einmal die anderen Götter fragen,« klang es zurück, »die Frage ist für mich allein zu schwierig.«

»Nein, das können wir alle nicht sagen,« kam einige Sekunden später die Antwort, »das geht selbst über unsere Allwissenheit; er liebt alle.«

Jetzt wurde aber Marquis Chaushilm durch das Gelächter der Menge aufgebracht, er verbat sich ernstlich derartige Witze, und da es nun genug des Spiels schien, so gab Charles seine Rolle auf.

Schon wollte er sich unter die Gesellschaft mischen, als der Götze plötzlich von selbst, ohne gefragt zu werden, zu reden anfing:

»Mein lieber Williams!«

Der einzige, der diesmal die Fassung verlor, war Williams selbst. Er blickte verdutzt den Götzen an, hatte sich aber schnell wieder gesammelt.

»Was willst du von mir, mein lieber Lao-Tssy?«

»Ist vielleicht das Gedicht von dir?«

»Holde Betty, süßes Wesen,
Bin schon längst dir gut gewesen,
Aber mündlich dir's zu sagen,
Dies zu tun konnt' ich nie wagen ...«

»Hör' auf, hör' auf,« schrie Charles und streckte abwehrend die Hände nach dem Götzen aus, als dieser aber unbeirrt die sämtlichen Verse des von Charles auf Miß Betty Thomson gedichteten Huldigungsliedes deklamierte, wandte er sich unter dem Gelächter der anderen plötzlich um und hielt dem hinter ihm stehenden Neger, der bekanntlich ein Bauchredner war, die Hand vor den Mund.

»Spitzbube, infamer,« schrie Charles und holte mit der freien Hand zum Schlagen aus, »steht das etwa in meiner Instruktion? Und Sie, Hannes,« drohte er dem sich vor Lachen fast wälzenden Matrosen mit der Faust, »mit Ihnen spreche ich heute abend noch ein Wörtchen.«

Charles war anfangs wirklich erzürnt, daß sein Diener die Geheimnisse seines Tagebuches öffentlich zum besten gab, da er aber ebenso willig einsteckte, wie er gern austeilte, so hatte sich sein Zorn schnell wieder gelegt, und er lachte über die Neckereien, welche er zu erdulden hatte.

»Wir haben uns wie die Kinder betragen,« sagte Ellen, als sie wieder vor dem Tore des Tempels standen, »es ist wirklich sehr ungezogen von uns gewesen, über das Heiligste dieses Volkes zu lachen und zu spotten. Der Priester zog immer ein Gesicht, als wünsche er, die Götzen möchten von ihren Postamenten heruntersteigen und uns samt und sonders totschlagen und verschlingen. Wenn unser Betragen nur keine nachteiligen Folgen hat!«

»Ach wo,« entgegnete einer der Herren sorglos, »der Priester hat sich natürlich über uns geärgert, aber das hat nichts zu bedeuten. Er hat Geld bekommen, soviel, wie er in seinem ganzen Leben nicht ersparen kann, und das ist bei den Chinesen die Hauptsache. Wir hätten mit dem Götzen herumtanzen können, und er hätte auch nichts dazu gesagt, sondern höchstens noch ein paar Goldstücke mehr als Tanzgeld gefordert.«

Der chinesische Priester, der Hüter des Tempels, von dem derart gesprochen wurde, befand sich noch immer in dem Raume vor der Statue des Lao-Tssy.

Er hatte den Kopf gesenkt, die Fäuste geballt, und zwischen den Zähnen hervor murmelte er unverständliche Worte.

Nicht lange hatte es gedauert, so merkte er, welches Spiel die Fremden mit seinem Allerheiligsten getrieben hatten. Er erhob sich bald aus seiner knieenden Stellung und wartete mit knirschenden Zähnen, bis die Gesellschaft den Tempel verlassen hatte.

»Verspottet, verhöhnt!« knirschte er, sank dann in die Kniee und streckte die Hände nach dem lachenden Gotte aus. »Du, allmächtiger Lao-Tssy, verspottet, verhöhnt! Wohl hast du es dir gefallen lassen, was kümmerten dich diese verfluchten Fremdlinge? Du konntest sie ja mit einem Worte in den Staub sinken lassen, aber du lachtest ihrer, sie sind nicht wert, daß du sie beachtest. Ueberlaß es mir, die dir zugefügte Schmach zu rächen, so furchtbar, wie es in meinen Kräften steht. Lao-Tssy, du großer Reiner, sieh gnädig herab auf deinen Diener, der zu deinen Füßen liegt, erhöre ihn, gib ihm die Macht, daß er für dich handeln kann!«

Lange noch blieb der Priester im Gebet auf den Knieen vor dem Götzen liegen, der lachend auf ihn herunterblickte. Endlich erhob er sich.

Er zog die empfangenen Goldstücke hervor – es waren sieben Stück – und betrachtete sie lange, dann plötzlich schien es, als hätten sich diese gleißenden Münzen in glühende Kohlen verwandelt, mit solcher Heftigkeit schleuderte sie der Priester in eine Ecke des Gemachs. »Verfluchtes Gold,« knirschte er, »mich sollst du nicht verführen! Hat mein Herz auch erst gejubelt, als es dich sah, jetzt ekelt mich vor dir. Nein, keinem Priester des heiligen Lao-Tssy soll man nachsagen, daß er sich von deinem roten Glanze hat bestechen lassen, die Roheiten dieser verdammten Fremdlinge zu dulden. Doch halt,« fuhr er nachdenkend fort, und sah nach der Ecke, wo die Goldstücke zerstreut umherlagen, »vielleicht kann ich sie noch gebrauchen gegen die, die sie mir gaben.«

Ein furchtbares Lächeln entstellte seine Züge, er sammelte die Münzen wieder auf und betrachtete sie lange; immer höhnischer und immer drohender wurde dabei sein Gesichtsausdruck.

»Hm,« murmelte er, »sie könnten reichen, um mich, nein, nicht mich, um Lao-Tssy rächen zu können. Sieben Goldstücke sind es, das waren vier für den vornehmen Fremden, der mit Lao-Tssy frevelte und drei für den Kleinen. Auch er ist nicht mehr wert, daß ihn die Sonne beleuchtet. Der beste und geschickteste der Mons, so wie ich ihn brauche, ist Tsin-Hai, er hat sich mir schon oft angeboten. Wehe euch, ihr verfluchten Kinder des Teufels, ihr von den Göttern Gehaßten, euer Urteil ist gefällt, Tsin-Hai wird seinen Dolch nicht eher in den Gürtel stecken, als bis eure Leichname von den Hunden in der Straße gefressen werden und er sich das Gold verdient hat.«

Der Priester wartete noch, bis die Dunkelheit angebrochen war, dann verließ er den Tempel so vorsichtig, daß die ihm unterstellten Tempeldiener gar nichts von seinem Weggange merkten, und wandte sich jenem Viertel zu, wo die Kaste der Mons, der Herumtreiber, hauste.

Zur Kaste der Mons gehören in China die Gaukler, die Diebe, die Bettler, die Tänzer und Tänzerinnen, die öffentlichen Mädchen und deren Zuhälter, also der Auswurf des Volkes und, um nichts zu übergehen, auch die sich als Diener vermietenden Chinesen, welch letztere unter allen Mons immer noch als die ehrlichsten zu bezeichnen sind.

Die Mons haben ihr Stadtviertel für sich und bewohnen kleine, elende Holzhütten; auf der entsetzlich schmutzigen Straße treiben sich vor den offenen Türen magere Hunde umher, die vor Hunger die ganze Nacht heulen, und in den Hütten selbst herrscht die größte Armut und Unsittlichkeit.

Hierher lenkte der Priester seine Schritte; er hatte sich ein einfaches Gewand umgehängt, welches ihn nicht als Diener des Tempels verriet, und richtete es so ein, daß er erst bei Nacht das Viertel erreichte.

Vorsichtig schlich er durch die vor Schmutz starrenden Gassen, stieg über die Kadaver von Hunden und Katzen, scheuchte mit einem Zischen die kläffenden Köter zurück und blieb endlich vor einem Häuschen stehen, dessen Fenster anstatt des Glases mit durchsichtigem Papier überspannt waren, wie überall in China in den Wohnungen der armen Klasse.

Er spähte einen Moment hinein und klopfte dann mit der Fingerspitze einige Male eigentümlich an das Papier, worauf sofort ein großer, herkulisch gebauter Chinese mit widerwärtig schlauem Gesicht und zudringlichem Blick im Türrahmen erschien und den Klopfer musterte.

»Was willst du?« fragte kurz der Inhaber dieser Hütte.

»Tsin-Hai,« antwortete der Priester, »kennst du mich?«

Die Nacht war sehr dunkel, sodaß der fast nur in Lumpen gekleidete Mann sich vergebens bemühte, die Gesichtszüge des ihn Anredenden zu erforschen.

»Nein, wer bist du?«

»Tsin-Hai,« sagte der Priester abermals mit dumpfer Stimme, »ist dein Dolch scharf genug, den von Fremdlingen an Lao-Tssy verübten Frevel zu rächen?«

Da trat der Chinese plötzlich aus der Tür zurück, verneigte sich tief, so daß der überfallende Zopf den Boden berührte und machte eine Handbewegung, den Priester zum Eintreten nötigend – jetzt hatte er ihn erkannt.

»Tritt ein in meine arme Hütte,« murmelte er, »sie ist nicht wert, daß sie einen Diener des mächtigen Lao-Tssy aufnimmt. Entschuldige meine Armut, ich kann dir nichts bieten, als einen Schemel.«

»Es liegt allein an dir, ob sich deine Verhältnisse bessern,« deutete der Priester vielsagend an, als er in das einzige Zimmer der Hütte trat.

Es war völlig schmucklos, ohne jedes Möbel, nur in einer Ecke war ein Ofen angebracht, und um diesen herum stand einiges Kochgeschirr. Ein einziger Schemel aus Rohrgeflecht deutete an, daß man sich hier noch anders als auf die Strohmatte am Fußboden setzen konnte.

Um eine große Tonschüssel in der Mitte der Stube hockten ein Weib und ein Mädchen von sechzehn Jahren, und leicht konnte man an ihrem Aussehen erkennen, welcher Beschäftigung sie nachgingen.

»Geht hinaus!« herrschte der Besitzer der Hütte die Frauen an.

Gehorsam standen diese auf, setzten die Schüssel mit Reis beiseite und verließen das Zimmer.

Die Frau des Chinesen ist dem Manne zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet, aber nicht seine Sklavin, wie bei den Mohammedanern, wo das Weib jedes Schutzes entbehrt. Bei den Chinesen steht das Weib unter dem Schutze des Gesetzes, dieses hört auf ihre Klagen und untersucht eine eventuelle Beschwerde. Außerdem herrscht in China die Monogamie, das heißt, jeder darf nur eine Frau nehmen, eine Ausnahme ist nur zulässig, wenn diese ihm keine Kinder schenkt. Aber die weiteren Frauen nehmen eine ganz untergeordnete Stellung ein und stehen unter der Herrschaft der gesetzlichen Gattin.

Der Priester nahm auf dem Rohrstuhl Platz und betrachtete das schlaue Gesicht des herkulischen Chinesen, der vor ihm mit untergeschlagenen Beinen Platz genommen hatte und geduldig auf die Anrede wartete.

Der Besucher kam ohne weiteres auf das, was ihn hierhergeführt hatte.

»Wo gibst du jetzt deine Vorstellungen?« fragte er.

»Am Hafen und auf den Schiffen.«

»So kennst du die beiden neuen Schiffe, welche gestern hier eingelaufen sind, den ›Amor‹ und die ›Vesta‹?«

»Ich kenne sie.«

»Warst du schon dort an Bord?«

»Nein, sie lassen keinen Gaukler ihr Schiff betreten. Ich habe es versucht, wurde aber von ihnen zurückgewiesen.

»Es sind keine Matrosen an Bord.«

»Ich weiß es, es müssen reiche und mächtige Engländer sein, welche zum Vergnügen die Arbeiten von Matrosen verrichten, und auf dem großen Schiffe mit den drei Masten sind sogar Frauen.«

»So ist es,« rief der Priester, »ich sehe, daß du sie kennst. Haben sie schon deinen Vorstellungen am Lande beigewohnt?«

»Herr, ich bin arm,« sagte der Chinese in demütigem Tone, durch welchen aber Bitterkeit drang, »meine Mittel langen nicht zu, um mir Geräte anschaffen zu können. Ich mache weiter nichts, als ich verschlucke das Schwert und lasse Kugeln in der Luft tanzen und bin froh, wenn ich einige Kupfermünzen einsammeln kann. Diese Fremden beachten einen solchen Gaukler nicht, sie gehen stolz an ihm vorüber.

Der Priester blickte sinnend vor sich hin.

»Du botest mir einmal deine Dienste an, weißt du noch?« fragte er nach einer kleinen Weile.

Des Chinesen Augen wurden lebhafter; jetzt begriff er, was den Priester in seine Hütte geführt hatte.

»Ich tat es, ich glaubte damals, du bedürftest eines scharfen Dolches,« grinste er, »ich kann von meinen Vorstellungen nicht leben, ich muß noch anderen Verdienst suchen, und was bleibt einem Angehörigen der Mons anderes übrig, als nach dem Dolch zu greifen? Arbeit bekommen wir nicht.«

»Ich weiß es,« antwortete der Priester kurz, »und ich will dir behilflich sein, Geld zu verdienen. Es ist nicht mein Interesse, das ich erstrebe, nein, es gilt, unser Allerheiligstes, was von diesen verfluchten Fremdlingen furchtbar verspottet worden ist, blutig zu rächen. – Nur der Tod kann solche Schmach sühnen.«

Er bog sich zu dem Gaukler hinüber und flüsterte dem atemlos Zuhörenden, der immer beistimmend mit dem Kopfe nickte, lange zu. Seine Augen begannen zu funkeln, wie die eines Tigers, der Beute wittert.

»Und was bekomme ich dafür?« fragte er, als der Priester endlich schwieg.

»Sieh her, für den großen bekommst du vier solche Goldstücke, für den kleinen drei.«

Gierig wollte der Chinese nach dem gelben Metall greifen, aber schnell zog der Priester die Hand mit dem Golde zurück.

»Noch nicht,« sagte er langsam, »du erhältst vorläufig drei, die anderen vier erst dann, wenn du deinen Auftrag zu meiner Zufriedenheit ausgeführt hast. Traust du mir?«

»Ich traue dir,« antwortete der Gaukler nach kurzem Besinnen, der erst unmutig darüber geworden war, daß ihm das Geld vorenthalten wurde, »einen Priester des Lao-Tssy halte ich keiner Lüge für fähig.«

»Gut, du wirst die vier Münzen sicher erhalten, wenn du sie verdient hast. Weißt du aber die zwei beschriebenen Männer unter den anderen herauszufinden? Gerade die, welche am meisten gefrevelt haben? Die Götter haben ihren Tod beschlossen.«

»So sicher werde ich sie finden, wie ich mein Weib unter Tausenden erkennen kann,« lächelte der Gaukler, »unsere Augen sind daran gewöhnt, die unmerklichsten Erkennungszeichen zu erfassen.«

Der Priester stand auf und schritt wortlos an dem sich abermals tief verneigenden Chinesen vorüber und zur Hütte hinaus.


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