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Wenn unter Seeleuten von Piraten gesprochen wird, so fühlt sich jeder unwillkürlich in die chinesischen Gewässer versetzt, die Heimat des Seeräubers.
In mit dem Seewesen unbekannten Kreisen herrscht vielfach die Meinung, die Zeiten, da die Schiffe der Gefahr ausgesetzt waren, von Seeräubern angegriffen und geentert zu werden, seien vorüber, und Piraten existierten nur noch in der Phantasie von Romanschreibern. Aber man gehe in Hamburg nur nach dem Freihafen und frage, wo die ›Teeschiffe‹ liegen, und bei Besichtigung eines solchen, meist sehr großen, viermastigen Fahrzeuges wird man bald bemerken, daß an Deck Vorrichtungen getroffen sind, um Kanonen aufstellen zu können, und die von Nordamerika nach China fahrenden Teeschiffe, riesige, oft sogar fünfmastige Segler, an deren Masten noch die siebente Raa, mit dem Skysail, dem Himmelssegel, schwebt, machen vollkommen den Eindruck von Kriegsschiffen. Drohend lugen überall die Geschützmündungen über die Bordwand, und neben der Kajüte des Kapitäns befindet sich eine Kammer, in welcher Waffen für die ganze Mannschaft aufbewahrt werden.
Fragt man verwundert, wozu das Schiff eine solche kriegerische Ausrüstung erhielt, so bekommt man die einfache Antwort:
»Wir fahren nach den chinesischen Gewässern.«
Der chinesische Seemann ist, ebenso wie der Malaye ein geborener Seeräuber, er hält diesen Beruf für erlaubt, und jeder chinesische Kapitän glaubt sich berechtigt, ein ihm begegnendes Schiff, das nicht mehr segel- oder manövrierfähig ist, auszuplündern und der Mannschaft die Köpfe abzuschneiden. Die Fahrzeuge der Chinesen heißen »Dschunken« und sind bedeutend größer, als die malayischen Prauen, außerdem sind sie noch mit sehr langen Riemen zum Rudern versehen, so daß sie auch bei Windstille fortbewegt werden können, und eben dadurch können sie selbst unseren großen Segelschiffen gefährlich werden.
Ein Dampfer hat sie gar nicht zu fürchten, ebensowenig ein Segelschiff bei gutem Wind, herrscht aber eine vollkommene Stille, liegt der Segler, wie ein totes Ungetüm, bewegungslos auf dem Wasser, dann sucht der Kapitän in unsicheren Gewässern unablässig den Horizont ab, und bemerkt er in der Ferne eine Flotille von Dschunken auftauchen und auf sich zurudern, dann weiß er, was es geschlagen hat, läßt die Geschütze an Deck aufstellen und verteilt Büchsen, Revolver und Entersäbel unter die Matrosen.
Die Seeraub treibenden Dschunken sind nicht etwa nur Handelsschiffe, welche so nebenbei einmal ein hilfloses Schiff ausnehmen, verbrennen und dann weiterfahren, nein, noch immer gibt es dort ganze Flotten, deren Kapitäne alle von diesem Berufe leben. Die zahllosen Inseln des chinesischen, gelben und japanesischen Meeres bieten mit ihren zerklüfteten Küsten zahllose Schlupfwinkel, in denen sich die räuberischen Dschunken so sicher verstecken können, wie der Fuchs in seinem Bau.
Noch im Jahre 1800 existierte eine Flotte von 800 Dschunken und von über 1000 Booten, deren Bemannung, gegen 70000 Chinesen, allein von Seeraub lebte, und diese stattliche Anzahl von Fahrzeugen stand unter dem Oberbefehl eines einzigen Mannes, dessen Macht so groß war, daß ihm der Kaiser von China einen jährlichen Tribut bezahlte, um wenigstens seine Handelsschiffe vor Räubereien zu schützen.
Die chinesische Kriegsmarine erwies sich dieser Piratenflotte gegenüber als vollkommen machtlos, sie wurde mehrmals so empfindlich geschlagen, daß sie dem Treiben der Piraten nur noch aus der Ferne zusah, und erst einige Jahre später fingen die Engländer an, unter diesem Gesindel tüchtig aufzuräumen. Alte Seeleute können noch erzählen, daß man einst in jedem chinesischen Hafen, wohin man auch kam, sehen konnte, wie die Engländer die gefangenen Seeräuber aufknüpften; jeder Kapitän hatte das Recht dazu, und auch jetzt noch kann man ab und zu einer solchen Exekution beiwohnen.
Werden Chinesen bei dem Betreiben ihres räuberischen Handwerks gefaßt, so sucht man stets, der Piraten lebend habhaft zu werden, hängt sie aber nicht schon an Bord des Schiffes an den Raaen auf, sondern bringt sie nach dem nächsten Hafen und führt die Hinrichtung recht langsam und öffentlich aus, damit alle Chinesen merken, wie ernst man mit solchem Gesindel umzuspringen gewillt ist, und um ihnen so wenigstens Furcht einzujagen, denn von der Meinung, daß der Seeraub erlaubt sei, wenn man sich nicht dabei erwischen läßt, kann man den chinesischen Seemann nicht abbringen.
Trotzalledem treibt sich noch immer eine stattliche Anzahl von Dschunken auf dem Meere herum, deren Besatzung allein vom Plündern anderer Schiffe lebt, und wie schon gesagt, jede Dschunke ist bereit, ein Fahrzeug anzugreifen, wenn dieses durch irgend ein Unglück oder wegen Windstille nicht mehr manövrieren kann. –
In den Hafenstädten Chinas gibt es natürlich Zwischenhändler, welche den Piraten die geraubten Waren abnehmen und weiterverkaufen, und die, wie es gewöhnlich ist, den größten Profit dabei machen. Es sind gewöhnlich Besitzer von kleinen Schankwirtschaften, denen man nicht ansieht, daß bei ihnen Tausende von Goldstücken immer bar daliegen, im Keller oder sonst irgendwo versteckt, damit sofort jedes Geschäft abgeschlossen werden kann.
Nach der Schenke selbst kommen die Waren selbstverständlich nicht, hier versammeln sich nur, gewöhnlich des Nachts, in einem besonderen Zimmer die Kapitäne der chinesischen Dschunken, welche unrechtes Gut an Bord haben. Ein Handeln und Feilschen beginnt, der Wirt hat die Ware schon selbst oder durch seinen Agenten besichtigen lassen, der Kauf wird abgeschlossen, die Goldstücke wandern in den Gürtel oder in die weiten Aermel der Räuber, und womöglich noch in derselben Nacht werden die geraubten Sachen nach einem anderen Hafen gebracht, der von dem Wirt bestimmt wurde, und als gekaufte Ware nach allen Gegenden verschickt, meistenteils aber in das Innere des Landes.
Ein solcher Diebeshehler hielt auch dicht am Quai von Scha-tou eine Wirtsstube für Seeleute offen, für solche scheinbar von europäischen Nationen eingerichtet, aber oft genug schlüpften auch die schlitzäugigen Söhne des himmlischen Reiches durch eine Hintertür in das Haus und schlürften oben in einem besonderen Zimmerchen ein Glas Wein oder süße, nach Blumen duftende Liköre, und man munkelte, daß wieder in einem anderen Zimmerchen Klänge ertönten, als würden Goldstücke auf Echtheit probiert.
Die Polizei war arg hinter dem Schankwirt her, aber der kleine, alte Chinese mit den listig zwinkernden Augen und dem pfiffigen Lächeln war schlauer, als alle die Spürnasen zusammen, nie konnten sie ihm etwas am Zeuge flicken, nie etwas beweisen, und sie durften nicht einmal behaupten, das Lan-Kong-Ching seine Hände zu etwas Unrechtem aus den Aermeln streckte.
Er bediente ruhig und freundlich die englischen und deutschen Seeleute, sowie die anderer Nationen, die bei ihm regelmäßig einkehrten, wenn ihre Schiffe in Scha-tou vor Anker lagen, trug auf einem kleinen, bemalten Holzbrettchen dampfende Teetassen und süße Liköre in das obere Zimmer, und wenn den Matrosen einmal die Spirituosen zu sehr in den Kopf gestiegen waren und sie sich den Ermahnungen des fließend englisch sprechenden Wirtes nicht fügen wollten, so sah er sich zur Wahrung seines Ansehens selbst verpflichtet, die Polizei um Hilfe zu bitten.
Nachsagen durfte man Lan-Kong-Ching also nichts, ohne sich der Gefahr auszusetzen, sich selbst die Polizei auf den Hals zu bringen, und doch war er einer der größten Hehler und Stehler in Scha-tou.
Die Nacht war schon angebrochen. In den Straßen der Hafenstadt war es still geworden, als an der Hintertür dieses Schankhauses ein großer Mann klopfte und Einlaß begehrte.
Er war in einfache, chinesische Gewänder gehüllt; in dem seidenen Tuche, das sich um die Hüften wand, steckten Dolch und Pistolen, und auf dem Kopfe trug er eine weiße Mütze aus Fell, wie sie bei chinesischen Seeleuten gebräuchlich ist.
Vorsichtig wurde die Tür aufgemacht; der Wirt musterte den draußen stehenden Mann und fuhr dann erschrocken zurück, sperrte den Mund auf und benahm sich überhaupt, als wäre er vor Staunen über den späten Besuch außer sich.
»Du? Du wagst es, dich hier sehen zu lassen,« brachte er endlich stammelnd hervor, »ohne Verkleidung?«
Der Fremde ließ ein verächtliches Lachen hören und trat schnell in das Haus, ohne von dem Wirte daran gehindert zu werden, der die Tür sorgfältig wieder schloß und sich dann hastig an den Ankömmling wandte.
»Schnell hinauf, du darfst hier nicht gesehen werden, sonst bin ich ein geschlagener Mann.«
Er ging eiligst die wackelige Treppe hinauf und öffnete eine Tür, welche in ein Zimmer führte, das sonst nur benutzt wurde, wenn der Wirt einmal ganz geheimen Besuch hatte.
Der Fremde war ihm gefolgt, er setzte sich, ohne bisher ein Wort gesprochen zu haben, auf einen Rohrstuhl, zog den langen, krummen Dolch, der ihn beim Sitzen hinderte, aus dem Gürtel und legte ihn vor sich auf den Tisch.
Unterdessen hatte der Wirt eine von der Decke herabhängende Oellampe angebrannt, welche das fensterlose Zimmerchen erhellte, und bei ihrem Schein konnte man erst bemerken, daß der in chinesische Gewänder gekleidete Ankömmling kein Chinese, sondern ein Europäer war, wenngleich sein Gesicht dieselbe Farbe angenommen hatte, und er auch alle Bewegungen dieses Volkes täuschend nachahmte.
Es war ein noch junger Mann, kaum dreißig Jahre alt, mit großem Kopf, der von kurzem, lockigem Haar umrahmt wurde. Das Gesicht war nicht schön zu nennen, dazu war es zu massig, aber es machte durch sein gutmütiges Aussehen einen günstigen Eindruck auf den Beobachter; noch mehr wurde derselbe durch den milden Blick der blauen Augen verstärkt. Er sprach das Chinesisch völlig fließend und ohne jeden Akzent, der dem Europäer anhaftet, aber jedenfalls war er seinen Gesichtszügen nach ein Sohn Skandinaviens oder Hollands.
»Lan-Kong-Ching,« sagte er in tiefem, wohlklingenden Tone, »hast du mich sofort wiedererkannt?«
»Wer sollte dich nicht wiedererkennen?« antwortete der Chinese unterwürfig. »Das ist es ja, was mich so erschreckt hat. Bist du erkannt worden, und hat man gesehen, daß du in mein Haus gegangen bist, so werden sie dir bald nachstellen, und ich bin ruiniert.«
»Was weißt du, wer ich bin?« antwortete der Gast leichthin, »du hast jeden zu bedienen, der etwas von dir fordert. Sei ruhig, es ist dafür gesorgt, daß man mich nicht gesehen hat.«
»Was veranlaßt dich aber, deinen sicheren Schlupfwinkel zu verlassen und deine Haut zu Markte zu tragen? Erführen sie nur, daß du überhaupt in Scha-tou bist, so umzingelten die Chinesen die Stadt von der Landseite, und die Engländer blockierten den Hafen mit ihren Kriegsschiffen. Und wenn es Jahre dauern sollte, sie werden nicht eher mit Suchen aufhören, als bis sie den Würgengel gefunden haben.«
Des fremden Mannes Stirn zog sich finster zusammen, seine Augen nahmen mit einem Male einen furchtbar drohenden Ausdruck an, wie sich überhaupt sein ganzes Gesicht veränderte. Der erst so gutmütig aussehende Mann war gar nicht mehr zu erkennen, so schrecklich war jetzt der Ausdruck seiner Züge.
»Nenne den Namen nicht wieder!« grollte er dumpf. »Was weißt du, Lan-Kong-Ching, davon, ob das Gerücht, welches über mich umläuft, wahr oder unwahr ist?«
Der Chinese war ängstlich zurückgefahren und murmelte eine Entschuldigung, scheu nach der Tür sehend.
»Alle Welt nennt dich so,« sagte er ängstlich, »der Name ist hier so gebräuchlich, daß man deinen wirklichen fast gar nicht kennt.«
»Ist mein Aussehen selbst bekannt?« fragte der Pirat, denn ein solcher war der Fremde, und sein Gesicht glättete sich wieder.
»Nur wenige behaupten, dich selbst gesehen zu haben, aber ich, der ich dich von Jugend auf kenne, lache über ihre Behauptungen, fast in jeder Hafenstadt sind die Vorstellungen von dir anderer Art. Hier zum Beispiel herrscht die Meinung, der Fürst der Piraten sei ein kleiner, magerer Chinese, dessen Augen im Dunkeln leuchten, und aus dessen Munde in der Nacht ein feuriger Atem kommt, mit dem er Schiffe anzünden kann. Er kennt keinen Schlaf, er flieht ihn, denn überall, wohin er den Fuß setzt, seufzt und stöhnt es unter ihm, als beklagten die Toten ihr frühzeitiges Ende durch seine Hand. Aber,« setzte der Chinese hinzu, »du sorgst ja dafür, daß niemand von dir erzählen kann, und Verräter gibt es unter deinen Leuten nicht.«
»So brauchst du also auch keine Furcht zu haben, daß ich erkannt worden bin,« sagte der Pirat sorglos, »und außerdem bedürfte es nur eines Winkes von mir, und ganz Scha-tou wäre in meiner Hand.«
»Liegen deine Dschunken hier in der Nähe?« fragte der Chinese mit einem listigen Blicke.
»Sie liegen im Hafen,« antwortete der Pirat ruhig, »doch nun zu dem, was mich hierhergeführt hat. Wer sitzt unten in der Wirtsstube?« »Einige Seeleute; ich kenne nicht alle.«
»Hast du einen Mann unter ihnen gesehen, groß, schlank, aber breitschulterig, der den linken Arm in der Binde trägt?«
»Er ist nicht unter ihnen,« antwortete der Chinese bestimmt, »soll er ein Seemann sein?«
»Leicht möglich, daß er sich als solcher angezogen hat und benimmt. Doch du bist schon lange Zeit hier oben, er kann unterdessen gekommen sein. Wer bedient unten?«
»Mein Diener.«
»So gehe jetzt hinunter und sieh nach, ob der eben Geschilderte mit der Binde unten sitzt. Frage ihn auf englisch, ob er dich habe rufen lassen; ist er der Betreffende, so wird er antworten: »Nicht ich habe Sie rufen lassen, sondern ein anderer.« Dann bezahlt er, steht auf und geht hinaus, du aber eilst sofort an die Hintertür, empfängst ihn dort und bringst ihn sofort herauf.«
Nach diesen, in befehlendem Tone gesprochenen Worten nickte der Chinese mehrmals mit dem Kopfe und verließ das Zimmer.
Einige Minuten später trat der Erwartete in Begleitung des Chinesen herein. Er war zwar nach Art der Seeleute gekleidet, machte aber den Eindruck eines solchen nicht vollständig, er hätte ebenfalls für einen Maschinisten gelten können, denn sein Gesicht war nicht sehr von der Sonne gebräunt, und die Hände zeigten keine Spuren von harter Arbeit.
Es war niemand anders als Eduard Flexan, der Neffe des Stiefvaters von Ellen.
Er blieb mitten in der Stube stehen und betrachtete stumm den vor ihm Sitzenden, welcher ihn noch nicht beachtete, sondern dem Chinesen den Auftrag gab, schnell Tee zu bringen, und dann dafür zu sorgen, daß sie unbelästigt blieben.
Als der Chinese hinaus war, begegnete sein Blick dem des Mister Flexan, welcher ebenfalls auf einem Rohrstuhle Platz genommen hatte.
»Klas van Guden,« nahm Mister Flexan zuerst das Wort, sich der englischen Sprache bedienend, »Sie haben meine Bitte erfüllt und sind hier eingetroffen. Ich hatte nicht gedacht, daß Sie es wagen würden, als Ort der Zusammenkunft eine Hafenstadt zu wählen. Mir wäre es lieber gewesen, sie hätte auf dem Meere an einer bestimmten Stelle stattgefunden. Es wäre mir sehr unangenehm, wenn ich erkannt würde und vor allen Dingen in diesem Hause.«
Der Pirat blickte den Sprecher fest an.
»Ich fahre unter keiner falschen Flagge,« sagte er ernst, »ich bin ein Seeräuber, so will ich auch als ein solcher auftreten. Ein Geschäft führte mich nach Scha-tou, und so zog ich es vor, die Unterredung mit Ihnen hier festzusetzen.«
»Es ist gefährlich, offen aufzutreten,« entgegnete Eduard, »man hat viel leichteres Arbeiten, spielt man doppelte Rollen.«
»Arbeiten?« sagte der Pirat höhnisch. »Bezeichnen Sie Ihr unsauberes Gewerbe mit diesem ehrlichen Ausdrucke? Dann sind Sie besser daran, als ich, ich bin mir vollkommen bewußt, welch ein Auswurf der Menschheit ich bin, die mich haßt und fürchtet.«
»Ansichten!« unterbrach ihn Mister Flexan kurz. »Doch ich bin nicht hierhergekommen, um über die Begriffe von Gut und Schlecht zu diskutieren. Lassen Sie uns zur eigentlichen Sache übergehen.«
»Noch nicht. Der Wirt wird noch einmal das Zimmer betreten, wenn er uns Tee bringt. Dann sind wir ungestört. Nur das eine bemerke ich jetzt gleich. Verlangen Sie nicht, daß ich in Ihrem Interesse blutige Handlungen begehe. Als Mörder lasse ich mich für alles Gold der Welt nicht dingen.«
»Daher der Name Würgengel,« lachte Eduard leise, »man sagt von Ihnen, daß Sie sonst nicht so penibel sind. Auf ein paar Tote mehr soll es Ihnen nicht ankommen, und die Haifische in diesen Gewässern sollen immer fetter werden.«
Mister Flexan hatte zu scherzen versucht, er wollte vorläufig das Gespräch in einen humoristischen Ton bringen, aber er hatte sich geirrt. Wieder verzog sich das Gesicht des chinesisch gekleideten Holländers in drohende Falten, und seine Stimme klang herrisch, als er den anderen anfuhr:
»Unterlassen Sie derartige Späße! Wie ich genannt werde, ist mir gleichgültig, ich höre nicht auf das Geschwätz, aber angeredet will ich mit diesem Namen nicht sein. Ich heiße van Guden, und damit genug. Noch nie habe ich ein Schiff geplündert, um mich zu bereichern, und noch nie habe ich jemandem den Stahl zu kosten gegeben, der nicht den Tod verdient hatte.«
»Nun, nun,« beschwichtigte ihn Mister Flexan, »es war nicht bös gemeint. Aber wirklich, ich glaubte nicht, daß Sie so gefühlvoll wären. Tatsache ist es doch, daß die Besatzung Ihrer Dschunken wenig Umstände mit den Mannschaften der englischen Schiffe macht.«
»Hat jemand davon erzählen können?«
»Eben darum nicht, weil niemand dabei lebendig bleibt,« lachte Eduard wieder, »die chinesischen Piraten sind Bluthunde, und da können Sie mir nicht verargen, wenn ich in ihrem Anführer, dessen Befehle sie bedingungslos ausführen, einen nicht gerade zartbesaiteten Menschen zu finden erwartete.«
Eduard konnte es nicht lassen, Spott in seine Rede zu mischen. Daß dieser Mann, von dem er wußte, daß er der Befehlshaber einer ganzen Flotte von Seeraub treibenden Dschunken war, der unter dem Namen Würgengel bekannt, und der schon so manches Schiff, hauptsächlich englische, in Flammen hatte aufgehen und die Besatzung über die Klinge springen lassen, daß dieser Mann ein so friedfertiges, harmloses Wesen zur Schau trug, wunderte ihn schon sehr, aber noch mehr die Weise, in der derselbe sprach.
»Es gibt Chinesen, welche Ursache haben, sich an den Engländern zu rächen,« entgegnete der Pirat finster. »Auch ich habe Grund, diese Nation zu hassen, daß ich aber, ein Holländer, an die Spitze dieser Piratenflotte kam, daß die Kapitäne aller Dschunken einstimmig mich zu ihrem Befehlshaber wählten, ist ein Zufall, über den ich Sie nicht aufklären kann. Genug, ich leite den heimlichen Kampf gegen die Engländer, ich zeige den Chinesen den Weg, wie sie ihnen am meisten schaden und wie sie es möglichst verhindern können, daß dieses egoistische, herzlose und unersättliche Handelsvolk noch weiteren Besitz in ihrem gesegneten Lande erlangt.«
Eduard zweifelte nicht daran, daß der Pirat nur halb die Wahrheit sprach. Er wußte bestimmt, daß van Guden der furchtbarste, unversöhnlichste Feind der Engländer war und alles haßte, was englisch hieß, und wenn es Tatsachen waren, was er von dem Schicksal dieses Mannes hatte erzählen hören, so hatte er eine gewisse Berechtigung dazu.
Das Gespräch wurde durch den Wirt unterbrochen, welcher den Tee hereinbrachte, dann aber sich gleich wieder mit der Versicherung entfernte, für die vollkommene Ruhe der beiden Gäste sorgen zu wollen.
»Nun erklären Sie mir, warum Sie mich hierhergerufen haben,« begann der Pirat wieder nach dem Fortgange des Wirtes, »seien Sie offen, reden Sie ohne Umschweife, so wird sich alles am schnellsten erledigen lassen!«
»Gut. Kennen Sie die beiden Schiffe, die ›Vesta‹ und den ›Amor‹, welche immer zusammen fahren?«
»Nein.«
Mister Flexan war erstaunt, der Pirat schien gar nicht über das orientiert zu sein, was draußen in der Welt passierte.
»Die ›Vesta‹ ist ein Vollschiff, welches allein von amerikanischen Mädchen wie von Matrosen bedient wird. Morgen wird sie hier in Scha-tou ankommen. Wollen Sie mir die Mädchen lebendig ausliefern? Ihnen mit Ihrer Macht wird dies ein leichtes sein.«
»Nein.«
»Warum nicht?« sagte Eduard, etwas bestürzt über den herben, bestimmten Ton, mit dem dieses Nein gerufen worden war. »Ich zahle Ihnen in Gold jede Summe, die Sie haben wollen.«
»Nein,« klang es nochmals fest, »ich habe nichts mit Amerikanern zu tun, und am wenigsten mit Weibern. Sie können mir die ›Vesta‹ mit Golde aufwiegen, nie werde ich meine Leute durch ein Wort veranlassen, dieses Schiff anzugreifen; tun Sie es doch, so ist es nicht meine Schuld, meine Macht ist beschränkt, ich kann sie zu einem Kampf anführen, sie aber nicht von einem solchen zurückhalten.«
»Der erste Fall wäre also erledigt, ich bin's zufrieden,« lächelte Mister Flexan, »nun zum zweiten. Der ›Amor‹ ist eine englische Brigg, deren Bemannung sich nur aus Aristokraten Englands zusammensetzt. Auch dieses Schiff wird morgen früh hier vor Anker liegen.«
Mister Flexan mußte sich vorher über van Guden orientiert haben, er hatte langsam und leise gesprochen, die Wirkung seiner Worte beobachtend, und diese war auch eine wunderbare.
Das Gesicht des Piraten nahm wieder einen furchtbar drohenden Ausdruck an, die Augen glühten plötzlich wie die eines Raubtieres, der ganze Mensch hatte sich mit einem Male aus einem friedlich aussehenden Mann in einen wirklichen Piraten verwandelt.
»Sie fahren ohne Matrosen, sagen Sie?« kam es zischend zwischen den Zähnen hervor. »Nur adlige Herrchen sind an Bord? Können Sie mir einige Namen nennen?«
»Gewiß, der Kapitän ist Lord Harrlington.«
»Ah,« rief van Guden und sprang erregt vom Stuhle auf, die geballten Fäuste ausstreckend. »Ferner Lord Hastings, Lord Stephenson, zweiter Sohn des Herzogs von Davonport, Sir Williams, Sohn des gleichnamigen Baronets, Mister Davids, zweiter Sohn des Lords Montrose, Sir Hendricks, Sohn des Lords Plimsoll ...«
Und Mister Flexan hörte nicht eher auf, als bis er alle Namen der 27 Herren und die ihrer Väter genannt hatte.
Je mehr er aufzählte, desto unheimlicher wurde der Gesichtsausdruck des Piraten; des sonst so ruhigen Mannes bemächtigte sich eine wilde Leidenschaft; längst schon wanderte er mit schweren Schritten durch das kleine Gemach, daß die Wände zitterten, er hielt keine Vorsicht für nötig, er hörte nur auf die Namen, die von den Lippen des Mannes da flossen.
»Kennen Sie alle diese Herren?« fragte Mister Flexan nach Schluß der Aufzählung.
»Ob ich sie kenne?« rief der Pirat mit funkelndem Auge. »Ich habe ihre Väter noch gesehen, wie sie im Oberhause zu Westminster saßen und das Urteil bestätigten, welches meinen Vater vernichtete und den alten Namen van Guden für ewig aus dem Adelsregister Hollands strich, ein Urteil, wie es ungerechter noch nie von bestochenen Richtern gefällt wurde. Aber natürlich,« fuhr er bitter fort, »der Prozeß wurde den Herren im Hause der Lords zu langweilig, man stellte zu große Anforderungen an ihre Zeit, und es war ja so einfach, ihn mit einem Male zum Abschluß zu bringen, es kostete sie nur ein Wort. Wie sie durch ihre Bestätigung meinen Vater gezwungen haben, sich durch Selbstmord das Leben zu nehmen, um der Schande zu entgehen, wie sie alle meine Geschwister, meine Mutter an den Pranger gestellt haben, als es noch in ihrer Hand lag, das Urteil immer wieder hinauszuschieben, bis die Unschuld meines Vaters zu Tage trat, was soll mich hindern, Rache an ihren Kindern zu nehmen?« Der Pirat hatte diese Worte mit leidenschaftlicher Stimme hervorgestoßen.
»Wann wird der ›Amor‹ in Scha-tou einlaufen?« fragte er dann.
»Morgen früh.«
Nachdenkend blickte der Pirat vor sich hin.
»Es ist eine Brigg?« fragte er dann.
»Ja, wie eine Brigg getakelt, besitzt aber eine Hilfsmaschine und zwar eine so starke, daß sie bequem 16 Knoten in der Stunde dampfen kann.«
»Verflucht!« kam es über die Lippen des Holländers.
»Trotzdem wird es Ihnen leicht sein, sie zu vernichten. Sie haben ja die Macht in den Händen.«
»Nicht vernichten will ich diese Engländer,« rief der Pirat wild, »kein Haar soll ihnen gekrümmt werden dürfen. Lebendig will ich sie vor mir stehen haben, um mich an ihrer Angst weiden zu können,«
»Das ist ja mein Fall,« lächelte Mister Flexan, »auch ich will ja die Damen lebend haben. Teilen wir uns also in die beiden Schiffe! Sie nehmen den ›Amor‹ und ich die »Vesta‹«. Haben Sie schon einen Plan, wie Sie sich der Engländer bemächtigen können?«
»Nein. Was führt sie übrigens hierher?«
»Einige von ihnen sind vernarrt in Damen der ›Vesta‹, die übrigen fahren nur aus Abenteuerlust mit. Wohin die ›Vesta‹ nun segelt, dahin folgt auch der ›Amor‹, und es ist gar nicht möglich, eins der beiden Schiffe allein zu sehen.«
»So müssen sie getrennt werden,« sagte der Pirat finster, »mit den Weibern will ich nichts zu tun haben.«
Das war eben, was Mister Flexan gewollt hatte, der Pirat kam ihm in jeder Hinsicht entgegen. Erst galt es, die Schiffe voneinander zu trennen, der Mädchen wollte er sich dann schon bemächtigen und den Seeräuber dafür sorgen lassen, daß der ›Amor‹ unschädlich gemacht würde, damit er keine Verfolgung von den Engländern zu befürchten habe. »Aber wie?«
»In Listen bin ich nicht bewandert,« entgegnete der Pirat, »meine Weise ist, offen anzugreifen und zu siegen oder besiegt zu werden. So werde ich es auch diesmal tun.«
»Der ›Amor‹ hat aber eine Maschine und führt Revolverkanonen an Bord. Die Engländer werden Sie auslachen, wenn Sie Ihre Dschunken auf sie hetzen.«
Der Pirat schwieg und überlegte.
»Es ist wahr,« sagte er dann, »ich muß sie lebend fangen, und ehe ich dies erreicht hätte, wäre die Hälfte meiner Leute getötet. Diesmal muß ich ein anderes Mittel ergreifen, mich des Schiffes zu bemächtigen; haben Sie einen Vorschlag?«
»Allerdings. Wäre ich hier bekannt, so würde ich die Sache selbst arrangieren, aber ich bin's nicht, kann nicht chinesisch sprechen, und wüßte niemanden, dem ich trauen kann, als Sie allein. Fangen Sie eins oder einige der Mädchen weg, womöglich auch einen Engländer und verstecken Sie diese irgendwo. Dann soll es meine Aufgabe sein, ihre Freunde und Freundinnen auf eine falsche Spur zu bringen, darin bin ich bewandert, oder können Sie dies tun, so will ich lieber Ihnen alles überlassen. Locken Sie den ›Amor‹ in einen Hinterhalt, wo Sie sich der Engländer bemächtigen können, ohne viel Menschenleben dabei opfern zu müssen. Sind die Engländer erst dort, dann ist es mir ein leichtes, die Mädchen in meine Gewalt zu bekommen.«
»Das ist mir gleichgültig,« entgegnete der Pirat, »ich habe mit Ihren Plänen nichts zu tun. Aber die Engländer gehören mir,« setzte er wild hinzu, »habe ich den Namen Würgengel bis jetzt noch nicht verdient, so soll es von nun an so sein.«
»Und wollen Sie den Vorschlag befolgen, den ich Ihnen gegeben habe?«
»Es wird das beste sein,« sagte van Guden nachdenkend, »Mit meinen Dschunken den dampfenden ›Amor‹ auf offener See anzugreifen, wäre eine Unmöglichkeit, und außerdem will ich die amerikanischen Damen geschont wissen. Bleibt der ›Amor‹ bei der ›Vesta‹, so ist anzunehmen, daß die letztere die Engländer nicht im Stich läßt, und dann kann ich meine Chinesen nicht davon abhalten, auch Hand an sie zu legen.«
»Es ist so,« stimmte Mister Flexan bei, »das geht nicht. Nein, mit List müssen sie erst getrennt werden. Verfügen Sie über Leute hier an Land?«
»Ja.«
»So könnten Sie also auch einige der Mädchen und Engländer entführen lassen?«
»Ich kann und werde es tun. Lassen Sie die beiden Schiffe nur erst hier sein.«
»Und wohin werden Sie die Geraubten bringen lassen?«
»Auf eine meiner Dschunken.«
»Aber ich will ja die Mädchen haben,« sagte Mister Flexan mißtrauisch. »Sie müssen Sie mir ausliefern.«
»Das werde ich tun. Bestimmen Sie einen Platz, wohin ich sie bringen soll.«
»Nennen Sie lieber eine Insel, wohin Sie die Mädchen schaffen und wohin ihre Freundinnen gelockt werden, nachdem sie von den Engländern getrennt sind.«
»Noch kann ich dies nicht bestimmen,« entgegnete der Pirat. »Jedenfalls werde ich Sie davon benachrichtigen, wahrscheinlich durch einen meiner Leute, der Ihnen dann als Führer dienen wird. Sie bleiben an Bord der ›Möve‹?«
»Ja. Sie kennen doch das Schiff und seinen Kapitän?«
»Es ist dasselbe, auf dem mich Kapitän Fonsera aufsuchte und mir Ihren Wunsch mitteilte. O, ich kenne noch diesen Fonsera, den Seewolf. Wäre er mir nicht als Abgesandter begegnet, ich würde dafür gesorgt haben, daß die Welt von diesem Scheusal, das im Dienste anderer mordet, befreit worden wäre.«
Mister Flexan verstand nicht, wie dieser Pirat so von jemandem sprechen konnte, der doch dasselbe war, wie er. Aber er grübelte nicht darüber nach; es war ihm genug, daß der Holländer auf seinen Vorschlag, einging.
»So hätten wir nichts Weiter zu besprechen,« sagte der Pirat nach einer Pause. »Ich sorge dafür, daß einige der Mädchen und womöglich auch einige Herren in meine Gewalt kommen. Erstere liefere ich entweder Ihnen aus oder bringe sie nach einem Platze, wohin dann die ›Vesta‹ segelt. Die Engländer aber bleiben in meinem Besitz, mit ihnen werde ich den ›Amor‹ in einen Hinterhalt locken, wo ich mich aller ohne viel Blutvergießen bemächtigen kann.«
»Einverstanden,« sagte Mister Flexau, »wann kann ich Sie morgen weiter darüber sprechen, wenn der ›Amor‹ und die ›Vesta‹ erst hier sind?«
»Die Dschunke, auf welcher ich lebe, liegt mit draußen verankert. Morgen früh kommt ein Chinese nach der ›Möve‹ folgen Sie ihm, er führt Sie zu mir.«
Der Pirat stand auf, steckte den Dolch in den Gürtel und klopfte einige Male mit dem Fuße auf die Diele. Sofort kam der Wirt, empfing von jedem der Männer einige Geldstücke und brachte dann beide die Treppe hinunter, ohne zu leuchten.
Heimlich, wie sie gekommen waren, verließen sie das Haus und schritten getrennt, als kennten sie sich nicht, dem Hafen zu.