Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Tafel war aufgehoben worden, die zahlreichen Gäste hatten den festlichen Saal verlassen und ergingen sich in dem parkähnlichen Garten, der von Tausenden von buntfarbigen Lampions – eine Spezialität Javas – erleuchtet wurde.
Wunderbar duftete der blühende Mandelbaum, die Gewürzbäume Indiens durchzogen mit ihrem sinnberauschenden Geruch die Luft, die Insekten schwirrten und surrten, stießen mit dem Kopf gegen die Papierlaternen, und war ein stilles Boskett, eine heimliche Laube, die nicht im Scheine der Wachslichter erstrahlte, so schwirrten die Leuchtkäfer wie glühende Kohlen im Laube.
Eine fröhliche Gesellschaft war es, die sich hier versammelt hatte; lange hatten die Bäume des Gartens nicht solch herzliches Lachen von hellen Mädchen- und sonoren Männerstimmen gehört; es war das erste Mal, daß hier auch in deutscher Zunge geredet wurde, und besonders die in dieser Sprache gesprochenen Worte mußten aus einem sehr lachenden Munde kommen, so hell, so frisch klangen sie, als gehörten sie Kindern, oder doch kaum dem Kindesalter entwachsenen Jünglingen an.
O Jugendzeit, o Jugendlust! Alles scherzte und lachte. Die Kadetten radebrechten mit den Damen auf englisch, sie erzählten ihnen ihre Abenteuer, ihre Geniestreiche, und waren sogar so ungezogen, auf einer Bank nachzuahmen, wie der Herr Seeoffizier im Kasernenhof des Heimatshafens seine ersten Reitstudien machte, wie er auf der anderen Seite wieder herunterrutschte, weil seine Seebeine sich durchaus nicht dem Rücken des Pferdes anpassen wollten.
Der tollste von allen Kadetten war Schwarzburg. Sein Uebermut fand keine Grenzen, und nicht lange dauerte es, so hatte er einen Gesellschafter gefunden oder vielmehr eine Gesellschafterin, nämlich in Hope Staunton, nach dem alten Sprichwort: Gleich und gleich gesellt sich gern.
Schon beim ersten Anblick hatte der Kadett in Hope Staunton jene erkannt, mit welcher er vor zwei Tagen von Schiff zu Schiff semaphoriert hatte. Damals konnte ihr Gespräch unterbrochen werden, hier aber war niemand, der dies wagen durfte.
»Sie stellten damals eine sehr ungezogene Frage,« sagte Hope, während sie in den Gängen auf- und abwandelten, welche von zahlreichen Gruppen belebt waren.
»Ungezogen?« entgegnete der Kadett und tat ganz erstaunt. »Ich wüßte nicht, wieso. Weil ich fragte, wohin die ›Vesta‹ führe?«
»Ach, gehen Sie, Sie wissen ganz gut, was ich meine, wegen des Lockenwickelns.«
»Ah so, nun das haben Sie mir ja tüchtig zurückgegeben.«
»Was würde denn Ihre nächste Frage gewesen sein?«
»Nun etwa, wie es Ihnen an Bord der ›Vesta‹ gefällt.«
»Da würde ich semaphoriert haben: Herzlich schlecht.«
»Wie?« rief Schwarzburg, dieses Mal wirklich erstaunt. »Es gefällt Ihnen nicht, das Seeleben? Aber warum bleiben Sie denn auf der ›Vesta‹? Es ist ja Ihr eigener Wille. Sie brauchen doch nur wieder von Bord zu gehen. In jedem Hafen finden Sie Passagierdampfer, welche Sie in einigen Wochen nach Hause bringen.«
»Nach Hause, das Seeleben nicht gefallen?« entgegnete Hope entrüstet. »Mein ganzes Leben lang gehe ich nicht mehr vom Meere herunter, ich kann schon nicht mehr schlafen, wenn ich nicht geschaukelt werde.«
»Dann schaffen Sie sich doch eine Wiege an,« sagte hinter ihnen eine Stimme, und ehe sie sich umblicken konnten, eilte mit großen Schritten ein Mann vorüber, ohne die beiden weiter zu beachten.
»Wer war das?« fragte der Kadett unwillig. »Artigkeit scheint seine Sache auch nicht gerade zu sein. Wenn er mit uns sprechen will, gehört es sich wenigstens, bei uns zu bleiben.«
»Ich weiß nicht, wer es ist, die englischen Herren haben ihn mitgebracht. Vorhin sah ich ihn lange mit Hannes sprechen.«
»Wer ist das, Hannes?«
»O, den müssen Sie kennen lernen, das ist ein Seemann durch und durch, der kann mehr, als die Kadetten alle zusammen.«
»Das ist ein bißchen viel behauptet,« meinte Schwarzburg lächelnd. »Was ist er denn?«
»Früher war er Leichtmatrose auf einem Segelschiff, jetzt ist er Diener bei einem Engländer auf dem ›Amor‹.«
»Na, dann wird es wohl auch nicht so schlimm sein mit seiner Seemannschaft,« sagte Schwarzburg etwas verächtlich. »Was meinen Sie wohl, was unsereins alles im Kopfe und in der Hand haben muß. Jetzt machen wir ein Segel fest, und eine halbe Stunde später berechnen wir mit der größten Genauigkeit, wie weit in demselben Augenblick der Mond von der Sonne entfernt ist.«
»Das kann nun Hannes allerdings nicht,« gab Hope zu, »aber das hat auch gar nichts zu sagen, solche Sachen lernt man eben in der Schulstube, und wenn man seine Exempel nicht richtig gerechnet hat, dann muß man nachsitzen. Das kenne ich, dafür gebe ich keinen Pfifferling. Aber Sie sollten einmal Hannes sehen, der segelt Ihnen über die Nase weg.«
Der Kadett sah das Mädchen von der Seite an.
»Sie scheinen für diesen Hannes ein tiefes Interesse zu hegen,« sagte er dann nach einer Weile und hoffte, dadurch dem Gespräch eine interessante Wendung zu geben.
»Natürlich, warum sollte ich auch nicht!« antwortete Hope einfach.
Wieder schielte der Kadett zur Seite.
»Ist er wirklich Diener auf dem ›Amor‹?«
»Allerdings, aber eigentlich ist er die zweite Hand vom Kapitän, ehe der ein Kommando gibt, fragt er gewöhnlich erst Hannes,« log Hope.
»Das muß ja ein Universalgenie sein!«
»Das ist er auch. Ach, es ist so sehr, sehr schade –«
Und das junge Mädchen seufzte tief auf.
»Aha,« dachte der Kadett und drehte an der Oberlippe, »jetzt kommt's.«
»Was ist so sehr schade, mein Fräulein,« sagte er in schmeichelndem Tone, »sprechen Sie sich aus, ein mir anvertrautes Geheimnis ruht sicher in meiner Brust. Ich habe Teilnahme für fremdes Leid. Was ist so sehr schade?«
»Es ist so sehr schade, daß gerade von unserem besten Boote der Steven abgebrochen ist und hier repariert werden muß. Die anderen Dinger segeln alle nicht so gut, wie gerade dieses.«
»Würden Sie nicht einmal mit mir eine Segelfahrt unternehmen?« sagte der enttäuschte Kadett nach einer kleinen Weile. »Ich glaube, Sie würden mit meiner Segelkunst auch zufrieden sein. Ich habe abends immer frei, und Boote können wir genug bekommen.«
»Sie?« sagte das Mädchen und blieb stehen. »Das glaube ich denn doch nicht, daß Sie sich so besonders aufs Segeln verstehen. Wo sollen Sie's denn her haben, wenn Sie die ganze Freizeit über Büchern schwitzen müssen?«
»Oho,« entgegnete Schwarzburg etwas verletzt, »so sehr dürfen Sie meine Kunst doch nicht unterschätzen, wir Kadetten üben uns fleißig im Bedienen des Segelbootes.«
»So? Können Sie mit dem Wind wenden?«
»Wenn's weiter nichts ist.«
»Auch ohne Klüversegel?«
»Das geht nicht, da kippt man um,« sagte Schwarzburg etwas spöttisch.
»Da haben wir's ja,« lachte Hope, »sehen Sie, das habe ich von Hannes gelernt. Geben Sie acht, morgen, wenn der Wind einigermaßen gut ist, segele ich zehnmal um Ihr Schiff herum und wende immer dabei mit dem Winde.«
»Wollen Sie mich da nicht mitnehmen?«
»Ballast kann ich nicht gebrauchen,« lachte Hope.
»Teufel,« sagte der Kadett zu sich, »ist das ein sonderbares Mädchen.«
Nach einer kurzen Pause begann er wieder:
»Tanzen Sie gern? Ich hoffe, daß später noch ein Tanz arrangiert wird.«
»O ja, ich tanze sehr gern.«
»Darf ich Sie da gleich jetzt um den ersten Walzer bitten?«
»Bah, Walzer, solche Kindereien mache ich nicht mehr mit,« sagte Hope, wenn es auch nicht wahr war, aber sie wollte sich etwas dem Kadetten gegenüber als Seemann zeigen. »Ich tanze nur noch Step und Hornpipe.«
Schwarzburg blieb vor Erstaunen stehen.
»Das sind aber keine anständigen Tänze,« brachte er endlich hervor. Auch Hope war stehen geblieben.
»Und ich finde es nicht anständig, mir so etwas zu sagen,« fuhr sie ihn an. »Was geht es Sie an, ob ich Walzer oder sonst etwas tanze?«
Der Kadett war jetzt vollkommen verblüfft, wortlos ging er neben dem Mädchen her, so etwas war ihm doch noch niemals vorgekommen.
»Das muß ja ein lustiges Leben an Bord der ›Vesta‹ sein,« dachte er. »Gott im Himmel, das Mädchen ist erst siebzehn Jahre alt, wie mögen da erst die anderen sein? Ich glaube, da gibt es manchmal Mord und Totschlag.«
Diesmal war es Hope, welche das Gespräch wieder anfing:
»Können Sie boxen?«
»Ich? Ja, nein, nicht viel,« war die zögernde Antwort.
Schwarzburg griff sich in den Halskragen, es wurde ihm plötzlich recht schwül. Würde ihn das Mädchen neben ihm vielleicht jetzt zu einer Tour herausfordern? Hölle und Teufel, anstandshalber mußte er sich ja dann grün und blau schlagen lassen, und der Kadett war sonst als ein guter Boxer bekannt. Aber gegen das schwache Geschlecht muß man höflich sein.
»Ein Seemann muß gut boxen können,« erklärte Hope entschieden, »sonst ist er nur ein halber Mensch. Da sollen Sie einmal den Hannes sehen, der schlägt Ihnen die Knochen kurz und klein.«
»Wird auf der ›Vesta‹ viel geboxt?« fragte der Kadett kleinlaut, um wenigstens etwas zu sagen.
»Sie sind wohl nicht recht gescheit!« lachte das übermütige Mädchen. »Denken Sie etwa, wir prügeln uns auf der ›Vesta‹? Gottvoll, das muß ich meinen Freundinnen erzählen.«
Nun aber war es mit des Kadetten Fassung aus, es wurde ihm unbehaglich an der Seite dieser jungen Dame. Er hoffte nur, daß etwas geschehe, was das Gespräch auf ein anderes Thema brachte, und das sollte auch bald eintreten.
Plötzlich erschollen schnelle Schritte hinter den beiden.
»Hannes, endlich!« rief Hope. »Wo hast du denn so lange gesteckt? Ich langweile mich schon den ganzen Abend.«
»Ich habe meinem Herrn ein Paar andere Stiefel geholt,« sagte Hannes und gab dem Mädchen die Hand. »Die Hühneraugen haben ihm so weh getan, und das tat mir so leid, daß ich ihm den Gefallen getan habe.«
»Dumm genug von dir, er konnte ja barfuß gehen, warm genug ist es hier. Freiherr von Schwarzburg – Hannes Vogel,« stellte Hope vor.
Dem Kadetten war nun alles gleichgültig geworden, er wunderte sich über nichts mehr. Er nahm die Hacken zusammen und legte die Hand an die Mütze.
»Lassen Sie nur den Unsinn!« meinte Hannes gutmütig und streckte ihm die Hand entgegen. »Vor mir brauchen Sie nicht stramm zu stehen. Herrgott, da heißen Sie ja gerade so wie ich, ich heiße nämlich auch Schwarzburg. Na, brauchen deshalb nicht gleich rot zu werden, ich kann ja nichts dafür, daß ich zwei Namen habe!«
»Gott im Himmel,« dachte der Kadett, »jetzt befreie mich aus dieser Gesellschaft, oder ich nehme meinen Dolch in die Hand und reiße aus.«
Aber daraus wurde nichts; er wurde von beiden in die Mitte genommen und bekam ein Gespräch anzuhören, daß es ihm bald im Kopfe zu surren begann. Links wurde von Tauen, rechts von Knoten gesprochen, dann wurden die schwierigsten Splisse erklärt, wie oft man die einzelnen Tauenden durchsteckt, wie jetzt die neuesten Anker beschaffen sind, wo man im Segelboot am besten sitzt, Gitaue, Brassen, Persenings, Wanten, Raaen, Masten, Schiffe, alles das flog nur so um die Ohren des stumm zuhorchenden Kadetten herum, und wenn der eine Atem schöpfte, so fiel der andere mit doppelter Kraft ein.
»Samiel hilf!« seufzte der arme Kadett. »Ich kann nicht mehr.«
Endlich schlug ihm die Stunde der Erlösung.
»Hannes, dort steht Miß Petersen,« rief Hope, »die wollen wir fragen, ob es nicht wahr ist, daß die ›Vesta‹ besser nach steuerbord, als nach backbord steuert.«
Fort waren sie alle beide, den Kadetten stehen lassend. Dieser seufzte tief auf.
»Den Tag streiche ich mir rot an,« sagte er, als er den Rückweg einschlug, um seine Kameraden aufzusuchen. »Gegen die beiden sind ja unsere über Schiffskunde instruierenden Offiziere die reinen Waisenknaben.«
Zu derselben Zeit schritten in dem dunkelsten Gange zwei Männer im Gespräche auf und ab, einer davon war Charles Williams, der andere Nick Sharp, der sich hier unter verändertem Aussehen und dem Namen eines Mister Wood aufhielt.
Sie hatten sich eben darüber unterhalten, was der Grund ihres Besuches auf Mynheer von Kuipers Grundbesitz wäre, beide hatten einunddenselben Schluß gefunden und kamen nun auf den bei der Festlichkeit anwesenden Fürsten Sardal zu sprechen, welcher mit seinem Gefolge in Mynheers geräumigem Hause wohnte.
»Ich habe mich genau über ihn erkundigt,« sagte Mister Wood, welcher sich aber seinem Freunde gegenüber schon in seiner wirklichen Gestalt zu erkennen gegeben hatte. »Sardal ist ein mächtiger, malayischer Fürst, ein Maharajah, das heißt, der Oberste von verschiedenen Rayahs, welche alle, ebenso wie ihre Stämme, ihm unbedingt gehorchen, und hat seine Residenz im nördlichsten Java. Im Kampfe zwischen den Atchinesen und den Holländern hat er sich bis jetzt vollkommen neutral gehalten, aber der holländischen Regierung immer seine Unterstützung zugesagt, wenn Hilfe not täte, und die Regierung sucht auf alle mögliche Weise, ihn für sich zu gewinnen und ihn zum Kampfe gegen Atchin zu bewegen. Seine Macht ist nicht zu verachten, er kann ein paar tausend waffengeübte Malayen ins Feld rücken lassen und verfügt außerdem über eine kleine Segelflotte, auf der er im Seekampf geübte Matrosen hat.«
»Können sich denn die Holländer die elenden Prauen der Atchinesen nicht vom Leibe halten?« fragte Charles.
»Natürlich können sie es, aber es ist dies ein eigentümliches Verhältnis, wie ich mir habe erzählen lassen. Der Malaye ist ein geborener Seeräuber; seine flachen Prauen kann er überallhin steuern, wo ihm der kleinste europäische Dampfer nicht nachfolgen kann. Nun hält er sich mit seinen Fahrzeugen in den Schlupfwinkeln der Küste von Sumatra versteckt, bricht mit Uebermacht hervor, sobald er ein Schiff allein sieht, und wenn er auch damit in diesem Kampfe nicht viel ausrichten kann, so kann er doch stets Truppen aus- und einschiffen und dahin werfen, wohin er sie haben will. Träte Sardal definitiv auf Seite der Holländer, so wäre es ihm ein leichtes, mit seiner Flotille diesem Unwesen ein Ende zu machen, das heißt, die Prauen zu vernichten; und damit hätten die Atchinesen den größten Verlust erlitten, der größte Teil ihrer Macht wäre verloren.«
»Warum geht Sardal nicht auf Seite der Holländer?«
»Weil er ein Fuchs ist. Noch hofft er, als Malaye blind vor Ehrsucht, die Atchinesen könnten in dem Kampfe Sieger bleiben, und zeigt sich dazu nur die geringste Aussicht, dann sollen Sie einmal sehen, wie schnell er seine Leute gegen die Holländer hetzt und sich schon im voraus den besten Bissen sichert. Sehen Sie nur dem Manne ins Auge, alles darin ist Geld – und Ehrsucht, vermischt mit sinnlicher Leidenschaft.«
»Er ist ein Freund von Kuiper?«
»Er nennt sich wenigstens einen solchen, stolz wird der Mynheer wohl auf diesen Freund nicht besonders sein, aber er muß ihn dulden, weil er eben ein mächtiger Fürst ist und die holländische Regierung sich um seine Gunst bewirbt.«
Der Detektiv verstummte plötzlich.
»Wann sollen denn die Mädchen abgeladen werden, wie Sie immer sagen?« begann Charles wieder nach einer Pause.
»Weiß nicht.«
»Miß Petersen hat eine seltsame Art und Weise, ihre Schützlinge wieder anzubringen, nur immer alles recht geheimnisvoll.«
»Frauenmanier.«
»Wieviel sind es?«
»Das wissen Sie doch ebensogut, wie ich.«
»Nun ja, Sie mürrischer Mensch, ich wollte Sie nur wieder zum Sprechen bringen.«
»Ich wette aber,« sagte Sharp und blickte auf, »Sie wissen nicht, wieviel Mädchen die ›Vesta‹ verlassen.«
»Das wäre doch sonderbar,« rief Charles, »es sind drei!«
»Nein, vier.«
»Drei sage ich Ihnen, ich weiß es bestimmt.«
»Aber ich weiß noch bestimmter, daß es vier sind. Hätten Sie vorhin nicht so viel geschwatzt, so hätten Sie etwas Interessantes sehen können, Sie mußten allerdings scharfe Augen dazu haben.«
»Auch eine der Vestalinnen wird das Schiff verlassen.«
Charles blieb überrascht stehen, mußte aber schnell einige große Schritte machen, denn der Detektiv war unbekümmert weitergelaufen.
»Das wäre?« rief Charles. »Wissen Sie es bestimmt?«
»Ganz sicher. Eines der Mädchen bleibt hier oder verläßt wenigstens die ›Vesta‹.«
»Ist Zank, Streit, oder sonst etwas vorgefallen?«
»Liebe.«
»Ich verstehe Sie noch nicht recht. Wird Miß Petersen sie gehen lassen?«
»Erst recht, die haut ihr ja sonst den Buckel voll, wie es die Gesetze der ›Vesta‹ vorschreiben. Ja, sehen Sie mich nicht so verblüfft an. Dort vorn in der Laube, da hat endlich Wilhelm van Kuiper einem der Mädchen nach langem Seufzen und Schmachten gestanden, daß er ohne es nicht leben möchte, und es biß natürlich an, wie der Aal an den Regenwurm.«
»Das ist aber höllisch schnell gegangen.«
»Daraus macht sich eine Amerikanerin ebensowenig, wie ein Malaye. Kurz und gut, die beiden sind einig.«
»Und Miß Petersen?«
»Die wurde fuchsteufelswild, aber es half alles nichts, das Mädchen mußte von Bord.«
»Nun fehlt aber eine Dame, die ›Vesta‹ hat fünfzig Hände nötig.«
»Die fehlenden zwei wird Miß Petersen bald genug wiederbekommen, kalkuliere ich.«
»Hat Miß Petersen schon eine Dame in Aussicht?«
»Nein, es wird sich von selbst eine melden.«
»Sharp,« sagte Charles, »machen Sie keinen Unsinn etwa.«
»Warum, was?«
»Und gehen als Mädchen auf die ›Vesta‹. Ihnen ist alles zuzutrauen, und Ihnen wäre es auch möglich.«
Es war das erste Mal, daß Williams den Detektiven laut auflachen hörte.
»Nein,« sagte er, »eher hänge ich mich auf.«
»Und Sie wissen bestimmt, daß für das abgehende Mädchen schon Ersatz da ist?«
»Ja, vielleicht schon hier in Batavia wird sich eine andere melden und jedenfalls auch aufgenommen werden, ob es allerdings zum Vorteil für die Vestalinnen ist, das ist sehr die Frage, mir soll es aber gleichgültig sein.«
»So kennen Sie die Person?«
»Ja, sehr gut.«
»Woher wissen Sie nur das alles so genau?« sagte Charles mit unverhohlenem Erstaunen, »Oft kommt es mir vor, als wären Sie allwissend.«
»Meine Ohren und Augen sind nur etwas schärfer als die anderer Leute,« entgegnete der Detektiv einfach.
»Und dann noch eins! Haben Sie das Liebespärchen auch in Miniatur photographiert?«
Der Detektiv warf Williams einen spöttischen Blick zu.
»Weiter hätte ich nichts zu tun,« sagte er. »Wenn ich alle mir begegnenden Liebespaare aufnehmen wollte, dann könnte ich den ganzen Tag auf den Knopf drücken und die ganze Nacht retuschieren. Wie kommen Sie auf diese Frage?«
Charles erzählte von dem Bilde, welches er in seinem Schreibtisch gefunden, und Sharp gestand, daß er sich diesen Scherz erlaubt habe.
»Sehen Sie dort Hannes und Miß Staunton,« sagte Charles und deutete auf einen Gang, »die beiden stecken fortwährend zusammen, sie sind unzertrennlich. Sobald wir an Land kommen, ist Hannes für mich nicht zu sprechen, er kümmert sich fast gar nicht mehr um mich. Ich möchte nur wissen, was Miß Petersen dazu sagt oder davon denkt.«
»Mag sie denken, was sie will,« entgegnete der Detektiv fast unwillig, »ich kenne Hannes durch und durch. Wäre Miß Staunton ein altes Weib und spräche sie mit ihm gern über seemännische Angelegenheiten, so hielt er ganz genau so zu ihr. Der Junge ist in derartige Gespräche ganz vernarrt, ebenso wie Miß Staunton. Sie hätten vorhin hören sollen, wie das Mädchen den Kadetten vorhatte. Es war eine Freude zuhören zu können.«
»Entschuldigen Sie, Mister Wood,« sagte da plötzlich Charles, »wenn ich Sie allein lasse, aber –«
»Ich brauche keine Entschuldigungen,« sagte der Detektiv mürrisch, »ich habe schon längst gesehen, daß Miß Thomson da auf der Bank sitzt.«
»Wo kann ich Sie wieder treffen?«
»Da, wo der Arrak ausgegeben wird. Viel Vergnügen!«
Und verschwunden war der Detektiv.
»Haben Sie schon lange auf mich gewartet?« fragte Charles und ließ sich neben Miß Thomson nieder.
Das Mädchen brach in ein helles Lachen aus.
»Sie sind köstlich,« sagte sie. »Woher wollen Sie denn wissen, daß ich überhaupt auf Sie gewartet habe? Oder glauben Sie etwa, ich setze mich einige Stunden hierher und lauere, bis Sie zufällig einmal hier vorbeigehen?«
»Na, seien Sie nur nicht gleich so böse!« bat Charles mit flehender Stimme. »Heute abend sehen wir uns fast zum ersten Male, und da schnauzen Sie mich gleich an, daß mir Hören und Sehen vergeht.«
»Und Sie armer Mensch nehmen es sich auch gleich so zu Herzen,« scherzte Betty. »Wenn ich Sie nur einmal ernst sehen könnte, dann würde es mir vielleicht auch gelingen, ernsthaft mit Ihnen zu sprechen.«
»Können Sie sich keiner Gelegenheit erinnern, mich ernst, furchtbar ernst gesehen zu haben?«
»Doch, das war damals in Australien, als wir an den Marterpfahl gebunden standen und jeden Augenblick den Tod erwarteten. Da waren Sie aber auch gleich wieder so ernst, daß Sie zu weinen begannen.«
»Spotten Sie nicht,« bat Charles mit weicher Stimme, »wenn ich geweint habe, so war es nur aus Seligkeit.«
»Wieso, daß Sie sterben sollten?«
»Weil Sie mir im Angesicht des Todes Ihre Gefühle zu verstehen gaben.«
Betty schwieg, sie wußte, daß jetzt wieder ein Moment kam, dem sie gern entflohen wäre, und den sie doch wieder herbeisehnte.
»Betty,« begann Charles wieder, »tun Sie mir den Gefallen, hängen Sie die ›Vesta‹ an den Nagel.«
»Das ist ein schweres Stück Arbeit.«
Sie versuchte einen scherzhaften Ton anzuschlagen, aber Charles ließ sich nicht täuschen, er hörte das Zittern ihrer Stimme, er fühlte, wie die zarte Gestalt neben ihm erbebte.
Leise legte er seine Hand auf die ihrigen, welche sie auf ihrem Schoß gefaltet hielt.
»Betty, verlaß die ›Vesta‹, ich bitte dich, folge mir, sei mein liebes Weib,« flüsterte er eindringlich.
Lange Zeit schwieg sie.
»Ich kann nicht, jetzt noch nicht,« sagte sie dann mit bebender Stimme, »ich habe Miß Petersen und allen meinen Freundinnen versprochen, bei ihnen auszuhalten in Freude und Gefahr; so lange die ›Vesta‹ unter Ellen fährt, bindet mich mein Versprechen. Noch diese Reise, sie dauert ja nicht lange, was ist ein Jahr, dann will ich dir folgen, Charles, wohin du willst.«
»Was ist dir Ellen, was sind dir deine Freundinnen? Glaubst du nicht, daß meine Liebe zu dir tausendmal stärker ist, als die von allen zusammen? Ihr habt euch in New-York zusammengefunden, abenteuerlustige, junge Mädchen, Ihr steht fast alle einsam da, habt niemanden gehabt, der euch wirklich liebte, und das war es, was euch dazu antrieb, das wilde Meer aufzusuchen, um auf ihm Gefahren zu bestehen. Nun ist es etwas anderes, du liebst jemanden, der dich mehr liebt, als sich selbst, der über dein Leben wacht, wie über seinen Augapfel, und den es sehr schmerzt, wenn er dir ein Leid geschehen sieht. Betty, sei nicht so grausam. Willst du jetzt noch nicht mein Weib werden, so gehe wenigstens in deine Heimat. Komm zu meinen Angehörigen, du findest warme Herzen, und die Arme strecken sie schon jetzt nach dir aus, aber verlaß das Schiff, wo ich dich jeden Augenblick in Gefahr weiß, verlaß diese Mädchen, glaube mir sicher, sie passen nicht zu dir. Ich kenne dich besser, du bist nicht das starke, kaltherzige Mädchen, welches du gern sein möchtest, weil du deinen Gefährten nicht nachstehen willst, du hast einen weichen, kindlichen Sinn.«
Er brach kurz ab, es wurden Schritte hörbar. Der Mond hatte sich hinter einer Wolke verborgen, und es war völlig dunkel unter den Zweigen des Baumes, wo die beiden auf der Bank saßen. Charles legte den Arm um Bettys Taille und zog sie an sich, was sie willenlos duldete. Dann lauschten beide auf das Gespräch, welches von den Ankommenden geführt wurde, so eifrig, daß die Liebenden gar nicht zu fürchten brauchten, von ihnen bemerkt zu werden.
»Donner und Doria,« hörten sie Hannes' Stimme, »ja, Hope, das machen wir. Zum Teufel mit der ›Vesta‹ und dem ›Amor‹, da ist nichts Ganzes und nichts Halbes darauf. Die Engländer sind doch nur alles grüne Jungen, und die Mädels, na, das sind auch alles solche dumme Dinger. Hast du viel Geld bei dir?«
»Viel ist es nicht, ein paar hundert Dollar, mehr nicht,« hörten sie Hopes Stimme, »langt das?«
»Nein, das ist viel zu wenig. Fünftausend brauchen wir wenigstens. Kannst du die auftreiben? Ich habe nur einen halben Dollar und eine goldene Uhr, das ist mein ganzes Vermögen.«
»Ich werde sie schon bekommen, ich muß meinem Vormund irgend etwas vorschwindeln, daß er sie schickt. Aber Ellen? Was wird die dazu sagen?«
»Laß die Ellen zum Henker fahren, wir reißen einfach aus. Ein Schiff will ich schon bald gefunden haben, so schlank, wie es nur je auf dem Wasser geschwommen ist, darin habe ich einen Scharfblick, und eine Besatzung will ich zusammenbringen, sage ich dir, die sich gewaschen hat. Von jedem Schiff hole ich mir die fixesten Kerle herunter, nicht solche sauertöpfische Gestalten, wie die Engländer, nein, Jungens, die sich weder vor Gott, noch dem Teufel fürchten.«
»Die englischen Herren haben sich bis jetzt auch immer tüchtig bewiesen,« nahm Hope die Besatzung des ›Amor‹ in Schutz.
»Nun ja, das muß man ihnen ja lassen,« gab Hannes zu, »von einigen ist es jammerschade, daß sie sich von den Mädels an der Nase herumziehen lassen, so zum Beispiel Harrlington, Davids, Hastings und vor allen Dingen Williams, aber das Richtige ist es doch noch nicht, der ist auch schon in eine vernarrt. Herrgott, Hope, du sollst einmal an Bord eines richtigen Segelschiffes kommen! Und ich will eins zusammenbringen, wie es die Welt noch nicht gesehen hat.«
»Und was machen wir dann?«
»Hm,« meinte Hannes überlegend. »Handel treiben ist auch nichts. Nein, weißt du was, da wir nun einmal hier sind, bleiben wir hier, wir gehen in die chinesischen Gewässer und führen Krieg gegen alles, was Seeräuber heißt, oder, was sagst du dazu, wir jagen hier die Prauen der Atchinesen davon, schießen, hauen, bohren alles in den Grund. Waffen müssen wir natürlich auch haben, ich nehme gleich Williams Gewehr mit. Und dann suchen wir uns eine paradiesische Insel aus, wo wir eine Kolonie gründen, legen einen hübschen Hafen an und bauen noch mehr Schiffe, das ist nichts weiter, kurz und gut, wir lassen einen Seestaat entstehen, der bald so mächtig sein wird, wie das alte Venedig, eine ganze Republik, und wir beide sind darin König.«
»Eine Republik hat ja keinen König,« meinte Hope.
»Na, dann sind wir etwas anderes. Hope, wollen wir, oder wollen wir nicht?«
»Natürlich wollen wir. Wann reißen wir aus?«
»Sobald wir das Geld haben. Kannst du es nicht bekommen, dann stehle ich ein Schiff –«
Die Stimmen verloren sich in der Ferne.
»Betty,« flüsterte Charles, »da gehen wir auch mit, wenn Hannes erst König in der Republik ist, läßt er uns wenigstens Herzöge werden. Du siehst, Eure ›Vesta‹ scheint sich langsam aufzulösen. Hope reißt einfach aus, und erst vorhin hat hier eine andere Dame ihr Herz auf ewig verloren – sie bleibt hier.«
»Ich weiß es. Miß Finchlay,« entgegnete Betty, »und eben, weil du mich daran erinnerst, wird es mir unmöglich sein, schon jetzt die ›Vesta‹ zu verlassen. Ebenso wie Miß Petersen, sind wir alle entrüstet, daß sie ihr Versprechen plötzlich bricht und ihre Freundinnen vergessen hat. Nein, Charles, noch nicht! Lass' uns diese Reise noch zusammen machen, und dann will ich dir folgen. Und was Hope anbetrifft, das Mädchen hat ein phantastisches Gemüt, der starke Wein wird es aufgeregt haben. Ich bin fest überzeugt, daß sie uns niemals heimlich verlassen würde, sie liebt uns alle, wie wir sie lieben. Da ertönen die Klänge eines Beckens, es ist das Zeichen, zusammenzukommen, es wird noch einmal im Garten serviert. Sir Williams, darf ich Sie bitten, mich dahin zu begleiten?«