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Brütsch, Valärs Jagdaufseher, und Seline, die Wirtschafterin, stritten sich wieder einmal.
Es war im Garten, vor Valärs Bienenstand, der hinter einem Kranz von Sträuchern nahe der fensterlosen Ostwand des Wochenendhauses unter einem eigenen Dach aufgestellt war. Brütsch war gekommen, um den Maihonig aus den Körben zu nehmen. Seline hatte ihm eine Blechschüssel mit kaltem Wasser gebracht, das er zu irgendeinem Zweck nötig hatte, und nun saß sie abseits, auf dem Rand eines Mäuerchens, und schaute ihm, grüne Erbsen ausbrockelnd, bei seinen Hantierungen zu. Es ging stark gegen Mittag.
Brütsch sagte:
»Ich bin nur froh, daß die Dame von drüben so schlangenfest war. Hätte sie auch solche Angst gehabt wie der Herr, so hätten sie am Ende gar nicht gekauft.«
Es war die Fortsetzung ihres Gesprächs. Mit der »Dame von drüben« meinte er Rosa.
»Und dann –?« fragte Seline unwirsch zurück. Sie konnte Rosa nicht leiden. 162
Brütsch schwieg sich aus. Er hatte festgestellt, daß auch im zweiten Bienenkorb ein Teil der Waben schleuderreif war, und schickte sich an, sie herauszunehmen und durch Leerwaben zu ersetzen. Um die aus allen Gängen und Ritzen erregt heraufströmenden Tiere ins Innere des Stockes zurückzudrücken, nahm er einen Rauchbläser zur Hand und qualmte damit die aufgeregten Tiere so fürchterlich an, daß sie fluchtartig wieder im Innern verschwanden. Dazu fluchte er. Dann rückte er das untere Aufsatzkästchen nach oben, tat ein anderes an dessen Platz und schloß den Bienenkorb wieder mit seinem Deckel.
»Also! Wenn sie nicht gekauft hätten? Was dann –?« wiederholte Seline ihre gereizte Frage.
»Dann läge der Kasten mit all seinen Balkonen immer noch tot«, entgegnete Brütsch, ohne sich in seiner Arbeit stören zu lassen, »und ich würde nicht einem neuen, Gott wohlgefälligen Leben entgegengehen, wie du es immer gewünscht hast.« – Er zwinkerte zuerst mit dem einen Auge, dann mit dem andern, wie eine Ratte, die Käse riecht, und seine abgefeimte Nase wurde vor Vergnügen ganz spitz.
Seline blickte ihn mißtrauisch und doch auch ein wenig hoffnungsvoll an.
»Soll das heißen, daß du dich bekehrt hast?«
»Bekehrt und verwandelt. Der alte Adam ist ausgezogen. Siehe, es ist ein neuer da – gehet hin und streuet Rosen auf seinen Weg. – Halleluja, Amen!«
Selines Mißtrauen wuchs:
»Gemerkt habe ich davon aber noch nichts.«
»Dann hast du mich eben noch nicht genau angesehen«, sagte Brütsch von jenseits des Plattenwegs und stellte sich breitbeinig hin. »Du solltest es tun. Es lohnt sich für dich. – Willst du meinen Feldstecher haben?«
Selines Stimmung schlug um:
»Ich sehe auch so, daß du der alte Mistkäfer bist. Sicherheitsnadeln am Hosenladen! Und vor den Bienen, zum Beispiel, hast du immer noch Angst. Auch das ist wie früher.«
»Ich? Angst?« stotterte Brütsch, von diesem Ueberfall 163 überrascht. »Nicht einmal vor dem Teufel würd' ich mich fürchten, wenn er auf dein Geheiß jetzt hier erschiene.«
»Du und dein Maul, ihr zwei seid mir die Rechten! Wenn du nur wüßtest, wie lächerlich du dastehst und aussiehst, vor Gott und der Welt, in deinem Panzer. Grad wie ein Böögg.«
In der Tat sah Brütsch ungefähr aus wie ein Krieger in einem altjapanischen Schauerstück, der in die Schlacht zieht, nur weniger festlich. Ueber Kopf und Nacken hatte er einen hohen zylinderförmigen Drahthelm gestülpt. An diesem war unten ein blusenartig-weiter heller Schulterkragen befestigt, der Brust und Rücken bedeckte. Rundum und unter den Achseln war der Schulterkragen durch Gummizüge so enganliegend befestigt, daß zwischen ihm und den Kleidern keine Biene hindurchschlüpfen konnte. Rockärmel und Hosenröhren waren durch Lederriemen geschlossen, und außerdem steckten die Hände in Stulpenhandschuhen aus einem dichten gummierten Stoff. Diese ganze Ausrüstung sollte verhindern, daß er von einer Biene gestochen wurde.
»Böögg – so – da hört man's wieder«, kiffelte Brütsch. »Dabei trage ich den Anzug doch nur, damit ich in Gegenwart deiner heiligen Ohren mich nicht durch Fluchen versündigen muß.«
»Heiliger Josef! Da gehört der Panzer also zu deiner Bekehrung?« gab sie lärmend zurück.
»Nein, sonst würde ich diesen Anzug ja immer tragen. Ich trage ihn aber nur jetzt, weil ich nicht will, daß die Bienen mir um die Nase tanzen. Denn dann müßte ich fluchen. Folglich und di là, wie der Italiener sagt, ist der Anzug gegen das Fluchen. – Hast du kapiert?«
»Nein«, sagte Seline offenherzig.
»Dann laß dir dein Schulgeld herausbezahlen und kauf dir einen Nürnberger Trichter dafür – große Nummer – ungefähr achtundvierzig – wie für deine Füße.«
Unbestreitbar war das eine Abfuhr und Niederlage. Auch Seline faßte es wohl so auf, denn sie schluckte ziemlich stark, und gleich danach schneuzte sie sich. Aber im nächsten Moment bewährte sich wieder ihre Beharrlichkeit, diese unbezahlbare Gabe. Denn sie fing einfach von neuem dort an, wo der Disput ursprünglich begonnen hatte, indem sie sagte: 164
»Jetzt möchte ich aber nur wissen, was du mit dieser rothaarigen Doktorin hast. Bei allen Gelegenheiten nennst du sie das Märchen.«
»Ich?«
»Ja. Du.«
»Hm!«
»Man könnte ja meinen, es wäre dir weiß Gott was verlorengegangen, wenn sie dort geblieben wäre, woher sie gekommen ist.
Brütsch, die Arbeit am dritten Bienenkorb unterbrechend, sehr angeregt:
»Du hast keinen Sinn für Umsatz, Geschäfte, Segen und Tätigkeit. Was, zum Beispiel, machst du mit deinem vielen Geld? – Du stopfst es in einen Strumpf und läßt es verfaulen, in der Matratze oder wo du es hast. Nicht einmal gegen Einbruch läßt du dich bei mir versichern. Und eh du einen Fünfliber für eine Wachskerze opferst, schaust du nach dem Himmel, ob's nicht bald regnet. Denn wenn es Wolken hat, denkst du, sieht Gott die Kerze doch nicht, und du sparst dir das Geld. Was aber tut sie? – Sie streut es aus wie ein Sämann die Saat, und ringsum blühet das Land, wie die Psalmisten und Dichter sagen. Sie ist eben eine Dame von Welt.«
»Ich färbe mir nicht das Haar« gab Seline bissig zurück. »Nein, merci bien für solche Vergleiche.«
»Tuck – tuck – tuck!« machte Brütsch.
»Und wenn der Herr von hier abwesend ist, so schleiche ich auch nicht ums Haus und schmachte,« sagte Seline.
Brütsch überlegte.
»So? Tut sie das?«
»Und ob sie es tut!«
»Woher willst du das wissen. Du bist doch nur Samstags und Sonntags da?«
»Ich bin unter der Woche zweimal zum Wustjäten hergekommen. Jedesmal ging sie vorbei und schmachtete zu uns herüber.«
»Da brauchte ich ja nur eine Schnappfalle auf ihren Wechsel zu stellen, wenn dir das zuwider ist«, entgegnete Brütsch. »Wenn sie mit ihrem Absatz dann hängen bleibt – –«
»Das hast aber du vorgeschlagen, nicht ich«, reklamierte Seline. 165
Brütsch antwortete nicht. Er mußte wieder Bienen anqualmen. Auch in die Luft hinaus jagte er ihnen dicke Rauchwolken aus Tabakstaub und mottenden Heusamen nach. Denn sie umschwärmten ihn wütend.
Nach einer Weile sagte Seline, als ob sie über vorhin Gesagtes Reue empfinde:
»Du darfst nicht glauben, es gefalle mir nicht, wenn sie den Leuten Arbeit verschafft, und wenn sie dabei ihr Geld mit vollen Händen hinauswirft. Aber wenn die Bauerei fertig ist – ja, was dann?«
»Dann kommen die Gäste. Und dann blüht alles noch mehr.«
»So? Kommen sie?« – Sie lachte kollernd und zog, sorgfältig gegen Brütsch Deckung nehmend, eine Streichholzschachtel aus ihrer Schürzentasche. Zu den zwei oder drei Bienen, die sie dort schon vorher eingesperrt hatte, tat sie jetzt eine weitere hinzu, die ihr soeben in die Erbsen getaumelt war, halb betäubt von dem stinkenden Rauch, mit dem Brütsch sie mißhandelt hatte.
»Und ob sie kommen, die Gäste!« versetzte Brütsch, und seine Phantasie kam plötzlich wieder in Schwung. »Karawanenweise sind sie schon unterwegs. Die einen fressen zuviel und die andern saufen zuviel. Oder es ist ihr Sohn, die Politik, ihr Mann, ein Sündenfall oder ein Geschäftskummer, der sie ruiniert. Hab du einmal eine vornehme Tochter, und eines Tages steht sie als die Unbefleckte Empfängnis vor deiner Türe! – Na also, auch du bekämst Gallensteine. Alle diese Herrschaften sind hierher unterwegs. Und sind sie erst da, so wird auch mein Weizen blühen. Wenn du willst, blüht auch deiner.«
Seline, schwerfällig, aufgebracht, schwitzend:
»In deiner Haut möcht' ich aber nicht stecken, du!«
»Wieso?«
»Willst du einen von ihnen ermorden?«
Aber nun trat Brütsch vor ihr auf, wie auf der Bühne die Hauptperson, wenn ihr Stichwort gefallen ist, und großartig sagte er:
»Ich will dafür sorgen, daß sie jeden Tag in die Stadt fahren können, wenn sie Lust dazu haben. Und auch jederzeit wieder 166 heim. Ein Wink des Portiers – und ich stehe da mit meinem Cadillac und fahre sie ins Konzert oder fahre sie ins Theater.«
Seline starrte ihn sprachlos an:
»Du bist ja verrückt!«
Brütsch ließ sofort die Bienen im Stich, trat zu ihr hin und zog die Bienenhaube samt Brust- und Schulterkragen herunter. Er schwitzte, daß das Wasser an seinem Gesicht und Hals nur so herunterrann. Nachdem er sich abgewischt hatte, zündete er sich einen rabenschwarzen Stumpen an und setzte sich auf das Mäuerchen, neben Seline, halbschräg zu ihr hingekehrt:
»Wir wollen uns das einmal überlegen. Paß also auf!« sagte er. »Woran ist vor zwei Jahren die Herrlichkeit da drüben verkracht?«
»Das Sanatorium?«
»Ja. Die Baugesellschaft und alles.«
»Das ist gut wissen. Weil niemand mehr kam«, sagte Seline.
»Ein helles Mädchen bist du! – Und warum sind sie weggeblieben?«
»Darüber wird viel geschwätzt.«
»Ich will dir die Wahrheit sagen: weil sie es nicht haben konnten, wie sie es von daheim her gewohnt sind.«
»Die Gäste?«
»Die Gäste!«
Seline erwog.
»Das ist aber ein schöner Güsel, den du dir da ausgedacht hast«, antwortete sie nach einer Weile verächtlich. »Herrjemine!«
»Und wenn sie selbst mich darauf gebracht hätte?« beharrte Brütsch.
»Das Märchen?«
»Kannst dir denken!«
»Heilige Maria und Josef!«
»Vorige Woche ist sie auf dem großen Platz vor dem Haus gestanden – verstehst du mich?« erläuterte Brütsch. »Der Bauführer war mit dabei, und mit ihm sprach sie. Ich zog vor ihr den Hut, und weil sie gerufen hat: ›Ach, da ist ja wieder der Mann mit dem Gewehr‹, bin ich mit einem Vergelt's Gott für ihre Beachtung meiner Person bei ihnen stehengeblieben. Der Bauführer sagte zu 167 ihr: ›Aber meinen Sie nicht, daß man die vordersten Tannen da umhauen sollte, damit es mehr Weite und Aussicht gibt?‹ – Da antwortet sie und gibt mir dazu einen langen Blick: ›Weite? Das verkennen Sie gänzlich, Herr Zünd. Unsere Patienten sind arme zivilisierte Schatten, die mit Weite und Aussicht gar nichts anfangen können. Sie sind gewohnt, durch Großstadtschächte zu gehen und auf engem Raum zusammenzuleben, inmitten der Masse von ihresgleichen, nicht in der Freiheit und Wildnis gewissermaßen, sich selber überlassen zu sein. Ein Garten, der bald zu Ende ist, viele Zeitungen in den Regalen, auf den Spazierwegen da und dort eine Kabine zum Telephonieren und hier irgendwo, unter einem riesigen Sonnenschirm, ein Fräulein mit Schreibmaschine, dem sie diktieren können, vielleicht noch ein paar Blumen, die jeder kennt, und ein Laubfrosch im Glas – das ist das Wahre. Weite und Aussicht, das macht sie nur krank. Nein, wir setzen lieber noch ein paar Bäume mehr, um den Platz zu verkleinern.‹ – So sprach sie.«
»Wenn sie es sagt, muß sie's ja wissen«, entgegnete Seline kleinlaut und bückte sich nach zwei oder drei grünen Erbsen, die ihr davongespritzt waren. Ihr war mit einemmal ganz wirblig im Kopf, und auch die geschäftigen Finger drohten sich zu verwirren. »Ich versteh davon nichts«, fügte sie seufzend hinzu.
»Ja, aber mir ist dabei ein Zopfbändel aufgegangen, und ich habe sofort gemerkt, daß sie in ihrer Liste, Abteilung Gewohntes, etwas vergessen hatte«, versicherte Brütsch und trocknete sich von neuem den Schweiß vom Nacken.
»So? Hat sie das? Hat sie etwas vergessen?«
»Ja. Das Taxi vor dem Haus, mit dem Chauffeur, der die Gäste überall hinführt, wo es ihnen beliebt. Auch das muß ihnen geboten werden. Sonst verkracht der Kasten zum zweitenmal.«
Sie blickten sich an. Seline fielen die Kiefer herunter. Brütsch nickte ihr zu, seine blanken Aeuglein flitzten wie Ratten umher, und er rieb sich vor Vergnügen die Schenkel.
»Merkst du was?« fragte er leise und gab ihr einen Puff mit dem Ellbogen. »Der Chauffeur, der bin ich. Und das Taxi, das ist unser Weizen!« 168
Seline blickte ihn immer noch unentwegt an, wobei sich ihr Mund langsam wieder schloß. Ihre Hände lagen dabei wie nackte schlafende Tiere auf den ausgebrockelten Erbsenschoten, die ihre lichtgrünen Innenseiten nach außen kehrten und plötzlich zu nichts mehr taugten. Mit einemmal begann es in Selines breitem Gesicht an allen Ecken und Enden zu zucken, und während sie eine neue Schote aus dem Korb holte und sie zwischen den Fingerspitzen zerquetschte, wiederholte sie, murmelnd und wie im Selbstgespräch, aber mit einem belustigten Blick auf ihren Gefährten:
»Aha! Also du bist der Chauffeur. So ist das also. Ts, ts!«
»Aebenäbe! Josef Brütsch, Taxameterbetrieb. Telephon 92 38 74. Tag- und Nachtdienst. Den verehrten Sanatoriumsgästen bestens empfohlen.« – Er spuckte aus. »Und du brauchst gar keine Sorge zu haben, daß die Herrschaften mit dem Zug fahren könnten, dahinein, in die Stadt, wenn's draufankommt, so wie du. Das kommt gar nicht in Frage. Sie sind schnelle Verkehrsmittel gewohnt. Wie der Blitz muß das bei ihnen gehen. – Ein Wink – Gashebel – und ab, wie der Schuß aus dem Rohr. Bevor du helf dir Gott sagen kannst und dich bekreuzigt hast, bin ich mit ihnen schon um die Ecke«, schwätzte Brütsch wie ein Zeisig drauflos. Abermals spuckte er aus, diesmal quer durch die Zähne, so daß es pfiff.
Seline, das Kinn auf der Brust, eifrig weiterbrockelnd:
»Da hast du dir also ein Auto gekauft?«
»Der Kauf braucht sozusagen nur noch begossen zu werden. Eine sehr preiswerte Occasion, kann ich dir sagen, 3000 in bar, fast geschenkt um den Preis. Dazu brauche ich noch 1000 Franken für Versicherungen, Steuern und Betriebskapital.«
»Für jemand, der viel hat, ist das gar nichts«, sagte Seline.
Brütsch: »Immerhin muß man es haben.«
»Und du hast es?« fragte sie.
»Man hat's!« erwiderte Brütsch. »Mach dir nur keine Sorge! Und ob man es hat!« – Er trommelte mit den Absätzen gegen die Mauer, auf der er saß, stützte sich auf die Arme, so daß er stark vornüberhing, und schob seinen Stumpen mit Zunge und Zähnen vom einen Mundwinkel in den andern. 169
Seline, vorfühlend: »Demnach hast du also geerbt?«
»Ja, so kann man sagen. Es wurde geerbt.« – Er hob den Kopf. »Was mich betrifft, so bin ich allerdings nur in Gedanken dabei gewesen – ›Von ferne sei herzlich gegrüßet‹, wie's im Lied heißt. Geerbt hat jemand anders.«
»Jaso! Dereweg!« rief Seline.
»Das macht gar nichts, Herrje! Sie leiht es mir. Das hat gar keinen Anstand.«
Seline, unsicher: »Eine Frau?«
»Eine Bekanntschaft! Sie will, daß ich mich bessere.«
»Jetzt sage ich aber gar nichts mehr!«
Brütsch, über eine neue Schweißwelle auf dem Gesicht mit dem Aermel hinfahrend:
»Es hat mich selber schwer mitgenommen. Aber was wollte ich machen? Außerdem ist es ja geradezu ein Glück für sie, daß sie ihr Geld so vorteilhaft anlegen kann. Stell dir vor: wo rentiert heutzutage ein Kapital mit zehn Prozent Zins?«
Seline lief das Wasser im Munde zusammen. Sie war ziemlich sicher, daß er wieder kräftig aufschnitt und log, in der bei ihm üblichen Weise, aber das Wasser kam doch. Sie sagte empört:
»Mir geben sie auf der Kantonalbank nur zwei. Und es heißt, nächstens werden sie noch weniger geben.«
»Da hast du's! Und übernächstens geben sie überhaupt nichts mehr, sondern wollen noch eine Garderobegebühr für dein gutes Geld haben. Ist es ein Wunder, wenn die Menschen dabei aufeinander immer giftiger werden? Da gehe ich mit anderem Beispiel voran. Ich amortisiere 500 im Jahr und gebe zehn Prozent Zins. Vielleicht werde ich mit der Zeit sogar zwölf bezahlen.«
»Jetzt machst du aber, daß du an deine Bienen kommst«, befahl Seline. »Ueber das andere reden wir später.« – Sie war mit einem Ruck aufgestanden, schüttete die leeren Erbsenschoten aus ihrer Schürze in einen Korb und wandte Brütsch dabei den Rücken zu.
»Meinst du die Frage der Sicherheit?« forschte er. 170
»Selbstverständlich, das auch.«
Aber nun war es klar, daß Brütsch der Hafer stach, so daß er sein loses Maul nicht im Zaum halten konnte, und daß er damit alles verdarb, falls wirklich etwas zu verderben war. Denn er sagte:
»Die Sicherheit – das ist einfach: Ich heirate dich. Bei der Stromlinie, die du hast, vorne und hinten, ist das für mich eine Kleinigkeit.« – Dazu klatschte er Seline eins auf den Hintern.
Seline erbebte. Ihr athletischer Körper zuckte wie von einer Beleidigung. Aber sie antwortete nicht und ließ Brütsch auch auf andere Weise von ihrem Zustand nichts merken.
Kurz danach, als sie mit der Hand in ihre Schürzentasche fuhr, um das Nastuch hervorzuziehen, und als sie dabei mit der Streichholzschachtel zusammenstieß, flog sogar ein zufriedenes Leuchten über ihr Gesicht, weil ihr etwas Vorgehabtes, aber inzwischen Vergessenes unverhofft wieder einfiel. Sie zog daher die Hand wieder heraus, griff nach Brütschs Bienenhaube, ein wenig ungeschickt, aber fest, und indem sie damit auf ihn zutrat, sagte sie drängend:
»Vorwärts jetzt! Der Herr wird bald kommen. In deiner Haut möcht' ich nicht stecken, wenn du bis dahin nicht fertig bist. Her – fix – ich helf dir!«
Damit stülpte sie ihm die Bienenhaube über den Kopf und trat hinter ihn, um den Schulterkragen unter und über dem Zugband zu ordnen. Gleichzeitig zog sie aber auch die Schachtel aus ihrer Schürze hervor und ließ die darin gefangenen Bienen durch einen Spalt unter dem Zugband hindurch ins Innere der Haube hineinmarschieren. Eine flog weg, aber drei zogen den Weg, den sie wollte. Dann entfernte sie sich mit ihrem Korb und ihren Erbsen eilig ins Haus.
Später sah sie Brütsch durchs Küchenfenster wie besessen im Hof herumtanzen und um sich hauen, vergebens bemüht, sich aus dem Helm zu befreien. »Ich bin gestochen!« brüllte er. »Luder – du!« brüllte er. »Hilfe!« schrie er.
Aber Seline war taub. 171