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Die Begegnung zwischen Valär und Streiff erfolgte, wie es von Rosa verheißen war, allerdings nicht sogleich. Es war zwar verabredet worden, daß man an einem bestimmten Tag der übernächsten Woche sich beim Sanatorium treffen wolle. Als aber Valär, zusammen mit seinem Bürovorsteher Hauri, dem Auto entstieg, um die bereits flüchtig erwogenen Umbaumöglichkeiten an Ort und Stelle gesamthaft und gründlich durchzusprechen, fehlte der Dr. Streiff. Er sei in der Frühe nach Paris geflogen, erklärte Rosa. Ein ihm befreundeter französischer Schriftsteller halte in der Akademie seine Antrittsrede. Dieses Ereignis wolle Streiff unter keinen Umständen versäumen.
Valär war aufgebracht. Seinem militärischen Ordnungssinn ging so etwas wider den Strich.
»Hat er das nicht früher gewußt?«
Rosa zog die Augenbrauen empor und griff nach einer dicken Ledermappe: »Plötzliche Entschlüsse sind bei ihm das Alltägliche.«
»Ich bin doch der gottverdammteste Narr, daß ich mich von dir zu diesem Geschäft habe beschwatzen lassen«, fluchte er sie an. »Glaubt denn dein Mann, ich könne meine Zeit einfach verflohen?«
»Reg dich nicht auf!« sagte Rosa mit einem verschwommenen Lächeln und wuschelte in ihrem Kupferhaar. »Bei Streiff ist das so. Auch ich kann von ihm nur Teile gebrauchen. An keinem von uns ist alles Filet, auch nicht an dir. Komm, gehen wir an die Arbeit.«
Ungläubig fragte er: »Dann weißt du also über die vorschriftsmäßige Aufstellung all dieser Apparate und Maschinen Bescheid?«
»Gewiß weiß ich das. Und was ich nicht im Kopfe habe, das habe ich in diesem Buch. Ich leite die Organisation, ich richte dieses Haus ein, meine Obliegenheiten sind das, nicht die seinen. Schließlich muß ich auf Grund unseres Ehevertrags doch auch für ihn etwas tun.«
Wieder ein tiefer Einblick in Rosas Seele! Und solcher Einblicke 116 gab es viele für ihn – bei jeder Zusammenkunft mit ihr gab es neue. Sie war einfach nicht mehr imstand, ihre Zeit, wie ehedem, auszufüllen mit stiller fraulicher Tätigkeit und sich dabei ihres einfachen und doch so vielbedeutenden Daseins restlos zu freuen. Immer mußte sie etwas unternehmen und kommandieren und mußte am Gang der Welt etwas ändern wollen – nur so schien ihr wohl zu sein.
Unbekümmert um Streiffs Abwesenheit gingen die drei denn auch an die Arbeit und stellten einen Generalplan für den inneren Umbau des Sanatoriums auf. Es war im übrigen ein anständiger Bau; an den Wohnzimmern für die Gäste gab es daher so gut wie nichts umzuorgeln. Das vereinfachte vieles.
Später, als der Umbauplan und der Kostenvoranschlag bereits fertig waren, trafen Valär und Dr. Streiff dann doch an der nämlichen Stelle zusammen, an der sie sich vordem verfehlt.
Valär, ausgestattet mit einem starken Genußvermögen für die Mannigfaltigkeit der Menschennatur und den Reiz ihrer Einmaligkeit, fand seine Neugier viel stärker angeregt, als er erwartet hatte. Denn er begegnete einem gescheiten, sehr beweglichen, an ein französisches Bonmot erinnernden Menschen, der ein wenig genäschig und ein wenig nutzlos aussah, auf alle Fälle aber schon allein dadurch gewinnend wirkte, daß er jenem sehr lebhaften und ungemein verbindlichen romanischen Typus angehörte, den man in jedem nördlichen Menschenkreis willkommen heißt, weil man ihn als beneidenswert glücklichen Kontrast zur eigenen Schwere empfindet und das Flüssige seiner Erscheinung schon um ihrer selbst willen begrüßt.
Von Statur war Doktor Streiff muskulös, knapp mittelgroß, und im Aussehen wirkte er jungenhaft, obgleich sein vermutlich schwarz gewesenes Haar in seiner Gesamtheit schimmernd eisengrau war und an einzelnen Stellen schon silberhell glänzte. Es war ganz glatt an den Kopf gebürstet, so daß dessen schöne Form voll zur Geltung kam. Ueberhaupt sah Dr. Streiff aus, als ob er geradewegs aus der Schatulle käme. Das gab seiner Erscheinung 117 etwas betont Kostbares und zugleich Spielzeughaftes. Valär traute ihm zu, daß er an allen Ecken und Enden ein Liebchen hatte, und daß zu diesen Liebchen immer wieder ein neues kam, weil ein Mann wie er die Frauen so unwiderstehlich an sich zog, daß eine kaum warten konnte, bis sie bei ihm an die Reihe kam. Seine Augen waren dunkel, groß und zeigten viel Weißes. Aber er schien sehr schreckhaft zu sein, und bei den unwahrscheinlichsten Anlässen zuckte er plötzlich wie ein wehendes Flämmchen zusammen.
»Und wie finden Sie sich seit Ihrer Rückkehr aus den Vereinigten Staaten in der alten Heimat zurecht?« fragte Valär.
»Wer? Ich? – Oh, nicht übel! Es kommt mir vor, daß die europäische Fieberkurve recht anständig steigt, während die Stundenuhr über unsere Köpfe weg weitertickt«, sagte Dr. Streiff, ein Auge zukneifend und eine Sekunde lang irgendetwas in der Ferne fixierend. »Sogar in diesem ja sonst recht widerstandsfähigen Land scheinen die Leute nicht wenig erschreckt worden zu sein durch die Aussicht, daß lebende Leichname im Völkerleben nicht mehr geduldet werden.«
»Ja, auch über uns ziehen sich Wolken zusammen«, meinte Valär. »Nicht umsonst ist man zwischen eine unruhige Nachbarschaft eingeklemmt wie zwischen Türe und Angel. Man hat das nur vergessen gehabt.«
Es schien Dr. Streiff nicht zu gefallen, daß seine gar nicht gewichtig gemeinte, höchstens als geistreiche Floskel hingeworfene Aeußerung dieses Echo fand. Pessimismus bei so soldatisch und gelassen aussehenden, unbedingt zuverlässig wirkenden Männern, wie Valär einer war, bestürzte ihn nicht wenig und rief in ihm selbst die Erinnerung an unangenehme Erlebnisse wach, die er noch nicht ganz überwunden hatte. Auch jetzt war das wieder der Fall: Herrgott, dieser Pfarrer! Und wie der Kerl sich ihm aufgedrängt hatte! . . . Dr. Streiff warf einen ängstlichen Blick auf Valär und sagte schnell:
»Pardon – kennen Sie diesen Pfarrer da unten?«
»In Escholzwil?«
»Ja, in diesem Nest.«
»Herrn Leuthold?« 118
»Eben den! – Wohl ein Politiker?«
»Kaum! Höchstens ein Beweis dafür, daß das national Bornierte in einer sehr provinziellen, ziemlich minderwertigen Sonderform auch bei uns gedeiht.«
»Herrlich! Genau so etwas dachte ich mir«, kam es zurück. »Ich glaube, Ihre Schilderung trifft wirklich ins Schwarze.
»Haben Sie etwas mit ihm zu tun gehabt?«
Mit hastigen Bewegungen angelte Dr. Streiff ein gelbes Päcklein billiger französischer Zigaretten aus seinem Rocksack hervor und erwiderte mit wachsender Anteilnahme an seinem Bericht:
»Ich habe gestern meine Antrittsvisite bei ihm gemacht – gewiß ein höflicher Akt, den nicht allzuviele mehr kennen. Da breitete der Mann seine Arme aus, als ob er mich vor Freude an seinem Bauch erdrücken wolle, und versuchte mir mit röhrender Stimme auseinanderzusetzen, was für ein Segen es für das Vaterland sei, daß ich als Arzt in die Gemeinde käme, ich, ein echter richtiger Schweizer, ein Schweizer nach Maß – und wie er es begrüße, daß der Kranke nun nicht mehr gezwungen sei, sich diesem Doktor Elmenreich, diesem früheren Schwaben, mit seinem Ungemach anzuvertrauen.«
»Was für eine Gemeinheit!« entfuhr es Valär. »Erstens haben wir ja noch einen zweiten Arzt in der Gemeinde, außerdem – –«
»Ganz recht!« flüsterte Streiff. »Ich bin nur froh, daß dieser bombastische Erzengel Ihnen ebenfalls widerlich ist.« Und sich reckend, aber mit einem Nebengeräusch von Unsicherheit, ob alles auch stimme, fügte er lauter hinzu: »Wie mir scheinen will, habe ich ihn ja auch nicht im Zweifel gelassen, daß er sich mit seiner Meinung von mir in einem Irrtum befinde. Ich sagte ihm, daß ich keine öffentliche Praxis aufmachen werde. Ich sagte ihm auch, daß meine Mutter Französin gewesen sei – daß ich soeben von Dr. Elmenreich käme, und daß mir dieser nicht den mindesten Zündstoff für mein privates oder politisches Mißvergnügen geliefert habe. Außerdem hätte ich die Hälfte meines Lebens im Ausland verbracht und in dieser Zeit jedes Verständnis für den rauhen Dialekt, den er in dieser Angelegenheit spreche, verloren. Er schwieg. Aber als er mich entließ, entfernte ich mich mit dem 119 Gefühl, in seinen Augen ein Eidgenosse von sehr fragwürdiger Güte zu sein. Nun mag es ja stimmen, daß ich das bin. Aber ich habe keine Lust, es mir von jedem Esel sagen zu lassen, der seinen politischen Unmut in einer Flut von Entrüstung gegen ausländisches Wesen zu ersticken versucht.«
Wirklich? War er so tapfer gewesen? Valär bezweifelte es. Persönlicher Mut war wohl nicht die starke Seite des weltgewandten blendenden Mannes, der neben ihm ging. So weit glaubte er seinen Begleiter bereits durchschaut zu haben. Und der Schrecken, den ihm der Pfarrer eingejagt hatte, schien ihm immer noch in den Gliedern zu stecken. Denn gerade in diesem Augenblick zuckte er wieder zusammen und blickte verängstigt hinter sich, als schwebte ein Schatten hinter ihm her, um ihn am Wickel zu nehmen. Aber Valär fühlte sich nicht bewogen, ihn noch mehr aufzuregen. Beschwichtigend entgegnete er:
»Ich nehme an, daß Herr Leuthold Sie nicht weiter belästigen wird. Sobald Sie ein paar zünftige Heilerfolge vorlegen können, werden alle seine Einwände gegen Sie sehr schnell vergessen sein.«
»Ach, ich bezweifle, ob meine Heilerfolge mit dem konkurrieren können, was ein theologisches Gemüt an biblischen Wundern gewöhnt ist. Wir bringen ja auch allerhand zuweg«, erwiderte Streiff, als nicke er sich selber ermunternd zu. »Auch wir haben Lahme schon gehend gemacht. Im allgemeinen aber liegen unsere Leistungen auf einem Gebiet, das kein kanzelfähiges Aufsehen verbreitet.«
»Man sagte mir, daß Sie ein neues Heilverfahren einführen werden?« fragte Valär, um ihn abzulenken.
»Heilverfahren? – Zuallernächst führen wir ein paar neue Krankheiten ein.«
Beim letzten Wort, als ob er unfreiwillig vielzuviel gesagt habe, fuhr der Doktor nicht wenig zusammen. Er schnellte vor Valär zwei Schritte zurück und hieb sich mit der hohlen Hand auf den Mund. Einen Augenblick lang sah Valär über der Hand, mit der Dr. Streiff sich die Lippen verschloß, nur zwei große vorstehende Augen. Dann lachte der Doktor strahlend auf, als ob er einen Witz gemacht habe, und meinte ausweichend: 120
»Na, im Grund ist ja jedes Heilverfahren recht brauchbar. Leider stellt sich in der Praxis fast immer heraus, daß es zu dem Menschen, auf den man es nach den medizinischen Lehren mit Erfolg sollte anwenden können, nicht ganz so paßt, wie die akademische Regel es fordert. – Pardon, Herr Valär, waren Sie schon einmal krank?«
»Ernstlich nie.«
»Schade, möchte ich fast sagen. Sie wüßten sonst, daß sich die meisten Aerzte aus ihren Versagern nicht sehr viel machen. Sie nehmen die Fehlschläge einfach in Kauf und probieren an ihrem Patienten, wenn ein bestimmtes Verfahren nichts nützt, etwas anderes aus und endlos so weiter. Damit halten sie ihre Pflicht für erledigt. In Wirklichkeit fängt die Medizin hier erst an.«
Valär begriff nicht, wieso das etwas Neues sein sollte. Aber er nickte.
»Und hier setzen Sie ein?« fragte er höflich.
»Gewiß! Hat Ihnen meine Frau noch nichts davon erzählt?«
»Von Medizinischem spricht Ihre Frau nie. Sie hat's mit dem Bauen.«
»A propos, Bauen«, sagte der Doktor, abermals erschrocken zusammenzuckend. – »Haben Sie sich mit meiner Frau über die Einrichtung des Paradiso einigen können?«
Valär wußte nicht, was er sich unter Paradiso vorstellen sollte.
»Na, die aus der früheren Zeit noch vorhandenen unterirdischen Baderäume«, versetzte der Doktor. »Ich meine, wie man sie für unsere Zwecke umändern könnte. Es ist ja der teuerste Teil der Umbauerei.«
Valär war über diese Frage nicht wenig erstaunt. Denn zwischen Rosa und ihm hatte es über diese Frage nie Meinungsverschiedenheiten gegeben, weil er über die Sache selbst ja nicht zu bestimmen hatte, sondern nur über die bestmögliche Ausführung. Dagegen hatte ihm Rosa erst vor wenigen Tagen erzählt, ihr Mann habe gegen die beabsichtigte Regelung Einspruch erhoben, und man war heute eigens herausgefahren, jedes in seinem Wagen, um Doktor Streiffs Einwände an Ort und Stelle mit ihm zu besprechen.
»Entschuldigen Sie, Herr Doktor, so ist es wohl nicht«, erklärte 121 Valär. »Ihre Frau und ich – wir sind einig. Aber unser Projekt hat ja bei Ihnen Bedenken erregt.«
»Bedenken?« wiederholte der Doktor. »Nein, Herr Valär. So war es nicht. Sondern sie sagte, wie sie's haben will, und ich sagte, wie ich es will, und keines gab nach. Das ist bei uns so üblich.«
»Dann scheine ich Ihren Plan gar nicht zu kennen«, sagte Valär.
»Ich will, daß man die keuschen Einzelkabinen hinauswirft«, erklärte Streiff diktatorisch und holte mit nervösen Bewegungen eine neue Zigarette aus seinem zerknüllten gelben Päckchen hervor. »Dafür kommen zwei Schwimmbecken hin, das eine mit Wasser von zweiunddreißig Grad, das andere mit Wasser von achtzehn, und beide mit einer Maschine zum Wellenmachen. Ganz von selbst reißt das die Leute mit, und die Lebensfreude, die wir brauchen, ist da, bevor die Patienten überhaupt Zeit haben, sich zu überlegen, was sie verhext.«
»Aber, Herr Doktor, die Schwimmbecken und die Wellenmaschine – das ist ja genau das Projekt Ihrer Frau«, wehrte sich Valär und hatte Mühe, nicht laut herauszulachen über die zwischen Verblüffung, Mißtrauen und einem jäh aufsteigenden Entsetzen schwankende Wirkung, die seinen Worten im Antlitz Dr. Streiffs folgte.
»Ihr Projekt, sagen Sie –?«
»Ich habe es Schwarz auf Weiß in unserem vorläufigen Baubeschrieb. Sobald Herr Hauri da ist, kann ich's Ihnen zeigen.«
»Ja –«, fragte Dr. Streiff aufs tiefste bestürzt und begann gänzlich fassungslos nach dem unteren Ende des Hauses zu blicken, von wo er in diesem Augenblick seine Frau in Begleitung Hauris mit raschen Schritten auf sie beide zukommen sah, »wenn dieses Projekt das ihre ist – was, ums Himmels willen, ist dann das meine?«
»Das müssen Sie selbst wissen«, antwortete Valär. »Wir sind ja wegen Ihres Projektes herausgefahren.«
Nun schien es mit dem Doktor ganz schlimm zu stehen. Denn Valär sah, daß er seine kaum angerauchte Zigarette wie ein Dieb fallen ließ und mit ein paar heftigen Scharrbewegungen in den 122 Kiesboden trat; außerdem hatte es den Anschein, als wolle er selbst an der nämlichen Stelle hinter der Zigarette her im Erdreich versinken. Aber derartige Unglücksfälle passierten ihm wohl öfters in den Auseinandersetzungen mit seiner Frau. Denn im nächsten Augenblick lachte er, beinahe übermütig, wie vorhin schon einmal, wischte sich mit dem Taschentuch über die Stirn und sagte harmlos:
»Nein, was für ein köstliches Mißverständnis! . . . Toll, toll!
»Habe ich das Wort Mißverständnis gehört?« fragte Rosa, die mit Hauri gerade herantrat.
Dr. Streiff drehte sich nach Rosa um, als ob er ihr Erscheinen jetzt erst bemerke und sehr erfreut davon sei.
»Mißverständnis?« fragte er mit preziös sich schürzendem Mund und klapperte mit den Schlüsseln im Hosensack. »Im Gegenteil, meine Liebe – kein Mißverständnis! Und du solltest die erste sein, die sich daran freut.«
»Möchtest du nicht deutlicher werden?« versetzte Rosa, die ihn um einen guten Kopf überragte, und blickte ungeduldig auf ihn herunter.
»In aller Freundschaft haben Herr Valär und ich soeben festgestellt«, erwiderte er, »daß wir wegen der umstrittenen Baderäume vollkommen einig sind. Herr Valär hat mich restlos davon überzeugt, daß es das einzig Richtige ist, sie so einzurichten, wie du es vorhast.« – Nun stand wirklicher Schweiß auf seiner Stirn, aber er schien ihn nicht zu fühlen.
Das begriff Rosa nicht.
»Ja – seid ihr denn inzwischen unten gewesen?« forschte sie, als ob da etwas nicht stimmen könne.
»Wo unten?«
»Im Haus – dort, wo die Schwimmbecken hinkommen sollen?«
»Das war gar nicht nötig«, entgegnete Doktor Streiff überlegen. »Herr Valär hat die Gabe, eine Sache in wenigen Worten so einleuchtend darzustellen, daß ich ohne weiteres zustimmen konnte. Wenn du davon sprachst, begriff ich eigentlich nie, was du wolltest.« – Und mit einem kurzen Ruck, wie an alle: »Ich denke, daß die Sache damit erledigt ist.« 123
»Schön«, sagte Rosa und zuckte die Achseln. »Dann hätten wir wenigstens Zeit gespart und könnten jetzt noch an der Nordecke dort den Platz für den Küchenanbau vermessen.«
Damit ging sie. Valär und Hauri folgten. Und vor lauter Dankbarkeit über das unverschämte Glück, das ihm wieder einmal beschieden gewesen war, lief auch Doktor Streiff, mit dem Taschentuch wedelnd, hinter den andern her.
Immerhin schien sein überlegenes Auftreten ihn nicht wenig gekostet und seine Kräfte ziemlich erschöpft zu haben. Denn als alle wieder versammelt waren, irrten seine Augen verzweifelt über den Himmel.
»Herr Valär, haben wir heute nicht Föhn?« fragte er plötzlich, so laut, daß alle es hörten.
Aber weit und breit war kein Föhn, obgleich seine Frage wie eine gebieterische Forderung nach dieser Wetterlage geklungen hatte. Ein Kind konnte an den Zeichen der Landschaft sehen, daß schwache Bise wehte.
»Ich halte es eher für Nordwind«, erwiderte Valär schonungsvoll, und Hauri bestätigte es mit seinem gewaltigen Baß.
»Scheußlich jedenfalls, was für Kopfweh ich habe!« klagte Dr. Streiff. »Finden Sie nicht auch, Herr Valär, daß das Klima dieser Gegend einfach widerlich ist?«
»Dein Kopfweh kommt nur davon, daß du neuerdings wieder die Einbildung hast, du müßtest rauchen, obgleich du weißt, daß es dir gar nicht bekommt«, antwortete Rosa und ließ ihn damit merken, daß die zertrampelte Zigarette ihrer Aufmerksamkeit durchaus nicht entgangen war. »Andrea, möchtest du es ihm nicht wegnehmen, das schwarze scheußliche Zeug, das er wieder irgendwo in einem Rock- oder Hosensack hat?«
»Hören Sie's, Herr Valär? Das Fieber, von dem wir vorhin gesprochen haben«, gab Dr. Streiff mit einem boshaften Blick auf Rosa und dennoch wie nur scherzend zurück. »Von den sanftesten Seelen ergreift es Besitz und reizt sie zu unerhörten Gewalttaten auf, selbst gegen die eigenen Ehemänner.«
Einen Augenblick schaute Rosa ihren Mann an wie die Nummer einer illustrierten Zeitung, die sie früher schon in Händen gehabt, 124 dann aber weggelegt hatte, weil sie mit ihr durch war. Dann sagte sie:
»Wie ich dich kenne, bedeutet das, daß du deine weitere Anwesenheit als überflüssig betrachtest.«
»Prachtvoll erraten!« entgegnete er. »Leider würde mein Kopfweh von allen Komplimenten nicht besser werden, die wir uns im Anschluß an deine Bemerkung gegenseitig noch machen könnten. Sie erlauben daher, meine Herren, daß ich mich empfehle.«
Niemand hielt ihn zurück. Kurz nachdem er gegangen war, hörte man ihn aus der Richtung des Parkplatzes ebenso vergnügt wie falsch pfeifen.