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8.

Georg Niehuus saß in der Laube inmitten der Herren. Sein rascher Entschluß hatte ihm Danksagungen und Glückwünsche von allen Seiten eingetragen. Nun perlte der Sekt in den Gläsern. Aeußerlich sah alles aus, wie es ohne die letzten Vorgänge vermutlich auch ausgesehen haben würde. In der Brust des Fabrikanten aber herrschte Unruhe, die er hinter einer lächelnden Miene zwar verbergen wollte, durch seine Zerstreutheit jedoch verriet. War's Wirklichkeit, was er zu sehen geglaubt hatte?

Nein und tausendmal nein! Er versicherte es sich selbst ohne Aufhören.

Der plötzliche Sturm hatte die Tiefe in seinem Herzen aufgewühlt, daß die Eisrinde barst, die es einschloß, aber zertrümmert, geschmolzen war sie nicht. Dazu gehörte noch mehr. Das konnte ein Sturm nicht bewirken, auch die warme Sonne mußte scheinen. Aber schon ging die kalte Selbstsucht wieder an die Arbeit, ihr Werk zu retten. Sie überredete ihn, die erregte Phantasie habe ihm einen bösen Streich gespielt, sie habe ihn erschreckt mit Gespenstern, die sie sich selber schuf.

Nur daß er im plötzlichen Schrecken die Selbstbeherrschung verlor, war bedauerlich. Zum Glück hatte keiner den Zusammenhang verstanden. Wie sollten sie auch! Nun priesen sie die Beredsamkeit des jungen Menschen, der zuwege gebracht, was alle wünschten.

Eingefangen war er, das ließ sich augenblicklich nicht mehr ändern. Aber seine Verpflichtung begann mit längerem Urlaub, er hatte Zeit, sein junges Glück zu genießen, und später stand es bei ihm, wie lange der Kontrakt dauern sollte.

So rechnete Niehuus. So rechnend gab er zerstreute Antworten hierhin und dorthin, aber die Unruhe wich nicht von ihm.

Sühnen! Sühnen!

»Ich will's!« so hatte er gerufen. Jetzt rechnete er.

Sühnen – nun ja! Er würde Nachforschungen anstellen, unter der Hand natürlich, denn blamieren durfte er sich nicht. Und wenn es noch jemand gab, der verwandtschaftliche Rechte auf ihn hatte, so würde er helfen – unter der Hand. Die persönlichen Beziehungen waren ja längst abgerissen, dergleichen knüpft sich nicht neu, läßt sich nicht flicken. Sühnen war nicht einmal das rechte Wort für die Sache. Er hatte ja nichts verbrochen.

Aber die Unruhe wich noch immer nicht von ihm. Der Sturm war bis in die Tiefe gegangen. Da wogte es fort. Das Gesicht, das er gesehen, das alte, runzelige Gesicht, die guten treuen Augen ließen ihm keine Ruhe. Wenn die nur weichen wollten!

Aber es war doch unmöglich, daß sie es sein konnte – seine Mutter. Wo käme sie her nach all der Zeit? Wie könnte sie ihm begegnen gerade hier an diesem Ort? Sie hätte sich längst gemeldet, wenn sie es wäre, wenn sie wüßte, daß er ihr Sohn war. Fort mit dem Gedanken!

Aber er wich nicht. Auch das Gesicht stand immer vor ihm. Die Augen, in die er geschaut, zwangen Niehuus, die Frau zu suchen, der sie gehörten. Er sträubte sich, aber der innere Drang war mächtiger als er. Er mußte hinaus, und er ging hinaus. Und noch indem er es that, suchte er für sich selbst Gründe, warum er es that. Sie war es nicht – sicher nicht! Nur überzeugen wollte er sich, heimlich und verstohlen. Darum ging er hinaus.

Daga schloß sich ihm nicht an, aber sie behielt ihn im Auge.

 

Das Bild im Garten hatte sich indessen geändert. Die Töne von Geige und Klavier lockten das junge Volk in den Tanzsaal. Nur die Alten hielten noch aus an den langen, gedeckten Tischen.

Im Garten machte sich Robert Gützlaff allerhand Gedanken über die Verschiedenheit der Lebensstellungen. Mitten im festlichen Getriebe und trotz seines Erfolges vorhin fühlte er sich nicht abgeneigt, ein wenig mit dem Geschick zu hadern, das ihn so weit in die hintersten Reihen gestellt hatte. Früher hatte er das viel weniger empfunden, er traute sich zu, daß er vorwärts kommen würde, und besaß guten Mut, ohne sich über die Gegenwart zu grämen. Aber jetzt! Alles, was er erreichen konnte, lag so weit in der Ferne und war so ungewiß. Auch Elsa gehörte zu denen da vorn in der Laube. Nun war sie obenein noch erzürnt, weil er die Wahrheit gesagt. Es war überhaupt am besten, gar nicht mehr an sie zu denken. Seine Rede schien ihren Beifall auch nicht zu haben, sonst hätte sie ihm doch ein freundliches Wort gegönnt. So grämlich dachte Robert Gützlaff von der Welt und den Menschen, als der Kommerzienrat an ihn herantrat.

 

Lilli Tychsen war keineswegs unempfindlich gegen die lockenden Tanzweisen, aber Doktor Klüwer, der nachkommen wollte, war noch nicht eingetroffen. So hatte sie vorläufig nur die Möglichkeit, sich mit einer Freundin zu drehen oder irgend einem gleichgültigen Herrn von den Beamten den Arm zu reichen. Da sah sie ihren Vater mit Robert Gützlaff sprechen, und ihr unternehmendes Köpfchen griff sogleich den Plan wieder auf, den Daga nicht hatte ausführen helfen.

Sie kam gerade zur rechten Zeit, um die letzten Worte des Kommerzienrats aufzufangen.

»Sie haben Ihre Aufgabe gut gelöst, lieber Gützlaff. Ich bin sehr mit Ihnen zufrieden, und danke Ihnen herzlich, Könnte ich mich vielleicht noch in irgend einer anderen Weise erkenntlich zeigen?«

Lilli sah, daß der junge Mann etwas verlegen und unschlüssig vor sich hinsah und trat schnell heran. »Vielleicht trinkt Herr Gützlaff ein Glas mit uns vorn in der Laube, Papa. Wollen wir ihn nicht dazu einladen? Als hervorragendstem und erfolgreichsten Festredner gebührt ihm diese Ehre.«

Wie liebenswürdig wurde das gesagt. Der Kommerzienrat machte allerdings ein merkwürdiges Gesicht, indessen er war daran gewöhnt, daß sein Töchterchen manchmal wunderbare Schrullen hatte, und ließ sie gewähren. Was Lilli that, kam ja aus gutem Herzen, wenn auch manchmal der Uebermut mithalf.

Der Kommerzienrat lachte. »Sie hat recht, Gützlaff. Kommen Sie nur mit!«

Die Laube war in diesem Altgenblick leer. Lilli selbst füllte drei Gläser mit dem perlenden Wein.

»Bitte, Herr Gützlaff!« sagte Lilli Tychsen und bot dem jungen Manne ein Glas.

Dieser wüßte gar nicht, wie ihm geschah, Kaum daß er die Worte fand: »Gestatten Sie, daß ich auf Ihr Wohl trinke, gnädiges Fräulein.«

Lilli plauderte unbefangen weiter. In aller Geschwindigkeit fragte sie dem Monteur seinen liebsten Wunsch ab. Zum Besuch einer technischen Hochschule fehlte das Geld, und nunmehr würde wohl überhaupt nichts daraus werden.

»Aber warum denn nicht, Herr Gützlaff? Wenn ich ein Mann wäre, Sie sollten nur sehen, mir gehörte die Welt.«

»Gehört sie Ihnen nicht auch heute, gnädiges Fräulein?« fragte er.

»Ah, Sie können auch schmeicheln!«

»Das wollte ich nicht. Mir gehört nichts als ein Kopf und zwei Arme, und Welt reimt sich nun einmal auf Geld.«

»Das ist nun wieder gar nicht galant. Und was den Reim betrifft, so folgt auf das Ringen das Zwingen. Ich würde an keinem Dinge verzweifeln.«

»Wer vor der Unmöglichkeit Halt macht, ist noch kein verzweifelnder Mann.«

»Giebt es überhaupt eine Unmöglichkeit?«

»Für einen Monteur leider recht viele.«

Neckisch wie ein Kobold sprang Lilli auf ein anderes Thema über. »Weshalb tanzen Sie nicht oder sind Sie kein Freund davon? Hören Sie nur, bis hierher klingt der Walzer. Lockt Sie das nicht?«

»So lange ich hier stehen darf, hat's keinen Reiz für mich, und ich fürchte, nachher erst recht nicht.«

»Höre nur, Papa, schon wieder ein Kompliment!« Dann wendete sie sich von neuem an Robert Gützlaff. »Aber wir können nicht immer hier stehen. Und daß ich's nur bekenne, für mich ist es reizvoll, mich im Takt zu drehen.«

Robert verstand diesen Wink.

»Wenn ich's wagen dürfte, gnädiges Fräulein –«

»Was ist dabei zu wagen? Ein Walzer ist keine Heldenthat, wenn man ihn zu zweien unternimmt. Du erlaubst doch, Papa?«

Sie legte die Hand leicht auf den Arm des jungen Mannes. »Also gehen wir, Herr Gützlaff!«

Kommerzienrat Tychsen machte wieder ein ganz merkwürdiges Gesicht. Er begriff vollkommen, daß die Einladung zum Sekt nichts weiter war als die effektvolle Einleitung der Aufforderung zum Tanz. Bedächtig füllte er sein Glas und schlürfte den perlenden Schaum. »Ich möchte wissen, was sie mit ihm vorhat. Halten Sie Ihren Kopf hübsch kühl, junger Herr! Dann kann's geschehen, daß Sie auf dem Wege sind zu einer Karriere.« –

Im Saal erregte der Eintritt des Paares Sensation. Mädchen und Frauen stießen einander an. Dann folgten gespannte Blicke den Bewegungen der beiden, die sich leicht und gefällig dem Rhythmus der Musik anpaßten. Als endlich die Töne verstummten, gab's ein großes Geflüster an den Tischen längs der Wände.

Das Paar schritt zum Ausgang. Lilli deutete mit einem Blick geradeaus. »Sehen Sie dort Ihre zukünftige Frau Direktor. Werden Sie mit ihr tanzen?«

»Ich weiß nicht recht, gnädiges Fräulein …«

Lilli blieb stehen. Ihre Stimme klang sehr ruhig, und ebenso ruhig sah sie ihm in die Augen. »Was Ihnen Vergnügen macht, entzieht sich natürlich meiner Kenntnis. Aber daß es hier keine Dame giebt, die Ihnen jetzt einen Tanz verweigert, darüber darf für den Herrn Gützlaff, dem Lilli Tychsen den Arm gereicht, kein Zweifel bestehen.«

»Nicht der leiseste, gnädiges Fräulein. Leider aber auch nicht betreffs der Thatsache, daß das gütige Belieben, welches mich heute freundlich aus dem Kreise der Kameraden heraushebt, morgen der Vergangenheit angehören wird. Der Robert Gützlaff, der, getragen von Ihrer Huld, heute vergessen könnte, daß er trotz alledem nur ein Monteur ist, würde morgen eine lächerliche Figur spielen in seinen eigenen Augen, und wahrscheinlich auch in den Augen von Fräulein Tychsen. In diese Lage möchte ich mich nicht bringen. Aber Ihnen aufrichtig danken für Ihre Liebenswürdigkeit, das will ich. So sehr danke ich Ihnen, daß ich heute überhaupt nicht mehr ganzen werde, weder mit den Damen ihrer Kreise, noch mit anderen.«

»Aber ich will's!«

»Und ich will's nicht, gnädiges Fräulein.«

Einen Augenblick ruhten ihre Blicke beinahe ärgerlich in den seinigen, dann lächelte sie wieder.

»Sie sind ein eigensinniger, unartiger Mensch. Kommen Sie, begleiten Sie mich wenigstens zu meinem Vater zurück.«

Daß jemand ihrem launischen »Ich will's!« ein ruhiges »Und ich will's nicht!« entgegengestellt hätte, war Lilli noch nicht vorgekommen. Ihr nur mittelbares Interesse an Gützlaff gewann dadurch neue Nahrung. Ob er wohl nein gesagt hätte, wenn Elsa in Frage kam statt Daga? Die Probe durfte ihm jedenfalls nicht geschenkt werden. Nach dem vorangegangenen Tanz konnte sie den Faden wieder aufnehmen, sobald sich Gelegenheit bot.

Kommerzienrat Tychsen stand am Eingang der Laube. Robert Gützlaff verbeugte sich vor seiner Begleiterin.

»Noch einmal meinen herzlichsten Dank, gnädiges Fräulein. Ihre große Freundlichkeit wird mir stets unvergeßlich bleiben.« Damit wollte er sich entfernen.

»Oho,« rief der Kommerzienrat, »so haben wir nicht gewettet, junger Mann! Erst kommen Sie mal her und trinken Sie noch ein Gläschen, wie sich's gehört. Der Tanz macht durstig. In meiner Jugend war's wenigstens so.«

Dann zog Tychsen sein Notizbuch hervor. »So, lieber Gützlaff, nun sagen Sie mir vor allen Dingen mal Ihre Adresse. Ich will sie mir aufschreiben für den Fall, daß ich Ihnen gelegentlich was zu bestellen habe.« –

 

Als der Kommerzienrat dann mit seiner Tochter wieder allein war, sah er ihr ein wenig spöttisch ins Gesicht und schob ihr die Rechte unter das runde, weiche Kinn. »So, Herzchen, nun beichte einmal den Grund deiner Vorliebe für diesen langen Monteur.«

»Den Grund?« Lilli warf den Kopf ein wenig zurück. »Er gefällt mir, Papa!«

»Ei, er gefällt dir! Das konnte ich mir allenfalls denken. Aber was du mit ihm vorhast, möchte ich wissen..«

»O, viel! Aber er will ja alles nicht.«

»Was denn zum Beispiel?«

»Er will nicht mit Daga tanzen, er will überhaupt nicht mehr tanzen – gar nichts will er!«

»Dich am Ende auch nicht?« fragte der Kommerzienrat.

Im Augenblick wurde Lillis Gesicht vollkommen ernst. »Bitte, Papa, nicht auf diese Art. Du weißt, ich bin Braut.«

»Schön. Also was hast du vor?«

»Der Herr ist offenbar sehr begabt, seine Art gefällt mir, ich möchte, daß du dich für ihn interessierst, Papa.«

»Wie käme ich dazu?«

»Ich sagte doch schon, daß er mir gefällt. Ist das kein Grund? Und außerdem – hat er dir nicht einen Dienst geleistet in der Sache mit Niehuus? Es ist doch sonst nicht deine Art, jemand etwas schuldig zu bleiben. Und nun gar so einem armen begabten Menschen! Daß er die technische Hochschule nicht besuchen kann, hat mir leid gethan. Nicht wahr, das richtest du ein? Mir macht's Vergnügen, und du kannst dir's ja leisten.«

Kommerzienrat Tychsen sah seiner Tochter mit gutmütigem Spott in die Augen. »Nun komm doch mal heraus mit der Sprache, Kleine! Wo steckt die Liebschaft? Ich müßte die Frauenzimmer nicht kennen, wenn am hintersten Ende nicht etwas von Liebe ans Tageslicht kommen sollte. Also wo ist die Herzdame? Heraus mit der Sprache!«

»Er hat Elsa Brandow gern, und sie ihn auch, das heißt, ich vermute das. Gezankt haben sie sich wenigstens schon. Nun möchte ich sie zusammenbringen. Aber so lange er Monteur ist, kann's doch nichts werden mit den beiden.«

Kommerzienrat lachte. »Na also, da haben wir's ja!«

»Und was du versprochen hast, das thust du, Papa? Bitte, bitte!«

»Ich versprochen?«

»Aber gewiß, diese Minute! Du wolltest ihm die technischen Studien ermöglichen.«

Der Kommerzienrat lachte. »So! Famose Einrichtung, wenn man so hintenherum erfährt, was man will.«

Lilli schlang die Arme um seinen Hals. » Du bist ja mein lieber, süßer Papa!«



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