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4.

Dagas Verlobung erregte Aufsehen, weil niemand etwas derartiges erwartet hatte. Wie immer in solchen Fällen wurde das Brautpaar alsbald Mittelpunkt von mancherlei gesellschaftlichen Veranstaltungen. Stand Daga dabei naturgemäß im Vordergrund des Interesses, so kam doch auch Elsa in hellere Beleuchtung, denn die Frau Geheimrat hielt den gegenwärtigen Zeitpunkt für besonders geeignet, ihre jüngere Tochter der Gesellschaft zuzuführen. Beziehungen, die gelegentlich der üblichen Brautgesellschaften angeknüpft waren, ließen sich später bequem aufrecht erhalten, meinte sie.

Georg Niehuus hatte seine Wohnung vorläufig noch beibehalten, das Landhaus draußen in der Villenkolonie sollte erst nach der Hochzeit bezogen werden. Ueber die innere Einrichtung entschieden ausschließlich Wünsche und Geschmack der künftigen Gebieterin.

Täglich zu bestimmter Stunde hielt der Wagen vor der Thür, den Niehuus seiner Braut ein für allemal zur Verfügung gestellt hatte. Von ihrer Mutter oder von Elsa begleitet, fuhr Daga dann von Geschäft zu Geschäft, um Einkäufe zu machen oder Aufträge zu geben. So oft es thunlich war, holte der Fabrikant die Damen selber ab.

Daga Brandow war jung, schön und gehörte zur Aristokratie der Bildung, lauter Vorzüge, auf welche Niehuus hohes Gewicht legte, aber sie war auch die Tochter eines Beamten, der den Seinigen außer der Pension für die Witwe keine Mittel hinterließ. Sie mußte ein Leben inmitten der sorglosen Behaglichkeit des Wohlstandes für die Erfüllung ihrer kühnsten Wünsche halten, meinte Niehuus. Selbst den Luxus eines gewissen Reichtums dachte er ihr nicht zu versagen. Aber, in Verhältnissen aufgewachsen, die pekuniäre Ausschreitungen nach keiner Seite hin zuließen, war, wie er hoffte, Daga jedenfalls in ihren Ansprüchen bescheiden, sie müßte ja den Wert des Geldes kennen und schätzen.

Aus seiner Geschäftspraxis an genaue Buchführung gewöhnt, konnte er im Privatleben dieser Gepflogenheit um so leichter treu bleiben, als ihm die Rechnungen für Einrichtung des neuen Heims überaus prompt zugestellt wurden, natürlich mit Quittungsvermerk, Er kam dadurch in die Lage, nach kürzester Frist zu konstatieren, daß die Aufwendungen für die Ausstattung seines Hauses bereits das Dreifache der dafür ausgeworfenen Summe betrugen, ohne daß sich ein Ende absehen ließ.

Niehuus war sprachlos. Hatte er darum gerungen, gestrebt, entbehrt sein Leben lang? Mensch wollte er sein, in Behaglichkeit seines Glückes genießen, nicht aber sein Geld verthun in unsinnigem Luxus, der nicht einmal ihm, sondern anderen diente – nein! Der Verschwendung in der Einrichtung würde die Verschwendung in der Lebenshaltung folgen, eines zog immer das andere nach sich wie die Kette ihre Glieder. Er war ein reicher Mann, aber ein Börsenfürst war er nicht. Diesen konnte er es nicht gleichthun, und er wollte es auch nicht. Was heute zu viel ausgegeben wurde, bedeutete einen Abstrich für die ganze Zukunft. Er hatte weder den Wunsch noch die Verpflichtung, ein Nabob zu scheinen. Das letzte Lebensdrittel in behaglichem Glück, das war sein Ziel, das erlaubten seine Mittel in vollem Umfang, dabei wollte er stehen bleiben.

Er beschloß, ernsthaft mit seiner Braut zu reden. Die Gelegenheit bot sich, als die Geheimrätin allein zu einer bekannten Familie fuhr, indes die Verlobten ihre Rückkehr in einer Konditorei erwarteten.

Niehuus räusperte sich etlichemal. »Weißt du, liebes Kind –«

Schon nach diesen vier Worten hielt er inne. Er hatte seine Verlobte nicht direkt ansehen mögen, während er sprach, und so warf er einen verlorenen Blick in den riesigen Krystallspiegel an der Wand, der ihm sein eigenes und Dagas Bild in Lebensgröße deutlich entgegenhielt. Es war das erste Mal, daß er sich so an ihrer Seite sah, und zum erstenmal kam es ihm zum Bewußtsein, wie er sich neben ihr ausnahm. Der unangenehme Eindruck ließ ihn mitten im Satze abbrechen,

»Liebes Kind« hatte er gesagt. Wie abgeschmackt! Glücklicherweise war außer dem Fräulein hinter dem Verkaufstisch niemand anwesend, und die stand fern. Er sprach ja auch nicht übermäßig laut. Aber immerhin … »Liebes Kind!« Wenn's das Fräulein gehört hatte, mußte sie nicht glauben, ein Vater ermahnte seine Tochter?

»Du sprachst nicht zu Ende, Georg,« bemerkte jetzt Daga.

»Hm, ich finde die Gobelins eigentlich recht – hm –«

»Recht schön, meinst du? Ich auch, Georg.«

»Schön, ja, selbstredend. Aber auch recht teuer.«

»Das kann ich nicht zugeben. Ich glaube im Gegenteil sehr vorteilhaft gekauft zu haben,«

»Gewiß, ganz recht! Nur – ich meine, es ist eigentlich schade, daß die schönsten Sachen zugleich die teuersten sind.«

»Auch darin kann ich dir leider nicht beistimmen, lieber Freund. Was schön sein soll, muß selten bleiben, und die Seltenheit kommt natürlich im Preise zum Ausdruck. Jahrmarktsware mag Anspruch auf jede Bezeichnung haben, dauerhaft, gut, praktisch, wie du willst, schön ist sie nie.«

»Nun, nun! … Jahrmarktsware! Ich wollte nur andeuten, die Gemütlichkeit des Hauses – hm!«

»Selbstredend wirst du dir dein Arbeitszimmer vollendet gemütlich und ganz nach deinem Geschmack einrichten, lieber Freund. Indessen der Salon …«

Niehuus ließ das Gespräch fallen und trug eine Empfindung mit sich fort, als sei es ihm nicht recht gelungen, sich seiner Verlobten verständlich zu machen.

 

Nach der Heimkehr stand Daga vor dem Wandspiegel. Sie nahm den reizenden Hut ab und strich mit beiden Händen das Haar zurück. »Mama, heute habe ich zum erstenmal das Wort ›teuer‹ gehört.«

»Mich nimmt es nicht wunder, Kind. Ich habe mir einige Notizen gemacht, die liebe Bekanntschaft möchte doch dies und das gern wissen. Es ist ein kleines Vermögen, das bis jetzt ausgegeben wurde.«

»Ich denke, wir hatten mit einem großen gerechnet.«

»Um davon zu leben, aber doch nicht, um es in die erste Einrichtung zu stecken. Sei klug, Daga!«

»Es hat einmal einer vom Edelstein gesprochen, vielleicht sogar du, möglicherweise ist es mir auch nur selbst durch den Kopf gegangen. Nun gut: der Edelstein erträgt keine Fassung von Talmi.«

»Ich kann nicht finden, daß du eine geringe Meinung von dir hast. Doch davon abgesehen – in welcher Verbindung fiel das Wort?«

»Ganz allgemein. Er kam nicht zur Sache.« Daga lachte spöttisch, »Er genierte sich vermutlich.«

»Nächstes Mal wird er deutlicher werden.«

»Warten wir's ab. Ein gemütliches Heim, wie er es versteht, brav essen und trinken und gegen Abend im Schlafrock und langer Pfeife die Blumen begießen – das ist nicht mein Wunsch und mein Geschmack.«

»Ich will dein Bestes, Daga. Spanne den Bogen nicht zu straff. Sei klug, Kind, das ist mein einziger Rat.« – –

 

Niehuus kam in der That bald zurück auf die Sache, die ihm am Herzen lag,

»Wir müssen das System ändern, Daga,« sagte er eines Tages.

»Welches System? Ich verstehe nicht recht.«

»Bisher fragten wir nur, wie würde sich's machen, wenn dies dort stände und jenes da? Wir sahen nur die Dinge an und bezahlten den Preis. In Zukunft wollen wir eine bestimmte Summe aussetzen für alles und dann fragen, was dafür zu haben ist.«

»Du mußt mich belehren. Ich verstehe ja so wenig davon. Habe ich wirklich zu viel Geld ausgegeben?«

»Ja, wirklich. Aber noch ist ja Zei –«

»Wozu?«

Niehuus fühlte sich recht unbehaglich. Daga fragte harmlos und dabei doch so eingehend. Er wollte nicht geizig scheinen und doch die Dinge in seinen Sinn ordnen. So nahm er seine Zuflucht zu einer Unwahrheit. »Ich habe Verluste gehabt, Daga.«

»Verluste? Ich denke, du hast dich vom Geschäft zurückgezogen?«

»Jawohl, indessen –« Da Niehuus nichts besseres wußte, spann er vor Verlegenheit die erste Unwahrheit weiter, »Wie das so geht Verluste an der Börse, nicht gerade halsbrechender Art, aber immerhin bedeutende Verluste. Laß uns verfahren, wie ich es vorschlug.«

Daga erschrak bis ins innerste Herz. Niehuus' Verwirrung entging ihr nicht. Daß er sich bemühte, dieselbe zu verschleiern, gab der Sache eine erhöhte Bedeutung. Sollte es schlimm mit seinem Vermögen stehen?

Sie sprach darüber mit ihrer Mutter. »Ich habe alles vergessen, was ein Hindernis dieser Verbindung sein konnte,« sagte sie, »aber das Opfer darf nicht vergebens gebracht sein. Ich will nicht fürchten müssen, daß eines schönen Tages ein Luftschloß über mir zusammenbricht.«

»So schlimm wird's nicht sein, Daga. Ein Mann wie Niehuus setzt nicht alles auf eine Karte. Um dich indessen zu beruhigen, will ich mit Kommerzienrat Tychsen reden. Er wird Genaueres wissen.«

 

Die Börse gleicht der Espe, der leiseste Wind läßt sie rauschen, und heuer gab's kritische Tage. Irgend eine Nachricht, über welche gewöhnliche Zeitungsleser gleichgültig hinwegflogen, hatten die Geldleute in nervöse Aufregung versetzt. Die Kurse stürzten, und je nach Stellung des einzelnen zur Sache gab es leuchtende Blicke oder schlaff herabhängende Arme.

Niehuus ging zur Abendbörse. Er hatte noch niemals eine Mark an Spekulationen gewagt, deren Verlauf sich seiner Berechnung und seinem Einfluß völlig entzog, aber der Kampf der Minen und Gegenminen interessierte ihn! Er sah zu, wie der Unbeteiligte einer sportlichen Veranstaltung zusieht, ohne zu wetten.

Kommerzienrat Tychsen ward seiner ansichtig.

»Nun sagen Sie mir um aller Heiligen willen, wo kommen Sie her, verehrtester Herr Niehuus? Meine Augen müssen doch trügen! Ich denke, Sie gehen im Mondschein am Arm der Liebe spazieren und lauschen auf Zephyrs Geflüster! Oder hat das Rauschen in diesem Papierwald auch für Sie jetzt plötzlich ein Interesse?«

Der Gefragte zuckte diplomatisch die Achseln. »Was soll man thun, um die Zeit hinzubringen?«

»Unser Direktor werden, verehrter Herr! Sie wissen, ich warte sehnsüchtig darauf. Aber Sie müssen sich bald entschließen, sonst wird es zu spät. – Doch nun, ehrlich Bekenntnis! Sind Sie stark engagiert? Ich hörte etwas von Verlusten. Also wie steht's? Glück in der Liebe, Unglück im Spiel, lieber Freund! Es wäre recht schade, wenn schöne Augen deshalb trübe blickten.«

Niehuus hatte eine Empfindung, als sei er plötzlich unter Vormundschaft gestellt worden. Daß der Kommerzienrat von Verlusten sprechen konnte, dafür gab es nur eine Quelle – Daga. Es verlohnte sich immerhin, die Sache ein wenig weiter zu verfolgen. So legte er das Gesicht in bedenkliche Falten. »Es kann ja nicht immer so bleiben. Wer mit einem blauen Auge davonkommt, hat schließlich noch beide.«

Damit verabschiedete er sich.

 

Als Niehuus seine Verlobte am nächsten Tage abholen wollte, machte ihm die Geheimrätin die betrübliche Mitteilung, daß Daga, von bösen Kopfschmerzen geplagt, fiebernd zu Bette liege. In Ermangelung anderer Beschäftigung fuhr er wieder zur Börse.

Kommerzienrat Tychsen sah ihm forschend ins Gesicht. »Nun, wie steht's?«

»Schlecht. »

»Sie thun mir eigentlich leid.«

»Ich mit beinahe auch.«

»Wie kann man nur so waghalsig spielen!«

Niehuus zuckte die Achsel. Geflissentlich drückte er sich unbestimmt und doppeldeutig aus. Was der Kommerzienrat im Sinn hatte, wußte er ganz genau, aber er wollte auch wissen, worauf die Sache eigentlich hinauslief.

 

Daga war auch am nächsten Tage und am dritten so wenig genesen, daß sie ihren Verlobten nicht sehen konnte. Darauf beschloß Niehuus, die Probe auf das Exempel zu machen. Als er Tychsen gegen Schluß der Börsenzeit die Hand drückte, lachte er sozusagen mit dem ganzen Gesicht. »Heute muß ich Sie zu einer Flasche Röderer einladen, Herr Kommerzienrat, natürlich mit obligatem Frühstück. Wollen Sie mitthun?«

»Natürlich will ich! Aber wie kommen Sie in diese sektfreudige Stimmung? Sie sahen schlecht aus letzter Tage.«

» Eine kleine Verstimmung, weiter nichts. Heute ist mir wohler als je.«

»Das freut mich, freut mich aufrichtig. Und nicht bloß um Ihretwillen. Wenn wir also gehen wollen, mich hält augenblicklich nichts mehr.«

»Also gehen wir, Herr Kommerzienrat!« –

 

Am nächsten Mittag fuhr Niehuus nach seiner täglichen Gewohnheit bei der Frau Geheimrat vor. Würde er Daga sehen oder nicht? Ein häßlicher Verdacht hatte sich in seine Gedanken geschlichen. Vier Tage wurde der Wahn von seinen Verlusten aufrecht erhalten, vier Tage blieb die Braut seinen Blicken entzogen. Gab's da wirklich einen Zusammenhang? Niehuus wünschte beinahe, sie möchte auch heute nicht erscheinen.

Aber Daga kam. Beide Hände streckte sie ihm mit hinreißender Liebenswürdigkeit entgegen. »Da bin ich, lieber Georg! Vier Tage! Welche Zeit! Und daß du gehen mußtest ohne einen Blick von mir, war mein größter Kummer.«

»Vier Tage!« wiederholte Niehuus. Aber all die Bitterkeit, die er in der Brust herumgetragen, und die sich hatte auf seine Lippen drängen wollen, zerfloß vor dem strahlenden Blick von Dagas Augen. Selbst die Gedanken hörten auf, sie anzuklagen. Er sah nur hinreißende Schönheit. Und sie war sein, sein! Ihre beiden Hände hielt er fest. »Vier Tage! Gott sei Dank, daß sie vorüber sind, Daga!«

Für Niehuus war der Zwischenfall damit erledigt, für Daga nicht, Was ihr im Lauf der vier Tage durch den Kopf gegangen war, klang nach und wirkte fort. Lilli Tychsen war ihre Freundin. Sie selbst ging seit ihrer Kindheit ein und aus im Hause des Kommerzienrats. Alles, was mit Geld und Gut zusammenhing, weckte ihr Interesse. So waren ihr die Begriffe Börse und Börsenspiel nicht unbekannt blieben, sie wußte, daß dabei Vermögen gewonnen, viel häufiger aber noch verloren werden.

Und Niehuus spielte an der Börse, die Vorgänge der letzten vier Tage ließen ihr darüber keinen Zweifel. Er war nahe am Ruin gewesen, das stand für sie fest. Wenn er sich dieses Mal glücklich aus der Klemme gezogen hatte, würde es immer so sein? Konnte es nicht geschehen, daß ihr die Millionen, auf denen sie zu stehen meinte und immer stehen wollte, eines Tages unter den Füßen fortschwammen? Daga fröstelte bei diesem Gedanken.

Wenn Niehuus schon alt war, so war er doch auch reich. Und gerade weil er alt war, würde sie eines Tages frei werden, Herrin ihrer selbst und eines großen Vermögens. Dafür wollte sie ein Opfer bringen. Aber an einen alten Mann gekettet sein, der sein Geld an der Börse verspielte und arm wurde – ihr schauderte. Etwas wie Haß regte sich in ihr gegen den Mann, der ihr Vermögen in Gefahr gebracht hatte und ferner in Gefahr bringen würde. Wenn sie nur etwas dagegen thun könnte!

Sie sann und sann. Es mußte doch ein Mittel geben zu verhindern, daß das Opfer ihrer Jugend umsonst gebracht wurde, ein Mittel, das sie zur Herrin des Schicksals machte.


Im Hause des Kommerzienrats war inzwischen ein Fortschritt nach der Richtung hin eingetreten, welche Dagas Mutter in jener entscheidenden Unterhaltung vor dem Ausflug ins Kirschenland andeutete. Es machte dem Scharfsinn der alten Dame alle Ehre, daß sie schon damals nicht an eine ganz selbstlose Förderung des Doktor Klüwer von seiten des Kommerzienrats glauben wollte. Nunmehr hatte der junge Arzt, dem von vielen Seiten eine bedeutende Zukunft prophezeit wurde, Lillis Jawort erlangt. Tychsen gab ohne große Umstände seine Einwilligung.

»Wenn du meinst, Lilli – wir können nicht alle Kommerzienrat werden, es muß auch Sanitätsräte geben.«

So stand denn die öffentliche Verlobung des Paares unmittelbar bevor.

Als Daga die Freundin besuchte, kam ihr Lilli Tychsen schon in der Thür entgegen.

»Ach, du bist es, Daga! Ich meinte, es wäre Hermann.«

»Hermann?«

»Sei nicht so langweilig, Mädchen! Doktor Klüwer meine ich natürlich. Du mußt doch längst gemerkt haben, wie es hier stand im Hause. Aber freilich, die bräutliche Wonne trübt deine Augen für alles, was sonst noch lebt in der Welt; so ist dir's entgangen, daß andere Leute auch gern unter die Haube möchten. Damit du's also weißt – Doktor Klüwer und ich sind einig, und Papa hat seine Einwilligung gegeben. Alles ist in Ordnung, bis auf die Ringe, die heute gekauft werden sollen. Darum warte ich auf Hermann. Es fehlen zwar noch drei Viertelstunden an der festgesetzten Zeit, aber wenn er's nur halb so eilig hätte, zum Goldschmied zu kommen, wie ich, müßte er längst hier sein. Die Uhr müßte er vorstellen, wenn's nicht anders geht! Aber warte nur, diese kleinen Vorteile mache ich ihm noch klar! – Weißt du was, Daga?« – Lilli zog die Taschenuhr hervor und drehte den Zeiger ein erkleckliches Stück herum – »jetzt ist die Zeit vorbei, nun machen wir uns auf und holen ihn ab. Erschrecken soll er über seine Unpünktlichkeit. Du begleitest mich selbstverständlich. Es ist ja nichts dabei, das Sprechzimmer eines Arztes kann jeder aufsuchen ohne Mißdeutungen zu befürchten. Also komm!«

Während Lilli sprach, fand Daga Zeit, ihre Empfindungen zu meistern. Wäre Lilli arm gewesen wie sie selbst, sie hätte sie gehaßt um Doktor Klüwers willen. Aber sie hielt sich überzeugt, nur die Erbin war es, die er ihr vorzog. Schon damals, als er sie ihren Weg selber wählen hieß, fand ihr Stolz eine gewisse Genugthuung in diesem Gedanken. Aber als sie jetzt dachte, daß Lilli an der Seite des stattlichen Mannes durchs Leben schreiten würde, da regte sich dennoch in ihrer Brust der Neid; ihr Mund aber sprach mit liebenswürdigstem Lächeln den wärmsten Glückwunsch. –

 

Doktor Klüwer erstaunte nicht wenig, als die Damen eintraten. »Lilli, du hier?« rief er ganz verblüfft. Dann begrüßte er Daga.

Lilli reichte ihrem Bräutigam die Hand. »Sei unbesorgt, Hermann, ich bin nicht krank, Daga ebensowenig. Wir wollen dich nicht konsultieren. Aber etwas anderes macht mir lebhaften Kummer. Daß du heute, schon heute – und besonders heute – unpünktlich sein kannst, daß du trotz unserer bedeutsamen Verabredung im stande bist, einfach die Zeit zu vergessen, ohne daß dein Gewissen sich regt, das ist mir sehr, sehr schmerzlich.«

Ganz wehleidig sah Lilli aus, während sie sprach. Sie seufzte sogar. »Wie wird das später erst werden!« setzte sie noch hinzu.

»Aber was denn, Lieb? Ich bin mir keiner Schuld bewußt.«

»Auch das noch! Verstockt bis ins Herz – keine Spur von Reue!« Sie zog die Taschenuhr hervor und hielt sie ihm vor die Augen. »Wann solltest du kommen?«

Doktor Klüwer erschrak. »Das ist ja nicht möglich! Deine Uhr zeigt falsch. Mindestens eine Stunde geht sie vor.« Er zog hastig seine Taschenuhr. »Siehst du, ich wußte es ja!«

Schon der nächste Blick auf Lillis Gesicht machte ihm alles klar. »O, du Spitzbübin!« rief er lachend. »Na, warte nur, das rächt sich noch.«

Sie lachte fröhlich und wäre ihm beinahe um den Hals gefallen, erinnerte sich aber rechtzeitig an Dagas Anwesenheit.

Daga schien den Neckereien der Liebenden keine Aufmerksamkeit zu schenken, aber in Wahrheit entging ihr kein Wort, kein Blick, und was sich dabei in ihrem Herzen regte, war Neid, verzehrender Neid. Wie so ganz anders als ihr eigener Brautstand gestaltete sich das Verhältnis zwischen diesen beiden! Wohl war der Arzt dem Golde nachgegangen wie sie selber – sie glaubte es noch immer, sie klammerte sich förmlich fest an den Gedanken – aber Lilli war nicht nur reich, sie war auch jung , und keineswegs häßlich. Beide paßten zu einander. Die Uebereinstimmung des Alters führte zu gleichem Daten und Fühlen, begründete die Lust an Scherz und gegenseitiger Neckerei. Dagegen sie selbst und Niehuus – o der Neid, der Neid!

»Nun will ich einmal deine Wohnung in Augenschein nehmen,« sagte Lilli, »Ich glaube, so leicht bietet sich keine Gelegenheit wieder.«

Sie ging in dem Sprechzimmer umher und betrachtete voll Interesse die mancherlei Dinge, die das Handwerkzeug des Arztes bilden. Zuletzt blieb sie vor einem zierlich geschnitzten Schränkchen stehen. Die Thür war nur angelehnt. Sie öffnete dieselbe vollständig und sah sich einer Sammlung von Fläschchen und Büchsen gegenüber.

»Das ist wohl Ihre Hausapotheke, sehr geehrter Herr Doktor?« fragte Lilli.

»So ungefähr. Jede dieser Büchsen und Flaschen enthält ein todbringendes Gift. Von den meisten genügt eine Kleinigkeit, ein Leben zu vernichten.«

Lilli schüttelte sich leicht. »Das ist ja unheimlich. Wird dir nicht bange in solcher Nachbarschaft?«

»Nein, mein Kind. Der Arzt und der Tod begegnen sich auf dem Fuß ehrlicher Feindschaft. Alle diese Gifte werden zu Wohlthätern der Menschheit in der kundigen Hand. Sie sind nur gefährlich, wo Unverstand oder böser Wille sich ihrer bedienen.«

»Nein, das ist nichts für mich!« sagte Lilli.

Sie hing sich an den Arm des Arztes. »Komm, zeig mir fröhlichere Dinge. Was giebt's in den anderen Zimmern zu sehen?«

Daga folgte dem Paar einige Schritte, aber sie trat nicht mit in den anstoßenden Raum. Als sie allein war, flog ihr Blick nach dem Giftschrank zurück. Eine magische Gewalt schien von demselben auszugehen, zog sie wieder dorthin zurück. Und nun liefen ihre Blicke von neuem über die Reihen der kleinen Gefäße, die Tod und Leben einschlossen.

Wie von innerer Gewalt getrieben, hob Daga die Hand und ergriff aufs Geratewohl ein Fläschchen. Drinnen war ein weißes Pulver, So unschuldig sah das Fläschchen aus und schloß doch den Tod ein.

Eine Art Schwindel ergriff Dagas Hirn. Hatte sie sich nicht ein Mittel gewünscht, das Schicksal zu meistern? Im Anschluß an jene vier Tage war's gewesen, als sie die Grundlage ihrer künftigen Existenz durch Niehuus' vermeintliches Börsenspiel bedroht glaubte und gleiche Gefahren für die Folge zu fürchten begann. Das Opfer ihrer Jugend wollte sie nicht vergeblich bringen. Ihre Träume von Glanz und Reichtum, von Erfolgen und Triumphen in der großen Welt – sie mußten sich erfüllen! Mit einem Manne wie Niehuus in Armut und Dürftigkeit leben – niemals! Nein, lieber dann das ganze Dasein hinwerfen, Herrin des Schicksals mußte und wollte sie sein!

Jetzt hielt sie das Mittel dazu in der Hand. Brennend ruhte ihr Auge auf dem Fläschchen. Es war, als ob die Berührung desselben ihr den Gedanken suggerierte: »Halte mich, so bist du Herrin des Schicksals!«

Sie lauschte. Aus dem Nebenzimmer klangen die lachenden Stimmen des Brautpaars. Wie der Blitz senkte sich ihre Hand in die Tasche des Kleides. Dann ein zweiter rascher Griff in den Schrank. In Sekundenschnelle waren dort die Fläschchen so verschoben, daß die Lücke verschwand, wo das geraubte Gefäß gestanden hatte. Wenn Doktor Klüwer es später vermißte, auf sie würde kein Verdacht fallen.

Daga stand am Fenster und sah hinaus. Ihr Herz pochte, auf ihren Wagen lag ein leichtes Rot und in den Augen flimmerte es. Wie eine Art Trunkenheit zog's durch ihr Hirn: Herrin des Schicksals!

Das Paar kam zurück, lachend und sich neckend. Nur wenige Minuten hatte die Abwesenheit gedauert, aber Daga schien es, die Ewigkeit dehne sich zwischen damals und jetzt, die Welt hätte sich inzwischen verändert.

Lilli ließ den Arm des Verlobten los und eilte zu der Freundin. »Arme Daga, wir langweilen dich! Aber sei nur nicht böse. Nächstens besuchen wir Herrn Niehuus' Villa, dann kannst du dich rächen.«

Daga lächelte. Die Fäuste hätte sie ballen mögen. Welcher Hohn

Bevor Doktor Klüwer mit den Damen das Haus verließ, schloß er den Schrank mit den Giften, ohne zu ahnen, was geschehen war. Vor dem Laden des Goldschmieds trennte sich Daga von dem Brautpaar. Sie wollte nicht dabei sein, wenn die Ringe gekauft wurden. Ihre Hand senkte sich in die Tasche, dort ruhte das Fläschchen, der Schlüssel einer goldenen, glänzenden Zukunft für sie selbst.


Etliche Tage später stand Doktor Klüwer abermals vor dem geöffneten Schränkchen mit den Giften. Eine Falte lag zwischen seinen Brauen. Ihn fehlte ein Fläschchen mit Arsenik. Wo konnte es hingeraten sein? Immer trug er den Schlüssel in der Tasche, nur neulich bei dem Besuch seiner Braut mit ihrer Freundin, als der Schrank offen stand, war Daga eine Minute allein im Zimmer gewesen. Hatte sie das Gift genommen? Aber wie wäre das denkbar! Was wollte sie damit? Ein junges Mädchen, eine glückliche Braut! Freilich, sie hatte ihm selbst das Märchen erzählt vom Marmorschloß und dem Nachtigallenhain, oder vielmehr, daß sie im Traum dazwischen hatte wählen sollen. Nach überschwenglichem Glück sah das nicht aus. Aber Gift stehlen! Nein, eine solche Annahme war Unsinn.

Und – Hand aufs Herz! – er wußte nicht einmal genau, wann er das Arsenikfläschchen zum letztenmal benutzt hatte. Was lag näher, als daß der Inhalt aufgebraucht war? Aber zur Warnung sollte ihn der Fall dienen. An der Thür des Giftschranks würde er ein Verzeichnis alles dessen befestigen, was derselbe enthielt, dann gab es keinen Irrtum mehr.



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