Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6.

Glänzen – genießen –Triumphe feiern!

Den Reichthum, der dazu gehört, sah Daga in nächster Nähe vor sich, aber Niehuus hatte keine gesellschaftliche Stellung. In der Geschäftswelt war er bekannt, aber die Geschäftswelt ist nicht die Gesellschaft, und die Triumphe, welche sich dort erringen lassen, entsprachen nicht denen, wonach ihre Seele lechzte. Wenn Niehuus sich zurückzog, half er höchstens die Zahl der Rentner um einen vermehren, eine Stellung in der Gesellschaft gab das auch nicht. In Dagas Sinn war es nicht gehandelt, daß der Fabrikant damals die Stellung als Direktor der Aktiengesellschaft abgelehnt hatte: »Frau Direktor« bedeutete zwar nicht viel, aber für den Anfang klang's doch schon besser als »Frau Niehuus«.

Dazu kam noch etwas anderes. Daga wußte nicht recht, was ihr künftiger Gatte den ganzen Tag und jeden Tag mit seiner Zeit anfangen wollte. Ihr Gesellschaft leisten von früh bis spät? Diese Aussicht schien ihr nicht verlockend. Für sich eine Beschäftigung, für seine Gattin eine Stellung in der Gesellschaft, daran fehlte es dem Fabrikanten. Die Zukunft mußte erst ausgestaltet werden, bevor Daga diese für sich allein mit Beschlag belegte.

Kommerzienrat Tychsen fühlte bald genug heraus, daß er in Daga eine einflußreiche Verbündete besaß. So wurde denn ein Generalsturm auf die Entschließungen des Hartnäckigen verabredet, Die Gelegenheit dazu würde das Fest bieten, durch welches die Umwandlung der Maschinenfabrik in eine Aktiengesellschaft gefeiert werden sollte.

 

Von den Leuten in der Fabrik erfuhren vorläufig nur die Akteure, daß es sich bei dem geplanten Ausflug noch um andere Dinge handeln würde als um Essen, Trinken und allgemeine Fröhlichkeit. Die beabsichtigten Kundgebungen mußten, um wirkungsvoll zu sein, als spontaner Ausbruch erscheinen. Robert Gützlaff, bei den Arbeitern beliebt und einflußreich, sollte der Wortführer derselben werden.

Der Monteur fühlte keine Verpflichtung, der Großmutter die ehrenvolle Rolle zu verhehlen, die er spielen würde. Weshalb der alten Frau die Freude nicht im voraus gönnen? Sie hatte so wenig, woran sich ihr Herz aufrichten konnte.

»Willst du mit, Großmutter? Wir haben jeder eine Dame frei.«

»Ach, geh doch, Robert, ich alte Frau bin doch keine Dame!«

»Natürlich, Großmutter, und mir die liebste von allen. Ich will Staat mit dir machen.«

»Möchtest du nicht lieber ein junges Mädchen mit dir nehmen? Es giebt so viele, die sich freuen würden. Du bist alt genug, um daran zu denken. Jung gehört zu jung, ich passe nicht mehr fürs Vergnügen, ich passe überhaupt nicht mehr in die Welt.«

Robert Gützlaff wußte wohl eine, aber was mit der kleinen Erzieherin zusammenhing, stand auf einem eigenen Blatt. So beharrte er auf seinem Vorschlag.

»Sag nur Ja‚ Großmutter! Gefallen wird's dir da draußen gewiß. Du wolltest ja Herrn Niehuus längst gern einmal sehen.«

»Ich habe ihn schon gesehen.«

»Wie, Großmutter? Und davon weiß ich nichts?«

»Wozu davon reden, Robert?«

»Nun hast du dich überzeugt, daß er's nicht ist, an den du denkst? Ich wußte es voraus.«

»Nichts weißt du, Und du kannst auch nichts wissen. Ich habe ihn gesehen, Robert, auch die junge Dame, die sein Weib werden will. Aber sie saßen im Wagen, ich sah ihn nur halb, und alles ging zu schnell! Meine Augen sind schwach geworden in der letzten Zeit. Ich möchte ihn vor mir haben, so dicht, daß meine Hand ihn fassen kann, Dann werde ich Gewißheit und Ruhe finden. Und wenn du wirklich kein junges Mädchen weißt, dann nimm mich nur mit. Große Last sollst du nicht haben mit mir.«

»Bravo, Großmutter! Also du gehst mit. Daß du mir zur Last sein könnte, glaubst du ja selbst nicht. Und während ich zu ihm spreche, betrachtest du ihn dir ganz genau und in der nächsten Nähe.«


In den ersten Nachmittagsstunden trug ein langer Sonderzug die Beamten und Arbeiter nebst ihren Frauen hinaus nach dem Schauplatz des Festes in einem der Walddörfer der Umgegend. Auf endlosen, im Freien aufgestellten Tischen warteten Kaffee und Kuchen als erste Erfrischung. Die Herrschaften vom Verwaltungsrat und die Ehrengäste benutzten eigenes Fuhrwerk. Sie wurden erst später erwartet.

Auch Elsa Brandow war mit von der Partie. Niehuus und seine Braut hatten einen Wagen für sich; in dem anderen saß die Rätin mit ihrer jüngeren Tochter. Elsa war seelenvergnügt. Zum erstenmal wurde sie als vollberechtigt zu den Erwachsenen gezählt. Die Brust voll Sonnenschein fuhr sie hinein in den sonnigen Tag.

Der Hall von frohen Stimmen klang den Ankommenden schon weithin entgegen. Die Leute vertrieben sich die Zeit beim Spiel und allerhand Kurzweil. Wer nichts besseres zu thun wußte, sah zu, wie die Herrschaften nacheinander den Wagen entstiegen.

Kommerzienrat Tychsen war schon früher eingetroffen. Er empfing die Gäste. Als Niehuus mit seiner schönen Braut sichtbar wurde, scholl ihnen ein brausendes Hurra zur Begrüßung entgegen. Daga errötete vor Vergnügen. So hatte sie es sich gedacht. Die einzelne Persönlichkeit war ihr gleichgültig, aber die Begeisterung des Haufens that wohl. Der prächtige Anfang versprach ein wohlgelungenes Ende.

Auch Elsa errötete. Unter all den fremden Gesichtern, die vor ihr auftauchten, gewahrte sie plötzlich wohlbekannte Züge. Zwei Augen, die sie nimmer vergessen, begegneten den ihrigen. Robert Gützlaff stand in geringer Entfernung zwischen den anderen, die seine hohe Gestalt um Kopfeslänge überragte, Elsa sah das erste glückliche Aufleuchten seines Gesichts; er hatte sie wiedererkannt.

Aber plötzlich verdüsterten sich Robert Gützlaffs Züge. Und dann wendete er sich ab. Elsa glaubte den Ruck zu fühlen, so scharf war die Wendung. Mit langen energischen Schritten durchquerte er den hinteren Teil des Gartens und verschwand in dem angrenzenden Gehölz, aus welchem Spiellieder und fröhliches Lachen herüberklangen. Nicht ein einziges Mal sah er sich nach ihr um.

Elsa blickte ihm mit großen Augen betroffen nach. Was war geschehen? Statt des erwarteten Grußes, statt eines freundlichen Wortes schroffe Abkehr!

Plötzlich schlug die Röte glühend heiß in ihre Wangen. Max war daran schuld. O, über den unglückseligen Jungen! Damals, bei der ersten Begegnung, hatte er die Fabel erfunden von der »Gouvernante«, und nun durchschaute ihr Bekannter die Beziehungen. Was mußte er denken, wofür sie halten? Natürlich nahm er alles für eine beleidigende Täuschung

Elsa fühlte sich überaus unglücklich, ihr einziger Trost blieb der Gedanke, daß der Nachmittag noch recht lang sei. Im Lauf der Stunden würde sie vielleicht Gelegenheit finden, ihm einige Worte der Aufklärung zu sagen. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr neigte sie zu der Ansicht, daß sie diese Gelegenheit suchen müsse; sich selbst war sie das schuldig.

Kommerzienrat Tychsen belegte Niehuus und seine Damen sogleich mit Beschlag. Da hieß es, schnell die Toilette ein wenig ordnen, um in der Laube erscheinen zu können, welche für die Herrschaften bestimmt worden war.

Nach den Kaffee blieben die Herren allein. Von den Damen fühlten sich besonders die jüngeren nach dem Wäldchen hingezogen, dessen hohe Bäume hinter dem Garten aufragten. Wenigstens zusehen konnte man beim Spiel der Leute.

Rasch und angenehm verging die Zeit. Lilli Tychsen kam mit Daga aus dem Gehölz zurück. Unter den letzten großen Bäumen fühlte sie ein leises Zucken der schlanken Finger, die auf ihrem Arm lagen.

Daga Brandow blieb stehen. Ihre Blicke hingen wie gebannt an der Gruppe dort vorn. Elsa war es und Robert Gützlaff. Eine Strecke entfernt, inmitten des freien Platzes im Garten standen sie einander gegenüber. Von der Unterhaltung war natürlich nichts zu hören der Entfernung halber.

Lilli und Doktor Klüwer – Elsa und dieser Fremde! Immer einte sich die Kraft mit der Anmut, wie Lenz und Liebe zusammen gehören. Daga fühlte einen Stich in der Brust. Sie selbst wandelte auf anderen Wegen.

Ihre Brauen zogen sich zusammen. Wollte sie jetzt Schäferinnen beneiden? Nein! Vorwärts, weiter zum Ziel! Wer zur Höhe strebt, weidet nicht Lämmer im Thal.

Auch Lilli betrachtete die Gruppe mit vielem Interesse. »Ein stattlicher Mann … wirklich! Ueberhaupt ein schönes Paar, wie sie da stehen. Findest du nicht, daß deine Schwester auffallend viel Geschmack entwickelt für ihre Jahre? Was mag sie so eifrig zu sprechen haben? Sieh einmal!«

Daga zuckte geringschätzig die Achseln. »Was weiß ich! Irgend eine Kinderei natürlich. Aber was kümmert es uns?«

Lilli Tychsen zwinkerte listig mit den Augen. Das Necken lag ihr einmal in der Natur. »Du machst dich verdächtig, Daga. Du solltest ein Interesse nicht leugnen, das dir aus beiden Augen schaut. Wie Kinder sehen die dort drüben wahrhaftig nicht aus. Besonders er! Und sieh einmal, wie die kleine Elsa sich hält!«

 

Indessen nahm die Unterhaltung zwischen Robert Gützlaff und seiner Bekannten ihren Verlauf, Nicht ganz zufällig war es, daß ihm Elsa im Garten begegnete.

»Ich sah Sie schon, als wir ankamen, Herr Gützlaff, und gern hätte ich früher mit Ihnen gesprochen.«

Je größer das Interesse des Monteurs für die angebliche Erzieherin gewesen war, desto bitterer quoll sein Groll, als er sich getäuscht glaubte. Diese Empfindung ergriff jetzt hastig die Gelegenheit, sich Luft zu machen.

»Was könnte die Schwägerin des Herrn Niehuus dem Monteur in seiner Fabrik zu sagen haben?«

»Nicht so, Herr Gützlaff. Was haben die geschäftlichen Dinge mit mir zu thun? Und Sie selbst sprachen anders, damals, auf der Bank vor dem Steinthor.«

»Damals wußte ich auch noch nicht, wer mir die Ehre erwies, gnädiges Fräulein.«

»Nicht doch auf diese Art, Herr Gützlaff! Ich begreife ja Ihren Unmut – Max, dem dummen Jungen, stecken immer allerhand Thorheiten im Kopf, Max meinte damals, sich einen Scherz leisten zu müssen, mehr mit mir als mit Ihnen, Sie dürfen es glauben. Ich kannte Sie nicht, da war's schon geschehen, und als ich Sie kennen lernte, vergaß ich die Neckerei des Knaben. Das war mein Verschulden. Und es scheint mir wirklich nicht groß zu sein. Das wollte ich Ihnen sagen, Herr Gützlaff, um jede Möglichkeit einer Mißdeutung hinweg zu räumen.«

Robert Gützlaff begriff plötzlich nicht mehr, worüber er eigentlich gezürnt hatte. Hätte er jetzt die Hand ausgestreckt und gesagt: »Fräulein Elsa, als ich ergrimmte, war ich ein Narr, und was ich sagte, war eine Albernheit, seien Sie mir nicht böse,« so würde sie wahrscheinlich gelacht haben, doch seine Hand hätte sie genommen, und es wäre Friede geworden. Aber so sprach Robert Gützlaff nicht. Er wußte selbst nicht, welcher Dämon sich seiner bemächtigt hatte. Er redete allerhand thörichte Dinge von der Macht der Verhältnisse, die manchmal auch das Gesicht der Menschen sich ändern ließe.

Elsa sah ihn groß und staunend an. »Ich verstehe Sie nicht, Herr Gützlaff.«

»Damals hielt ich Sie für arm. Ich glaubte, Sie äßen fremdes Brot. Heute sehe ich Sie wieder auf den Höhen des Reichtums,« stieß er hervor.

»Mich?«

»Sind Sie nicht die Schwester von Herrn Niehuus künftiger Gattin? Werden Sie nicht lachen, wenn ein Mann in meiner Stellung –«

Immer größer wurden Elsas Augen. Also auch er! Auch er glaubte an die Macht des Goldes, die verbindet, was sich fliehen würde, die scheidet, was sich verwandt fühlt. Auch er vermengte Geschäft und menschliches Fühlen. Und sie war zu ihm getreten hier vor aller Welt! Sie ein Mädchen, er ein Mann! Wie wenig wußte er von dem, was Wert verlieh in ihren Augen.

Und als er mitten im Satz abbrach vor ihrem befremdeten Blick, da lösten sich die Worte eisig und kalt von ihren Lippen. »Mit welchem Recht Sie von der Verlobung meiner Schwester sprechen dürfen, weiß ich nicht. Das Recht, mich dazu in Beziehung zu setzen, haben Sie nicht, Herr Gützlaff.«

Dann folgte eine förmliche Verbeugung. Und ehe Robert Gützlaff noch den Sinn und die Tragweite ihrer Worte begriffen hatte, sah er sich allein. –

 

Am Rande des Gehölzes stand Daga noch immer Arm in Arm mit Lilli Tychsen.

»Nun, sieh bloß diese Schlußverbeugung,« sagte Lilli. »Vernichtend! Wie trübselig er dasteht und ihr nachblickt! Vollständig geknickt! Kann mir leid thun! O Elsa, woher hast du das steinerne Herz? – Komm, Daga, ich muß notwendig wissen, ob sich die Sache zum Drama oder zum Lustspiel entwickelt.«

Lachend zog Lilli die Freundin mit sich fort. Aber nahe der Laube machte Daga sich los.

»Ich möchte nachsehen, womit sich die Herren die Zeit vertreiben.«

»Mein Doktor kommt erst später,« seufzte Lilli. »Ich habe leider Zeit, mich auf eigene Hand zu amüsieren.«

Sie suchte Elsa und schob die Hand in ihren Arm. »Komm, Mädchen!« Und ohne Zeitverlust brachte sie die Rede auf das Thema, das ihr am Herzen lag.

»Wer war denn der stattliche Herr, mit dem du so viel zu besprechen hattest?«

Elsa errötete und fand nicht sogleich eine Antwort. Die Tochter des Kommerzienrats wartete eine solche auch gar nicht ab. Sie beugte den Kopf nach vorn, um Elsas Blick aufzufangen.

»Sieh mich doch mal an, Herzchen. Wer war's denn? Ihr kennt euch wohl schon länger? Mir darfst du es schon sagen.«

Elsa blieb stehen und machte ihren Arm frei. »Er hielt mich für etwas, das ich nicht bin. Und als ich ihn heute unerwartet hier sah, da schämte ich mich, Ein anständiger Mensch soll von mir nicht glauben, daß ich mich über ihn lustig gemacht habe. Das mußte ich ihm sagen.«

»Und dabei habt ihr euch ein bißchen veruneinigt?«

»Ja. Nun weißt du es, nun geh nur hin und zähle es Daga. Mich laß in Frieden!«

Sie wendete sich rasch ab. Niemand brauchte die beiden Tropfen zu sehen, die sich zwischen ihre Wimpern drängten.

Lilli gewahrte nur zu gut, was sie nicht merken sollte. Das hatte sie nicht erwartet. Betroffen sah sie der Fortschreitenden nach.

»Arme Kleine! So tief sitzt der Stachel. Und ich habe ihr weh gethan, ohne es zu wollen. Na warte nur, Elschen, ich helfe auch wieder.«



 << zurück weiter >>