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Die eine Seite des braunen Napfes nahm der dicke Erbsenbrei ein, die andere wurde von Sauerkohl ausgefüllt, obenauf aber, gewissermaßen als Schlußstein, lag das zugehörige Stück Schweinefleisch. Und wie die Bestandteile des Mahls im Napf, so mischten sich die Düfte in der Luft, daß die ganze Dachstube davon angefüllt wurde. Bevor Großmutter Neuhaus das Gefäß in den Henkelkorb stellte, umwickelte sie es sorgfältig mit einem wollenen Tuch. Das Mittagessen durfte nicht kalt werden, während sie es ihrem Enkel Robert Gützlaff auf den Arbeitsplatz hinaustrug, wo er als Monteur seitens der Niehuusschen Maschinenbauanstalt beschäftigt war.
Seufzend stieg die alte Frau die vielen steilen Treppen von ihrer Dachwohnung hinab. Mit siebzig Jahren wurden ihr die Glieder allgemach so steif, daß sie das nicht mehr zu den Vergnügungen rechnete.
Früher, ja früher, da wohnte sie bequem in der kleinen holsteinischen Landstadt zu ebener Erde in dem Häuschen, das ihr zu eigen gehörte. Früher waren auch die drei Gräber noch nicht gewesen auf dem Friedhof. Aber jetzt mußte sie froh sein, daß sie eine Zuflucht gefunden hatte in Hamburg bei dem Enkel, nachdem sie im Lauf der Jahre den Gatten zur ewigen Ruhe gebettet, und später den Schwiegersohn, Robert Gützlaffs Vater, dem ihre Tochter bald nachfolgte.
Solche Schläge treffen schwer. Großmutter Neuhaus hatte an jeder offenen Gruft gestanden, ihre Thränen waren hineingeflossen, Blumen, von ihren Händen gepflanzt, blühten darauf. Diese drei Gräber waren ihr eigen. Wo aber fand ihr Herz den vierten Hügel, den es suchte, so lange schon! Wehmütige Erinnerung, sehnsüchtige Hoffnung war alles, was ihr übrig blieb von einem Verschollenen, ihrem einzigen Sohne Georg. Früher hatte sie fest gehofft, ihn noch lebend zu umarmen. Früher war sie ja auch selber jung. Früher – ja früher!
Großmutter Neuhaus seufzte ein zweites Mal, und dieser Seufzer galt nicht der Beschwerlichkeit des Abstiegs.
Zwischen engen Wänden ging die Treppe niederwärts wie in einen dunklen Abgrund. Die Thür vor der letzten Stufe führte direkt ins Freie, aber sehr frei fühlte sich Großmutter Neuhaus nicht dort unten. Auf beiden Seiten der schmalen Straße stiegen die Häuser zum Himmel empor. Die alte Frau hob die Augen, um nach der Sonne zu sehen, das war noch eine Gewohnheit aus früherer Zeit, aber sie konnte den Kopf gar nicht weit genug in den Nacken biegen, um die hellen, warmen Strahlen zu finden, die sich nicht hinunterwagten auf die feuchte Sohle der engen Straße.
Die Umwälzungen, mit welchen der Zollanschluß Hamburgs verknüpft war, hatten ihren Abschluß noch lange nicht erreicht. Das Frühjahr 1892 fand die Leute an der »Wasserkante« wieder in fieberhafter Thätigkeit. Als Großmutter Neuhaus den Platz erreichte, wo ihr Enkel bei der Aufstellung eines Dampfkranes beschäftigt war, verkündeten Glocken und Pfeifen nah und fern den Beginn der Mittagspause.
Neben einem Steinhaufen begann das schweigende Mahl. Gesunde Jugend und tüchtige Arbeit würzen die Kost. Die alte Frau, die selbst nur wenig aß, legte den Löffel fort und sah zu, wie Robert Gützlaff den Herrlichkeiten im braunen Napf bis zum letzten Bissen volle Ehre erwies. Dann strich er mit der Hand über den kleinen Schnurrbart und blickte die Greisin mit seinen guten, klugen Augen treuherzig an.
»Großmutter, das hat wieder mal geschmeckt!«
»Bist du auch wirklich satt, Robert?«
»Ganz gewiß. Mehr durfte es nicht sein, sonst wäre ein Rest geblieben, und das magst du ja nicht.«
»Weil ich immer denke, es kann dir nicht schmecken, was eine alte Frau kocht. Ueberhaupt, was ist das für ein Leben! Kein Stuhl, kein Tisch, kein reines Tuch darüber! Auf der Erde sitzen und aus dem Napf essen statt vom Teller, wie sich's gehört! Dein Großvater war ein kleiner Handwerker, Robert, aber jeden Mittag hat er sich ordentlich zu Tisch gesetzt. Und dein Vater hat's ebenso gemacht, als er noch lebte. Hättest du nur unser kleines Haus übernommen, dann könntest du's gerade so gut haben, dann nähmst du dir eine Frau, und ich pflegte deine Kinder. Aber den ganzen Tag Staub schlucken und Dunst, das hält kein Mensch aus. Man weiß gar nicht mehr, ob's eine Sonne giebt am Himmel. Ich glaube, ich mache es hier nicht mehr lange, Robert.«
»Sag doch das nicht, Großmutter! Sollst schon sehen, es kommt eine bessere Zeit, dann leben wir herrschaftlich. Hundert Jahre kannst du alt werden bei deiner guten Natur. Aber mit der Frau für mich hat's noch gute Weile, erst muß ich was sein, eine gute Stellung haben.«
»Bist du nicht Monteur? u
»Ganz gewiß, aber genügt mir nicht. Du weißt ja, ich nehme noch Stunden abends in der Gewerbeschule. Am liebsten möchte ich einen richtigen Kursus in einer technischen Lehranstalt durchmachen. Dergleichen giebt es wohl hier in Hamburg, aber nicht in der Kleinstadt. Und was du von dem Hause gesagt hast … es ist viel besser, daß es verkauft wurde. Handwerk hat nur noch mageren Boden. War Vater nicht fleißig vom Morgen bis in die Nacht? Wie sauer ist's ihm dabei geworden! Und doch hat er nichts vor sich gebracht, Nein, Großmutter, Ingenieur will ich werden, Werkführer, vielleicht noch mehr. Herr Niehuus, unser Chef, hat auch klein angefangen, sagen die Leute.«
Die Augen der alten Frau blickten sinnend.
»Heißt dein Herr nicht Georg?« sagte sie. »Weißt du, Robert, Das berührt mich immer so eigen, wenn ich den Namen höre, Dein Großvater hieß Georg Neuhaus, und Niehuus ist dasselbe, nur plattdeutsch.«
»Na ja, Großmutter, dergleichen Namensvettern giebt's viele. Niehuus ist übrigens Holländer, so viel ich gehört habe. Ein tüchtiger Mann. Hat sich ganz von unten heraufgearbeitet.«
»Ob ich wohl von meinem Georg noch etwas höre?« spann die alte Frau ihren Gedankengang weiter. »Er wird ja lange, lange tot sein. Aber etwas Gewisses möchte ich gern vor meinem Ende haben.«
Robert Gützlaff wollte die alte Frau auf andere Gedanken bringen.
»Man hat nach mir geschickt, Großmutter, ich muß eine Stunde fort oder zwei. Komm ein Stück mit mir hinaus oder begleite mich ganz. Draußen ist mehr Luft und Sonnenschein.«
Der Weg führte über einen der hohen, langen Erdwälle aus blauschwarzem Moder, welche das niedrige Sumpfland des Hammerbrooks der Länge und der Quere nach durchschnitten. Ganz erstaunt blieb die alte Frau stehen.
»Was sollen diese Berge von Morast, Robert? Weißt du, wie das aussieht? Wie eine große, schwarz verbrannte Waffel. Und es riecht auch nicht besser.«
Robert Gützlaff lachte.
»Ganz Unrecht hast du nicht, Großmutter. Das Land hier wird aufgeschlossen für Bauzwecke. Siehst du dort die neuen Kanäle? Sie geben der Industrie, die sich hier ansiedeln soll, bequeme Verkehrswege. Der Grund, den sie da ausheben, wird in diesen hohen Straßendämmen aufgeschüttet. Hier werden später Häuser stehen.«
»Ich bin nur eine alte Frau, Robert, aber so etwas kann entschieden nicht gesund sein. Sieh nur, die Erde gärt ja beinahe. Und wie es da schwarzbraun herunterläuft am Wall! Das fließt aus dem Kanal in die Elbe, das kommt in die Wasserleitung, und das trinken wir dann.«
»Du kochst dir doch Kaffee, Großmutter!«
»Spotte du nur! Ich wollte, wir wohnten wieder in unserem kleinen Hause, dann wären wir weit fort von hier, wir hätten frische Luft und reines Wasser, und in unserer Stube glänzte heller und warmer Sonnenschein. Hier ist es ganz schrecklich.«
Die Wasserkante war damals täglich und stündlich das Ziel vieler Spaziergänger. Selbst wer es eilig hatte, nach Hause zu kommen, oder wer zum Vergnügen ging, scheute einen kleinen Umweg nicht, um die Fortschritte im Aufbauen und Niederreißen anzusehen.
Auch die drei jüngsten Kinder der verwitweten Geheimrätin lenkten nach gethaner Pflicht ihr Schritte in die Gegend, wo zahlreiche Maschinen in Lauf eines einzigen Tages die Wochenarbeit von hundert Händen verrichteten. Max Brandow, der Quartaner, interessierte sich äußerst lebhaft für alles, was mit Dampf und Rädern ging. Er wurde gar nicht müde, die größere Schwester und den kleineren Bruder überall herumzuführen, wo es etwas zu sehen gab.
Als Robert Gützlaff nach mehrstündiger Abwesenheit auf seinen Arbeitsplatz vom Vormittag zurückkehrte, fand er daselbst einen ganzen Haufen Zuschauer vor. Die Aufstellung des Dampfkrans war in der Zwischenzeit beendet worden, und alles wäre gut gewesen, wenn der Kran nun auch seine Schuldigkeit gethan hätte. Aber die Maschine setzte allen Versuchen, sie in Gang zu bringen, mit eiserner Konsequenz passiven Widerstand entgegen und rührte sich nicht.
Naturgemäß lockten die nutzlosen Bemühungen ihren Eigensinn zu brechen, immer mehr Neugierige an, und je aufgeregter sich der leitende Techniker gebärdete desto besser amüsierte sich das Publikum.
Der junge Monteur wurde von seinem Vorgesetzten mit lebhaften Vorwürfen empfangen. Er sollte bei der Aufstellung von vornherein einen Fehler gemacht haben.
Ohne ein Wort der Entgegnung nahm Gützlaff die Zeichnung zur Hand. Mit Hilf derselben durchmusterte er den Aufbau, dann gab er ruhig seine Erklärung ab.
»So weit waren wir, als ich heute mittag fortging, und hier liegt der Fehler. Die Räder sind verkehrt eingesetzt. Das Versehen ist in meiner Abwesenheit gemacht, also ich bin es nicht, den die Verantwortung trifft.«
»Natürlich, ich wußte es ja! Mit Ausreden sind Sie stets bei der Hand, dafür kenne ich Sie.«
»Was ich gesagt habe, entspricht den Thatsachen. Ausreden sind gut für den, der sie nötig hat, für meine Arbeit stehe ich ein, und meine Fehler schiebe ich auch nicht anderen Leuten in die Schuhe.«
Der Techniker brauste auf. »Was wollen Sie damit andeuten?«
»Nichts weiter, als was ich gesagt habe.«
Die beiden Männer standen sich hoch aufgerichtet gegenüber, der Techniker mit rotem Gesicht und funkelnden Augen, Robert Gützlaff vollkommen im Bewußtsein seines Rechts. Einen Augenblick herrschte tiefes Schweigen, dann zuckte es höhnisch auf in den Zügen des Beamten.
»Wenn Sie so klug sind, wie Sie gern aussehen möchten, dann bringen Sie doch die Sache in Ordnung.«
»Dazu würde vor allem gehören, daß mir keiner hineinspricht.«
»Was soll das heißen?«
»Wo ich die Verantwortung trage, übernehme ich auch das Kommando, weiter nichts.«
Der Wortwechsel hatte immer mehr Neugierige gelockt. Nach der letzten Bemerkung des Monteurs ging ein beifälliges Gemurmel durch ihre Reihen. Es blieb kein Zweifel, für wen man Partei nahm. Max Brandow nebst Bruder und Schwester befand sich unter dem Haufen. Der Quartaner, dem die Worte sehr lose im Munde saßen, gab alsbald mit jugendlichem Vorwitz seine Meinung kund.
»Da sieht man gleich, wer was kann und wer nicht.«
»Hast recht, Junge!« bekräftigte einer der Zuschauer.
Der Techniker warf einen wütenden Blich auf den kecken Sprecher. Am liebsten hätte er das Publikum fortgejagt, aber dazu fehlte ihm auf offener Straße das Recht. Auch Robert Gützlaff wendete unwillkürlich den Kopf nach der Richtung, aus welcher ihm Beifall klang. Dabei blieben seine Augen überrascht auf Elsa Brandow haften, die, purpurrot im ganzen Gesicht, den Bruder am Aermel zurückzog.
»Aber Max, willst du wohl still sein! Was verstehst denn du davon!«
So leicht war der Quartaner indessen nicht fortzubringen.
»Doch, es ist wahr, was ich sage!« Mit dem Arm, den Elsa ihm frei ließ, deutete er auf den Monteur. »Der da kann was, und der andere nichts.«
Das Publikum lachte. So schnell Elsa in tödlicher Verlegenheit ihre Schutzbefohlenen auch mit sich fortzog, die letzten Worte des ergrimmten Technikers hörte sie doch noch.
»Was Kinder und Narren reden …«
»Die Wahrheit, mein Lieber!« schallte es aus dem Haufen.
»… kommt hier gar nicht in Betracht. Sie haben die Sache verpfuscht, Gützlaff. Ich mache Sie verantwortlich, daß der Kran noch vor Feierabend funktioniert.«
Robert Gützlaff wendete sich an die Arbeiter.
»Vorwärts, Leute! Die Geschichte muß wieder auseinander bis zu der Stelle, wo wir heute mittag waren.«
An diesem Tage ereignete sich der äußerst bemerkenswerte Fall, daß Max Brandow, der Quartaner, persönlich und dringend an die Heimkehr erinnerte und zwar zu einer Zeit, die er unter gewöhnlichen Verhältnissen als »für Erwachsene vollständig verfrüht« zu bezeichnen pflegte. Er übernahm auch sogleich die Führung aus den Wallanlagen heraus. Schwesterchen Elsa lachte heimlich in sich hinein, als sie die Richtung des Weges übersah, den er mit erheuchelter Harmlosigkeit festhielt. Sie hatte ja selbst ein paarmal an den Kran denken müssen, und ob er wohl am Feierabend seine Schuldigkeit thun würde. Aber nur keine Neugierde zeigen, besonders vor Max nicht! Der Junge hatte ohnehin schon die Gewohnheit, sie mit allerhand Dingen zu necken.
Sie machte also ein höchst bedenkliches Gesicht. »Aber was ist denn das, Max, du kommst ja wieder an die Wasserkante? Das giebt einen Umweg, wenn du gern nach Hause willst.«
Der Quartaner stand alsbald still. Ganz breitspurig stellte er sich vor der Schwester auf und stemmte die Arme in die Seiten. Er sagte nichts, er sah sie bloß an, aber Elsa fand sein Gesicht so spöttisch verzogen, daß ihr das Blut glühend heiß in die Wangen stieg, zu ihrem lebhaften Aerger natürlich.
Darauf hatte Max offenbar nur gewartet.
»Thu doch nicht so! Du verstellst dich ja bloß,« sagte er mit unendlich mitleidigem Achselzucken. Dann setzte er gelassen seinen Weg fort.
Kurz vor Feierabend traf die kleine Gesellschaft in der Nähe des bekannten Schauplatzes ein. Der Quartaner mochte nicht ganz mit Unrecht fürchten, daß seine Schwester gegen eine zu große Annäherung Protest erheben würde. So wartete er eine Meinungsäußerung gar nicht erst ab, sondern lief einfach voraus. Er kam gerade zeitig genug, um zu sehen, daß der Kran sich allen billigen Anforderungen mit größter Bereitwilligkeit fügte. Der Blick des Knaben suchte den Techniker. Der Herr war nicht da. Er hatte es nicht für nötig gehalten, den Triumph des Monteurs durch seine Anwesenheit zu verherrlichen.
Robert Gützlaff erkannte Max sogleich wieder. Ein rascher Blick zeigte ihm auch das Fräulein, das mit dem kleineren Knaben in einiger Entfernung stehen geblieben war. Offenbar eine Erzieherin mit ihren Zöglingen, so deutete er die Gruppe. Das Gesicht der Dame haftete vom Nachmittag her noch fest genug in seinem Gedächtnis, vielleicht gelang es ihm, einige Worte mit ihr zu wechseln. So nickte er Max freundlich zu.
»Siehst du, mein Junge, das Ding geht.«
»Wie geschmiert!« lachte der Quartaner. »Ich hab's ja gleich gewußt. Ein Blinder konnte das sehen.«
»Na, na,« meinte Robert Gützlaff lächelnd. »Der andere Herr verstand doch auch etwas davon.«
»Ach der!« gab Max Brandow wegwerfend zurück.
Die Arbeit war gethan, die Feierglocke konnte jeden Augenblick ertönen, so beantwortete der Monteur ganz gern die neugierigen Fragen des Quartaners und erklärte ihm den Mechanismus der Maschine. Ganz frei von Egoismus war dieses Entgegenkommen freilich nicht, denn so lange der Knabe bei ihm blieb, würde das Fräulein drüben nicht fortgehen. Auch etwas Näheres ließ sich vielleicht schon erforschen.
»Der kleine Mann dort hinten ist wohl dein Bruder?«
»Ja! Das ist unser Hans! Er geht noch in die Vorschule, ich sitze schon in der Quarta.«
»Und das Fräulein ist gewiß die Erzieherin deines Brüderchens?«
Max machte ein verblüfftes Gesicht. Der Fall war drollig, so drollig, daß er alsbald entschlossen war, eine Neckerei auszuführen. Elsa eine Gouvernante! Das mußte sie wissen, daran sollte sie auch ihren Spaß haben.
In diesem Sinn fiel seine Antwort aus. »Das Fräulein dort drüben meinen Sie? Natürlich, das ist Hansens Erzieherin, Gouvernante, Hauslehrerin, alles in einer Person. O, die ist klug! Mir sieht sie auch die Schularbeiten nach. Sie können ihr gern guten Tag sagen, wenn Sie Zeit haben. Elsa heißt sie. Sie wird sich auch freuen, daß der Kran nun geht, weil Sie recht hatten, und ich auch.«
Der Arbeitsschluß entband Robert Gützlaff für diesen Tag von weiteren Pflichten. Seiner Absicht gemäß schloß er sich dem Knaben an. Unterwegs lief ihm derselbe freilich davon, aber das that nichts. Er war bereits zu nahe, um nicht die eingeschlagene Richtung festhalten zu müssen.
Indessen weihte Max die Schwester hastig flüsternd in die Sachlage ein. »Elsa, er denkt, du bist Hansens Gouvernante. Sag's ihm nicht anders, ein Hauptspaß wird das!« Dann machte er dem kleineren Bruder eine Faust. »Und du, Hans, wenn du was sagst, dann sollst du mal sehn!«
Elsa beglückwünschte den Monteur zu seinem Erfolge, daneben schalt sie auf Max, der immer vorwitzig wäre und allerhand Thorheiten im Kopf hätte. So machte sich's ganz von selbst, daß man im Plaudern nebeneinander fortschritt. Robert Gützlaff zeigte sich vollkommen unbefangen. Elsas kleidsames, aber sehr einfaches helles Waschkleid paßte so ganz zu seiner Meinung über ihren Stand und Beruf, daß er keine Veranlassung sah, dieselbe einer Nachprüfung zu unterwerfen. Da er indessen der Beziehungen des Fräuleins zu den beiden Knaben mit keiner Silbe Erwähnung that, so fand Elsa ihrerseits wiederum nicht die geringste Gelegenheit, die irrige Ansicht ihres Begleiters richtig zu stellen.
Als man die Anlagen vor dem Steinthor erreichte, fand der Quartaner ganz plötzlich, es wäre »für Erwachsene völlig verfrüht«, um diese Stunde nach Hause zu gehen. Sein schneller Aufbruch vorhin hatte eben einem ganz besondern Zweck gegolten, und der war erreicht. Elsa sah gleichfalls keinen Anlaß, den Aufenthalt im Freien vorzeitig abzukürzen. So nahm sie denn auf einer der Ruhebänke Platz, die auf beiden Seiten der belebten Promenade zur Bequemlichkeit der Spaziergänger aufgestellt waren. Als Robert Gützlaff um Erlaubnis bat, sich gleichfalls setzen zu dürfen, hatte sie keinen Grund und nicht einmal das Recht, ihm einen Platz zu verweigern. Man plauderte angelegentlich weiter. Für Elsa bot sich ja so selten Gelegenheit, sich mit interessanten Herren zu unterhalten. Und Robert Gützlaff erschien ihr trotz seines einfachen Rocks höchst interessant.
Als die Geschwister nach Verlauf einer Viertelstunde den Heimweg antraten, blieb der Monteur zurück. Es that ihm leid, aber er durfte nicht aufdringlich scheinen. So sah er den Fortschreitenden nach, bis das Laubwerk sie seinen Blicken entzog. Ueber eines war er sich indessen vollständig klar geworden: die Vorstellung, welche er sich bisher von Wesen und Weise einer Erzieherin gemacht hatte, bedurfte ganz dringend der Korrektur. –
Max Brandow wußte sich kaum außer Hörweite, als er sich nach Knabenart an den Arm der Schwester hing.
»Du, Elsa!«
»Was denn, Max?«
»Wie gefällt dir denn der Monteur, Elsa?«
Elsa wurde rot und suchte sich ärgerlich von ihm loszumachen.
»Frag nicht so dumm, Max! Was giebt es da zu gefallen?«
Der Quartaner hing sich noch fester an sie.
»Er gefällt dir, Elsa, ich hab's an deinen Augen gesehen. Und du gefällst ihm auch.«
Sie entrüstete sich jetzt ernstlich. »Nun schweig aber still, dummer Junge. Da hört doch wirklich alles auf!«
Der Unverbesserliche hielt ihren Arm nunmehr mit beiden Händen fest.
»Kannst dich drauf verlassen, Elsa. Aber dumm ist er doch.«
»Wieso?«
»Daß er dich für eine Gouvernante ansehen kann, ist furchtbar dumm. Aber du gefällst ihm auch so.«
»Wenn du jetzt nicht endlich still bist, dann sollst du mal sehn!« rief Elsa empört.
Der Quartaner sah ihr übermütig in die Augen.
»Wahr ist es doch. Lache mal, Elsa!«
Und sie lachte wirklich, trotz ihres Aergers.