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Im Januar 1884 – wenige Monate, nachdem Jarmann mich besucht hatte – kamen eines Abends Helmer und mein Bruder Henrik in seine Wohnung, um ihn eine von ihm verfaßte Skizze »Aprilwetter« vorlesen zu hören. Er hauste noch in seiner alten, kleinen, auf den Hof hinausgehenden Wohnung. Die Gardinen waren herabgelassen, die Lampe war angezündet, und sie saßen alle drei an dem Tisch am Fenster, Jarmann zwischen den beiden andern. Jarmann nahm das Manuskript aus dem Tischkasten und las, etwas deklamierend, Folgendes vor:
»Er war zu Hause.
Wäre es nicht zu einer solchen Tageszeit gewesen – es war gegen zwei Uhr nachts – so würden es die Leute sicher bemerkt haben. So oft war er nun auf den Bürgersteigen dahingeschlendert, hatte solange an Straßenecken gestanden, in Restaurants am Fenster gesessen, daß, wenn man ihn nicht irgendwo an diesen Orten fand, die Löwen der Karljohannstraße, unwillkürlich gefragt hätten: »Was in aller Welt ist denn aus ihm geworden? ... er ist doch nicht etwa gehimmelt, hahaha!«
Unsere kleinen und großen Fräuleins, die Tag für Tag die lebendige Dekoration der Karljohannstraße bilden, sagten nichts. Sie ärgerten sich nur in aller Ehrbarkeit darüber, daß sie um das Vergnügen gebracht wurden, unter seinen unkeuschen Blicken zu erröten.
Er lag jetzt auf dem Sofa mit halbverschlossenen, stieren Augen – und so hatte er über eine Stunde dagelegen.
Im Bette lag ein Weib und schlief. Das eine ihrer Beine war über den Bettrand hinausgeglitten, der Oberkörper auf die andere Seite hinüber an die Wand gebogen. Von ihrem Kopfe, den die Arme umschlangen, sah man nur den schmutziggelben, halbgelösten Haarknoten im Nacken.
Das Zimmer war eines jener ungemütlichen, mit hergebrachten Möbeln ausgestatteten Garçonlogis mit eigenem Eingang, wie man sie in anständiger Gegend der inneren Stadt für zwanzig Kronen monatlich mieten kann.
Man konnte zwar erkennen, daß hier kleine Versuche zu Arrangements unternommen worden waren. Es war aber nichts daraus geworden. Man hatte keine Lust mehr gehabt ... war nicht mehr dazu imstande gewesen; man hatte die Arbeit halbfertig aufgegeben.
Ein paar, in Samt und Seide gestickte Kissen und einige kleinere Nippesgegenstände verrieten, was gute Herzen in stillen Stunden für die tun, die sie lieb haben. – An einem Türhaken hing sein abgetragener Schlafrock.
Wie ein Kontrast aber oder richtiger wie ein Protest, der die Harmonie in dieser Zusammenhanglosen, unfertigen Einrichtung durchbrach, wie ein Protest gegen die Schlaffheit dessen, der dort auf dem Sofa lag, gegen seine Blässe, gegen seinen erloschenen Blick, ja auch gegen seinen eleganten Dandy-Anzug und seine etwas geleckte Toilette – standen ein paar Porträtbüsten der modernen Vorkämpfer unseres Jahrhunderts da. Die derben, von Arbeit und Willen hart gemeißelten Züge traten scharf hervor in dem gedämpften, das Zimmer aber völlig erfüllenden Licht, das von der Hängelampe mit dem dicken, matten Glas herniederfiel.
Er liebte dieses Licht. Es war wie ein weißer, zarter Schleier. Es genierte die Augen nicht. Im Gegenteil – er hätte gewünscht, mit ganz offenen Augen schlafen zu können.
Sein Blick streifte zufällig das Bett, und sofort rief er in nicht gerade sanftem Tone: »Mathilde!« Das Frauenzimmer drehte sich um, wobei sie das hinabgeglittene knie ins Bett zog, und zeigte ein rotglühendes Gesicht mit einem Paar kleiner, stechender, verstörter Augen, die sie einen Augenblick auf ihn zu richten versuchte.
Dann legte sie sich ruhig wieder hin.
»Verfluchtes Frauenzimmer!« murmelte er und rief dann wieder laut und hart: »Mathilde! Hörst du! Steh' auf und mach', daß du fortkommst! Ich will mich jetzt hinlegen.«
Sie antwortete nichts, richtete sich aber im Bette auf, glättete ihr Haar, das ganz in Unordnung gekommen war, ein wenig und fing langsam an, ihr Leibchen zuzuschnüren. Dann stand sie auf, immer noch, ohne ein Wort zu sprechen, holte ihre Stiefel herbei, zog sie an, brachte das Bett einigermaßen in Ordnung und machte vor dem Spiegel Toilette – alles schläfrig, langsam und ohne ihn jemals anzusehen.
Endlich war sie fertig. Dann ging sie zu ihm und streichelte ihm das Haar: »Willst du mir nun aufschließen?«
»Hier hast du den Hausschlüssel, dann kommst du wohl ohne mich zurecht!« – Damit warf er den Schlüssel auf den Tisch.
»Soll ich morgen abend wieder zu dir kommen?« sagte sie, während sie den Schlüssel in die Tasche steckte.
»Ja, komm nur,« antwortete er, ohne seine Stimme oder seine Lage zu verändern.
»Also adieu, mein süßes Schnutchen!« sagte sie zärtlich und wollte ihn küssen.
Er aber wehrte ab: »Ich hab' dir schon gesagt, daß du das bleiben lassen sollst,« und stieß sie fast brutal von sich weg.
Darauf tastete sie sich die Treppe hinunter, und er hörte, wie die Haustür aufgeschlossen wurde und wieder ins Schloß fiel. –
Er blieb noch eine Zeitlang liegen. Endlich schien er sich erheben zu wollen, blieb jedoch wieder sitzen das Gesicht zwischen den beiden Händen und die Ellenbogen auf den Tisch gestützt. Er holte schwer Atem, und dann klang es halblaut wie ein Seufzer: »Und da sagt man, das Leben sei das höchste Glück!«
Darauf duselte er weiter.
Auf einmal aber fuhr er empor, schlug auf den Tisch und schrie beinahe: »Eine verdammte, höllische Lüge ist es, wie alles andere auch!« – Und er ging mit schnellen, nervösen Schritten im Zimmer auf und ab ...
... Mir sagen zu wollen, was das Leben ist?! ...
Ich weiß, was es ist; ich habe den Schmerz gefühlt, den es gibt! ... Ich habe den Haß gefühlt, den es gibt! ... Arbeite – arbeite! heulen mir alle Stümper in die Ohren. – Wenn ich nun aber nicht kann! – Und wenn das ihre Schuld ist! – Denn in der Richtung arbeiten, in der sie wollen, das mag ich nun einmal beim lebendigen Gott nicht! ...
Ich halte mich einfach für zu gut dazu!
Und für das zu arbeiten, was ich will, wonach ich ein Verlangen habe – das haben sie mir zu einer Unmöglichkeit gemacht – dazu haben sie mir den Weg versperrt ...
Ach, und die Lebenskraft, die ich hatte! ... Und wäre es nur ich allein! – Wir sind es eben alle, wir Jungen mit dem wärmeren Blut, mit der feineren Intelligenz, die wir ein über den Tag hinausreichendes Verständnis haben – für das Glück, für den Reichtum, für den nie zuvor geahnten Lebensinhalt, den die Freiheit überall verbreiten würde, wenn sie in allen Verhältnissen in alle ihre Rechte eingesetzt würde, so wie sie, wie wir es verlangen können! Uns töten sie, uns martern sie zu Tode, uns jagen sie in tatenloses Nichtstun und Schweinerei hinein – und zwar deswegen, weil sie mit allen ihren guten Köpfen nicht einsehen, was die Freiheit ist ...
Tod und Teufel! Ihr dickhäutigen Stümper, ihr solltet wissen, wie ich euch hasse! – Und indem ein boshaftes Lächeln über sein Gesicht huschte, fing er nach einer bekannten Melodie an zu singen, wie man singt, wenn es einem von Herzen kommt:
Der Teufel mag euch holen!
Erst als ihm die Stimme versagte, hörte er auf. Der Refrain klang ihm aber immer noch unbehaglich in den Ohren. – Ihm wurde schwindlig, und er sank auf einen Stuhl neben dem Bette nieder. Er fuhr sich müde mit der Hand über die Stirn; er spürte, wie kalt und feucht sie war.
»Ach, ich bin krank,« sagte er.
Und nach einiger Zeit sprach er in einem heiseren, gleichgültigen Tone, als ginge ihn das, was er sagte, gar nichts an: »Übrigens ist es nicht bloß ein Vergnügen, wenn man genötigt ist, so zugrunde zu gehen wie ich. – Aber, Herrgott, meinetwegen –: auf einem christlichen Friedhof müssen wir doch einmal alle verfaulen ...
Was ist das Leben? – Ein Zufall! – Und wir? – Produkte der Geilheit zweier Menschen! – Das ist alles ...
Könnte man nur auf eine bequeme Art von hinnen kommen ... das macht ja aber auch eine solche verdammte Scheererei – ich mag es geradezu nicht ...
Oder könnte ich nur klar denken ... es kommt mir aber alles durcheinander ... ich bin nicht imstande es auseinanderzuhalten ...
Es muß am Gedächtnis liegen. Das ist weg. Weg ist ja außerdem alles andere auch. Was hab' ich noch von Gefühlen übrig? – nichts – und ich kümmere mich um nichts. – Ach, mir wird so übel. Es muß schlechte Luft im Zimmer sein ... natürlich sind es diese Frauenzimmer, die diese ekelhafte Luft überallhin mitbringen ...
Und er stand auf, ärgerlich, sich eine Anstrengung machen zu müssen, gegen die er sich gesträubt hatte, schob den Vorhang beiseite, öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus –
Wie das abkühlte! ... Wie er atmen konnte – die reine Frühlingsluft ergoß sich über ihn wie kalte, kitzelnde Wasserstrahlen. Es war wie ein Bad in klarstem Wasser; er fühlte, wie die Luft die Lunge reinigte, wie sie die Brust füllte – und er trank sie in langen Zügen ...
Er blieb lange im Fenster liegen ... nur genießend sich gedankenlos, ziellos ganz und gar dieser großen zärtlichen Umarmung von Luft und Raum hingebend.
Allmählich verschwand jedoch das Unbestimmte, es tauchten Bilder auf, Eindrücke in konkreteren Formen. Das Gehirn begann gleichsam von selber zu arbeiten, und – er nahm sich zusammen und schloß das Fenster; ging dann ein paarmal im Zimmer auf und ab, richtete sich auf, während ein zufriedenes, beinahe herausforderndes Lächeln seine Lippen kräuselte, rieb sich die Hände, schnipste mit den Fingern – stellte sich dann vor den Waschtisch und tauchte den Kopf in das gefüllte Waschbecken.
»Herrlich!« sagte er und schnalzte mit der Zunge, während er den Kopf hob, und das Wasser von seinem triefend nassen Gesicht plätschernd wieder ins Waschbecken hinabrann. – Nachdem er sich sorgfältig abgetrocknet und Toilette gemacht hatte, ging er wieder in die Mitte des Zimmers und stellte sich dann auf einmal vor den Spiegel. Mit froher Neugier trat er ganz nahe an ihn heran, so nahe als er konnte. Er betrachtete sich aufmerksam, ernsthaft, mit Behagen bei jedem Zuge verweilend: die Augen, deren Pupillen sich erweitert hatten und in eigentümlichem Glanze schimmerten – die Lippen, die mehr die eines Weibes als die eines Mannes waren – die weißen, begehrlichen Zähne – den schlanken, weichen Hals.
»Ja, ich bin schön,« sagte er, kehrte sich rasch um und warf sich flott mit gekreuzten Beinen in den Schaukelstuhl. Er betrachtete seine Hände, die blauen Abbilder der Adern unter der Haut verfolgend, nahm sein Federmesser und begann, seine Nägel zu putzen ...
... Gewiß war er schön – und das war ein Unsinn, daß er kraftlos wäre. Er kniff die Augen zusammen – suchte in seinem Gedächtnis nach einigen alten Jahreszahlen und Namen und fand sie wirklich.
Er lächelte: sein Gedächtnis war ja also gut genug. – Und war er nicht im Bunde mit allen guten Mächten in der Gesellschaft! War er vielleicht nicht verwandt mit diesen scharfhörigen Geistern, in deren Seele der Schmerz und der Jubel der Völker zittert! War er nicht der freigewordene Mensch – das reife Kind seiner Zeit, einer Zeit, deren Losung der Fortschritt, die Freiheit und die Wirklichkeit ist? – Man mußte, so wie die Welt nun einmal war, nach einer Aufgabe Umschau halten – das andere war, im Grunde genommen, ungesund und unwahr. Es kam darauf an, irgendwo Hand anzulegen, und er wollte schon mittun. – Er sah auf: ich hätte beinahe Lust, noch heute nacht anzufangen – bin brillant aufgelegt! – Ich bin aber müde. Es wird mir gut tun, zu schlafen; dann stehe ich morgen frühzeitig auf, und dann – fangen wir an! ... Mathilde ... ja, sie wird freilich auch morgen kommen ... Ah bah! ich werde sie schon, wie die andern, aus dem Hause hinausexpedieren – wenn ich will!
Dann versetzte er sich einen kleinen energischen Schlag auf den Schenkel, stand auf und begann sich langsam zu entkleiden.
– – – Es war nach elf Uhr, als er am andern Morgen erwachte. Er rieb sich die Augen und sah sich im Zimmer um – da stand mit einem Male die ganze Szene von gestern abend klar und deutlich vor seinen Augen. Er lächelte und zuckte die Achseln. Dann hängte er die Beine über den Bettrand hinaus, stützte sich mit den Händen auf die Schenkel, sah zerstreut ins Leere und murmelte schlapp vor sich hin: »Tja! Was zum Kuckuck sollen wir heute anfangen? ...«
Jarmann legte das Manuskript auf den Tisch und sah seinen Kameraden an: »Na, was sagt ihr dazu?«
»Es ist gut!« sagte Henrik.
»Ja, wahrhaftig!« rief Helmer, »du kannst wirklich Schriftsteller werden.«
»Das glaube ich selber auch,« sagte Jarmann stolz, stand dann auf und ging eine Weile nervös im Zimmer auf und ab, als wenn er über etwas nachdächte.
»Ja, nun will ich leben, zum Teufel!« rief er schließlich, stampfte mit den Füßen und sah die beiden andern glücklich lächelnd an.
Etwa acht Tage später kam Jarmann früh am Abend zu mir. Ich lag im Wohnzimmer auf dem Sofa und las.
»Na,« sagte ich, wie er hereintrat, »ich höre, du hast etwas gefunden, was dir Spaß macht. Du willst ja Schriftsteller werden!«
Er zuckte mit den Achseln, legte Mantel und Säbel ab und blieb mitten im Zimmer stehen. »Ja,« sagte er, »ich habe eine kleine Skizze geschrieben und hege die Absicht, noch eine zu schreiben.«
»Hast du die, die du geschrieben hast, bei dir?«
»Nein.«
»Ach, hole sie dann! Du brauchst ja nur über die Straße zu gehen, und ich möchte sie sehr gern hören.«
Er tat, was ich sagte, setzte sich mir gegenüber in den Lehnstuhl und las – – –
Wie es mir gefiele, fragte er.
»Ganz gut,« sagte ich und fragte, ob er die Skizze drucken lassen wollte.
Das wollte er zunächst nicht. Zu Weihnachten aber wollten er und Woll eine Sammlung Skizzen zusammen herausgeben, und da sollte sie mit veröffentlicht werden. Übrigens hätte er sie auch dem Professor SkavlanDem vor einiger Zeit verstorbenen norwegischen Literarhistoriker. vorgelesen.
»Nun, und was sagte er?«
»O, er war sehr liebenswürdig; was er aber sagte, war recht dumm!«
»Na?«
»Ja,« sagte Jarmann. Und dann erzählte er mir Folgendes: Er hatte den Professor besucht und ihn gefragt, ob er so liebenswürdig sein wollte, sich eine Skizze vorlesen zu lassen, die er geschrieben habe. – »Jawohl,« sagte der Professor, es würde ihm ein Vergnügen sein – »bitte!« Und er lud ihn ein, auf einem Stuhl am Fenster Platz zu nehmen, während er sich selber an den Schreibtisch setzte.
Jarmann las die Skizze vor und blickte dann Skavlan fragend an.
»Ja,« sagte der Professor, »das ist nun die Schattenseite des Lebens.«
»Ja!«
»Kennen Sie die?«
»Ja!« Er sagte das in einem brüsken Tone und stand auf. Es gefiel ihm nicht, daß die Sache in dieser Weise behandelt wurde.
Der Professor stand ebenfalls auf und sagte, während er ihn bis zur Türe begleitete: »Es ist nicht ohne Talent, was Sie geschrieben haben; aber ich rate Ihnen, wenn Sie wieder etwas schreiben, mehr die Lichtseiten des Lebens zu behandeln.«
»Und wenn ich nun die Lichtseiten des Lebens nicht kenne?« fragte Jarmann, stehenbleibend – sie waren schon draußen im Korridor.
»Na ja. Sie brauchen sich ja nicht gerade an die Wirklichkeit zu halten, komponieren Sie, komponieren Sie!«
Jarmann dankte dem Professor für seine Freundlichkeit und ging. –
– – Ich lachte.
»Ja, was sagst du dazu?« sagte Jarmann.
Ich schüttelte nur den Kopf: »Du fragtest ihn nicht, ob er die Skizze in seine Zeitschrift aufnehmen wollte?« fragte ich nach einer kurzen Pause.
»Nein, auf die Weise bekam ich ja dazu keine Gelegenheit« – und er schaukelte sich auf und ab und sah zu Boden.
»Du!« sagte ich nach einer Weile, »im Grunde genommen ist es ganz gut, daß sie nicht hineinkommt.«
»Wieso?« fragte er, aufblickend.
»Ach, siehst du, du würdest bloß Ärger davon gehabt haben. Was du beim Niederschreiben gefühlt hast, das können wohl deine Freunde, die dich kennen, verstehen, wenn du es ihnen vorliest; niemals aber das Publikum. Dem Publikum fehlen die Voraussetzungen – und die gibst du ja in der Skizze nicht.«
Er sah eine Zeitlang vor sich hin. Dann sagte er: »Du magst recht haben. Im Grunde habe ich selber ein Gefühl davon gehabt; als ich die Skizze schrieb, versuchte ich etwas über die sozialen Verhältnisse mit hineinzubringen – es ging aber natürlich nicht. Ich mußte es aufgeben.«
»Das würde auch wenig geholfen haben. Aber höre, ich habe, seitdem du das letztemal hier warst, auch etwas gefunden, was mir Spaß macht. Ich beabsichtige, einen Roman zu schreiben, dessen beide Hauptpersonen wir sind. In den würde deine Skizze gut hineinpassen. – Und dort werden alle Voraussetzungen gegeben werden. – Willst du sie nicht dort hinein haben?«
»Ja, freilich.«
»Ein Mann, ein Wort?«
»Ja.«
»Gut. – Was ist das aber nun für eine andere Skizze; die du schreiben willst?«
Es war eine kleine Situation: seine Begegnung mit Fräulein Bamberg. Er erzählte sie mir aber so schlecht, daß ich ihn, als er fertig war, fragte: »Es ist aber doch nicht etwa nur deswegen, um das Geilheitsgefühl zu beschreiben, das du empfandest, als du vor ihr standest ... Du wolltest die Skizze doch nicht etwa nur deswegen schreiben?«
»Nein, eigentlich nicht nur deswegen« – er kratzte sich hinter dem Ohr – »im Grunde genommen,« sagte er dann später, »ist es eigentlich doch nicht mehr.«
»Das ist wenig!«
Etwa einen Monat später kam Jarmann eines Nachmittags wieder zu mir.
Ich war krank und lag in dem kleinen kaffeebraunen Schlafzimmer mit den dunklen Vorhängen. Es war schon dunkel. Die Gardinen waren herabgelassen. Die Lampe brannte am Kopfende des Bettes und ich las.
Er setzte sich auf den Bettrand. »Du,« sagte er, »ich habe jetzt zu der Skizze, von der ich sprach, einen Entwurf gemacht und einen Rahmen dazu gefunden – das muß ich dir erzählen.«
Er wußte den Entwurf fast auswendig und sagte ihn her: Wie er in das Haus des Direktors gekommen wäre; wie er sie dadurch getäuscht hätte, daß er tagsüber bei den Büchern saß und tat, als ob er studierte, während er des nachts aus dem Fenster kletterte und sich in die Stadt schlich; wie ihn Fräulein Bamberg, die zu verstehen schien, wie es mit ihm stand, an einem lauen, warmen Nachmittag deutlich eingeladen hätte, sich bei ihr zu versuchen, und wie dann gerade im entscheidenden Augenblick der Direktor sich auf dem Korridor bemerkbar gemacht und er in kindlichem Schrecken, von ihrem spöttischen Gelächter verfolgt, aus der Stube geflohen, auf sein Zimmer gestürzt wäre und sich dann schluchzend auf das Bett geworfen hätte.
»Ich kann nicht finden, daß das für sich allein etwas ist,« sagte ich, als er fertig war.
Er wurde etwas stutzig: »Es ist aber doch ein Stück meines Lebens,« sagte er.
»Ja, dann füge es doch in Gottes Namen in die Geschichte deines Lebens ein, da, wo es hingehört. – Sonst sagt das Publikum: ist es weiter nichts?«
Er sah zu Boden: »Ja ich kann aber meine Lebensgeschichte nicht schreiben!«
»Weshalb nicht?« Er schüttelte den Kopf: »Ich sehe keinen Zusammenhang darin – ich fühle nur, daß ein Zusammenhang da ist, aber ich verstehe ihn nicht.«
»Dann geh' doch deine Erinnerungen durch und denke nach! Ohne zu denken, wird man freilich nicht Schriftsteller.«
Er zuckte die Achseln: »Ich kann ja nicht denken! Das ist es ja gerade!«
»Dann wird auch nie viel aus dir werden.«
Er starrte eine Welle vor sich hin. »Nein,« sagte er schließlich, »es ist doch wohl Unsinn! Henrik und Helmer, Woll und Johnsen hat es übrigens gefallen.«
»Die fühlen, wie du, den Zusammenhang. Die kennen dich und haben daher die Voraussetzungen. Andere Leute, das Publikum, haben sie nicht, und deshalb werden sie die Skizze wegwerfen und sagen: Ist es weiter nichts?«