Hans Jäger
Kristiania Bohême
Hans Jäger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXIV.

Mehr als zwei Jahre waren vergangen. Es war im Sommer des Jahres 1876.

Das Jahr vorher war ich Storthingsreferent geworden und hatte die Reifeprüfung für die Universität bestanden. Dann hatte ich aber, anstatt das zweite Examen zu machen und mit dem Studium der Philologie zu beginnen, mich angeschickt, Philosophie zu studieren. Ich wollte nicht länger die Zeit damit totschlagen, daß ich alle möglichen Romane las, ich wollte das Rätsel des Lebens lösen, wollte den Zweck des Daseins und die Bestimmung des Menschen ergründen; vielleicht war das: seine Bestimmung als Mensch zu erfüllen, etwas, was mich befriedigen konnte.

Ich studierte im Wesentlichen Hegel. Es ging aber mit der Arbeit nicht recht vorwärts. Es kam keine Ordnung hinein; denn ich verstand nicht das geringste von dem, was ich las; und es konnten ganze Wochen vergehen, in denen ich nur entweder schlapp auf dem Sofa lag und mit dem Gefühl absoluten Unvermögens zur Decke starrte oder auch bummelte und bei Branntwein und Frauenzimmern das Ganze zu vergessen suchte.

An einem Abend im Juli hatte ich wieder einmal Hegel beiseite geworfen und war ausgegangen. Ich hatte bis gegen zwölf Uhr ganz einsam im Grand-Hotel gesessen, ein paar Glas Grog getrunken und war dann auf die Karljohannstraße gegangen, um mir ein Weib zu suchen. Ich hatte aber kein Geld, und es war mir nicht gelungen. Da hatte ich es denn aufgegeben und wanderte nun langsam heimwärts.

Wie ich aber so ging, ohne an irgend etwas zu denken, hörte ich plötzlich unmittelbar hinter mir kleine schnelle Schritte; ich kehrte mich um; es war ein Weib. Ich konnte in der hellen Sommernacht deutlich ihr Gesicht sehen: eine breite, weiße Stirn unter lockigem, aschblondem Stirnhaar, eine schmale, beinahe scharfe Nase zwischen zwei breiten ägyptischen Augen, dünne Lippen und ein unbedeutendes Kinn. Das ganze Gesicht nicht eigentlich schön, aber eigenartig und pikant. Der Teint außergewöhnlich zart und fein.

»Guten Abend!« sagte ich.

»Guten Abend!« sagte sie unbefangen und sah mir keck ins Gesicht.

»Wohin geben Sie?«

»Nach Hause natürlich.«

»Zu mir oder zu Ihnen?«

Sie lachte: »Zu Ihnen, wenn es nicht zu weit ist.«

Sie fand, daß meine Wohnung nicht zu weit entfernt war, legte ihren Arm in den meinen, und wir begaben uns auf meine Bude.

Dort herrschte Halbdunkel. Wir zündeten die Lampe nicht an. Sie legte den Hut ab und setzte sich aufs Sofa. Ich holte eine Flasche Sherry und zwei Gläser, setzte mich, den Arm um ihre Schulter, neben sie aufs Sofa und schenkte ein. Sie lehnte sich, während wir tranken, in meinen Arm zurück.

»Wollen Sie die Nacht bei mir bleiben?« fragte ich, als wir getrunken hatten.

Sie richtete sich auf und sah sich im Zimmer um. »O ja,« sagte sie dann, »hier läßt sich's ganz gut aushalten.« Und dann lachte sie, warf sich wieder in meinen Arm zurück, blieb so liegen und sah mich an.

»Küsse mich!« sagte sie dann.

Ich küßte sie. Sie blieb, den Kopf schlaff in meinen Arm zurückgelehnt, liegen und sah mich an. Und allmählich war's, als legte sich ein Schleier um ihre Augen, der Mund öffnete sich allmählich und ließ die weißen Zahnreihen sehen. Das Gesicht bekam einen dämonisch-sinnlichen Ausdruck.

Und wie ich auf dies Gesicht hinabsah, ergriff mich wieder diese alte Sehnsucht: und wäre es nur für eine einzige Minute, mich ganz hingeben zu können, über sie hinzusinken und alles zu vergessen. – Und mein ganzes elendes Leben lag auf mir wie eine schwere drückende Last –: Ach, nur eins einzige Minute! ... nur eine einzige Minute leben und dann sterben! – Es wäre mit dem Tode nicht zu teuer bezahlt ... Und ich starrte mit weit offenen, glänzenden Augen in die ihren ...

Bis sie plötzlich auffuhr. Der sinnlich überwältigte Ausdruck in ihrem Gesicht war geschwunden, sie packte mich bei den Schultern und sah mir gerade ins Gesicht: »Was fehlt Ihnen denn? – Sie sehen ja aus, als hätten Sie einen großen Kummer!«

»Ja,« sagte ich langsam, »ich habe auch einen großen Kummer –: ich bin ein alter Mann, und ich würde mein Leben dafür geben, wieder jung zu sein – nur auf eine kurze Sekunde.«

Sie lachte. »Ach,« sagte sie ungläubig, »sind Sie zwanzig Jahre alt?«

»Zweiundzwanzig.«

»Zweiundzwanzig?« Sie nahm eine tragikomische Miene an und schüttelte bedenklich den Kopf. »Das ist ein sehr hohes Alter!«

Ich lächelte. »Nein,« sagte ich. »Die Jahre sind es nicht. Es ist hier drinnen« – ich zeigte auf die Stirn – »hier drinnen bin ich nicht zweiundzwanzig, sondern dreiundsechzig Jahre alt. – Na, aber zum Teufel damit ... Prosit! Du bist ein reizend süßes Mädchen und willst heute Nacht bei mir altem Teufel bleiben.« – – –

Sie lag neben mir in meinem Arme, und ich sah ihr ins Gesicht. Da blickte sie zu mir auf: »Du!« sagte sie, »du hattest doch recht: ein junges Mädchen darfst du nicht heiraten.«

»Nein, weder ein junges noch ein altes ... ich bin ein Greis ... ich liege da und denke, anstatt daß ich überwältigt würde.« Und ich blieb liegen und sah zur Decke hinauf.

Nach einer Weile sah sie mich wieder an: »Du,« sagte sie, »ich habe dich doch gern ... du gefällst mir, ich weiß selber nicht, weshalb, aber ... Ach!« – sie schlang die Arme um meinen Hals und küßte mich – »du weißt gar nicht, wie gern ich dich habe.«

»Wirklich?« – Ich wurde ganz gerührt.

»Ja.« Und sie schmiegte sich mit einer katzenartig zärtlichen Bewegung an mich.

Da erfaßte mich mit einem Male eine sinnliche Raserei. Ich warf mich über sie und küßte ihr Gesicht; ihre Schulter, ihre Brust, erwiderte ihre katzenartigen Bewegungen und krümmte mich in Wollust unter ihrer Umarmung ...

»Siehst du,« sagte sie, als ich wieder neben ihr lag, »ehe die Nacht vergeht, hab' ich dich wieder ganz jung gemacht.«

Ich lächelte: »Ach, wenn du das könntest!«

– – – Es war schon lange hellichter Tag, wir hatten aber kein Auge zugetan. Einige Male war ich aufgestanden, hatte Kaffee gekocht und ihn ihr ans Bett gebracht, zuerst mit Makronen und Kakes, später mit Kognak und Zigaretten. Und sie war ungemein liebenswürdig gewesen. Dann war es nach fünf Uhr morgens geworden, und sie sollte um sechs an die Arbeit.

Sie sprang behend aus dem Bette, setzte sich auf den Bettrand, beugte sich über mich und küßte mich. »Habe ich dich nun nicht wieder jung gemacht? Oder hast du nicht schließlich gezeigt, daß du jünger bist, als der jüngste Mann der Welt?« Und dann lachte sie und kitzelte mich am Halse.

Ich schlang die Arme um sie und zog ihren Kopf zu mir herab. »Du hast dich aber auch als das reizendste von allen reizenden Mädchen der Welt gezeigt,« sagte ich und küßte sie ...

Dann kleideten wir uns beide an und wanderten zusammen in die reine, frische Morgenluft hinaus ...

Beim Abschied gab ich ihr für den Abend wieder ein Stelldichein. –

Als ich wieder nach Hause kam, hatte ich nicht das geringste Schlafbedürfnis. Ich zündete eine Zigarette an und nahm in der Sofaecke wieder meine gewöhnliche Stellung ein; den Ellenbogen auf der Sofalehne ruhend, den Kopf auf die Hand gestützt, die Beine unter mich heraufgezogen. So saß ich und blies eine große Wolke blauen Zigarettenrauches um die andere in die Luft ...

Ich fühlte mich merkwürdig leicht und behaglich – wirklich, als wäre ich wieder jung geworden!

Dann mußte ich lächeln. Sie bildete sich ein, mich wieder jung gemacht zu haben ... bildete sich ein, daß sie mich schließlich ganz und gar, mit Leib und Seele, in Besitz genommen habe. Ach, und dabei war es nichts anderes als die animalische Wärme und die unablässige physische Irritation: diese beiden Momente hatten schließlich dieselbe physische Wirkung auf mich ausgeübt, die auf einen normalen Menschen das psychische Ergriffensein ausübt ... Wirklich ergriffen zu werden ... und dann sich ganz, mit Leib und Seele, hinzugeben – ach, das war etwas qualitativ anderes. – Das vermochte ich aber nicht. Ich war einfach psychisch impotent auf diesem Gebiete wie auf jedem anderen ... Und noch dazu, wo hier meine physische Jugend ein Gegengewicht hätte bilden sollen! ... Die war nun aber einmal nicht stark genug, um diese psychische Greisenhaftigkeit aufzuwiegen ...

Ich hatte mir oft darüber den Kopf zerbrochen, weshalb sie nicht stärker war. Ich hatte ihre Kraft durch angemessene Enthaltsamkeit vermehren wollen; das half aber nichts, denn dann gab es diese zahllosen Pollutionen. Sie bewirkten, daß sie doch niemals stärker wurde. Sie arbeiteten in Gemeinschaft mit der psychischen Impotenz daraufhin, mich auch körperlich impotent zu machen ...

Und ich blieb sitzen und rauchte eine Zigarette nach der anderen und dachte weiter über dieses fatale Zusammenwirken dieser beiden zugrunde richtenden Kräfte nach. Schließlich entschloß ich mich, Dr. Oewre in der Sache um Rat zu fragen; er würde sich ja auf solche Dinge verstehen.


Dr. Oewre öffnete die Tür zu dem Wartezimmer: »Bitte!« Ich war an der Reihe und ging hinein. Er schloß hinter mir die Tür und blieb stehen und wartete, daß ich mein Anliegen vortragen würde.

»Gibt es kein Mittel gegen Impotenz?« fragte ich.

Er sah mich eine Weile an. »Fragen Sie für sich selbst an oder für andere?«

»Für mich selbst.«

»Wie alt sind Sie?«

»Zweiundzwanzig.«

»Das wäre ja traurig früh. – Bitte!« Er machte eine Handbewegung, wir gingen weiter ins Zimmer hinein und setzten uns, er an den Schreibtisch zwischen den beiden Fenstern, ich auf einen Stuhl am Fenster rechts. Eine Zeitlang saß er da und starrte an mir vorüber zum Fenster hinaus, als ob er an etwas ganz anderes dächte. Dann fixierte er mich aber plötzlich und scharf: »Was verstehen Sie unter Impotenz?« fragte er.

»Daß keine Erektion eintritt, wenn man Begierde nach einem Weibe hat.«

Er nickte zustimmend und starrte wieder zum Fenster hinaus.

»Ist es vollständige Impotenz?« fragte er dann weiter und sah mich über die Brille weg an.

»Nein,« sagte ich und erzählte ihm meine Erlebnisse in der vergangenen Nacht.

»Und wie lange dauert das schon?« fragte er dann.

»Die letzten zwei, drei Jahre.«

Er zuckte die Achseln. »Dagegen gibt es nur ein Mittel: verlieben Sie sich!«

»Das kann ich ja aber gerade nicht.«

Er zuckte wieder die Achseln: »Dann ist nichts zu machen.« Und er starrte wieder zum Fenster hinaus.

»Erzählen Sie nun aber,« sagte er dann, »wie das gekommen ist. – Haben wir in unseren jungen Jahren einem Genuß gefröhnt, den man späterhin Onanie nennt?«

»Leider nein. Darin liegt gerade, glaube ich, zum Teil der Fehler.«

»So?« – er lächelte – »wir haben unsere Theorien! Sind Sie Mediziner?«

»Nein. Man denkt ja aber gern über die Dinge nach, die einen so nahe angehen. Ich will Ihnen sagen, wie es sich nach meiner Meinung mit dieser Impotenz verhält. Die psychische Entwicklung, die ich durchgemacht habe, hat mein Gehirn zugrunde gerichtet. Es ist mir nicht mehr möglich, von irgend etwas ergriffen zu werden ... ich habe bei allem keine andere Empfindung als die einer wehmütigen Sehnsucht danach, dabei etwas zu empfinden. So steht es mit mir. Sehe ich, wie ein anderer Mensch von irgend etwas ergriffen wird, so werde ich von einer Sehnsucht danach ergriffen, auch davon ergriffen zu werden ... sehe ich ein schönes Weib, so kommt mir in den Sinn, wie es sein würde, davon ergriffen zu werden – und ich sehne mich danach, es wieder zu werden ... Und so geht es mit allem. – Sie begreifen: Ich bekomme also auf dem Wege der Reflexion Lust zu einem Weibe, und das bringt wahrhaftig keine Erektion hervor – nur ein trist wollüstiges Gefühl im Körper ... eine Art – ja, wie soll ich es nennen – eine Art körperlicher Wehmut. – Nun, das ist also die eine Seite der Sache: Das Gehirn arbeitet unnatürlich. – Es muß aber noch ein anderes Moment hinzukommen, um diese merkwürdige Impotenz bei einem so jungen Individuum, wie ich es bin, ganz zu erklären. Und dieses andere Moment ist auch vorhanden. Die Geschlechtsorgane arbeiten ebenso unnatürlich wie das Gehirn. Und das ist auf folgende Art und Weise gekommen: Eine systematische Abschließung vom anderen Geschlecht das ganze Kindesalter hindurch hatte mir schon im Alter von zehn Jahren eine ungeheuer erhitzte geschlechtliche Phantasie verschafft. Und das wurde mit den Jahren immer schlimmer. Im Alter von dreizehn Jahren machte es mich fast wahnsinnig. Alle diese angesammelte Unzüchtigkeit bekam natürlich keinen Abfluß, das ist klar – kein Weib erbarmte sich meiner von selber, und ich hatte nicht den Mut dazu, mich vorzuwagen. Und unglücklicherweise hatte ich nun nicht gelernt, ihr einen künstlichen Abfluß zu verschaffen. Da mußte denn die Natur sich den Weg selber bahnen: sie öffnet das Sicherheitsventil, und ich fing an, Pollutionen zu bekommen. Das half aber wenig. Der Mangel an Wirklichkeit erhitzte die Phantasie immer stärker die Zahl der Pollutionen steigerte sich ins rein Unglaubliche, und das Ende vom Liede war natürlich: als ich endlich nach Verlauf von drei, vier Jahren anfing, zu Frauen zu gehen, da zeigte es sich, daß der Muskel, der die vesica seminalis abschließt und der von der Natur darauf eingerichtet ist, sich bei einem gewissen Quantum Friktion der Glans zu öffnen – daß dieser so sehr daran gewöhnt worden war, sich auf den bloßen Befehl der Phantasie hin zu öffnen, daß das alleinige Einwirken der Phantasie schon dazu genügte; es war fast gar keine Friktion nötig. – Das ging ja nun noch an, solange es mit dem Gehirn normal stand, trotzdem es ja ärgerlich genug war mit dem kurzen Vergnügen. Als dann aber das Gehirn auch anfing, unnatürlich zu arbeiten, da ging alles zum Teufel. – Und nun meine ich Folgendes: Könnte dieser Muskel gezwungen werden, geschlossen zu bleiben – wenn auch nur immer z. B. eine Woche lang, anstatt daß er sich, sobald ich schlafe, sogleich bei der ersten, wollüstigen Phantasie öffnet – dann müßte, denke ich mir, der Geschlechtstrieb zu einer solchen Höhe gesteigert werden, daß er sich meiner wollüstig bemächtigte und alle unnatürliche Reflexionstätigkeit im Gehirn solange zurückdrängte, bis er befriedigt wäre. Und wenn ich dann infolge angemessener Enthaltsamkeit von Fall zu Fall der Reflexionskrankheit mit einer so ungestümen Unmittelbarkeit begegnen könnte, so könnte diese Krankheit vielleicht nach und nach wenigstens so weit zurückgedrängt werden, daß sie nicht mehr mein ganzes Wesen beherrschte. Und dann würde ich wieder lernen können zu leben.«

Oewre hatte mich, während ich sprach, genau beobachtet. Als ich zu Ende war, sagte er langsam: »Das hört sich sehr plausibel an, Ihre Meinung darüber, wie es gekommen ist. Denn ich will Ihnen eines sagen: es ist sehr anständig, tugendhaft zu sein, es ist aber auch sehr schädlich. Worauf es aber ankommt durchzusetzen, daß die Samenblase geschlossen bleibt – ja, das ist eine langwierige Geschichte.«

»Nun ja; halten Sie es denn aber überhaupt für unmöglich, den Muskel wieder dahin zu bringen, daß er natürlich funktioniert, nachdem er einmal zugrunde gerichtet worden ist?«

Er fuhr sich ein paarmal über das Kinn und dachte nach. »Vielleicht,« sagte er, »aber, wie gesagt: das wird eine langwierige Geschichte.«

»Langwierig oder nicht; darauf kommt es mir nicht an. Wenn es nur möglich ist.«

»Ja, wir können es ja versuchen. Mit Hilfe von Lapis kann man ja den Muskel dazu bringen, sich zusammenzuziehen. Wir werden einige Lapisbougies einführen.«

Ich legte mich auf das Sofa, damit er ein Katheter einführen könnte. Es zeigte sich aber, daß in der Uretra eine starke Verengung vorhanden war; die Katheterisierung war unmöglich.

»Haben wir Gonorrhoe gehabt?« fragte er, als er den Versuch aufgeben mußte.

»Nein, merkwürdigerweise nicht; ich bin in der Beziehung ganz erstaunlich glücklich gewesen.«

»Dann ist es also eine natürliche Verengung; die kann schwer zu forcieren sein. Vielleicht sind wir genötigt, mit einer Katheterschere hineinzugehen und uns hindurchzuschneiden.«

»Bitte, tun Sie, was Sie wollen.«

»Na ja, na ja. Nur ruhig Blut. Erst versuchen wir eine Zeitlang, so durchzukommen. Geht es dann gar nicht, so ist es immer noch Zeit, mit der Schere vorzugehen. Sind wir aber dazu genötigt« – er sah über die Brille weg auf mich herab – »dann riskieren Sie eine Blutvergiftung. Und dann sind Sie kaput.«

»Das ist mir gleich.«

»Gut,« sagte er ruhig und führte ein dünnes Bougie ein. »Sehen Sie,« sagte er, als er es herauszog, »das ist nicht dick. Das nächstemal versuchen wir's aber mit einem dickeren, und so arbeiten wir uns nach und nach vorwärts. Wir warten aber zwischen jedemmal ein paar Tage, um nicht zu sehr zu irritieren. Sie können am Donnerstag wiederkommen.« –

Ich machte einen Spaziergang und dachte über diesen Versuch nach, der mich vielleicht mein Leben kostete ...

... Wenn nur dann eines von beiden der Erfolg wäre: entweder Leben oder Tod – das war das Ergebnis, zu dem mein Denken führte. Ich hatte aber immer die Empfindung der Hoffnungslosigkeit: der Erfolg war wohl weder das eine noch das andere.

– – – So wurde es auch. Wir behalfen uns ohne Schere, und ich brauchte keine Blutvergiftung zu riskieren. Das Resultat des Experiments war aber nur eine teilweise Vernichtung der Gefühlsnerven im Innern, keine Stärkung des Muskels.


 << zurück weiter >>