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Durch Nacht zum Licht

Die Sommertage flogen unter mancherlei Beschäftigungen und Vergnügungen dahin. Gundchen wurde sichtlich frischer und gesünder; sie entwickelte sich auch in geistiger Beziehung mehr, bekam durch das anregende Leben in Grüneichen neues Streben und bat selbst darum, in diesem und jenem Fach noch fortlernen zu dürfen. Es wurde ihr gern gewährt. Tante Gretchen, die das junge Mädchen sehr liebgewonnen hatte, nahm sich ihrer freundlich an, las mit ihr und Annchen Englisch und Französisch in den Nachmittagsstunden, oder sie malte mit den beiden. Gundchen hatte wohl mitunter Sehnsucht nach der Mutter, aber das Familienleben in Grüneichen hatte etwas so Ansprechendes, Anheimelndes, daß sie nicht in die alten Verhältnisse zurückbegehrte. Wer konnte es ihr verdenken?

Es war zur Erntezeit im August. Die Erntewagen fuhren hin und her, um den reichen Segen Gottes vom Feld einzuholen und ihn in den Scheunen zu bergen; alle hatten vollauf zu tun. Die Knechte und Mägde draußen, die Hausfrau und die Wirtschafterin drinnen. Es war heiß, ein Gewitter hing in der Luft, darum war man sehr eilig, die Garben auf dem Felde einzubringen.

Frau Maria war mit im Wirtschaftshaus, es wurden zum Abend Kartoffelkuchen gebacken. Auch Annchen stand, die Ärmel aufgestreift, mit einer großen Küchenschürze versehen, mit am Herd und half backen. Da stürzte Gundchen herein. »Schnell, Tante Maria, Onkel Ulrich ist da, ob du nicht gleich einmal kommen wolltest.«

»Onkel Ulrich?« sagte Maria fast streng, »das ist wohl ein Irrtum.«

»Nein, gewiß nicht, Tante. Onkel Mersburg ist auf dem Feld, Tante Gretchen ist oben und gibt Stunden, und Onkel sagt, er müsse gerade dich sprechen.«

Maria sah unruhig aus, es war ihr diese Unterbrechung offenbar nicht lieb. Sie sah nach Annchen. Die machte ein sehr vergnügtes Gesicht und war dabei, sich ihrer Küchenschürze zu entledigen. »Nun, was wird jetzt?« fragte die Mutter verwundert.

»Ich will Onkel U–, Herrn Doktor Schwarz, begrüßen.«

»Binde deine Schürze ruhig wieder vor, wir dürfen Friedchen nicht alle beide im Stich lassen. Hilf du ihr um so fleißiger, ich werde hoffentlich bald wieder da sein.«

Diesmal wurde Annchen das Folgen schwer. Sie hätte so gern Gundchens guten Onkel begrüßt und nun sollte sie hier am Feuerherd bleiben und für die Leute Kartoffelkuchen backen! Wenn doch nur Sophie erst wieder da wäre! Ungern band sie die Schürze wieder vor, aber die Gedanken waren drüben im Herrenhause, so daß Friedchen nach einer Weile sagte: »Fräulein Annchen, Sie müssen den Kuchen wenden, er ist schon ganz schwarz auf der einen Seite.«

Frau Maria ging hinüber. Als sie das große Wohnzimmer betrat, erhob sich Doktor Schwarz, der am Fenster gesessen hatte, und ging ihr entgegen.

»Herr Doktor, es ist gegen unsere Verabredung«, sagte sie unruhig.

»Sie werden sich schon denken können, verehrte Frau, daß mich etwas Außergewöhnliches hertreibt. Ich bekam vor einigen Tagen, als ich gerade eine Ferienreise antreten wollte, ein Telegramm von meiner Schwester Lisa, das mich nötigte, sofort abzureisen. Die Überführung ihres Mannes in eine Anstalt war dringend nötig. Er hatte Fieber und redete irre, gestern abend ist er gestorben. Lisa hat den einzigen Wunsch, Sie, verehrte Frau, um sich zu haben, sie ist in einem traurigen Zustand, tun sie ein Werk der Barmherzigkeit und kommen Sie mit. Ich möchte mit dem Sechsuhrzug in die Hauptstadt zurück.«

»Aber das ist ja unmöglich, Herr Doktor«, rief Maria. »Wir stehen in voller Arbeit, mein Mann ist auf dem Feld, alle Leute haben vollauf zu tun.«

»Hier handelt er sich nicht um Arbeit, sondern um eine Menschenseele«, sagte Ulrich traurig.

»Sie haben recht, Herr Doktor«, gab Maria nach kurzem Besinnen zu. »Ich mache es möglich mitzureisen.«

»Der Zustand meiner Schwester ist nach allem, was sie in der letzten Zeit durchgemacht hat, derartig, daß das Schlimmste zu befürchten steht. Nur Sie können helfen –«

»Das kann nur Gott«, versetzte Maria leise. Dann, ihre ganze Tatkraft zusammennehmend, rief sie Gundchen, die noch nichts ahnte, und bat sie, Anna zu holen.

Die kam, glühend rot vom Backen, vom Wirtschaftshause herein. Während Herr Doktor Schwarz mit seiner Nichte ins Nebenzimmer ging und ihr vorsichtig die traurige Nachricht mitteilte, mußte Annchen jemand auf dem Gutshof suchen und ihm auftragen, den Herrn so schnell wie möglich zu holen. Dann sagte Maria ihrer Tochter, was geschehen sei, und übergab ihr zum erstenmal für einige Tage die Hauswirtschaft.

»Du hast den Vater zur Seite, außerdem Fräulein Friedchen und die Mädchen. Sei pflichttreu und wache über alles, mein Kind. Gott der Herr wird dir helfen.« Dann empfahl sie Fräulein Schwarz die Sorge um ihre Kleinen und machte sich reisefertig.

Der Wagen hielt schon vor dem Haus, als Herr Mersburg in den Hof geritten kam. Er war verwundert, seine Frau reisefertig zu finden. Als er hörte, was geschehen war, und als Maria ihm bittend die Hand hinstreckte und sagte. »Ich darf doch?« da konnte er nicht anders als seine Zustimmung geben.

Anna war zu Gundchen gegangen, die schluchzend in einer Ecke des Zimmers saß, und als diese jammerte, sie müsse zu ihrer Mutter, sagte sie: »Nein, du darfst nicht mit, Gundchen, es würde dich zu sehr aufregen.« –

Es war abends in der elften Stunde, als die Reisenden die Treppe, die zu Lisas Wohnung führte, erstiegen. Auf ihr Klingeln öffnete das Mädchen, und als Doktor Schwarz fragte: »Ist meine Schwester noch auf?« nickte es stumm und führte die Ankommenden ins Zimmer. Da stand Lisa, bleich wie Marmor. Als die Tür sich öffnete, rief sie: »Endlich! Maria, Maria!« Doktor Schwarz entfernte sich leise, und Maria nahm die schwergeprüfte Freundin in ihre Arme. Sie sagte nichts weiter als: »Arme Lisa.« Da war es, als ob etwas Starres sich von ihrer Brust löste, ein Tränenstrom brach hervor, Maria ließ sie ausweinen an ihrem Herzen. Lisa überkam in Marias Armen ein Gefühl, als sei sie nun geborgen vor allem Unwetter, das auf sie eingestürmt war. Maria sagte ihr milde Trostworte und brachte es nach langem Überreden dahin, daß sie sich legte; aber an Schlafen war nicht zu denken.

»Ich habe zu viel durchgemacht, Maria«, schluchzte sie. Dann kamen die Berichte über die letzten Wochen, die sie mit ihrem Manne in großer Unruhe und Angst verbracht hatte, dann kamen Selbstvorwürfe, Klagen aller Art; alle Versuche Marias, sie zur Ruhe zu bringen, scheiterten. Endlich, gegen Morgen, siegte die erschöpfte Natur, Lisa fiel in Schlaf, und Maria setzte sich in einen Lehnstuhl, um sich etwas zu erholen von den Aufregungen, die sie in den letzten Stunden durchgemacht hatte. Als sie etwa nach einer Stunde Geräusch im Nebenzimmer hörte, ging sie hinein, um das Mädchen zu bitten, ihr eine Tasse Kaffee zu bringen. Sie fühlte sich durch den warmen Trank neu belebt und wollte eben wieder zu Lisa gehen, da trat Lisas Bruder ein. Er streckte ihr beide Hände entgegen.

»Wie sollen wir Ihnen vergelten, was Sie für uns tun, verehrte Frau Maria«, sagte er.

»Es ist nichts Besonderes, einfache Christenpflicht«, versetzte Maria freundlich.

»Sie sind die ganze Nacht bei Lisa gewesen. Ich zog mich zurück, weil ich die vorige Nacht keine Augen zugetan hatte und der Ruhe dringend bedurfte, um heute frisch zu sein. Auch wußte ich, daß Sie mehr Einfluß auf Lisa haben als ich, darum machte ich Ihnen Platz. Nun gestatten Sie mir, Ihre Stelle einzunehmen, Sie müssen unbedingt ruhen.

Noch eins, bevor Sie gehen, Frau Maria. Morgen ist die Beerdigung, sie wird um zehn Uhr von der Anstalt aus, in der mein Schwager gestorben ist, stattfinden. Ich bleibe hier, um die unglücklichen Verhältnisse zu ordnen. Wie günstig, daß ich Ferien habe, so finde ich die Zeit dazu. Was wird aber mit Lisa? Ich fürchte, wenn sie hier bleibt –«

»Ich nehme sie mit, Herr Doktor. Sobald ihre Anwesenheit hier nicht mehr nötig ist, soll sie mit nach Grüneichen, um sich dort leiblich und geistig zu erholen. Das ist unbedingt nötig. Sie hat ihr Töchterchen dort –«

»Es ist der denkbar beste Ort für sie, Frau Maria, ich danke Ihnen. Wenn ich erst die hiesigen Verhältnisse klar durchschauen kann, schreibe ich über alles. Ich fürchte, der armen Lisa wird nicht viel zum Leben bleiben. Es sei denn, daß noch einige Bilder günstig verkauft würden –«

»Das wird sich ja alles finden. Da ich augenblicklich nötig zu Hause bin, ist es das beste, ich nehme Lisa morgen nachmittag mit nach Grüneichen.«

Tiefgerührt beugte sich Doktor Schwarz über Marias Hand und küßte sie. »Aber nun bitte ich entschieden, daß Sie sich legen. Ich bin Ihrem Gatten gegenüber verantwortlich für Sie.«

Maria ging. Sie fühlte, sie bedurfte der Ruhe, es standen noch mancherlei Aufregungen mit der Freundin bevor. –

Am folgenden Abend spät kamen sie in Grüneichen an. Maria hatte ihrem Mann geschrieben und gebeten, niemandem von ihrem Kommen zu sagen, sondern alle, auch die jungen Mädchen zu Bett zu schicken. So war nur er noch auf. Maria brachte die arme Lisa gleich nach oben und sagte, als sie sie untergebracht hatte: »So, meine Lisa, nun gehörst du mir. Jetzt hast du weder zu sorgen noch zu denken. Du sollst vollständige Ruhe haben und dich bei uns erholen.«

»Maria, ich vergesse es dir nie, was du mir in diesen Tagen gewesen bist.«

»Ich habe dich nur liebgehabt; wenn du mich wieder liebhast, vergiltst du mir alles.«

Es war die erste Nacht, die Lisa seit langer Zeit fest und ununterbrochen schlief. Die Sonne schien schon hell zum Fenster herein, als sie erwachte. Sie schaute sich verwundert um und wußte nicht gleich, wo sie war. Da tönte lieblicher, vielstimmiger Gesang an ihr Ohr. Sie lauschte. Es drang von unten herauf. Sie hörte deutlich Melodie und Worte. Es mußte das Lied sein: »Befiehl du deine Wege.«

Der Gesang übte einen wohltuenden Einfluß auf ihr Gemüt. Es überkam sie eine große Ruhe nach all der großen Trübsal; da öffnete sich die Tür. Eine kleine, zarte Gestalt schwebte herein. Mit dem Ausruf: »Gundchen«, streckte sie die Arme nach ihr aus und umfing ihr Kind, ihr einziges. –

Lisa verlebte Tage und Wochen in Grüneichen, die ihr unvergeßlich blieben. Sie sonnte sich in Marias Liebe, die alles aufbot, der Freundin das Leben bei ihr so schön als möglich zu machen. Sie redete nicht viel, aber ihr und der Ihren Wandel auf Gottes Wegen, im Glauben an den Herrn Jesum, machte mehr Eindruck auf Lisas Herz, als Worte es getan haben würden. Nur wenn Lisa Maria geradezu anredete, dann antwortete Maria, wie es das Herz, in Gottes Wort geschult, ihr eingab.

»Maria«, sagte eines Tages Lisa, als sie allein von einem Spaziergang heimkehrten, »glaubst du, daß ich noch bei Gott Erbarmen finde?«

Marias Augen leuchteten. »Gewiß, Lisa. Der gesagt hat: ›Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen‹, nimmt alle an, die in wahrer Buße und im Glauben sich ihm nahen.«

»Aber ich hätte längst kommen müssen. Schon als er mich an meinem Einsegnungstag rief und ich gelobte, bei ihm zu bleiben, da hätte ich mein Gelübde halten müssen. Statt dessen bin ich viele Jahre in der Irre gegangen, habe meinen Heiland verlassen und verleugnet.«

»Ist es dir leid, von Herzen leid?«

»So sehr! Meine Seele verlangt nach Gott, nach seiner Vergebung, nach seinem Frieden.«

Maria konnte der Freundin versichern, daß der Herr ihr seine Gnade schenken würde. Von da an sah man Lisa eifrig in Gottes Wort lesen, man merkte, daß eine Wandlung in ihr vorging; das Eis brach, der Frühling zog ein in das arme, gequälte Menschenherz, das endlich nach langen Kämpfen, nach heißem Flehen an die Vergebung der Sünden durch Christi Blut glauben konnte und so zum Frieden kam.

Für Maria waren es selige Tage und Stunden, wenn sie nun mit Lisa von dem einen, was not tat, reden konnte.

Von Doktor Schwarz kamen häufig Berichte, doch waren sie leider nicht sehr erfreulicher Art. Es gab manche unangenehmen Geschäfte abzuwickeln, Rechnungen zu begleichen, Mädchen abzulohnen, Miete zu bezahlen; glücklicherweise konnten alle diese Ausgaben bestritten werden durch den günstigen Verkauf eines noch vorhandenen Gemäldes und einiger kostbarer, überflüssiger Möbel. Aber was blieb Lisa zum Leben übrig? Diese Frage beschäftigte den guten Doktor immer wieder. Und wo würde sie künftig leben? Es blieb ihm nichts weiter übrig, als ihr und ihrer Tochter sein Heim anzubieten, er war als Bruder der nächste, die Sorge für sie zu übernehmen. Er schrieb ihr alles und bat sie zu überlegen, was sie zu tun beabsichtige. Sein Haus stände ihr zu jeder Zeit offen.

Lisa hatte selbst noch gar nicht über ihre äußeren Verhältnisse nachgedacht. Erst jetzt wurde ihr klar, daß sie arm, ganz arm sei. Sie war sehr bedrückt, als sie ihres Bruders Brief gelesen hatte. Das Opfer des Bruders, ganz für sie zu sorgen, konnte und wollte sie nicht annehmen, hatte sie doch in früheren Zeiten leichtsinnigerweise oft sein schwer verdientes Geld geborgt, ohne je daran zu denken, es ihm zurückzuerstatten. Das alles lag ihr jetzt schwer auf der Seele. Ebenso fühlte sie, daß sie die Gastfreundschaft des Grüneicher Hauses nicht mehr lange annehmen dürfe. Aber wohin? Und was beginnen? Gedrückt saß sie am Fenster ihrer Stube und grübelte. Da trat Maria ein.

»Was heißt das, Lisa«, rief sie, »bei dem herrlichen Wetter sitzst du hier und träumst. Komm, wir machen einen kleinen Spaziergang.« Maria hatte an Lisas Zukunft gedacht und kürzlich mit ihrem Mann darüber gesprochen, der ihr seine vollste Zustimmung gab. Sie wußte nur noch nicht, ob Lisa darauf eingehen würde. Bald hatte sie unterwegs herausgefunden, was Lisa drückte, und als sie traurig sagte: »Ich kann und mag deine Gastfreundschaft nicht länger annehmen, rate mir, was ich tun soll, was beginnen?«, da zeigte Maria nach dem Häuschen am See und fragte:

»Lisa, möchtest du mit Gundchen dein Heim dort aufschlagen? Mein Mann läßt dir das Häuschen durch mich anbieten als dauernden Wohnsitz; es liegt ihm nichts an dem Besitz, er ist froh, wenn es von jemand bewohnt wird.«

Lisa sah sie einen Augenblick an, als könnte sie nicht glauben, was Maria sagte. Dann aber rief sie: »Auch das wolltet ihr tun! O ihr edlen Menschen, das ist des Guten zu viel.«

»Es ist kein großer Edelmut«, meinte Maria. »Mein Mann ist froh, wenn das Haus bewohnt wird. Wir wollen es uns gleich einmal daraufhin ansehen.« Sie gingen hinein. Lisa war ganz entzückt von der Aussicht, hier künftig wohnen zu dürfen.

»Ich fürchte nur, es wird euch zu einsam sein«, fuhr Maria fort, »aber ihr könnt jederzeit kommen, und wir besuchen euch häufig, es ist ja nicht so weit vom Hof entfernt.«

»Es handelt sich nur darum, wie wir den Umzug bewerkstelligen«, sagte Lisa. »Die Mädchen sind schon abgelohnt, Ulrich ist lange wieder zu Hause, er schrieb mir, die Sachen, die ich hätte behalten wollen, habe er zusammenstellen lassen. Alles andere ist ja verkauft. Der Bruder wird nicht noch einmal kommen können, um mir beim Umzug zu helfen.«

»Ist auch nicht nötig, Lisa. Ich fahre noch einmal mit dir auf einige Tage in die Stadt. Wir packen alles zusammen, die Sachen werden mit der Bahn geschickt, und hier haben wir Leute genug, die deine Sachen an Ort und Stelle schaffen.«

»Maria, du weißt für alles Rat. Wie soll ich dir danken?« –

Der Gedanke, daß Lisa Bewohnerin des Häuschens werden sollte, fand bei den jungen Mädchen, wie sich denken läßt, jubelnden Anklang. »Gundchen, ihr bleibt immer hier, welch eine herrliche Aussicht«, rief Annchen, »das ist so schön –«

»Wie man es in Märchen liest«, vollendete Gundchen.

Maria tat nichts halb. Von Doktor Schwarz hatte sie gehört, daß die Lage Lisas trostlos sei, daß aber er, als Bruder, sein möglichstes tun wolle, ihr zu helfen. Sie schrieb einen langen Brief an Herrn Helm. Mit Spannung erwartete sie die Antwort. Die mußte sehr befriedigend ausgefallen sein, denn auf ihrem Gesicht lag es wie Sonnenschein, und Annchen, die ihre Mutter genau kannte, rief: »Mutter, du hast eine Freude gehabt, oder willst jemandem eine Freude machen.«

Maria nickte ihrem Töchterchen freundlich zu und ging nach oben zu Lisa.

»Lisa«, begann Maria harmlos, »du hattest doch einen Vetter Helm, den Sohn von Tante Lottchen, erinnerst du dich seiner?«

»Natürlich«, war Lisas Antwort, »aber wir haben uns nie wieder gesehen. Er war nicht einverstanden mit meiner Verlobung – er hat wohl recht gehabt«, fügte sie hinzu. »Doch, was ist's mit ihm?«

Maria errötete. »Als Tante Lottchen damals starb, ist eine Summe Geldes auf deinen Namen geschrieben worden. Herr Helm hat geglaubt, du brauchtest das Geld nicht und hat es stehenlassen. Das kleine Kapital ist im Laufe der Jahre angewachsen und gibt jetzt so viel Zinsen, daß du mit Gundchen davon leben kannst, wenn du nicht zu viele Ansprüche machst.«

»Ich glaube eher, Maria, daß Tante Lottchen dir etwas vermacht hat für deine treuen Dienste. Wie sollte sie dazu gekommen sein, mir etwas zu hinterlassen, einer Nichte, die sie gar nicht besonders gern hatte? Das muß ein Irrtum sein.«

Maria senkte das Haupt. »Gewiß ist, daß das Geld für dich da ist, hier ist der Brief deines Vetters, der Auskunft darüber gibt.«

Lisa schüttelte ungläubig den Kopf und nahm Maria den Brief, den sie eben vorlesen wollte, hastig aus der Hand. Er lautete also: »Sehr geehrte Frau Mersburg! Das Geld, das vor Jahren durch Ihre Güte auf Lisas Namen eingetragen wurde –«

Lisa legte den Finger auf die Worte: »durch Ihre Güte« und sagte: »Was heißt das? Maria, ich durchschaue dich.«

»Laß doch, Lisa. Du weißt, daß ich es nicht gebrauche. Es gehört dir seit vielen Jahren. Wie gut, daß du es nicht früher schon gebraucht hast.«

So war für Lisas fernere Zukunft gesorgt. Alles Sorgen und Grämen der letzten Jahre war vorbei. Der Herr, der ihr inneren Frieden geschenkt, hatte ihr nun auch nach außen Frieden und Ruhe beschert.

 


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