Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

17. Kapitel.

Diesmal war es kein durch Nebel und Dünste sanft verschleiertes Licht, welches über dem nächtlichen Park von Monplaisir lag.

Klar und blendend stand der Vollmond am Himmel, kein Wölkchen trübte die Reinheit des Firmaments.

Hofrätin Warmbach hatte nach dem Diner den Vorschlag gemacht, dem herrlichen Abend zuliebe noch ein Stündchen auf der Terrasse zu verplaudern, wobei sie Hempel einen bedeutungsvoll bittenden Blick zuwarf.

Er verstand und blieb bei den Damen.

In Wahrheit wußte sich nämlich die gute Hofrätin heute allein wirklich keinen Rat mit Harriet.

Am Nachmittag war Kommissär Brandner dagewesen, um Harriet noch einmal über die Vorgänge der Mordnacht zu vernehmen.

Es schien ihm und Wasmut unglaublich, daß sie von jenem dem Mord vorangegangenen Wortwechsel, der doch nahezu unter ihren Fenstern begonnen haben mußte – nichts gehört haben sollte.

Dabei erfuhr Harriet von Richards Geständnis. Sie hielt sich tapfer, kämpfte ihre Bestürzung nieder und beantwortete anscheinend ganz gelassen alle ihr gestellten Fragen.

Nein – sie hatte nichts vernommen. Ihre Kopfschmerzen, derentwegen sie sich früher als sonst zu Bett begeben hatte, waren so arg, daß sie halb betäubt, völlig apathisch im Bett lag, ohne auf irgend ein Geräusch außerhalb des Zimmers zu achten.

Ob jemals Tiersteiner Drohungen gegen den Obersten ausgestoßen habe?

»Niemals!«

Ob sie – Harriet – ihm die Tat zugetraut hätte?

Einzig und allein bei dieser Frage verlor Harriet einen Augenblick ihre Gelassenheit. Ihre Augen blitzten zornig auf und ihre Stimme klang leidenschaftlich empört.

»Wenn ich dies jemals für möglich gehalten hätte, Herr Kommissär – wie können Sie denken, daß ich mich dann heute mehr denn je als Richards Braut betrachten würde?!«

»Soll das heißen, daß Sie auch jetzt noch an seiner Schuld zweifeln, Fräulein Henderson?«

Harriet schwieg. Als Brandner weiter in sie drang, sagte sie abweisend: »Die Behörde hat ein Recht, mich über Tatsachen zu befragen, meine Gedanken aber sind doch zweifellos mein Privateigentum. Ich weiß ganz gut, daß ich mich damit in Ihren Augen verdächtig mache, indessen liegt mir daran nichts. Verhaften Sie mich doch auch – wenn Sie den traurigen Mut haben, mich des Vatermordes zu bezichtigen!«

»Harriet!« rief die Hofrätin, welche es sich diesmal nicht hatte nehmen lassen, Zeugin des Verhörs zu sein, erschrocken.

Kommissär Brandner erhob sich mit verlegenem Lächeln.

»Beruhigen Sie sich, mein Fräulein. Wir sind auch ein wenig Menschenkenner – nebenbei! Wenn sich anfangs naturgemäß gegen Sie der Verdacht der Mitwissenschaft richten mußte – jetzt, nach Tiersteiners Geständnis, zweifeln wir nicht mehr, daß er den Mord allein auf eigene Rechnung begangen hat. Nur so durfte er hoffen die Frucht desselben – Ihren Besitz – zu erlangen.«

Harriets Ruhe war vorüber in dem Augenblick, als sich die Tür hinter Kommissär Brandner geschlossen hatte.

In einen Weinkrampf ausbrechend, fiel sie der Hofrätin um den Hals, und es dauerte lange, ehe es der alten Dame gelang, sie zu beruhigen.

Aber sie blieb auch ihr gegenüber verschlossen über ihre Gedanken und verfiel bald darauf in düsteres Hinbrüten, an dem alle Versuche der Hofrätin, sie zu zerstreuen, wirkungslos abprallten.

Darum bat sie Hempel durch einen Blick, ihnen noch Gesellschaft zu leisten.

Indessen gelang es ihm ebensowenig wie der Hofrätin, Harriets Aufmerksamkeit auf irgend einen harmlosen Gegenstand des Gesprächs abzulenken. Es war, als habe sie die Anwesenheit der beiden überhaupt gänzlich vergessen, bis sie, plötzlich sich mit einem Ruck aufraffend, Hempel voll ins Gesicht sah und sagte: »Wissen Sie vielleicht, was Richard veranlaßte, ein – Geständnis abzulegen?«

Unter dem klaren Blick dieser reinen Mädchenaugen stieg unwillkürlich eine leise Röte in Hempels Wangen.

Sollte er sich auf den Unwissenden spielen oder ihr die Wahrheit sagen? Er entschied sich für das letztere.

»Ich will ganz offen sein, gegen Sie, mein Fräulein,« sagte er ernst, »ich selbst veranlaßte Herrn Tiersteiner dazu, indem ich mich unter der Maske eines Untersuchungsgefangenen in seine Zelle bringen ließ. Dort teilte ich ihm mit, daß man die Spur der Frau gefunden hat, welche wahrscheinlich den Mord beging. Er kam so in große Aufregung und wanderte wohl eine Stunde lang, heftig mit sich kämpfend, in der Zelle auf und ab. Das Endergebnis dieses Kampfes war, daß er sich beim Untersuchungsrichter melden ließ und sein Geständnis ablegte.«

Harriet war bis in die Lippen erblaßt. In ihren Zügen stritten Schmerz und tiefe Empörung um die Herrschaft. Zuletzt perlten große Tränen langsam aus ihren schönen Augen.

»Und warum haben Sie all dies getan?« fragte sie bitter und vorwurfsvoll.

Abermals errötete Hempel. Dann aber antwortete er rasch: »Aus Notwehr! Der Beweis seiner Unschuld liegt in meinen Händen – also konnte er sich nur für eine dritte Person opfern wollen. Er kannte den Täter – ich hegte bloß Verdacht. War dieser auf die richtige Person gefallen, so würde Tiersteiner, sobald er davon erfuhr, logischerweise den letzten Schritt wagen, um sein Opfer, das sicher zwingenden als edlen Motiven entspringt, zu Ende zu führen. Nahm er meine Mitteilungen gleichgültig hin, so war mein Verdacht eben falsch und ich mußte eine andere Spur verfolgen. Sein Geständnis brachte mir indessen den Beweis, daß ich – richtig gemutmaßt habe!«

Die Hofrätin hatte mit großen Augen zugehört. Jetzt blickte sie abwechselnd Harriet und Hempel beunruhigt an.

»Und wissen Sie, was Sie sind, Herr Silas Hempel? Ein Henker! Ein Elender! Einer, der kein Erbarmen kennt, und nichts weiß von Menschlichkeit, der mitleidlos und grausam einem Phantom nachjagt, das er »Gerechtigkeit« nennt … Aber es gibt noch eine andere Gerechtigkeit als Ihre geschriebene, eine, die das Schicksal ausübt und deren Schwert Gott selbst in Händen hält! Und dieser in den Arm fallen, heißt, allem natürlichen Gefühl ins Gesicht schlagen!«

Sie hatte laut und heftig gesprochen. Jetzt legte sie ihre zitternde Hand auf der sprachlosen Hofrätin Arm und murmelte: »Komm – komm fort von hier! Ich kann dieselbe Luft mit ihm nicht länger atmen!«

Silas Hempel war allein. Niedergeschmettert, sprachlos, verwirrt, starrte er auf die Glastüre der Terrasse, welche sich hinter den beiden Frauen geschlossen hatte.

Was war das? Hatte er recht gehört? Aber wie er auch jedem Worte nachgrübelte, das Harriet gesprochen hatte – er konnte keine andere Deutung finden, als die eine, welche ihm so unfaßlich schien, daß er an seinem Gehör, ja selbst an seinem gesunden Menschenverstand zweifelte: Sie – die Tochter des Ermordeten – bezeichnete den Tod ihres Vaters als einen Akt göttlicher Gerechtigkeit!

Das war ungeheuerlich, daß er sogar die gegen ihn selbst geschleuderten ungerechten Vorwürfe darüber völlig vergaß.

Erregt und in tiefster Seele erschüttert, wanderte er auf der Terrasse auf und ab. Hätte er das Zeugnis des Kutschers nicht besessen, welcher Harriet in jener Nacht nach dem Mildeplatz geführt hatte, er würde neuerdings an ihrer und Tiersteiners Schuldlosigkeit gezweifelt haben.

So aber …

Er setzte sich endlich erschöpft in einen der Korbstühle, stützte die Ellenbogen auf die Knie und vergrub den Kopf in den Händen, um besser nachdenken zu können, denn sein Gehirn schien plötzlich ausgetrocknet.

Draußen wob die laue Sommernacht ihre Zauber. Majestätisch wie ein König inmitten seines Heerbannes funkelnder Sterne rückte der Vollmond weiter am nächtlichen Himmel.

Sein Glanz ergoß sich über Rasen und Bäume, während die Terrasse schon in tiefem Schatten lag. Heimchen zirpten, Rosen und Jasmin strömten betäubende Düfte aus, alles ringsum atmete Frieden und die erhabene Ruhe der Nacht.

Jetzt schlug in der Ferne eine Uhr. Elf Schläge. Hempel hörte es nicht. Regungslos, in Gedanken versunken, saß er da und schreckte erst plötzlich auf, als ein leises Geräusch im Park unten sein Ohr traf.

War es nicht wie das leise kreischende Klirren eines Gittertores gewesen?

Ohne seine Stellung zu verändern, horchte Hempel angestrengt in den Park hinab.

Dabei arbeiteten seine Gedanken mit einem Schlag wieder mit gewohnter Schärfe.

Ja – es war das Parktor gewesen, das jemand leise geöffnet hatte. Wer konnte es sein! Der verschwundene Nebe?

Ein Teil der Heimchen hatte aufgehört zu zirpen – sonst kein Laut unten. Doch! Ein Seufzer – dann leise kicherndes Lachen, vorsichtig unterdrückt.

Konnte das Nebe sein? Hempel ließ die Arme sinken und richtete sich geräuschlos auf, um zwischen den Säulen der Terrasse hindurch zu spähen.

Im nächsten Augenblick ging es wie ein Schlag durch seinen Leib und er hatte alle Mühe einen Schrei zurückzuhalten.

Mitten auf dem Rasen unten, vom Mondlicht hell übergossen, stand die Gestalt einer Frau, von einem losen sandfarbenen Mantel umhüllt.

Unter dem Gazeschal, der ihr hageres, nicht mehr junges Gesicht umrahmte, drängte sich wirres braunrotes Haar vor. Zwei dunkle brennende Augen blickten mit seltsam starrem Ausdruck unschlüssig nach dem Haus herüber.

Dann ein katzenartig gewandtes Vorwärtsgleiten des geschmeidigen Körpers – sie stand an der vorderen Haustür, welche sich gerade unter der Terrassenmitte befand.

Da die Dienerschaft bereits zu Bett gegangen war, war die Haustür natürlich verschlossen. Hempel wusste außerdem, daß sich innen sowohl an der Vorder- als an der rückwärtigen Tür Sicherheitsketten befanden, die allabendlich vorgelegt wurden.

Es war also ausgeschlossen, daß die Frau auf einem dieser Wege ins Haus gelangte.

Aber was wollte sie überhaupt darin? Stehlen? Sie sah nicht wie eine Diebin aus …

Hempel beugte sich vorsichtig über die Brüstung und blickte hinab. Die Frau hatte eben mit einem Seufzer von der verschlossenen Tür abgelassen und war zurückgetreten. Jetzt näherte sie sich einer der Stiegen, die von beiden Seiten im Halbkreis auf die Terrasse führten.

Hempels Herz schlug laut.

Sie kommt! Sie läuft mir von selber in die Arme! Endlich habe ich sie! jubelte er innerlich.

Da – die Frau hatte bereits die ersten Stufen der Terrasse betreten – geschah etwas Unerwartetes.

Draußen auf der Straße hielt ein Wagen. Jemand kam in eiligem Lauf durch die Allee in den Park herein.

Die Frau stutzte, blieb stehen und kehrte plötzlich seufzend wieder um. Eine zweite Frau, kleiner, älter, umfangreicher und weniger vornehm aussehend, erschien auf dem hell vom Mond bestrahlten Kiesweg.

»Mrs. Gwendoline – o, Mrs. Gwendoline, was machen Sie schon wieder hier?« rief sie vorwurfsvoll mit unterdrückter Stimme. »Habe ich Sie nicht beschworen –«

»Sei still, Jane,« antwortete die mit Mrs. Gwendoline angesprochene Frau, »es schläft ja alles. Und ich muß es haben – du weißt, ich muß!«

Jane, welche offenbar die Dienerin Mrs. Gwendolines war, hatte inzwischen ihre Herrin erreicht und legte die Hand in deren Arm.

»Ach, kommen Sie, Mrs. Gwendoline, bitte, kommen Sie!« sagte sie flehend. »Ich habe solche Angst ausgestanden … glauben Sie mir doch: Man darf Sie hier nicht sehen!«

Die andere machte eine leicht Handbewegung und murmelte: »Er kann uns nichts mehr tun – hast du vergessen, daß –«

»Nein, nein, aber denken Sie doch an sich selbst! Man würde Sie einsperren, wenn man Sie hier entdeckte – das wissen Sie doch?«

Mrs. Gwendoline zuckte plötzlich erschrocken zusammen, sah sich scheu um und begann dann rasch dem Ausgang zuzueilen.

»Du hast recht – ich vergaß – komm, Jane – eile dich!«

Inzwischen war Silas Hempel längst leise die im Schatten liegende Treppe hinabgeeilt und erspähte den Moment, wo beide Frauen dem Hause den Rücken kehrten, um geräuschlos den hellen Kiesweg zu überqueren. Er hatte jedes Wort gehört und trachtete nun auf Umwegen mit den Frauen zugleich den Ausgang zu erreichen, was ihm auch gelang.

In dem Gebüsch, wo man des Obersten Leiche gefunden hatte, blieb er beobachtend stehen. Sein erster Impuls war gewesen, Mrs. Gwendoline und ihre Begleiterin noch innerhalb des Parkes festzunehmen.

Aber ein Moment der Überlegung ließ ihn diesen Gedanken wieder aufgeben. Er war allein. Beide Frauen festzuhalten, wäre ihm wahrscheinlich nicht geglückt und wie leicht konnte es gerade die Dienerin sein, welche in seiner Hand blieb, während die Herrin entkam!

Dann wußte er so wenig wie zuvor, wo er sie zu suchen hatte. Nein – sie waren ahnungslos – er mußte trachten, ihnen zu folgen und den Schlupfwinkel zu finden, in welchem sie sich verbargen, dann waren sie ihm morgen beide sicher.

.


 << zurück weiter >>