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14. Kapitel.

Gabler fand sich pünktlich zehn Minuten nach sieben in der »Goldenen Waldschnepfe« ein, gerade als der Bediente Franz, mit einer Entschädigung von Hempel versehen, die Wirtschaft verließ.

Sein Gesicht trug einen triumphierenden Ausdruck, als er sich neben Hempel in einer Ecke niederließ.

»Alles ist, wie Sie vermuteten, Herr Hempel. Friedrich Nebe und Albert Storch sind zweifellos eine Person. Ich habe mir auf Grund dieser Feststellung für alle Fälle gleich einen Haftbefehl für Nebe ausstellen lassen. Ebenso die Ermächtigung, noch heute eine Hausdurchsuchung bei der roten Poldi vornehmen zu können.«

Hempel nickte wohlgefällig.

»Prompt gearbeitet! Machen Sie der Leopoldine Wampl also noch heute abend einen Besuch und kommen Sie morgen früh nach Monplaisir, damit wir diesen sauberen Storch ein wenig ins Gebet nehmen. Haben wir die beiden hinter Schloß und Riegel, dann werde ich Sie wahrscheinlich bitten müssen, sofort nach London abzureisen.«

»Nach London?«

»Ja. Ich will nicht behaupten, daß dort der Hauptakteur dieses Dramas sitzt, aber mindestens ist Herr Frank Tiersteiner über Dinge unterrichtet, deren Klarlegung er uns nicht länger vorenthalten darf. Urteilen Sie übrigens selbst.«

Und er erzählte dem hoch aufhorchenden Detektiv alles, was er selbst bis jetzt zu Tage gefördert hatte, von der geheimnisvollen Frau, deren Spuren er auf der Parkmauer gefunden hatte, angefangen bis zu dem, was ihm von dem Bedienten Franz soeben mitgeteilt worden war.

Gabler war sofort Feuer und Flamme.

»Aber das sind ja Dinge von außerordentlicher Bedeutung, die dem ganzen Fall ein neues Gepräge geben! Dadurch erscheint des Obersten Abneigung gegen die Verbindung seiner Tochter mit dem jungen Tiersteiner in ganz anderer Beleuchtung. Offenbar bestand zwischen ihm und den Tiersteiners ein Grund zu persönlicher Feindschaft – – –«

»Sie meinen zwischen dem Obersten und der Familie Beastrock, denn erst als er anläßlich Richards Werbung erfuhr, daß Tiersteiner ein Sohn des alten Beastrock in London sei, der seinen Namen vermutlich aus Geschäftsrücksichten germanisierte, brach er alle Beziehungen zu Vater und Sohn ab. Schade, daß der Großvater Richards im Sterben liegt, denn dieser könnte uns wohl die besten Auskünfte geben. Hatte doch auch jene Frau, die so geschickt im Meer dieser Zweimillionenstadt unterzutauchen verstand, ihr Empfehlungsschreiben vom alten Beastrock. Nun es muß eben auch so gehen.«

Es wurde spät, ehe die beiden Männer sich trennten. Als Hempel in Monplaisir anlangte, stand schon der Mond am Himmel und das Diner war vorüber.

Harriet hatte sich bereits zurückgezogen, aber die Hofrätin ging noch erregt im Speisezimmer auf und ab.

Als sie Hempels Schritt im Korridor vernahm, rief sie ihn zu sich herein.

»Gottlob, daß Sie da sind, Herr Hempel! Ich lechze darnach, endlich wieder einen vernünftigen Menschen in diesem Narrenhaus zu sehen! Die arme Harriet – immer neue Aufregungen muß sie durchmachen! Jetzt liegt sie halbtot vor Migräne zu Bett –«

»Was ist denn passiert, gnädige Frau?«

»Ach, lauter Albernheiten! Erst kommt dieser gräuliche Brandner und quält sie eine Stunde lang mit Fragen –«

»So, Kommissär Brandner war hier?«

»Ja. Man hat in Richard Tiersteiners Zimmer einen Revolver gefunden, dessen Kaliber angeblich genau zu der Kugel paßt, mit welcher der Oberst erschossen wurde –«

»Bah, als ob derlei Waffen nicht fabrikmäßig zu Hunderten erzeugt würden!«

»Nicht wahr? Das sagte ich auch. Aber dieser infame Kommissär hatte nur ein Lächeln für meinen Einwand. In seinen Augen ist alles sonnenklar bewiesen, besonders da man leider auch einen Schlüssel zum Park unten unter Tiersteiners Sachen fand. Harriet erklärte gleich, sie habe denselben ihrem Bräutigam selbst einmal gegeben – wann weiß sie sich nicht mehr zu erinnern. Brandner findet das natürlich entsetzlich kompromittierend …«

»Und dies hat Fräulein Harriet so angegriffen?«

»Nein, dies war nämlich nur der Anfang unserer reizenden Erlebnisse am Nachmittag. Wir hatten uns kaum ein wenig von unserem Entzücken über Herrn Brandner erholt und saßen mit unserem Tee ganz rückwärts im Park unter der Rotbuche, als plötzlich das Stubenmädchen verlegen angerückt. Harriet möge es nicht übel deuten, aber sie könne nicht anders, ihre Mutter sei im Sterben und sie müsse heute noch zu ihr reisen.

Selbstverständlich wurde ihr die Erlaubnis sofort erteilt und eine Viertelstunde später verließ Marietta Monplaisir.

Kaum war sie fort, erschien die Köchin Lene bei uns, verweint, sonntäglich schwarz gekleidet, bereits mit dem Hut am Kopfe und ihren Habseligkeiten unter dem Arm …«

»Was – die wollte auch fort?« unterbrach Hempel die Hofrätin. Sie nickte.

»Jawohl. Ihr Vater war plötzlich erkrankt und wünschte, sie noch einmal zu sehen. Wir ließen sie gehen. Gleich darauf erschienen der Reitknecht und der Stalljunge und baten um sofortige Entlassung. Der Reitknecht führte als Grund an, daß seit des Obersten Tod in Monplaisir ohnehin niemand mehr ausritte und es böte sich ihm jetzt gerade die Gelegenheit, einen guten Posten zu bekommen, wenn er gleich eintrete. Er hoffe, das gnädige Fräulein werde, da man seiner Dienste ja hier nicht mehr bedürfe, nichts dagegen haben. Den Stalljungen, der sein Neffe wäre, nehme er gleich mit.«

»Harriet war so bestürzt, daß sie zu allem ja sagte. Ich aber erlaubte mir, den Burschen um den wahren Grund dieser Massenkündigung zu befragen, denn es liege doch am Tage, daß all die angegebenen Gründe nur Ausreden seien.«

»Nun – und?«

»Nun der Bursche blieb steif und fest dabei, er habe keinen anderen Grund und von dem Fortgehen Mariettas und Lenes wisse er gar nichts. Schließlich mußten wir ihn auch gehen lassen.«

»So wissen Sie nichts über den Grund –«

»Warten Sie nur! Wir saßen noch unter der Rotbuche und ergingen uns in Vermutungen, was hinter diesen sonderbaren Ereignissen etwa stecken konnte, als wir vorn im Park plötzlich Lärm hörten. Schreien, Fluchen, Schläge und zuletzt ein jämmerliches Geheul. Harriet erhob sich erschrocken.

›Ich will sehen, was es gibt …‹ sagte sie und eilte um das Haus herum nach dem vorderen Eingang zum Glashause, denn dort war der Spektakel. Ich natürlich hinterdrein. Wir fanden den Gärtner mit seinem Gehilfen im Handgemenge. Ein Kleiderbündel lag am Boden daneben. Der Gärtner rief erbost, indem er Fabian am Kragen hielt und ihn zornig schüttelte: ›Ich werde dich lehren, auskneifen zu wollen ohne Urlaub oder Kündigung! Bist du denn ganz verrückt, daß du dir von den Weibsleuten auch hast den Kopf verdrehen lassen?‹

Fabian aber heulte: ›Und wenn Sie mich tot schlagen, so bleibe ich nicht in einem Hause, wo Gespenster umgehen. Haben Sie etwa nicht selbst gesehen, daß das Parktor, das wir abends verschlossen hatten, um Mitternacht sperrangelweit offen stand? Und war es nachher nicht wieder zugesperrt, ohne daß wir eine Menschenseele sahen?‹

›Dummer Junge, hättest du dich nur daneben aufgestellt, dann hättest du schon gesehen, wer es wieder zusperrte.‹

Jetzt mengten wir uns ein. ›Lassen Sie Fabian los,‹ gebot Harriet, ›und erklären Sie uns was all das eigentlich bedeutet!‹

Nun kam es allmählich heraus: Das Gespenst des ermordeten Oberst geht im Monplaisirer-Park ›um‹! Die Kutschersfrau hat es zuerst gesehen und alle anderen rebellisch gemacht. Was sie eigentlich sah, war nicht klar herauszubekommen. Bald sei es ein ›Schatten‹ gewesen, bald ein ›lichtes Gespenst‹, das ›seufzend und klagend über die Wiesen glitt‹. Vergangene Nacht hatte niemand von der Dienerschaft geschlafen außer dem Gärtner, der plötzlich durch einen Schrei Fabians aufgeweckt wurde. Fabian schlief mit ihm im selben Gemach und hatte gleich dem anderen Gesinde aufgeregt spähend am Fenster gestanden. Kurz nach Mitternacht hörte er das Parktor klirren und sah gleich darauf einen Schatten ›schweben‹, der im Buschwerk, wo man die Leiche des Obersten gefunden hatte, verschwand. Entsetzt schloß er die Augen. Als er sie nach einer Sekunde wieder öffnete, huschte derselbe Schatten aus einem ganz anderen Buschwerk heraus. Da schrie er vor Schrecken auf. Der Gärtner, welcher nicht an Gespenster glaubt, stand auf, kleidete sich rasch an und ging mit Fabian hinaus. Das Parktor stand wirklich sperrangelweit offen. Nun wollte der Gärtner Fabian dort postieren, während er hinter dem Hause Nachschau hielt, aber der Bursche war nicht dazu zu bewegen und der Gärtner mußte allein gehen. Weder hinter dem Hause, noch irgendwo konnte er etwas Verdächtiges entdecken. Alle Türen waren ordnungsgemäß verschlossen. Darüber war mehr als eine halbe Stunde vergangen. Als der Gärtner wieder an das Parktor kam, war dieses zu und verschlossen. Inzwischen hatte sich die Dienerschaft in der nach rückwärts gelegenen Küche im Souterrain versammelt. Man holte die Kutschersfrau, den Reitknecht, Fabian und zuletzt den Gärtner dazu. Die Geisterstunde war vorüber, man beruhigte sich allmählich und erzählte einander die gemachten Wahrnehmungen. Lene, die Köchin, behauptete steif und fest, sie hätte ein weißes, ›in Totenlaken‹ gehülltes Gespenst gesehen, das leider verschwand, ehe Marietta, welche sie darauf aufmerksam machte, es erblickte. Dem entgegen stand Fabians Behauptung, der darauf schwor, »sein« Schatten sei der Oberst gewesen, dunkel gekleidet, steif in der Haltung, genau wie er leibte und lebte. Man einigte sich schließlich dahin, daß des Obersten Leib und Seele getrennt ›geisterten‹ …«

»Pardon, war der Kammerdiener Friedrich auch bei dieser nächtlichen Versammlung?«

»Nein. Der hat offenbar den ganzen Geisterrummel verschlafen. Als man sich seiner erinnerte und Marietta an seine Tür klopfte, rief er unwirsch, man solle ihn gefällig ruhig schlafen lassen.«

»Und hat er heute vielleicht auch gekündigt?«

»Bis jetzt nicht. Wir sahen ihn den ganzen Nachmittag überhaupt nicht, worüber ich offen gestanden, nicht böse war, denn der Mensch ist mir furchtbar unsympathisch. Aber was sagen Sie zu all diesen Narrheiten?«

»Da es sehr schwer sein wird, nun Ersatz für die entflohene Dienerschaft zu finden, denn ich bin überzeugt, Monplaisir hat in der Umgebung zu dieser Stunde bereits den Spitznamen »das Gespensterhaus«!«

»O, was das anbelangt, Ersatz haben wir bereits. Ich ging sofort in die Dornbacher Apotheke und telephonierte nach meiner Villa auf der hohen Warte, meine Leute, welche dort ohnehin unbeschäftigt sind, sollen nach Monplaisir übersiedeln. Vor einer Stunde kamen sie, ich hielt ihnen eine kleine Standrede und da es lauter erprobte in meinem Dienst ergraute Leute sind, so hoffe ich, werden wir vor ähnlichen Ueberraschungen nun bewahrt bleiben.«

»Welches Glück für Harriet in diesen bedrängten Tagen eine so treue Freundin zu haben!«

Die Hofrätin seufzte.

»Ja, ich habe sie lieb wie eine eigene Tochter, und sie verdient es auch. Könnte ich nur alle Schatten aus ihrem Leben so leicht bannen wie diesen! Ich denke jetzt manchmal, es wäre besser gewesen, wir wären abgereist …«

»Nein,« sagte Hempel ernst, »sie hätte damit den bereits gegen sie vorhandenen Verdacht nur verstärkt. Sie mußte unter allen Umständen bleiben.«

Die Hofrätin starrte ihn fassungslos an.

»Verdacht gegen Harriet? O Gott, wer könnte einen solchen hegen!«

»Der Staatsanwalt, Kommissär Brandner, vielleicht jetzt sogar der Untersuchungsrichter! Aber das braucht sie nicht zu beunruhigen, denn ich glaube trotz des Scheines an ihre Unschuld und werde den Beweis dafür erbringen!«

An diesem Abend stand Silas Hempel noch lange am offenen Fenster und blickte verträumt auf die silbrigen Wiesen des Parkes, zwischen welche sich weiße Kieswege wie leuchtende Bänder hinzogen, während die schwarzen Schlagschatten der Bäume scharf langgezogene Linien in den weichen, verschleierten Glanz der Mondnacht zeichneten.

Totenstille herrschte ringsum. Bang und geheimnisvoll durch das ungewisse Licht, das die Konturen verwischte, die da waren, und neue schufen, die dem Auge befremdend erscheinen mußten.

Kein Wunder, daß die Leute, noch aufgeregt durch den Mord natürliche Dinge für Spuk hielten.

Nun, morgen, wenn der ehrenwerte Friedrich Nebe hinter Schloß und Riegel gebracht war, würde kein Mensch mehr von »huschenden Gespensterschatten« im Park sehen können.

Ob sich das Rätsel, welches über des Obersten Tod schwebte, dann lösen würde?

Hoffentlich, denn es war nicht anzunehmen, daß Nebe, alias Storch, seine Mitschuldigen schonen würde.

Im ganzen war Hempel zufrieden mit den Ergebnissen des Tages. Selbst der Mörder oder nur Werkzeug der geheimnisvollen Engländerin und des alten Tiersteiner – würde Nebe jedenfalls bemüht sein, alle Schuld auf jene beiden zu wälzen.

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