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XXVII.

»Rrrrirrirrirrrirrirr« rasselte der Wecker des Fernsprechers, und bald darauf betrat Minna Eduards blumenreichen Balkon.

»Die Dame ist wieder am Apparat und will Herrn Bauführer sprechen.«

»Stellen Sie das Telephon nach vorn um,« sagte Eduard und trat ins Herrenzimmer an seinen Schreibtisch, ergriff den Hörer und rief ganz ruhig, obwohl alle Pulse in ihm bebten, seine übliche Frage: »Hallo, wer dort?« in den Schalltrichter.

»Na endlich, Schatzel, trifft man Dich! Endlich bist Du wieder im Lande! Schatzel, ich habe mich ja so nach Dir gesehnt! Na sag doch was, damit ich Deine liebe Stimme wieder hören kann. Deine Stimme, die ich so sehr vermisse.«

Schnell in einem Atem stieß sie all das heraus.

Und Eduard sagte langsam:

»Guten Tag, Irene! Was steht zu Diensten?«

»Sehen will ich Dich natürlich sofort. Ich muß Dich gleich sehen. Noch in dieser Stunde. Seit vierzehn Tagen hab ich Dich täglich angerufen. Endlich erfuhr ich gestern abend, daß Du für heute früh Deine Heimkehr angemeldet hast und – – – da –«

»Hast Du mir nicht einmal ein paar Blumen gesandt,« unterbrach Eduard ihren Wortschwall, denn er wollte sie schmerzen.

»Ach, das hätte ich wirklich auch machen können. Aber daran dachte ich gar nicht.«

»Natürlich nicht! Dazu fehlt es Dir an Takt, der Grazie der Seele!«

»Du, nicht so böse sein! Nicht schelten! Hast Du übrigens meine Briefe, mein Bild nicht erhalten? Siehst Du, ich habe Dir ja doch etwas als Willkommengruß gesandt: mein Bild!«

»Auch nur aus purem Eigennutz!«

»Aber Schatzel, laß doch dies ewige Gezänk. Sag mir lieber, wo wir uns jetzt sofort treffen können?«

»Eigentlich wollte ich ja überhaupt nicht mehr – – –«

»Du!« schrie sie da in den Apparat, »Schatzel!«

Und da lenkte er endlich ein, um es nicht auf die Spitze zu treiben.

»Also ich stehe zur Verfügung! Wo soll das Rendez-vous stattfinden? Ich bitte um Vorschläge,« sagte er galant.

»Weißt Du, Schatzel, das Einfachste ist, ich komme zu Dir, da sieht und hört uns keiner! Da sind wir ganz unter uns!«

»Irene, es ist wohl besser, wir treffen uns an einem neutralen Ort, in einem Café!«

»Nein, nein, da kann ich ja von Bekannten gesehen werden! Das geht auf keinen Fall!«

»Und wenn? Warum sollen wir uns denn nicht sehen lassen dürfen?«

»Nein, nein! Ich will das nicht! Das gibt erst übles Getratsche in W.W.«

»Also wenn Du durchaus nicht wo anders magst, erwarte ich Dich in einer Stunde – – –«

»In einer halben! Nein! Ich nehme ein Auto. In zwölf Minuten bin ich da!«

»Gut – – A rivederci!«

»Du! Mach mir aber selbst die Entreetür auf! Daß mich niemand erwischt.«

»Selbstverständlich! Also: auf gleich!«

»Halt, erst noch einen Kuß, geliebtes Schatzel!«

»Wie soll ich denn das fertigbringen, Kind?«

»Na warte, das besorg ich schon!«

Und sie schnalzte ihm wohl fünfzig Küsse an das schmerzvoll berührte Ohr.


Eduard trat wieder auf den Balkon.

Und Teddy folgte, nachdem er sich heftig geschüttelt hatte, wobei seine großen Ohren wie eine Kinderklapper knallten, so daß Eduard unwillkürlich an den »armen Heinrich« denken mußte.

Der Westwind spielte mit den roten Geranien, die in breiten Holzkästen Eduards nach Berliner Art bepflanzten Balkon umsäumten.

Er ergab sich ganz den Gedanken an das Mädchen.

Wie sie wohl aussehen würde!

Ob sie sich hier in der Stadt anders geben mochte als in der Sommerfrische?

Was für ein Kleid sie angezogen haben würde?

Sicher das von Karlsbad-Elbogen!

All diese Fragen jagten jetzt durch sein gereiztes Hirn.

Sein Herz aber fühlte schon ihr schnelles Nahen.

Da fuhr – was Eduard von der ersten Etage deutlich sehen konnte – ein Droschkenauto vor der Haustür vor, dem sie tiefverschleiert entstieg und rasch ins Haus schlüpfte.

Der Wagen wartete.

Im nächsten Augenblick riß Eduard die Korridortür auf und zog sie an der Hand in das nächstgelegene Zimmer.

Er ließ ihr keine Zeit, sich die Jacke auszuziehen.

Mit einem schnellen sachlichen Griff zog er die Nadel aus ihrem Hut, legte ihn auf den Tisch, wobei auch der Schleier mitgerissen wurde, und nahm ihren so befreiten Kopf in seine Hände, seine Arme …

Und sie küßten sich so in stiller Umarmung stehend wohl eine Stunde, ohne jede Störung!

Glühend schlugen die Flammen über ihnen zusammen.

Spät erst traten sie aus ihrem weltfernen Rausch wieder langsam in die Wirklichkeit zurück …

Eduard führte sie nun in sein Arbeitszimmer und drängte sie auf die Ottomane.

Und wieder prasselte beider so lange verhaltenes Feuer hervor, wieder züngelten die glostenden Flammen von ihr zu ihm, von ihm zu ihr …

Es schien ein Ewigkeitskuß zu werden, in dem sich dieses junge Menschenpaar jetzt fand und gar nicht mehr voneinander fort wollte.

Endlich riß sich Eduard los.

Ihr verküßtes Gesicht war stark gerötet, und sie entnahm ohne jede Scheu ihrer Tasche ein Puderquästchen, um die Spuren des wilden Wälzens zu verwischen.


Eduard hielt es für richtig, auch ihr seinen Entschluß mitzuteilen, aus dem Staatsdienst auszutreten.

Das machte gar keinen Eindruck auf sie, schien ihr vollkommen gleichgültig zu sein.

Wozu sollte sie sich mit seinen Sorgen ihren Kopf beschweren! dachte sie. Denn schließlich war es ihr ganz egal, was er war oder was aus ihm wurde. Er fesselte sie und sie hätte sich von ihm auch küssen lassen, wenn er ein Hochstapler, sogar wenn er ein Verbrecher gewesen wäre. Was ging sie sein Stand, seine neue Berufswahl an?


Als sie jedoch ihren Eltern noch an diesem Abend seinen Wunsch ausrichtete, sich in den nächsten Tagen mit dem Päppe wegen ihrer Liebe, um die ja beide Eltern wohl längst wußten, auszusprechen, gab es erst von Seiten Frau Paulas einen ziemlich ausgedehnten Freudenausbruch:

»Jacques! Er hat sich erklärt! Das Kind liebt ihn, und er liebt sie auch. Wie poetisch! Nu was sagst Du zu dem Glück?« jubelte sie den Päppe an.

»Abwarten!« sagte der. »Das Glück kann man niemandem mitgeben, Paula! Aber wenn sich die Kinder gern haben, will ich Irene nicht – –«

»Jacques!«

Vor Wut blitzte ihn das stahlgraue Augenpaar durchdringend an. »Wie kannst Du überhaupt wagen, dabei etwa noch zu zögern. Wo das Kind doch so eine Glanzpartie mit diesem Manne macht. Spaß, werden Philippsthals platzen! ›Frau Baurätin‹ wird das Kind einmal werden, sowas Großartiges bietet sich nicht alle Tage, und aus solcher vornehmen Familie ist er auch! Bedenke, wo Du herstammst! Morgen laß ich Irene schon taufen – –! Aber selbstredend nur aus Bosheit gegen die Philippsthals!« bemäntelte sie ihr kurioses Verlangen dem Gatten gegenüber.

»Nu schön!« sagte van Fleethen, und seine der Gattin gegenüber stets beobachtete Apathie trat ein.

»Laß die Philippsthals meinetwegen noch mehr platzen!« Dann lachte er auf seine breite Art, und um seine Frau noch etwas aufzuziehen, stellte er diese verfängliche Frage an sie:

»Wo willst Du aber so schnell einen Pastor finden, der sich gleich dazu hergibt?«

Aber Frau Paula war um die Antwort nicht verlegen.

»Laß mich nur machen, Jacques! Laß Deine Frau nur machen! Ich werd's schon machen!«

»Aber weißt Du denn schon, welche Religion Du wählst? Ich meine, ob das Mädel katholisch oder evangelisch werden soll?« hänselte sie der Gatte weiter.

»Ganz nach Wunsch, Jacques! Wenn der Weitbrecht evangelisch ist, wird sie's auch! Ist er aber katholisch – lasse ich das Kind katholisch taufen!«

Jacques van Fleethen fühlte sich durch solche schmachvolle Auffassung in Glaubenssachen von seiner Frau schwer gekränkt. Wenn er auch nicht mehr jeden Sonnabend in den Tempel lief, war er doch in seinem Herzen ein guter Jude geblieben und hatte sich seinen Glauben an Gott stets noch bewahrt. Deshalb konnte er nicht umhin, jetzt dem Scherz ein Ende zu machen und einen ernsten Ton anzuschlagen.

»Paula, wenn Dein seliger Vater das erlebt hätte? Verflucht hätte er Dich und mich! E Goy als Schwiegersohn! – – Schön! Ich bin kein Unmensch. Und ich will, daß unser Kind in vornehmere Kreise kommt, als es unsere sind. Aber wozu willst Du das Mädel partout taufen lassen? Das wird vielleicht« – er sah Irene fragend an – »das Kind gar nicht wollen! Und ich auch nicht! Nie! Paula! Dazu werd' ich meine Einwilligung nie geben, soviel Ehrfurcht bin ich Deinen und meinen seligen Eltern im Grabe schon noch schuldig.«

»Du bist ein Narr, Jacques! Wenn wir schon einen christlichen Schwiegersohn haben, wollen wir auch in der Ehe unseres Kindes von vornherein jede Trübung vermeiden! Keine schwere Stunde darf sie haben! Nicht eine einzige. Mein lieber Vater« (in ihr Auge trat wieder eine Tränenperle) »hätte gar nichts dagegen gehabt. Ich kannte seinen Standpunkt ganz genau! Dazu war er viel zu liberal! Und viel zu vernünftig!«

»Aber noch ist das alles ja gar nicht nötig, Paula! Wozu regst Du Dich erst unnötig auf? Wenn er das Kind so sehr liebt, wie Du da sagst, tritt er vielleicht gar zu unserer Religion über und läßt sich jüdischen!« wollte er die Sache wieder ins Scherzhafte ziehen.

»Aber Jacques, Du vergißt wohl, daß er im Staatsdienst ist, daß er einmal Baurat wird!«

Nun endlich mischte sich Irene in den Dialog.

»Ihr braucht Euch gar nicht so herumzuzanken! Mein Eduard hat von mir bis heute keinen Glaubenswechsel verlangt. Und da er vor einigen Tagen seinen Dienst quittiert hat, werde ich ihm, mir und auch Euch wohl diese blöde Farce einer Taufe aus rein äußerlichen Gründen ersparen können.«

Frau Paula stieß einen hektischen Schrei aus und hielt sich exaltiert am Stuhl fest.

»Er ist nicht mehr Beamter! Er wird gar nicht Baurat!«

Sie schnappte ein paarmal tief nach Luft, ehe sie weitersprach.

»Dann ist die Sache für uns erledigt. Dann soll er sich Dich nur aus 'm Kopf schlagen! Denn jetzt ist an eine Verlobung, solange ich lebe, nicht zu denken.«

»E Frage!« bekräftigte der Gatte diese Worte. »Wenn er den Dienst quittiert hat, ist die Partie von meiner Seite überhaupt nicht mehr diskutabel!«

»Und ich hatte mich schon so sehr über den Neid der Frau Philippsthal gefreut,« ächzte Frau Paula.

Jetzt war es Irene, die in einen Wolterschrei ausbrach. Vor maßloser Aufregung sagte sie erst nichts. Und es dauerte eine ganze Weile, bis sie ihre Sprache wiederfand. Unter Heulen und Keifen kam es dann aus ihrem flennenden Munde:

»Aber Päppe! Ich liebe diesen Menschen doch unmenschlich. Ich kann ja ohne ihn nicht mehr weiterleben!«

»Und wovon wollt Ihr leben?« gab der ganz trocken zur Antwort.

»Wir haben doch Geld genug, Päppe!« jammerte sie weiter.

» Ich hab Geld,« betonte der Alte. »Und für einen Beamten in solcher glanzvollen Position hätt' ich Dir auch eine ausreichende Mitgift gegeben! – – Aber für einen Tunichtgut geb' ich keinen Heller!«

»Päppe, ist das Dein letztes Wort zu Deiner einzigen Tochter?« flehte sie weiter.

»E Frage!« sagte der nur, und Frau Paula bestärkte ihn:

»Was soll uns jetzt noch so ein Müßiggänger?«

»So werde ich ihn gegen Euren Willen heiraten!« trotzte Irene nun drauflos. »Denn Eduard hat, soviel ich weiß, sein eigenes Vermögen!«

Sofort hakte Frau Paula wieder ein.

»Dann wirst Du enterbt! Enterbt!« schrie sie ihr nochmals ins Gesicht, während der Vater ganz sachlich hinzufügte:

»Heut bist Du achtzehn Jahre! – – Wenn Du also auf ihn warten willst, bis Du großjährig bist – gut! Nach dem holländischen Landrecht mußt Du zweiundzwanzig Jahre alt sein, um ihn ohne die väterliche Einwilligung heiraten zu können! Jetzt weißt Du, was Dir not tut. Also für mich bist Du fertig! Und nun mach meinetwegen, was Du willst. Von mir kriegt Ihr keinen Pfennig. Komm rein, Paula!« Er sandte einen vielsagenden Blick zu seiner Frau, die sich alsbald erhob. »Wozu wollen wir uns ihren Kopf zerbrechen? Laß sie allein damit fertig werden!!!«

Damit waren beide lieblosen Eltern verschwunden und Irene im Salon wirklich allein.


Und schwerfällig erhob sie sich, ging schleppend nach ihrem Zimmer und schrieb dem Geliebten.


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